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zog er den Schluss, dass das Strauss'sche Werk, ein von dem alten ganz verschiedenes und vollständig neues, ein populäres im Sinne Renan's nicht werden könne; dass der Glaube aber durch dasselbe vielmehr begründet als erschüttert werde. Herrn Strack, der die Competenz der Gesellschaft bestritt, ein theologisches Werk zum Gegenstand der Besprechung zu machen, erwiedert Herr Märker, dass er seine Besprechung nur als Seitenstück derjenigen des Renan'schen Buches in einer frühern Sitzung habe geben wollen; übrigens biete das Strauss'sche Buch allerdings eine Seite, die den Zwecken der Gesellschaft näher liege, da es ein hervorragendes Sprachdenkmal im eigentlichsten Sinne sei, wie ein solches seit Lessing in der deutschen Literatur schwer seines Gleichen finde. Herr Giovanoly sprach über eine neu zu gestaltende Methode beim Sprachunterricht. Der bisherige habe ungenügende Resultate besonders deshalb geliefert, weil er gleich einer in sechs Theile zerfallenden Linie sich durch die Anstalten hinziehe, so dass jeder, der nicht bis an's Ende gelange, nothwendig eine ganz lückenhafte Bildung erringe; es müsse derselbe vielmehr nach Art concentrischer Kreise sich gestalten, so dass auf jeder Stufe verhältnissmässig ein Ganzes gegeben werde. Der Verfasser will dies so erreichen, dass man auf der untersten Stufe (von Tertia abwärts) das Ahn'sche Buch zu Grunde lege; in der folgenden die Zahlwörter in allen Verbindungen, und in der obersten ein Ganzes der französischen Grammatik in französischer Sprache gebe. In einer Discussion, an der sich die Herren Städler, Strack, Pröhle, Bollmann, Plahner betheiligten, wurde besonders hervorgehoben, dass in der vorgeschlagenen Weise mehr eine mechanische Einübung und Einlernung, als ein Einführen in den Geist der fremden Sprache erreicht werde: die mechanische Abrichtung dürfe der geistigen Einsicht nie vorauseilen. Herr Reumont stellt einen Antrag, die Gesellschaft solle Mittel bewilligen, um die in Aussicht gestellten Zwecke des „Enseignement international" zu fördern. Die Versammlung beschliesst, hierauf nicht näher einzugehen. Herr Schweichel zeigt seinen Austritt aus der Gesellschaft und dem Stipendien comité an. Herr Roth rechtfertigt die Wahl seiner Themen gegen die in der vorigen Sitzung gegen ihn erhobenen Einwürfe dadurch, dass die speciell sprachliche Seite, welche die besprochenen Gegenstände böten, deren Einführung wohl gestatte, und vertheidigt sich gegen andere Punkte der angestellten Kritik. Herr Bollmann verwahrt sich gegen einzelne ihn persönlich treffende Worte des Vorredners. Anastasius Grün wird als Ehrenmitglied der Gesellschaft vorgeschlagen.

97. Sitzung, am 19. April 1864. Herr Roth sprach über Calderon's,, Leben ein Traum" und Grillparzer's „Traum ein Leben." Das dramatische Gedicht des Spaniers Don Pedro Calderon de la Barca Henao y Riaño (geboren zu Madrid am 1. Januar 1601, gestorben daselbst als Capellano mayor der Congregation St. Pedro 1687) erscheint

als eine weitere Ausführung der tiefsinnigen Sprüche Pindar's ",der Mensch ist der Traum eines Schattens" und Shakspeare's „Wir sind solcher Zeug, wie der zu Träumen, und unser ganzes Leben umhüllt ein Schlaf." Aeusserlich entfaltet die Dichtung einen romantischen Hergang: Sigismund, des Königs Basil von Polen Sohn, wird auf Befehl des Vaters in einem einsamen Kerker erzogen, sodann plötzlich, durch einen Schlaftrunk betäubt, in den glänzenden Palast seiner Väter getragen, und dort mit voller Regierungsgewalt bekleidet. Der vom jähen Glücke Berauschte missbraucht sie gröblich, und wird vom Könige durch den Schlaftrunk nun abermals bewusstlos gemacht, worauf er im Kerker wieder zu sich kommt, und dort die Kunde empfängt: er habe die Glanzzeit nur geträumt. Durch Einbruch des Volks in sein Asyl aber über die Wahrheit belehrt, und auf's Neue gekrönt, entnimmt er den bitteren Erfahrungen, die sich an das erste vermeintliche Traumglück mit dessen Tyrannenexcessen geknüpft haben, die Lehre, den jetzt als klare Wirklichkeit erkannten Thronbesitz durch würdige, maassvolle Handlungen zu verdienen. Dieser Hergang ist andererseits nach Calderon's Weltanschauung durchaus Symbol. Der romanische Dichter, welcher in priesterlicher Mystik schwelgt, erblickt den Menschen zuerst vor seinem Heraustreten in die Welt, d. h. vor seiner Geburt, schon gefangen im Grabe des Mutterschoosses; aus diesem Gefängnisse" kommt er in's Leben, aber die Güter, die dies bietet, sind so vergänglich, wie die Spenden eines Traumes, und bald folgt letzterem das Erwachen, d. h. des Jenseits, wohin der Mensch durch die Pforte des Grabes, seines abermaligen Gefängnisses, gelangt. So entspricht hier der Mutterschooss der ersten Kerkerschaft Sigismund's, die Regentenepoche mit ihren Verbrechen und ihrem flüchtigen Wiederverschwinden der menschlichen Lebenszeit, der Rücksturz in den Kerker dem Grabe, und die Erhebung aus der Haft auf den Thron dem Unsterblichkeitszustande im Jenseits. Um dies tiefsinnige Bedeuten, welches der merkwürdigen Dichtung einen hohen Rang sichert (wie namentlich Göthe anerkennt) schlingen sich aber äusserliche Fabeln von psychologischer Dürftigkeit, welche den natürlichen Zug der menschlichen Empfindung für Liebe und Ehre in so frostige Formelsatzungen einzwängen (Clotald's Bereitwilligkeit, sein Kind Rosaura durch den König tödten zu lassen, Rosaura's Fügsamkeit in das brutale Standesvorurtheil des Herzogs Astolf), dass danach F. Rückert's hartes Urtheil über Calderon wohl begreiflich ist: WO Er stehn will auf den Brettern, wird die Zeit herab ihn schmettern" etc.

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Das

Sprachlicher Wandlungen hat die Dichtung viele erlebt. spanische Original findet sich am correctesten in der 1695, acht Jahre nach Calderon's Tode durch Don Juan de Vera Fossiz y Villaroel zu Madrid veranstalteten Gesammtausgabe, welche 125 Comödien, 95 Autos sacramentales, 200 Loas, und 100 Saynetes enthält. Italienisch: La vita è un sogno, Parigi 1717, französisch: La vie est un songe,

comédie-héroique en 3 actes et én vers libres, Paris 1732. Deutsch wurde es zuerst 1760 nach der italienischen Version gegeben, unter dem Titel „das menschliche Leben ist ein Traum," ein Schauspiel. in 5 Acten und in Versen von M. J. Fr. Scharfenstein. Die französische Bearbeitung ergab zwei Uebersetzungen: „Sigismund und Sophronia" oder Grausamkeit aus Aberglauben (ungenannt), 2) „das Horoskop“ von Mämminger (1818). Unmittelbar aus dem Originale geschöpft sind die von 1803-1817 nach und nach erschienenen vorzüglichen Arbeiten A. W. v. Schlegel's, v. d. Malsburg's und v. Einsiedel's, nach dessen Uebertragung das Werk 1811 in Weimar aufgeführt ist. Bekannter als diese Neudichtungen alle aber ist mit Recht die Gries'sche Uebersetzung, die das Original zugleich in herrlichen Formen giebt. Nur ist dieselbe für die Bühne trotzdem nicht sprechbar, und hat sich auf den Theatern vielmehr mit Recht West-Schreyvogel's Bearbeitung des Gries eingebürgert; hierin ist der Trochäus mit dem Jambus vertauscht und die Eintönigkeit der Assonanzen beseitigt.

Bot der geistige Nerv dieser Dichtung den Gedanken: „Die Wirklichkeit spielt so wirr mit dem Menschen, dass er sie wohl für einen Traum halten kann," so zeigt dagegen das 1840 auf der Wiener Hofburg zuerst gegebene Schauspiel Franz Grillparzer's (geb. zu Wien 1790, dort noch lebend) die Kehrseite: „Ein lebhafter Traum kann uns so erfüllen, dass wir ihn für Wirklichkeit nehmen." Das deutsche Stück führt uns unter dem Titel „Der Traum ein Leben" die Umwandlung eines Jünglings, Rustan, der sich aus dem Hause in die Ferne sehnt, vor; Rustan träumt, was er an Gefahren, Gräueln und Sünden durch Ausführung seines Entschlusses auf sich laden würde, und giebt desshalb, erwacht, den Plan, der seiner Braut Mirza und seinem Oheim Massud schon viel Kummer verursacht hat, auf, den Sclaven Zanga, der ihn fortwährend angestachelt hatte, entlassend. Das Ganze ist farbig, sprachlich hinreissend, und dramatisch tüchtig, freilich jedoch in der ethischen Perspective von einer gewissen Engbrüstigkeit nicht frei zu sprechen. Es giebt aber der noch immer hohe Werth auch dieses Stücks, dessen herrlichste Stellen probeweise angeführt wurden, Anlass, auf F. Grillparzer's ächte, lange nicht genug anerkannte Verdienste mit Begeisterung hinzuweisen, und seinen Schöpfungen (Sappho etc.) würdige Wiedereinbürgerung auf unseren Bühnen zu wünschen.

Herr Büchmann legte sein neues Buch: „Geflügelte Worte. Der Citatenschatz des deutschen Volkes," zur Ansicht vor, gab eine kurze Uebersicht des Inhalts und zeigte an einigen Beispielen, wie schwierig oft die Ermittlung der Quelle eines in aller Munde befindlichen Citates sei.

Nach einem Ueberblick über die gegenwärtige ungarische Literatur, deren Ursprung er einmal aus den Dichtungen der Deutschen in Ungarn (Lenau, Karl Beck u. s. w.), dann aus dem ungarischen Volks

liede ableitete, las Herr Pröhle, um zu zeigen, dass es der ungarischen Poesie weder an Plastik, noch an Reichthum der Erfindung, noch an Naivetät fehle, eine Anzahl von Proben aus der von E. Greguss veranstalteten Sammlung und Uebersetzung ungarischer Lieder.Herr Märker meinte, dass weder aus dem heut Vorgetragenen, noch aus den früher mitgetheilten Gedichten Petöfy's sich ein richtiges Bild ungarischer Dichtung gewinnen lasse; vor Allem müsse der eigenthümliche Rhythmus der ungarischen Volksmelodien mit in die Betrachtung gezogen werden.

Am 23. April 1864 beging die Gesellschaft Shakspeare's dreihundertjährige Geburtstagsfeier in dem von Sr. Majestät dem Könige für diesen Zweck bewilligten Concertsaale des Königlichen Schauspielhauses nach folgendem Programm:

SHAKSPEARE-FEIER

der Berliner Gesellschaft für das Studium der neueren Sprachen. Sonnabend, den 23. April 1864.

Freundlich unterstützt durch die Königl. Hofopernsängerin Fräulein de Ahna, den Königl. Capellmeister Herrn Taubert, den Königl. Kammersänger Herrn Mantius, und den Mantius'schen Gesang

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Veröffentlichung der Preisaufgaben, durch Herrig.

Ouverture zu Romeo und Julie

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L. Schlottmann.

Lied, aus Heinrich VIII., gesungen von Fräulein de Ahna, neu componirt von Taubert.

Ständchen, aus Cymbeline.

Gesungen von Herrn Mantius.

Schubert.

Chor aus dem Sommernachts-Traum. Ausgeführt vom Mantius'schen

Gesang-Verein.

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(Die Orchestermusik ausgeführt durch die Liebig'sche Capelle.)

Am 24. April folgte ein Diner, an welchem auch Damen Antheil nahmen, im Arnim'schen Saale.

Preisausschreiben.

Die Berliner Gesellschaft für das Studium der neueren Sprachen hat bei der Feier des Shakspearefestes, am 23. April dieses Jahres, folgende Preisaufgaben gestellt:

I. Shakspeare's Einfluss auf die Fortentwicklung der englischen Sprache.

Es wird dabei erwartet:

1) eine Darstellung des Entwicklungszustandes der poetischen Sprache Englands in der Shakspeare unmittelbar vorangehenden Literaturperiode,

2) Der Nachweis ihrer Fortentwicklung in den Dichtungen Shakspeare's,

3) Die Darlegung des Verhältnisses, in welchem die Eigenthümlichkeit der Sprachbehandlung Shakspeare's zu der seiner Zeitgenossen steht, und

4) Der Nachweis des Shakspeare'schen Einflusses auf die poetische Sprache Englands.

II. Das Thema der zweiten Preisaufgabe lautet: Geschichte der Kritik des Shakspeare'schen Drama's bei den Deutschen und bei den romanischen Völkern.

Diese Aufgaben können in deutscher, französischer oder englischer Sprache bearbeitet werden und sind bis zum 1. Juli 1865 an den Vorsitzenden der Gesellschaft, Prof. Dr. Herrig, einzuliefern. Die Verfasser haben ihren Namen in einem mit dem Motto der Arbeit versehenen, verschlossenen Briefe beizufügen. Der Preis für die beste Bearbeitung der ersten Aufgabe beträgt Fünfhundert Thaler Gold, für die der zweiten Zweihundert Thaler Gold. Am Stiftungsfeste der Gesellschaft, 26. Oct. 1865, soll die Entscheidung des zu ernennenden RichterCollegiums öffentlich proclamirt werden.

Alle Zeitschriften, welche an Kunst und Wissenschaft ein Interesse nehmen, werden um Weiterverbreitung dieses Preisausschreibens höflichst gebeten.

Berlin, den 29. April 1864.

Der Vorstand der Gesellsch. f. d. Studium der neueren Spr.

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