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§ 43. Die Gliederung der Poesie in subjective und objective Dichtung scheint eine völlig durchgreifende zu sein, d. h. den gesammten Darstellungskreis der Poesie zu umfassen. Dabei ist indessen Ein Gebiet doch außer Acht ge= blieben, nämlich die Verbindung der subjectiven und der objectiven Dichtungsgattungen unter einander, und von den aus dieser Verbindung entstehenden Mischformen ist Eine so wichtig und hat eine so selbstständige Ausbildung erfahren, daß man eine andere, und zwar eine dreitheilige Gliederung hat

Die Dichtkunst und ihre Gattungen.

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annehmen müssen, die Eintheilung in lyrische, epische und dramatische Poesie. Im Allgemeinen entspricht die Lyrik der subjectiven, die Epik der objectiven Dichtung, und die Dramatik entsteht aus einer Verbindung Beider; bei genauerer Betrachtung scheidet indessen die Seite der objectiven Poesie, die wir als Handlung bezeichnet haben, aus der Epik aus und tritt mit der subjectiven Dichtung zur Dramatik zusammen. Aber auch diese Bestimmung ist noch nicht völlig erschöpfend, zum Theile genügt nämlich schon die bloße Handlung, ohne das Hinzutreten eines subjectiven Elementes, zur Charakteristik des Dramatischen. Das ist der Fall in der Composition, in der Anlage eines dramatischen Werkes, wie sie in dramatischen Entwürfen oder in dramaturgischen Anweisungen vor uns liegt; sobald es aber darauf ankommt, das dramatische Knochengerüst mit Fleisch und Blut zu umgeben, die Handlung im Einzelnen zu motiviren, mit einem Worte, den Entwurf auszuführen, tritt die subjective Dichtung hinzu, so daß auch die kleinste Scene eines ausgeführten Dramas als ein Resultat jener Verbindung sich darstellt. Danach ist also auch das vorhin als Beispiel der Handlung angeführte Bruchstück aus Schillers Tell nicht völlig passend, und ein dramatischer Entwurf oder eine dramaturgische Anweisung würde angemessener gewesen sein, wenn dergleichen nicht gar zu leicht mit Werken der Mimik verwechselt werden könnte; die folgende Anweisung aus Shakespeares Hamlet (3, 2) mag die elementare Verwandtschaft der dramatischen und der mimischen Kunst erläutern: sie kann sowohl als Theil eines dramatischen Entwurfes, wie als Pantomime aufgefaßt werden.

(Ein König und eine Königin treten auf, sehr zärtlich; die Königin umarmt ihn,` und er sie. Sie kniet und macht gegen ihn die Geberden der Betheuerung. Er hebt sie auf, und lehnt den Kopf an ihre Brust; er legt sich auf ein Blumenbette nieder, sie verläßt ihn, da sie ihn eingeschlafen sieht. Gleich darauf kommt ein Kerl herein, nimmt ihm die Krone ab, küßt sie, gießt Gift in die Ohren des Königs und geht ab. Die Königin kommt zurück, findet den König todt und macht leidenschaftliche Geberden. Der Vergifter kommt mit zwei oder drei Stummen zurück,. und scheint mit ihr zu wehklagen. Die Leiche wird weggebracht. Der Vergifter wirbt mit Geschenken um die Königin; sie scheint anfangs unwillig und abgeneigt, nimmt aber zulegt seine Liebe an.)

Neben der dramatischen hat man auch der lehrenden oder didaktischen Dichtung einen selbstständigen Plaß in der Gliederung der Poesie zuweisen wollen; aber so weit sie überhaupt unter den Begriff der Poesie fällt und nicht nur versificirte Belehrung enthält, gehört sie offenbar der subjectiven oder lyrischen Dichtung zu, von der sie sich nur dadurch unterscheidet, daß sie statt Gefühlsäußerungen vorwiegend Gedankenäußerungen darbietet. Ob aber ein didaktisches Gedicht wirklich poetisch ist, das hängt lediglich von der Frage ab, ob es das wesentliche Merkmal der Poesie an sich trägt, ob es aus dem Durchgange seiner Gedankenreihen durch die Fantasie entstanden ist. An sich können

Gedanken eben so wohl zur Begeisterung und zu echt poetischer Thätigkeit treiben, wie Gefühle und Empfindungen, sonst hätten wir auch keine religiöse oder geistliche Dichtung; nur der in dem Namen des Didaktischen ausgesprochene Zweck ist es, der zum Zweifel Veranlassung giebt, weil die Poesie keinen Zweck außer sich duldet.

Die sonst noch versuchten Eintheilungsweisen der Dichtkunst sind nicht in dem Wesen der Poesie begründet, sondern beruhen entweder auf der Anschauungs- und Darstellungsweise der Dichter, wie die Gliederung in geistliche und weltliche, in ernste und komische Dichtung, oder knüpfen nur an einzelne gemeinsame Eigenschaften der vorhandenen Dichtwerke an, wie die Eintheilung in Naturpoesie und Kunstpoesie, in classische, romantische und moderne Dichtung, oder umfassen endlich nur einzelne Dichtungsarten, wie die Unterscheidung einer besonderen didaktischen, satirischen, humoristischen, sentimentalen oder naiven Poesie, denen noch eine ganze Reihe neuer Gruppen beigefügt werden könnte. Sie alle haben an dieser Stelle nur auf eine flüchtige Erwährung Anspruch, so wichtig sie in rein ästhetischer Beziehung zum Theil auch sein mögen.

I. Lyrische Dichtung.

§ 44. Ueber das Wesen der lyrischen (d. h. der ursprünglich mit Begleitung der Lyra vorgetragenen) Dichtung bleibt nach dem bereits Vorausgeschickten nur noch Wenig zu sagen übrig. Die Hauptsache ist, daß sie durch die Darstellung einer in der Begeisterung entstehenden subjectiv poetischen Thätigkeit wirkt, daß sie die in der Begeisterung wach gerufenen Gefühle, Stimmungen und Gedanken zu dichterischem Ausdrucke bringt, wobei zur Sicherung und Erhöhung ihrer Wirksamkeit die im Vorhergehenden dargelegten Mittel der poetischen Form und namentlich der dichterischen Sprache um so reichlichere Verwendung finden, je höher der begeisternde Stoff die poetische Schöpfungskraft des Dichters erregt und den Flug seiner Begeisterung emporhebt. Sie wirkt also unmittelbar aus der schaffenden Fantasie heraus auf die empfangende, ohne die Vermittlung eines außerhalb liegenden Objectes, wie eines zu beschreibenden Gegenstandes, einer Erzählung oder einer Handlung, fie bringt also das eigenste, innerste Seelenleben des Dichters zur Darstellung, und das ist ihre Subjectivität. Indessen kann auch hier der äußere Anknüpfungspunkt, das zur lyrisch - schaffenden Thätigkeit anregende Motiv niemals fehlen; und wenn dieses Motiv in den meisten Fällen auch durchaus im Hintergrunde bleibt, so tritt es doch auf der andern Seite oft weit genug vor, um eine besondere Form der lyrischen Poesie entstehen zu lassen, diejenige nämlich, welche früher als der mimischen Kunst entsprechend bezeichnet wurde. Bei der außerordentlich nahen Verwandtschaft der mimischen und der bildenden Kunst,

die sich in der Dichtkunst zwischen der als mimisch charakterisirten Seite der Lyrik und der objectiven oder epischen Dichtung wiederholt, liegt damit freilich eine Verwechslung des lyrischen Motivs mit dem epischen Stoffe nahe, und hat sogar zu der Aufstellung einer besonderen Art von lyrischen Romanzen und Balladen geführt. Wie in diesem Falle, so sind fast immer die Uebergänge von einer Gattung zur andern durchaus unmerklich, und es mag hier ein für alle Mal darauf hingewiesen werden, daß jede Gliederung der Poesie in Gattungen und Arten als ungenügend erscheinen muß, wenn sie über den allgemeinsten Grundcharakter derselben hinausgeht. Aber nicht nur die Uebergänge von der einen Art zur andern, sondern mehr noch die Mischformen entziehen sich jeder Eintheilung, sobald man versucht, in das Besondere und Einzelne einzugehen.. So sind z. B. rein lyrische Dichtungen bei Weitem seltener, als man vermuthen sollte, epische und selbst dramatische Elemente erscheinen in ihnen unendlich häufig, schon wenn der Dichter in die Seele eines Dritten sich hineindenkt und aus dieser heraus dichtet, ist das Gedicht streng genommen nicht mehr lyrisch, sondern dramatisch, und unvermischte Beispiele für die einzelnen Arten der Lyrik sind kaum aufzufinden. Noch häufiger treten lyrische und dramatische Elemente im Epischen auf, und die verschiedenen Formen der Epik erscheinen nur in den seltensten Fällen, in ganz kurzen Gedichten, rein ausgeprägt. Das Drama endlich ist an sich eine Mischform und kann ohne die subjective Dichtung gar nicht gedacht werden, aber auch Beschreibung und Erzählung nicht entbehren.

Als die allein aus dem Wesen der Poesie hervorgehende Gliederung der Lyrik ist bereits an einer früheren Stelle die Eintheilung in mimische, musikalische und poetische nachgewiesen, die im Allgemeinen der Darstellung von Gefühlen, Stimmungen und Gedanken entspricht. Die gebräuchliche Bezeichnung für die einzelnen Dichtungsformen der Lyrik stimmt indessen nur zum Theile mit dieser Gliederung überein: die dritte Art löst sich leicht als didaktische Dichtung ab, die beiden anderen aber bleiben in den geläufigen Bezeichnungen ungetrennt, und für diese werden die verschiedensten Eintheilungsgründe angegeben, um eine systematische Darstellung zu ermöglichen.

Das Lied.

§ 45. Die einfachste und anspruchloseste Form der Lyrik oder des unmittelbaren Ergusses von Gefühlen und Empfindungen ist das Lied. Das Wesen des Liedes besteht aber zunächst darin, daß es diese Gefühle und Empfindungen nicht um ihrer selbst willen ausspricht, sondern lediglich der Stimmung wegen, die ihnen zu Grunde liegt, und die sie auch in Andern wachrufen sollen. Die poetische Darstellung darf daher im Liede nicht breit ausgeführt

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