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§ 3. Wenn eine für poetische Eindrücke leicht empfängliche Fantasie in bedeutendem Maße ergriffen wird, so geräth sie in einen Zustand der Erregtheit oder Aufregung, der um so tiefer und eingreifender sein muß, je bedeutender einerseits die Empfänglichkeit der Fantasie und je mächtiger andererseits der ergreifende Gegenstand ist, und dieser Zustand steigert sich weiter zum Enthusiasmus, endlich aber zur Begeisterung. Alle diese Stufen der Erregung scheinen nur durch den Grad ihrer Stärke sich zu unterscheiden, und mit Ausnahme der höchsten Steigerung ist das wirklich der Fall; jede nur einigermaßen empfängliche Fantasie kann nicht allein bis zum Enthusiasmus erregt werden, sondern wird ohne Zweifel wirklich, ja sogar häufig bis zu diesem Grade ergriffen, und die Thätigkeit derselben ist in diesem Zustande durchaus keine andere, als in den niederen Graden der Erregung, sie begnügt sich mit der Auffassung und Umgestaltung eines mehr oder minder gewaltig wirkenden Stoffes. In der Begeisterung dagegen kommt ein wesentlich Neues hinzu, eine Thätigkeit des Willens, die auf dem Gebiete des Poetischen nicht anders wirksam werden kann, als in dem Drange, sich zu äußern.

Um dies zu erläutern, muß daran erinnert werden, daß die Fantasie mit ihrer Fähigkeit zur Darstellung oder Erfassung des Schönen nur eine einzelne Kraft der Seele ist, welche mit den verwandten, der Darstellung oder Erfassung des Wahren und Guten dienenden Kräften sich vielfach durchkreuzt und durchdringt, so daß es oft schwer, oft selbst unmöglich ist, die Thätigkeit der einzelnen Kraft isolirt zu betrachten und zu verfolgen. Je energischer nun die Fantasie, ja es mag hier gleich gesagt werden, je energischer irgend eine Kraft der Seele erregt oder in Thätigkeit gesezt wird, desto tiefer und allge= meiner werden auch die verwandten Seelenkräfte ergriffen, und zwar die am nächsten verwandten zunächst, während die fremdartigeren Kräfte des Geistes, namentlich die Thätigkeiten des Verstandes, zurückgedrängt oder gar völlig aufgehoben werden. Aus diesem Zusammenwirken verwandter Seelenkräfte bei erhöhter Thätigkeit einer einzelnen erklärt sich alles Hohe und Edle in der Welt, zugleich aber auch alles Verkehrte und Falsche. Im religiösen Enthusiasmus z. B. geräth auch die Fantasie und der Wille in Thätigkeit und treibt den Menschen zur Anbetung; steigert sich aber die Erregung der Fantasie zu solcher Höhe, daß die Kräfte des Verstandes in ihrer freien Entfaltung gehindert werden, so treibt sie den Menschen unter den Wagen des Gößen oder in den Flammentod. Ganz Aehnliches ist der Fall im Enthusiasmus für das Schöne.. Er regt unter allen Umständen auch das Gefühl für das Wahre und Gute an, und treibt damit ebenfalls zu einer Aeußerung des Willens; aber hier, wie 3. B. im Kunstenthusiasmus, ist die Thätigkeit des Willens nicht auf das den Enthusiasmus weckende Gebiet, auf das Künstlerische oder Poetische, gerichtet, sondern auf ein fremdes Drittes; fie treibt, je nachdem die eine oder die

andere Seelenthätigkeit vorwiegend erregt ist, entweder zu Nacheiferung oder zu bloßer Aeußerung des Beifalls, und wenn der Kunstenthusiasmus zu solcher Höhe sich steigert, daß er auch die übrigen Seiten der Fantasie erfaßt, so drängt er die Thätigkeit des Verstandes in den Hintergrund und spannt sich sogar vor den Wagen einer gefeierten Künstlerin.

Allerdings tritt also der Drang nach einer Aeußerung des Willens auch beim Enthusiasmus, ja schon bei jeder höheren Erregung der Seelenthätigkeit hervor, aber dieser Drang geht überall nach außen und kann deshalb unter keinen Umständen eine die schöpferische Kraft der Fantasie befruchtende Wirkung ausüben, seine Bedeutung liegt vielmehr nur darin, daß er, wie jeder Drang, den naturgemäßen Abschluß der Erregung vermittelt; sobald er befriedigt ist, sinken die aufgeregten oder gar verwirrten Seelenthätigkeiten zu ihrer normalen Höhe hinab, und damit ist das Gleichgewicht der Kräfte wiederhergestellt.

Ganz anders verhält sich die Thätigkeit des Willens in der Begeisterung. Auch auf dieser höchsten Stufe der Erregung kann der Wille nicht anders thätig werden, als in dem Drange, sich zu äußern, aber hier ist der Drang nicht nach außen, sondern nach innen gerichtet. In der Begeisterung ist ein Fremdes, Drittes gar nicht vorhanden, sondern nur der erregende Stoff und die im tiefsten Grunde erregte Fantasie, und sobald die Fantasie das ihr Homogene des Stoffes aufgenommen hat, läßt sie auch diesen fallen und arbeitet unter Mitthätigkeit aller Seelenkräfte völlig abgeschlossen von der Außenwelt, rein innerlich. So kommt es, daß im Zustande der höchsten Begeisterung die Seele äußerlich in tiefster Ruhe zu sein scheint, innen aber arbeitet und gährt und drängt es, und in dem Augenblicke, in dem der Gährungsprozeß vollendet ist und das Gebilde der Fantasie rein und klar vor dem innern Auge steht, hat auch die Erregung des Willens ihre höchste Stufe erreicht und muß nun nach außen drängen, nach äußerer Darstellung des innerlich Gestalteten. Diese Aeußerung ist so unwillkürlich und nothwendig, wie der Angstschrei des Entfeßens oder der Jubelruf der Freude, in dem die übervolle Bruft auch auf anderen Gebieten des Seelenlebens sich Luft schafft, und wie diese hat sie keinen andern Zweck, als die eigne Erleichterung oder Befriedigung; ja poetische Naturen, die noch keiner von den Sprachen. der Poesie mächtig sind, können gar nicht anders, als in ganz ähnlichen, selbst in genau denselben Naturlauten ihre inneren Schöpfungen zur Erscheinung bringen: diese sind das Lallen der Poesie, welches durch Uebung zur Sprache ausgebildet wird. Was also in der receptiven, zum Enthusiasmus gehobenen Thätigkeit der Fantasie die Aeußerung des Beifalls oder Wohlgefallens war, das ist in ihrer productiven, zur Begeisterung gesteigerten Thätigkeit die äußere Darstellung des Entstandenen: der durch die Befriedigung eines unwidersteh lichen Dranges nothwendig bedingte Abschluß des ganzen Vorganges, in

welchem die aufgeregten Seclenkräfte zur Ruhe gelangen. Das ist der Schöpfungsact der wahren Poesie, deren Entstehungsweise also schon den Beweis liefert, daß sie an sich keinen Zweck hat und keinen Zweck haben kann, sondern nur eine nothwendige Folge ist. Wohl aber kann sie einem Zwecke dienstbar gemacht werden, und in diesem Zwecke entsteht die Kunst.

§ 4. Die bisherigen Darlegungen haben nachweisen wollen, daß jeder Menschenseele das Vermögen zu poetischer Thätigkeit, eine latente Poesie inwohne, daß dieses Vermögen durch die Gabe der Empfänglichkeit zu wirklichem Leben geweckt werde, und daß endlich durch die Gleichartigkeit in der Productivität und Receptivität der Fantasie auch der Mindestbegabte zu wirklich poetischer Thätigkeit gebracht werden könne, obgleich diese vorwiegend receptiver Natur sei. Die Producte der poetisch schaffenden Fantasie müssen also die Fähigkeit besigen, in der empfangenden Fantasie dieselbe Thätigkeit hervorzurufen, welche ihnen das eigne Dasein gegeben hat, und damit dieselben Regungen und Stimmungen zu wecken, welche die schaffende Seele in ihrem Schöpfungsacte bewegten. Aus dieser Bestimmung ergiebt sich das Wesen und die Bedeutung der Kunst. Die Kunst ist nichts Anderes, als die äußere Darstellung des zur Begeisterung gehobenen Lebens der Fantasie, oder, da in dem Durchgange durch die Fantasie das Schöne entsteht, die Darstellung des Schönen. Da aber die Production und das Product der schaffenden Fantasie Poesie genannt wird, sind Kunst und Poesie im weiteren Sinne sich völlig deckende Begriffe, welche nur aus äußeren Rücksichten eine doppelte Bezeichnung erhalten haben, zunächst, weil der Name Poesie für den engeren Begriff der Dichtkunst einmal im Gebrauche stand, und ferner, weil die Darstellungsmittel der Kunst im Handwerk, zu welchem sich die Kunst verhält, wie die Poesie zur Prosa, bereits eine selbstständige Bedeutung erlangt hatten, und daher der Gegensatz zum Handwerk eine gesonderte Bezeichnung verlangte. Alles Wesentliche in der Kunst, Alles, was die Kunst zur Kunst macht, ist also Poesie; das Uebrige ist nur Darstellungsmittel, Form, Technik, Handwerk, und die Wirkung der Kunst ist nicht, daß sie Stein-, Farben oder Tonbilder in der Fantasie hervorruft, sondern daß sie vermittels solcher Bilder die Fantasie zu poetischer Thätigkeit anregt.

Auf dieser, der Kunst oder der künstlerischen Darstellung nothwendig zukommenden Wirkung beruht wesentlich die Bedeutung derselben. Die poetische Thätigkeit ist, wie wir gesehen haben, ein Läuterungsprozeß, welcher, von der Fantasie ausgehend, über die verwandten Seelenkräfte sich verbreitet; und diese Thätigkeit erhebt, läutert und veredelt damit die gesammten Fähigkeiten des Geistes. Sie ist ferner auch die Befriedigung eines Dranges, und als solche gewährt sie auch Befriedigung; Befriedigung eines Dranges aber ist

Genuß, und zwar muß der Genuß um so höher und edler sein, je mächtiger und erhebender der Drang wirkt. Man sagt daher mit Recht, daß die Poesie oder die Kunst nicht allein läutere und veredele, sondern als die Befriedigung eines unwiderstehlichen Dranges zugleich den höchsten, reinsten und edelsten Genuß gewähre. Diese Wirkung kann sie natürlich zunächst nur auf den schaffenden Künstler üben; da aber die Kunst die Eigenschaft besißt, überall, wohin sie dringt, die Seelenthätigkeit zu wecken, die den schaffenden Künstler bewegte, so erweitert sich ihr Einfluß ins Unabsehbare, und sie gelangt dadurch zu einer hohen Bedeutung für die gesammte Menschheit.

Ob die Wirkung der Kunst, die Erregung einer analogen Thätigkeit in der Fantasie anderer Menschen, als Zweck der künstlerischen Darstellung sich geltend macht oder nicht, ist für den Begriff derselben völlig gleichgültig; da diese Wirkung aber in der unendlich überwiegenden Mehrheit der Fälle, in bewußter oder in unbewußter Absicht, als Zweck verfolgt wird, so kann man fie auch einfach als solchen auffaffen. Dieser Zweck nun läßt sich auf zwei verschiedenen Wegen erreichen. Zuerst kann das Resultat der poetischen Thätigkeit, das in der Begeisterung entstandene Gebilde der Fantasie, zum Gegenstande der Darstellung gemacht werden, ferner aber die poetische Thätigkeit selbst, der ganze Vorgang des Entstehens. Dadurch theilt sich die Kunst sofort in zwei Kunstgattungen, die im Raume darstellenden, f. g. bildenden Künste, und die zeitlich verlaufenden, Mimik, Musik und Dichtkunst, die in dem Mangel einer passenderen Bezeichnung musische Künste genannt werden mögen. Die Trennung dieser beiden Gruppen ist indessen nicht vollkommen scharf; wenn auch die bildende Kunst ausschließlich der Darstellung von festge= schlossenen, ausgebildeten Producten der Fantasie dienen, so umfaßt doch die musische Kunst auch das Gebiet dieser ersten Gruppe, da sie in die Darstellung des poetischen Schöpfungsactes natürlich auch das Resultat desselben aufnehmen muß, und dieses eben so wohl zum Gegenstande einer gesonderten Darstellung machen kann, da aber ferner die einzelnen Producte der poetischen Thätigkeit keineswegs immer nur einzelne Bilder oder Gestalten sind, sondern eben so häufig eine continuirliche Reihe von Fantasiegebilden darstellen; und es mag schon hier darauf hingewiesen werden, daß die Theilung der Kunst, der Poesie im weiteren Sinne, nach den Richtungen ihrer Darstellung bei der Dichtkunst oder der Poesie im engeren Sinne sich wiederholt, und diese in lyrische und epische Poesie zerfallen läßt, aus welcher einerseits die didactische und andererseits die dramatische Dichtung sich zu mehr oder weniger selbstständigen Gattungen entwickelt haben.

Aus der Verschiedenheit der Darstellungsobjecte in den beiden Kunstgattungen ergiebt sich ein weiterer Unterschied derselben, welcher in dem zur Darstellung verwandten Materiale begründet ist. Die bildende, durch die

Abgeschlossenheit ihres Gegenstandes, wie bereits angedeutet, auf die Darstellung im Raume angewiesene Kunst kann nur die leblose Materie verwenden, oder muß dem lebendigen Stoffe den Schein des leblosen verleihen, wie 3. B. bei lebenden Bildern, wenn ihm dieser Schein nicht an sich schon beiwohnt, wie der zu Werken der schönen Gartenkunst benußten Natur, während die ein Werden, eine Entwicklung zu poetischer Erscheinung bringende und darum zeitlich verlaufende musische Kunst ausschließlich an den lebenden Dr7 ganismus und zwar an die Darstellung durch den Menschen gebunden ist.

Die beiden Kunstgattungen zerfallen ferner, theils durch eine schärfere Abgrenzung der Wirkungskreise, theils durch die Verschiedenheit des Materials, in einzelne, zunächst unabhängig von einander wirkende Künste; die bildende Kunst gliedert sich in Architectur, Sculptur (plastische oder bildende Kunst_im engern Sinne) und Malerei, die musische in Mimik, Musik und Dichtkunst oder Poesie im engern Sinne. Die derselben Gruppe angehörenden Einzelkünste haben noch viel Gemeinsames, so daß auf der einen Seite die Peripherien ihrer Wirkungskreise über einander liegen, und die Grenzen derselben gemeinschaftlicher Boden sind, auf der anderen Seite aber zwei oder alle drei zu Kunstleistungen höherer Ordnung sich vereinigen können. So sind die Grenzen zwischen Baukunst und Sculptur, oder zwischen Bildhauerei und Malerei ganz unmerklich, und die höhere Architectur zeigt fast überall ein Zusammenwirken der bildenden Künste, während die musischen Künste so innige Verbindungen unter einander eingehen, daß die Einzelkunst häufig erst in solcher Verbindung zur vollen Entfaltung ihrer Wirkungsfähigkeit gelangt, und das Alterthum eine völlige Trennung derselben kaum kannte. Die Berührungspunkte der beiden Gruppen von Künsten dagegen sind geringer; außer Analogien zwischen räumlichen und zeitlichen Verhältnissen, wie sie z. B. in Architectur und Musik sich finden, oder zwifchen Farbe und Ton, den Darstellungsmitteln der Malerei und Musik, und außer der Fähigkeit der Dichtkunst, dem geistigen Auge Bilder und Gestalten vorzuführen, wie die bildende Kunst dem leiblichen, wodurch sie die Wirkung des inneren Schauens auf kürzerem Wege zu erreichen vermag, bietet nur die mimische Kunst einen Anknüpfungspunkt dar; in der festge= haltenen Geberde kann der Mime ohne Weiteres dem Maler oder Bildhauer zum Modell dienen, und die Letteren müssen mit der mimischen Kunst völlig vertraut sein, wenn sie durch Darstellungen der Menschengestalt wirken wollen; daher fallen im lebenden Bilde die Thätigkeiten von Malerei, Sculptur und Mimik zusammen, und es ist kaum zu entscheiden, welchem Kreise diese Form der künstlerischen Darstellung angehört. Eine organische Vereinigung der bildenden und musischen Kunst zu gemeinsamem Wirken ist also unmöglich, wenn sie über den engen Kreis des lebenden Bildes hinausgeht, und selbst auf diesem

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