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Dahin gehört Günthers Stelle aus dem bekannten Liede: Will ich dich doch gerne meiden 2c.

In den Wåldern will ich irren,

Vor den Menschen will ich fliehn.

Hier hätte ja der Poet natürlicher Weise sagen können:

Ich will in den Wäldern irren,

Ich will vor den Menschen fliehn.

Auch ist Flemming in dergleichen Versehungen glücklich ge= wesen. 3. E. auf der 420sten S. schreibt er:

Achtmal hat nun, als ich záhle,
Phöbe volle Hörner kriegt.

Denn von Rechtswegen hätte es heißen sollen:

Phöbe hat nun, als ich zähle,

Achtmal volle Hröner kriegt.

Aber, wer sicht nicht, daß er dadurch den Nachdruck seiner Worte geschwächet, und die Schönheit des Verses nur verderbet haben würde?

27. §. Endlich dienet die Versehung zuweilen, den Leser eines Gedichtes recht aufmerksam zu machen; weil man von den Nebenumständen den Anfang macht, und den Hauptsaß allererst nachfolgen läßt. 3.E. fängt Besser seine Ruhestatt der Liebe so an:

In diesen brennenden und schwülen Sommertagen,
Ließ Chloris fich einmal in ihren Garten tragen.

Hier hebt er von der Zeit an, da er doch von der Person håtte den Anfang machen können. So sagt auch Ranig:

In meinem Schülerstand, auf den bestanbten Bänken
Hub sich die Kurzweil an.

Da håtte er ja von der Kurzweil anfangen können: allein diese Versehung. seht den Leser in Aufmerksamkeit, und macht ihn begierig zu wissen, was denn in dem Schülerstande ge=

schehen

fchehen seyn werde? Imgleichen schreibt Flemming auf den Namenstag einer Jungfer dergestalt:

Daß der Lenz die Welt umarmet,
Daß der Erden Schooß erwarmet,
Daß die Nächte werden klein;
Daß der Wind gelinder wehet,
Daß der lockre Schnee vergehet,
Das macht euer Sonnenschein.

Wo man augenscheinlich sieht, daß der natürliche Anfang håtte heißen müssen: Euer Sonnenschein macht, daß der Lenz 2c. Eben so hätte Rachel folgende Zeilen,

Zu einem sammenen Rock die groben Leinwandhosen,
Wer hått' es sonst erdacht, als Narren und Franzosen ?

natürlicher Weise ganz und gar umkehren müssen: wenn er fie nicht dergestalt viel nachdrücklicher befunden hätte. Ueberhaupt könnte man Horazens Worte hieher ziehen, wiewohl er sie in anderer Absicht geschrieben:

Non fecus ac notas,

In medias res,
Auditorem rapit.

28. §. Doch verlange ich mit dem allen der unverschämten Frechheit der Sprachverderber keinesweges Thür und Thor zu öffnen, die ohne Verstand und Nachsinnen das unterste zu oberst kehren, und doch für gute Poeten angesehen seyn wollen. Die Versetzungen sind nicht aus Noth erlaubet, um das Sylbenmaaß vollzustopfen; denn dieß gehört für die elendesten Stümper: sondern nur alsdann steht es fren, sich derselben zu bedienen, wenn ein besonderer Nachdruck, oder eine neue Schönheit des Ausdruckes daraus entsteht. Wer dieses nicht in Acht nimmt, und ohne Scheu, wider die Natur unfrer Mundart, alle Regeln der Sprachkunst aus den Augen sehet, der verdienet, ein Pohl oder Wende genennt zu werden, der nicht einmal Deutsch kann, geschweige, daß er ein Poet zu heißen verdienen sollte. Denn das werden lauter Solacifiui unb ακυρολογίας, Die fein Renner feiner

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Mut

Muttersprache ertragen kann: wenn gleich manche Neulinge den Mangel ihres Geistes und Wiges, den sie bey der ordentlichen Wortfügung nicht zeigen können, nur durch die Verhunzung der deutschen Sprache zu verbergen suchen. Wallisius sagt dieses zwar seinen englischen Poeten nach, daß sie die Grammatik sehr aus den Augen seßten: und ein gebohrner gelehrter Engländer, hat mir solches insonderheit vom Milcon bekräftiget; dessen vornehmste Schönheiten in grammatischen Schnißern bestünden. Bey uns hergegen, wird keine solche Frechheit gelten, die nicht auch in unge bundner Rede, im Affecte, zu dulden ist. Eben so seltsam würde es seyn, wenn man die Wortfügung fremder Sprachen in der unsrigen anbringen wollte; welches vielen, die mehr Französisch als Deutsch können, sehr leicht zu entfahren pflegt. 3. E. wenn ich schriebe: Die Augen über das Feld ausspazieren lassen; oder, Einem Frauenzimmer den Hof machen, weil die Franzosen sprechen: Promener les yeux fur les champs, und faire fa Cour à une Dame. Das sind lauter handgreifliche Barbarifimi in unfrer Mundart, die kein Mensch versteht, der nicht französisch kann: wohin denn auch die Mittelwörter gehören, die gleichfalls von einigen geschwornen Participianern, sehr unverschämt gebraucht werden. Schlüßlich, ein Poet muß überall Boileaus Regel beobachten:

Sur tout, qu'en vos Ecrits la Langue reverée,
Dans vos plus grands Excés, vous foit toujours facrée.
En vain vous me frappez d'un Son melodieux;
Si le Terme eft impropre, ou le Tour vicieux,
Mon Efprit n'admet point un pompeux
un pompeux Barbarisme,
Ni d'un Vers empoulé l'orgueilleux Solecisme,
Sans la Langue, en un mot, l'Auteur le plus divin
Eft toujours, quoiqu'il faffe, un méchant Ecrivain.

Das

Das X. Hauptstück.

Von den Figuren in der Poesie.

D

I. S.

ie Abhandlung von den Figuren gehöret eigentlich für die Meister der Redekunst: und ich könnte also meine Leser dahin verweisen, oder gar zum voraus seßen, daß sie sich darum schon bekümmert haben würden. Allein fürs erste hat die gebundne Schreibart eben so viel Recht dazu, als die ungebundne, ja noch wohl ein größeres. Sie hat sich nicht nur dieser Zierrathe bedienet, ehe diese noch erfunden worden: sondern sie pfleget sich auch damit weit häufiger zu puhen, als dieselbe. Hernach kann man nicht allezeit zum Grunde sehen, daß die Liebhaber der Dichtkunst sich vorher in der Redekunst fest gesezt haben sollten. Dieser Gattung Lesern zu gefallen, habe ich mein Buch lieber vollständiger machen, als sie auf einen anderweitigen Unterricht in diesem Stücke verweisen wollen.

2. §. Einige neuere Lehrer der Beredsamkeit haben mit großem Eifer wider den Unterricht von Figuren, der in allen Rhetoriken vorkommt, geschrieben. Sie haben dafür gehalten: man könnte diese ganze Lehre ersparen, und dörste die Jugend mit so vielen griechischen Namen nicht plagen; zumal da sie daraus nichts mehr lernte, als wie man eine Sache benennen könnte, die auch dem einfältigsten Pöbel bekannt wäre. Zu dieser Zahl ist noch neulich ein schweizerischer Kunstrichter getreten, der anstatt der Figuren, ein unverständliches Mischmasch, und eine sclavische Nachahmung des, in seiner eignen Sprache barbarischen Miltons einzuführen wünschte. Man giebt es zu, daß viele Schullehrer der Sache zu viel gethan, und sich gar zu lange dabey aufgehalten haben. Man giebt auch zu, daß die griechischen Namen oft eine unnöthige Schwierigkeit verursachen, und daß man bes

115

fer

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Der Schiff und Gut verlohr, und nur durch meine Hand,
Nebst seinem nackten Volk, des Lebens Rettung fand?

Ich berste fast für Zorn! Der Schmerz bringt mich zum Rasen.

Nun hat Apollo ihm was neues eingeblasen,

Ein Traum aus Lycien was anders prophezeiht;

Ja selber Jupiter ihm drohend angedeut,

Er solle seinen Fuß in andre Lånder tragen:

Ja recht! Gott wird wohl viel nach deinem Schwärmen fragen!
Der Himmel, welchen nichts in seiner Ruhe stört,

Hat seine Sorgen ist auf deine Fahrt gekehrt!

Doch lauf! ich halt dich nicht; ich will nicht widersprechen:
Nur fort! und fäume nicht, die Wellen durchzustechen.
Such dein Italien, das dir so wohl gefällt,

Und wo die Hoffnung dir ein neues Reich bestellt!
Ich weis, der Himmel wird gerecht und heilig bleiben,
Und dein verschlagnes Schiff an Klipp und Syrten treiben!
Da wird die wilde Fluth ein Råcher meiner Pein,
Da wird dein lehtes Wort: Ach Dido! Dido seyn.
Ja wird der kalte Tod den warmen Geist verjagen,
Soll mein Gespenste dich doch allenthalben plagen.

Du sollst, du kannst, du wirst der Strafe nicht entgehn,
Und ich will deine Quaal auch in der Gruft verstehn!

Wer aus einer so herzrührenden Rede den Nachdruck der
Figuren nicht begreifen kann, der muß wenig Empfindlichkeit
und Nachsinnen besißen. Wer aber überführet seyn will, daß
dieses rührende Wesen bloß von den Figuren herrühre, der
darf nur eine andre Ueberseßung von der lateinischen Stelle
machen, darinn alles schlechtweg gesagt wird: sogleich wird
alles Feuer, alle Heftigkeit und alle Lebhaftigkeit daraus
verschwinden; ja man wird es kaum glauben können, daß
es dieselbe Rede sey.

5. §. Lami fångt die Figuren mit dem Ausruffe (Exclamatio) an; weil diese die natürlichste ist, und in vielen Affecten zuerst hervorbricht. Denn es giebt einen Ausruf, in der Freude, Traurigkeit, Nachgier, imgleichen im Schrecken, Zagen, Verzweifeln, Troßen, u. d. gl. Nun giebt es zwar gewisse Formeln, die eigentlich dazu bestimmt sind, als Ach! O! Weh! Wohlan! Hey! Sa, Sa! Ha! u. a.m. Allein

i

es

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