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schritts und die Uebergangsscene zum folgenden Acte. Im Tell erscheint nach der einleitenden Scene in Tell's Hause der Höhenpunkt zwischen Rudenz und Bertha, und der Apfelschuß, der Höhenpunkt der Tellhandlung.

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Der vierte Act enthält die Peripetie, welche häufig, aber nicht besonders günstig für die künstlerische Einheit des Ganzen, durch die Einführung von neuen Personen vermittelt wird; hier ist eine spannende Steigerung der einzelnen Glieder besonders wichtig. In Maria Stuart besteht dieser Act aus zwölf Auftritten, die aber zu größeren und kleineren Scenen zusammentreten. Die erste enthält nach einer stimmenden Einleitung die Verweisung Aubespine's und den Streit zwischen Leicester und Burleigh. Dann folgt nach dem verbindenden Monologe Leicester's die Unterredung zwischen diesem und Mortimer und des Letteren Ende. Den Schluß bildet der Kampf um das Todesurtheil, welcher in reicher Gliederung den Streit Elisabeth's mit Leicester und die Unterschrift enthält, endlich die Ueberleitung zum leßten Acte. Im Tell. besteht die Wendung aus der Rettung Tell's und dem Tode Geßler's, zwischen welche Momente die Peripetie der Familie Attinghausen, verflochten mit der Handlung des Bundes, eingeschoben ist.

Der fünfte Act endlich enthält die Katastrophe und den Schluß des Ganzen, meistens noch durch eine letzte Stufe des Sinkens eingeleitet. In Maria Stuart bildet die erste Gruppe Maria's Tod durch das breit ausgemalte Situationsbild ihrer Beichte eingeleitet, dann folgt die Katastrophe Leicester's und die Vergeltung an Elisabeth. Wilhelm Tell bietet in seinem legten Acte nur Situationsbilder mit der Contrastscene des Parricida.

Die Tragödie und das Schauspiel.

§ 88. Nach dem Materiale, mit welchem dieser architectonische Bau des Drama's aufgeführt wird, nach dem stofflichen Inhalte. und der Durchführungsweise des dargestellten Conflictes, so wie nach der Auffassung und Darstellung der handelnden Charaktere, zerfällt das ganze Gebiet der Dramendichtung in eine Reihe von Arten, zunächst in die beiden Hauptgruppen Tragödie und Komödie. Die eigentliche Tragödie, das Trauerspiel, ist das Drama ernsten oder hohen Styls, in welchem der zur Krisis gesteigerte Conflict einen Verlauf nimmt, der eine Lösung desselben nur durch den Untergang des Helden möglich erscheinen läßt. Das diese Wendung Herbeiführende ist das tragische Moment des Drama's. Es besteht darin, daß eine in der Charakteranlage des Helden oder in der Uebergewalt seiner Gegner begründete, also nothwendige und in ihrer Nothwendigkeit verständliche That unvorhergesehen und plöglich in die Krisis einschlägt, und damit die Schicksalswendung und den endlichen Tod des Helden zwingend einleitet. Nachdem z. B. trok aller

Schwierigkeiten eine Zusammenkunft der Königinnen Maria Stuart und Elisabeth erreicht, und damit die einzige Hoffnung auf eine glückliche Lösung des zur brennendsten Schärfe gediehenen Conflictes scheinbar verwirklicht ist, schlägt die beabsichtigte Versöhnung durch den bekannten Stolz und Haß der Königinnen plöglich in einen tödtlichen Streit um, der den Untergang Maria's zur unvermeidlichen Folge hat. Bei den Alten wurden auch diejenigen Dramen der Tragödie zugezählt, in welchen die Krisis ohne das Aufspringen eines tragischen Momentes zu Gunsten des Helden verlief, also dessen endlichen Sieg herbeiführte; in der neueren Zeit aber haben diese Dramen mit glücklichem Ausgange sich zu einer selbstständigen Nebenform der Tragödie ausgebildet und werden unter dem Namen Schauspiel zusammengefaßt. Nach den vorhergegangenen Darlegungen wird es indessen kaum einer Hinweisung darauf bedürfen, daß nicht der glückliche Ausgang das Wesen des Schauspiels ausmacht, sondern die ganze Führung und Entwickelung des Conflictes durch die Krisis, von welcher dieser Ausgang nur die nothwendige Folge ist.

Man hat die Tragödien und Schauspiele theils nach den mannigfachen Formen ihrer Conflicte, theils nach den verschiedenen Stoffgebieten und Lebenskreisen, in denen sie sich bewegen, ähnlich wie den Roman und die Novelle, in eine große Anzahl von kleineren Gruppen eingetheilt; ein solcher Schematismus ist aber ohne Bedeutung für das Wesen dieser Dichtungsarten, und kann deshalb hier füglich übergangen werden.

Die sprachliche Form der Tragödie ist fast immer, die des Schauspiels mindestens häufig metrisch, und zwar wird in Deutschland seit der Beseitigung des bis zu Lessing üblichen Alexandriners fast ausschließlich der fünfjambische, reimlose oder doch nur ausnahmsweise gereimte Vers verwendet.

Das Luftfpief und die Posse.

§ 89. Der in Tragödie und Schauspiel vorgeführte Kampf ist zunächst immer ein Seelenkampf, sei er nun ein innerer Conflict des einzelnen Helden, in welchem die übrigen Personen des Drama's nur als Bundesgenossen und Förderer der einen oder der anderen Seite auftreten, oder seien die widerstreitenden Seelenrichtungen in getrennte Charaktere oder Parteien zerlegt, die den Streit als einen geistigen Zweikampf mit Secundanten und sonstigem Personal ausfechten, er ist aber ferner auch überall ein bitterlich ernster Kampf, der nur mit einer entscheidenden Niederlage der einen Partei enden kann, meistens sogar ein Kampf auf Leben und Tod. In völligem Gegensaße dazu steht der Kampf der Komödie oder des Lustspiels. Dieser entsteht zunächst nicht aus unheilbaren Collisionen des Seelenlebens, sondern aus Conflicten der äußeren Lebensverhältnisse; ferner aber wird er nicht mit schneidendem Schwerte

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geführt, sondern mit stumpfer Klinge, die statt zu tödten oder zu verwunden höchstens Beulen schlägt, er ist also ein bloßer Scheinkampf. Das aber wissen nur die Zuschauer, nicht die Kämpfenden selbst; diese gehen alles Ernstes dem Gegner zu Leibe, hauen zu und glauben klaffende Wunden zu schlagen, wo der Zuschauer nur weiße oder höchstens blaue Flecke sieht, und darin liegt die Komik der Komödie, die natürlich durch alle übrigen irgend verwendbaren Mittel der komischen Darstellung noch verstärkt werden kann. Je schärfer diese Grundauffassung ausgeprägt wird, je reicher und vielseitiger sie zur Entscheidung gelangt, desto schlagender ist die komische Wirkung. Der Ernst des Lebens darf freilich auch dem Lustspiele nicht fehlen, theils, weil nur in dem Contraste zum Ernste das Komische sich entwickeln kann, theils aber auch, weil der Ernst in diesem lebendigen Bilde äußerer Verhältnisse und Verwickelungen die Seele darstellt, ohne welche überhaupt kein organisches Leben möglich ist; allerdings pflegt er meist nur in einer besonderen, einzelnen Form aufzutreten. Betrachten wir das gewöhnliche äußere Getriebe der Menschen als ein Ganzes, als ein organisch belebtes Gebilde, so muß auch diesem eine Seele innewohnen, und als solche kann in der modernen Welt nur die Liebe aufgefaßt werden. Diese Liebe nun muß auch in dem Spiegelbilde jenes Getriebes, im Lustspiele, als die beseelende und belebende Triebfeder erscheinen, und es hat also seinen wohl berechtigten und tiefen Grund, daß in der Mitte fast aller Lustspiele ein Liebesverhältniß steht, um welches das ganze Spiel sich dreht; daß aber dieses Verhältniß hier zum glücklichen Ausgange geführt wird, bedarf nicht mehr als der bloßen Erwähnung.

Nach diesen Darlegungen wird es durchaus naturgemäß erscheinen, daß die im Lustspiele durchgeführte Collision eine bestimmte, feststehende Gestalt angenommen hat, deren Charakter durch den Namen ‘Intrigue' erschöpfend bezeichnet wird. Die Intrigue besteht in der gegenseitigen Durchkreuzung verschiedener Zwecke, in der gewandten Vereitelung der gegnerischen Absichten. Die dadurch hervorgebrachte Verwirrung sucht Jeder zu seinen Gunsten auszubeuten, hieraus entstehen neue Verwickelungen, bis die Fäden in unentwirrbare Confusion gebracht zu sein scheinen, aber schließlich doch in befriedigender Weise entwickelt werden. Es ist offenbar, daß eine solche Intrigue mit ihrer Verwickelung und Entwickelung der Architectur des Drama's vollständig entspricht, und auch dem anderen Haupterfordernisse des dramatischen Kunstwerkes, der Entfaltung der Handlung aus dem Charakter der vorgeführten Personen, willig sich fügt; indessen liegt doch die Gefahr nahe, daß eine allzu kunstreich geschürzte Intrigue die Charakterzeichnung in den Hintergrund drängt und die handelnden Personen nur als mehr oder minder gewandte und verschlagene Typen erscheinen läßt, während auf der andern Seite unter Vermeidung einer übermäßig zugespißten Intrigue der Schwerpunkt der dramatischen und damit auch

komischen Kraft leicht in die Darstellung der Charaktere verlegt wird. Aus solcher ungleichmäßigen Vertheilung der dramatischen Darstellungsmittel haben sich neben dem eigentlichen Lustspiele noch zwei Abarten desselben entwickelt, das Intriguen- und das Charakterlustspiel, von welchem lezteren sich das soge= nannte Conversationsstück zu ziemlich selbstständiger Ausbildung abgezweigt hat.

Das der niederen, derberen Komik dienende Lustspiel wird Posse genannt ; wenn das vorher zur Unterscheidung von Tragödie und Komödie gebrauchte Bild noch weitergeführt werden darf, so braucht über diese Art der dramatischen Dichtung kaum mehr gesagt zu werden, als daß in ihr die Gegner nicht nur mit stumpfen Klingen, sondern geradezu mit Knotenstöcken dreinschlagen. Auch die possenhafteste Posse muß, sobald sie auf die Bedeutung eines poetischen und dramatischen Kunstwerkes Anspruch erhebt, den im Vorhergehenden dargelegten Gefeßen der inneren und äußeren Composition sich unterordnen.

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Das musikalische Drama.

§ 90. Eine lehte Gruppe dramatischer Gestaltungen entsteht aus der Verbindung der dramatischen Dichtung mit der Musik zum musikalischen Drama oder zur Oper mit deren Abarten. Die Aufgabe oder der Wirkungskreis der Tonkunst liegt wesentlich und vor Allem darin, durch das Kunstmittel des musikalischen Tones die Stimmung und das Auf- und Niederwogen der Stimmung in der Menschenseele zur Darstellung zu bringen. Daher hat sich die schon früher betrachtete innige Verbindung der beiden Schwesterkünste im Liede als eine durchaus naturgemäße darstellen müssen, in welcher der lyrischen Dichtung die Aufgabe zufiel, durch das Ausmalen von Empfindungen und Gefühlen die diesen zu Grunde liegende Seelenstimmung auszuprägen und hervorzurufen, während die Musik unmittelbar diese Stimmung selbst zur Erscheinung zu bringen hatte. In dieser nächsten Aufgabe der Tonkunst aber ruht noch eine weitere eingeschlossen: sie hat auch die Fähigkeit, wenn schon in geringerem Maße, den menschlichen Charakter künstlerisch darzustellen. Denn ohne Zweifel kann der Charakter des Menschen in vieler Beziehung sehr wohl als die Grundstimmung seines Wesens aufgefaßt werden, im Großen und Ganzen sowohl, wie in einzelnen Entwickelungsstufen und Situationen, und genau so weit, wie der Charakter als Stimmung sich auffassen läßt, ist er durch die Tonkunst darstellbar. Hierin liegt die Berechtigung einer Verbindung der Musik auch mit der epischen Dichtung, selbst wo diese nicht lyrisch durchhaucht erscheint, wie es so häufig in den kleineren Formen der Epik, namentlich in der Ballade oder Romanze, der Fall ist, und auf derselben Fähigkeit der Charakterschilderung beruht endlich auch die Berechtigung eines Zusammentretens der Tonkunst mit der dramatischen Dichtung. Natürlich muß diese Berechtigung

um so größer, folglich auch jene Verbindung um so inniger werden, je entschiedener mit dem dramatischen Momente der Charakterdarstellung das Lyrische der Stimmungsmalerei sich verbindet.

Dagegen liegt die Darstellung dramatischer Begebenheiten oder Handlungen durchaus und vollständig außerhalb der Wirkungssphäre der Tonkunst, diese kann vielmehr die Handlungen der dramatischen Dichtung nur durch das Ausmalen der diesen Handlungen zu Grunde liegenden Stimmungen oder Charaktereigenthümlichkeiten zur Ausprägung bringen, und wird dadurch die Wirkungsfähigkeit des Drama's in genau derselben Weise erhöhen, wie sie durch das Darstellen der Stimmung, welche den im Liede ausgesprochenen Gefühlen und Empfindungen zu Grunde liegt, die Wirkungsfähigkeit der lyrischen und theilweise auch der epischen Dichtung verstärkt oder gar verdoppelt.

Aus diesen Bestimmungen ergiebt sich zunächst, daß es nur ein beklagenswerther Abweg ist, wenn man im musikalischen Drama die Dichtkunst zur untergeordneten Dienerin der Musik herabwürdigt, ein Abweg freilich, der seit Jahrhunderten breiter und breiter getreten ist; ferner aber ergiebt sich daraus die Nothwendigkeit, in dem zur musikalischen Composition bestimmten Drama von den strengsten Forderungen der Dramatik zu Gunsten der Tonkunst Manches nachzulassen, und damit zugleich eine fast unübersteigliche Schwierigkeit in der Schöpfung wahrhaft dramatischer Dichtwerke zum Zwecke der Composition. Soll nämlich die Musik neben der Dichtung oder Handlung nicht nur begleitend oder illustrirend hergehen, sondern die äußere Verbindung zu einer inneren organischen Vereinigung erhoben werden, so muß die Operndichtung suchen, ihre Handlung möglichst ausschließlich aus solchen Situationen und Scenen zu entwickeln, die auch musikalisch darstellbar find, in denen also reichliche Gelegenheit geboten wird, entweder zur dramatisch-musikalischen Charakteristik oder zur lyrisch- musikalischen Stimmungsmalerei. Es giebt aber natürlich nur sehr wenige Dichtungsstoffe, die in dieser Rücksicht allen Anforderungen genügen, und schon hierdurch werden die Schwierigkeiten der Operndichtung ganz wesentlich gesteigert. Ferner aber ist der Dialog, das eigentlich dichterisch treibende Element der Handlung, als Solches zu tonkünstlerischer Mitwirkung nicht geeignet, sondern nur in so fern,. als in ihr zugleich die mehrerwähnten` musikalischen Elemente vertreten sind; je reichlicher aber der Dialog an Charakteristik und an lyrischen Momenten ist, desto mehr muß er an rein dramatischer Schlagkraft einbüßen, und damit ergiebt sich eine neue Schwierigkeit für die echt dramatische Operndichtung. Der sicherste Weg zu einer den Bedürfnissen der musikalischen. Behandlung allseitig genügenden Dramendichtung scheint danach der zu sein, daß die Handlung statt in dramatisch sich entwickelnden Scenen nur in einer Reihe von mehr oder weniger eng an einander geknüpften Situationsbildern bestehe, deren jedes der Tonkunst

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