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S. 93.

"Das Wissen ist also von dieser Seite angesehen dasjenige Denken, welches nicht in der Mehrheit und Differenz der denkenden Subjecte, sondern in ihrer Identität gegründet ist."

Was Schleiermacher ausführt, ist nun in Ansehung des Begriffs des Wissens im Grunde ganz dasselbe, was den Inhalt der Kantischen Transcendentallogik ausmacht. Was Kant aber die Kategorien des Verstandes nennt, nennt Schleiermacher Vernunftgehalt, und was Kant Sinnlichkeit, das nennt Schleiermacher Organisa= tion. Es kommt daher auch bei ihm darauf hinaus, daß Begriffe ohne Anschauung leer, und Anscha uungen ohne Begriff blind sind. Er drückt dies nur anders aus:

S. 108.

"Die Thätigkeit der organischen Function ohne alle Vernunftthätigkeit ist noch kein Denken.“

„Denn, sagt die Anmerkung, ste ist noch nicht einmal das Firiren des Gegenstandes, sondern nur chaotische Mannigfaltigkeit der Impression. Beispiel vom Sehen."

S. 109.

„Die Thätigkeit der Vernunft, wenn man sie ohne

alle Thätigkeit der Organisation seßt, wäre kein Denken mehr."

Die Realität des reinen Wissens leugnet Schleiermacher §. 125 und macht sie §. 126 zu einer Vorausse zung, welche ihm den Übergang dazu bahnt, die Idee der Gottheit in seine Dialektik hereinzuziehen, weil in Gott das Sein und Wissen ineinander aufgehen muß. Die einzige metaphysische Kategorie, mit welcher Schleiermacher operirt, ist die der Kraft. Da er nun in der Construction mit ihr nicht ausreicht, so fällt er zulezt in's Gefühl zurück. Im Gefühl find auch in der That Wissen und Wollen Eines, aber noch unmittelbar, noch unentwickelt. Sie sind die höhere Stufe des Geistes, gegen das Gefühl gehalten, was jedoch eben die Form, nicht die Realität des Inhaltes betrifft. Schleiermacher untersucht das Verhältniß von Wissen und Wollen, von Gott und Welt, aber nicht an und für sich, sondern immer nur relativ. Man sieht ganz deutlich, daß er eigentlich auf die Kantischen Antinomien hätte gerathen müssen. Das Fehlen des Wissens um die Totalität des Seins verhindert die gänzliche Durchdringung des speculativen und des empirischen Wisfens und nun findet er den Ersaß dafür in der wissenschaftlichen Kritik. Im technischen Theil kommt nicht ein einziger neuer Gedanke vor, außer der irrigen Behauptung, daß es nur Urtheile, keine Schlüsse gebe. Das höhere Bedürfniß Schleiermachers zeigt sich hier in

dem Versuch, unter dem Namen der Induction und Deduction, des heuristischen und architektonischen Verfahrens den Unterschied der analytischen und synthetischen Methode durchzuführen. Consequent hätte er auch hier, wie im transcendentalen Theil auf die Antinomieen, so auf das Kantische Problem stoßen müssen, wie synthetische Urtheile a priori möglich seien. So weit aber kommt es nicht, sondern der Ausgang wird wieder theologisch; der Gegensatz von Schicksal und Vorsehung wird abgehandelt.

Doch

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was sollen diese Anführungen beweisen? Sie sollen zeigen, daß der Begriff des Bewußtseins der Vernunft noch mit der Schranke der Subjectivität behaftet bleibt. Schleiermacher weiß, daß nur Einheit und Totalität des Wiffens der Idee desselben entspricht, nimmt aber die Totalität noch empirisch und macht sie von der Erfahrung abhängig. Er weiß, daß die Vernunft die Idee zum Inhalt hat; was er aber Vernunft nennt, ist nur der Kantische Verstand. Er weiß endlich, daß das Wissen Denken ist und sich daher in der Form des Begriffs und des Urtheils bewegen muß, allein er kommt nicht zum Schluß d. H. zur Rückkehr der bloßen Beziehung der Begriffsbestimmung in ihre ursprüngliche Einheit. Schleiermacher kennt keine sich frei, durch sich selbst unterscheidende und daher auch den Unterschied selbst zu sich als seiner Einheit aufhebende Identität; er kennt nur die unterschiedslose Identität und bedarf daher immer der finnlichen Erregung für das Denken, wenn

es einen Inhalt haben soll (§. 112). Ist es zu ver= wundern, wenn er, troz aller idealistisch klingenden Terminologie, oft in die gemeinsten und craffesten Vorstellungen der Vulgärlogik heruntersinkt und auch ontologisch sich über die Vorstellung des Dinges als eines finnlichen Objects nicht erhebt? §. 113: „Der höchste reale Begriff des Dinges, ens, enthält auch organische Elemente, denn es ist dasjenige, was die Organisation afficiren kann, und zwar als ein subsistirendes in einer Mannigfaltigkeit von Eindrücken."

Eine Logik, welche ihre Aufgabe auch nicht als den Begriff des Denkens, sondern als die Darstellung der Beziehung zwischen dem Denken und dem Sein bestimmt, ist der: Grundriß der Logik von Chr. I. Braniß, Breslau 1830. Braniß unterscheidet die Logik des sinnlichen Begriffs, des Verstandesbegriffs und des Vernunftbegriffs; für den lehteren bleiben nur wenige Seiten S. 238 42 übrig und die Vernunft wird schließlich definirt als „die Thätigkeit des Geistes, darin er sich über das Gebiet endlicher Bestimmtheiten zur Erfassung der wesentlich unendlichen Idee erhebt." D. h. der Begriff der Vernunft wird noch nicht an und für fich, sondern erst als Moment des Selbstbewußtseins bestimmt.

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Die Wahrheit aber des Bewußtseins ist das Denken, wie es, von dem Gegensaß des Subjects und Objects frei, sich selbst in seinen Bestimmungen zum Inhalt hat. Diese Bestimmungen können von con=

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creten Gegenständen, welche in ihnen oder vielmehr in welchen sie gedacht werden, unterschieden und auf sie als bloße Form bezogen werden, allein sie haben, als die nothwendige Form des Denkens, an sich eine von jener Beziehung unabhängige Eristenz. Diese Logik, welche durch den Begriff des Denkens als solchen ent steht, können wir, an einen Platonischen Ausdruck anknüpfend, die dianoiologische nennen.

Drittes Capitel.

Die dianoiologische Fogik.

Der Proceß, welchen das Denken phänomenologisch durchläuft, vernichtet den Schein, als könnte sein wahrhafter Gegenstand ein anderer, denn ein Gedanke 'sein. Dieser Proceß ist von demjenigen zu unterscheiden, in welchem es sich in Bezug auf sich selbst befindet und worin es sich nicht um das Verhältniß von Subject und Object überhaupt, sondern um das Verhältniß des Denkens zu sich selbst handelt. Gewöhnlich wird so ge= sprochen, als ob Anschauen, Vorstellen und Denken fast dasselbe wären. Diese Vermischung hat ihren Grund darin, daß das Erkennen überhaupt Denken ist, daß also auch an sich Anschauen und Vorstellen Denken sind. Allein für sich ist der Unterschied dieser Formen der Intelligenz sehr bestimmt, denn das Erkennen ist als Anschauen, Vorstellen und Denken nicht blos in einem graduellen Unterschied größerer Deutlichkeit begriffen, son

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