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Wanderlust.

er Mai ist gekommen, die Bäume schlagen aus,
Da bleibe, wer Luft hat, mit Sorgen zu Haus;
Wie die Wolken wandern am himmlischen Zelt,
So steht auch mir der Sinn in die weite, weite Welt.

Herr Vater, Frau Mutter, daß Gott euch behüt',
Wer weiß, wo in der Ferne mein Glück mir noch blüht;
Es giebt so manche Straße, da nimmer ich marschirt,
Es giebt so manchen Wein, den ich nimmer noch probirt.

Frisch auf drum, frisch auf im hellen Sonnenstrahl,
Wohl über die Berge, wohl durch das tiefe Thal;
Die Quellen erklingen, die Bäume rauschen all',
Mein Herz ist wie 'ne Lerche und stimmet ein mit Schall.

Und Abends im Städtlein da kehr' ich durstig ein:
„Herr Wirth, Herr Wirth, eine Kanne blanken Wein!
Ergreife die Fiedel, du lust'ger Spielmann du,
Von meinem Schatz das Liedel, das sing' ich dazu.'

"

Und find' ich keine Herberg, so lieg' ich zu Nacht
Wohl unter blauem Himmel; die Sterne halten Wacht;
Im Winde die Linde, die rauscht mich ein gemach,
Es küsset in der Früh' das Morgenroth mich wach.

O Wandern, o Wandern, du freie Burschenluft,
Da wehet Gottes Odem so frisch in die Brust;
Da finget und jauchzet das Herz zum Himmelszelt:
Wie bist du doch so schön, o du weite, weite Welt!

Die Ode.

E. Geibel.

§ 46. Der ersten, oberflächlichen Betrachtung scheint der Unterschied zwischen Lied und Ode nur in dem höheren Aufschwunge der Begeisterung zu liegen, mit welchem die lyrischen Empfindungen und Gefühle in der Ode ausgesprochen werden; bei tieferem Eingehen wird sich aber bald eine wesentlichere Verschiedenheit herausstellen: während im Liede der Ausdruck des Gefühls und der Empfindung nur die Aufgabe hatte, eine poetische Stimmung hervorzurufen, so gelangen in der Ode diese Gemüthsregungen durchaus und ausschließlich um ihrer selbst willen zur Darstellung. Mit dieser Unterscheidung fallen für die Ode zunächst die das Lied innerlich und äußerlich beschränkenden Forderungen fort, welche aus dem Zusammenwirken mit der Tonkunst sich ergaben - denn

wenn Oden auch componirt und gesungen werden können, so geschieht es doch nicht mehr in der einfachen Melodie des Liedes, sondern in den höheren, ausgeführteren Formen der Cantate: die Ode kann sich rythmisch und strophisch frei entfalten und ist auch innerlich nur durch den eignen Darstellungsgegenstand gebunden. Der höhere Schwung der Begeisterung ist indessen immerhin wesentlich für den Begriff der Ode, und da in dieser Beziehung nur ein Gradunterschied zwischen Lied und Ode besteht, so werden sich zunächst Uebergangsformen zwischen Beiden entwickeln, Lieder mit odenartigem Schwunge und Oden (oder Hymnen) mit liederartigem Stimmungsausdrucke und liederartiger Gesangsfähigkeit.

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Ferner aber wird durch den höheren Grad der Begeisterung, der dem Gefühle in der Ode Ausdruck leiht, das Stoffgebiet derselben wesentlich beschränkt. Die Dde umfaßt freilich den gesammten Darstellungskreis des Liedes, ja der ganzen lyrischen Dichtung, da der Flug ihrer Begeisterung auch den Gedanken mit sich fortreißt, aber sie kann nur die höchsten Spigen dieser Stoffgruppen verwenden, weil sie überall, wo sie nicht das Höchste seiner Art besingt, also

mit großen Mitteln kleine, oder auch nur weniger große Zwecke verfolgt, als Parodie wirken muß. Endlich fordert der höhere Schwung der Begeisterung troß aller Freiheit, ja eben wegen dieser Freiheit, in der Ode auch die höchste Entwickelung der Form, und aller Glanz der Sprache und des Rythmus in Vers, Strophe und Strophengruppe bis zu scheinbarer Regellosigkeit findet hier seine Stelle.

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Der Vesuv im Dezember 1830.

(Sapphisches Versmaß.)

chön und glanzreich ist des bewegten Meeres Wellenschlag, wenn tobenden Lärms es anbraust; Doch dem Feu'r ist kein Element vergleichbar, Weder an Allmacht,

Noch an Reiz für's Auge. Bezeug' es Jeder, Der zum Rand abschüssiger Kratertiefe, Während Nacht einhüllt die Natur, mit Vorwitz Staunend emporklimmt ;

Wo im Sturmschritt rollender Donner machtvoll
Aus dem anwuchsdrohenden, steilen Kegel
Fort und fort auffahren in goldner Unzahl
Flammige Steine,

Deren Last, durch Gluthen und Dampf geschleudert,
Bald umher auf aschige Höh'n Rubine

Reichlich sä't, bald auch von des Kraters schroffen
Wänden hinabrollt:

Während still, aus nächtlichem Grund, die Lava
Des Rauchs tiefschattige Wolk' umdüftert,

Quillt.

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