Page images
PDF
EPUB

Seiten her ausgespendete Wahrheiten verdrängt und wegge schwemmt werden. Was nun in diesem Gedränge von Wahrheiten weder Altes noch Neues, sondern Bleibendes sey, wie soll dieses aus diesen formlos hin und her gehenden Betrachtungen fich herausheben - wie anders sich unterscheiden und bewähren, als durch die Wissenschaft?

Ohnehin über Recht, Sittlichkeit, Staat ist die Wahrheit eben so sehr alt, als in den öffentlichen Gesehen, der öffentlichen Moral und Religion offen dargelegt und bekannt. Was bedarf diese Wahrheit weiter, insofern der denkende Geist sie in dieser nächsten Weise zu befigen nicht zufrieden ist, als sie auch zu begreifen, und dem schon an sich selbst vernünftigen Inhalt auch die vernünftige Form zu gewinnen, damit er für das freie Denken gerechtfertigt erscheine, welches nicht bei dem Gegebenen, es sey durch die äußere positive Autorität des Staats oder der Uebereinstimmung der Menschen, oder durch die Autorität des innern Gefühls und Herzens und das unmittelbar beistimmende Zeugniß des Geistes unterstüht, stehen bleibt, sondern von sich ausgeht und eben damit fordert, sich im Innersten mit der Wahrheit geeint zu wissen?

Das einfache Verhalten des unbefangenen Gemüthes ist, fich mit zutrauensvoller Ueberzeugung an die öffentlich bekannte Wahrheit zu halten, und auf diese feste Grundlage seine Handlungsweise und feste Stellung im Leben zu bauen. Gegen dieses einfache Verhalten thut sich etwa schon die vermeinte Schwierigkeit auf, wie aus den unendlich verschiedenen Meinungen sich das, was darin das allgemein Anerkannte und Gültige sey, unterscheiden und herausfinden lasse; und man kann diese Verlegenheit leicht für einen rechten und wahrhaften Ernst um die Sache nehmen. In der That find aber die, welche sich auf diese Verlegenheit etwas zu Gute thun, in dem Falle, den Wald vor den Bäumen nicht zu sehen, und es ist nur die Verle

genheit und Schwierigkeit vorhanden, welche sie selbst veranftalten; ja diese ihre Verlegenheit und Schwierigkeit ist vielmehr der Beweis, daß sie etwas anderes als das allgemein Anerkannte und Geltende, als die Substanz des Rechten und Sittlichen wollen. Denn ist es darum wahrhaft, und nicht um die Eitelkeit und Besonderheit des Meinens und Sehns zu thun, so hielten sie sich an das substantielle Rechte, nämlich an die Gebote der Sittlichkeit und des Staats, und richteten ihr Leben darnach ein. Die weitere Schwierigkeit aber kommt von der Seite, daß der Mensch denkt und im Denken seine Freiheit und den Grund der Sittlichkeit sucht. Dieses Recht, so hoch, so göttlich es ist, wird aber in Unrecht verkehrt, wenn nur dieß für Denken gilt und das Denken nur dann sich frei weiß, insofern es vom Allgemein Anerkannten und Gültigen abweiche und sich etwas Besonderes zu erfins den gewußt habe.

-

Am festesten konnte in unserer Zeit die Vorstellung, als ob die Freiheit des Denkens und des Geistes überhaupt sich nur durch die Abweichung, ja Feindschaft gegen das öffentlich Anerkannte beweise, in Beziehung auf den Staat einges wurzelt, und hiernach absonderlich eine Philosophie über den Staat wesentlich die Aufgabe zu haben scheinen, auch eine Theorie und eben eine neue und besondere zu erfinden und zu geben. Wenn man diese Vorstellung und das ihr gemäße Treiben sieht, so sollte man meinen, als ob noch kein Staat und Staatsverfassung in der Welt gewesen, noch gegenwärtig vorhanden sey, sondern als ob man jezt — und dieß Jeşt dauert immer fort ganz von Vorne anzufangen, und die fittliche Welt nur auf ein solches jeziges Ausdenken und Ergründen und Begründen gewartet habe. Von der Natur giebt man zu, daß die Philosophie sie zu erkennen habe, wie sie ist, daß der Stein der Weisen irgendwo, aber in der Natur selbst verborgen liege, daß sie in sich vernünftig seh

und das Wissen diese in ihr gegenwärtige, wirkliche Vernunft, nicht die auf der Oberfläche sich zeigenden Gestaltungen und Zufälligkeiten, sondern ihre ewige Harmonie, aber als ihr immanentes Gesez und Wesen zu erforschen und begreifend zu fassen habe. Die sittliche Welt dagegen, der Staat, fie, die Vernunft, wie sie sich im Elemente des Selbstbewußtseyns verwirklicht, soll nicht des Glücks genießen, daß es die Vernunft ist, welche in der That in diesem Elemente sich zur Kraft und Gewalt gebracht habe, darin behaupte und inwohne.*) Das

*) Es giebt zweierlei Arten von Gefeßen, Gefeße der Natur und des Rechts: die Gesche der Natur sind schlechthin, und gelten so, wie sie find: sie leiden an keiner Verkümmerung, obgleich man sich in einzelnen Fällen dagegen vergehen kann. Um zu wissen was das Gefeß der Natur ist, müssen wir dieselbe kennen lernen, denn diese Gefeße sind richtig: nur unsere Vorstellungen davon können falsch seyn. Der Maaßstab dieser Geseze ist außer uns, und unser Erkennen thut nichts zu ihnen hinzu, bez fördert sie nicht: nur unsere Erkenntniß über sie kann sich erweitern. Die Kenntniß des Rechts ist einer Seits ebenso, anderer Seits nicht. Wir lernen die Geseze ebenso kennen wie sie schlechthin da sind: so hat sie mehr oder weniger der Bürger, und der positive Jurist bleibt nicht minz der bei dem was gegeben ist stehen. Aber der Unterschied ist, daß bei den Rechtsgesehen sich der Geist der Betrachtung erhebt, und schon die Verschiedenheit der Geseze darauf aufmerksam macht, daß sie nicht absos lut find. Die Rechtsgeseße sind Gefestes von Menschen Herkoms mendes. Mit diesem kann nothwendig die innere Stimme in Kollision treten, oder sich ihm anschließen. Der Mensch bleibt bei dem Daseyenden nicht stehen, sondern behauptet in sich den Maaßstab zu haben von dem, was recht ist: er kann der Nothwendigkeit und der Gewalt äußerer Autoritát unterworfen seyn, aber niemals wie der Nothwendigkeit der Natur, denn ihm sagt immer sein Inneres, wie es seyn solle, und in sich selbst findet er die Bewährung oder Nichtbewährung dessen was gilt. In der Natur ist die höchste Wahrheit, daß ein Gefeß überhaupt ist: in den Gefeßen des Rechts gilt die Sache nicht weil sie ist, sondern jeder fors dert, sie solle seinem eigenen Kriterium entsprechen. Hier also ist ein Wis derstreit möglich dessen, was ist, und dessen, was seyn soll, des an und für sich seyenden Rechts, welches unverändert bleibt, und der Willkürlichkeit der Bestimmung dessen, was als Recht gelten solle. Solche Trens nung und solcher Kampf findet sich nur auf dem Boden des Geistes, und weil der Vorzug des Geistes somit zum Unfrieden und zur Unseligkeit zu führen scheint, so wird man häufig zur Betrachtung der Natur aus der Willkür des Lebens zurückverwiesen, und soll sich an derselben ein Muster

geistige Universum soll vielmehr dem Zufall und der Willkür preisgegeben, es soll Gottverlassen seyn, so daß nach diesem Atheismus der sittlichen Welt das Wahre sich außer ihr befinde, und zugleich, weil doch auch Vernunft darin seyn soll, das Wahre nur ein Problema sey. Hierin aber liege die Berechtigung, ja die Verpflichtung für jedes Denken, auch seinen Anlauf zu nehmen, doch nicht um den Stein der Weisen zu suchen, denn durch das Philosophiren unserer Zeit ist das Suchen erspart und Jeder gewiß, so wie er steht und geht, diesen Stein in seiner Gewalt zu haben. Nun geschieht es freilich, daß diejenigen, welche in dieser Wirklichkeit des Staats leben und ihr Wissen und Wollen darin befriedigt finden, — und deren find Viele, ja mehr als es meinen und wissen, denn im Grunde sind es Alle, daß also wenigstens diejenigen,

nehmen. Gerade in diesen Gegensägen aber des an und für sich seyenden Rechts, und dessen, was die Willkür als Recht geltend macht, liegt das Bedürfniß, gründlich das Rechte erkennen zu lernen. Seine Vernunft muß dem Menschen im Rechte entgegenkommen; er muß also die Vers nünftigkeit des Rechts betrachten und dieß ist die Sache unserer Wissens schaft, im Gegensag der positiven Jurisprudenz, die es oft nur mit Widersprüchen zu thun hat. Die gegenwärtige Welt hat dazu noch ein drin= genderes Bedürfniß, denn vor alten Zeiten war noch Achtung und Ehrfurcht vor dem bestehenden Gesez da: jeht aber hat die Bildung der Zeit eine andere Wendung genommen, und der Gedanke hat sich an die Spiße alles dessen gestellt, was gelten soll. Theorien stellen sich dem Daseyenden ge= genüber, und wollen als an und für sich richtig und nothwendig erscheinen. Nunmehr wird es specielleres Bedürfniß, die Gedanken des Rechts zu cr= kennen und zu begreifen. Da sich der Gedanke zur wesentlichen Form ers hoben hat, so muß man auch das Recht als Gedanken zu fassen suchen. Dieß scheint zufälligen Meinungen Thür und Thor zu öffnen, wenn der Gedanke über das Recht kommen soll; aber der wahrhafte Gedanke ist keine Meinung über die Sache, sondern der Begriff der Sache selbst. Der Begriff der Sache kommt uns nicht von Natur. Jeder Mensch hat Finger, kann Pinsel und Farben haben, darum aber ist er noch kein Maler. Ebenso ist es mit dem Denken. Der Gedanke des Rechts ist nicht etwa, was jedermann aus erster Hand hat, sondern das richtige Denken ist das Kennen und Erkennen der Sache, und unsere Erkenntniß soll das her wissenschaftlich seyn.

welche mit Bewußtseyn ihre Befriedigung im Staate haben, jener Anläufe und Versicherungen lachen und sie für ein bald lustigeres oder ernsteres, ergögliches oder gefährliches, leeres Spiel nehmen. Jenes unruhige Treiben der Reflexion und Eitelkeit, so wie die Aufnahme und Begegnung, welche sie erfährt, wäre nun eine Sache für sich, die sich auf ihre Weise in sich entwickelt; aber es ist die Philosophie überhaupt, welche fich durch jenes Getreibe in mannigfaltige Verachtung und Miskredit gesezt hat. Die schlimmste der Verachtungen ist diese, daß wie gesagt jeder, wie er so steht und geht, über die Philosophie überhaupt Bescheid zu wissen und abzusprechen im Stande zu seyn überzeugt ist. Keiner andern Kunst und Wissenschaft wird diese legte Verachtung bezeigt, zu meinen, daß man fie geradezu inne habe.

In der That, was wir von der Philosophie der neuern Zeit mit der größten Prätension über den Staat haben ausgehen sehen, berechtigte wohl jeden, der Luft hatte mitzusprechen, zu dieser Ueberzeugung, eben solches von sich aus geradezu machen zu können und damit sich den Beweis, im Besit der Philosophie zu feyn, zu geben. Ohnehin hat die sich so nennende Philosophie es ausdrücklich ausgesprochen, daß das Wahre selbst nicht erkannt werden könne, sondern daß dieß das Wahre sey, was jeder über die sittlichen Gegenstände, vornehmlich über Staat, Regierung und Verfassung, sich aus seinem Herzen, Gemüth und Begeisterung aufsteigen lasse. Was ist darüber nicht alles der Jugend insbesondere zum Munde geredet worden? Die Jugend hat es sich denn auch wohl gesagt seyn laffen. Den Seinen giebt Er's schlafend, ist auf die Wissenschaft angewendet worden, und damit hat jeder Schlafende fich zu den Seinen gezählt; was er so im Schlafe der Begriffe bekommen, war denn freilich auch Waare darnach. — Ein Heerführer dieser Seichtigkeit, die sich Philosophiren nennt,

[ocr errors]

-

« PreviousContinue »