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Fällen erfüllt werden können. So umfaßt der Darstellungskreis des Drama's allerdings extensiv das gesammte Stoffgebiet der Epik, indem sowohl Mythen, Sagen und Märchen, wie die Ereignisse des wirklichen Lebens in allen seinen mannigfachen Erscheinungen zu dramatischen Kunstwerken gestaltet werden können, intensiv aber ist er unendlich beschränkter, indem er nur einzelne Höhen und Spigen aller dieser Gebiete in sich faßt. Ueberhaupt ist das Drama nach allen Seiten hin auf Beschränkung angewiesen, auf eine Beschränkung, die sich überall als Crystallisation betrachten läßt. Der episch breite Stoff concentrirt sich nach unabänderlichen Geseßen zu einheitlicher, fest gegliederter Handlung, die behaglich ausführende Beschreibung schrumpft zur bloßen Scenerie zusammen, und die handelnden Personen offenbaren ihren Charakter nicht in seiner ganzen Fülle, in seiner ́gesammten Entwickelung durch die verschiedensten Lagen des Lebens, sondern nur nach wenigen scharf hervortretenden Seiten hin, so weit der ihnen zugewiesene Theil der Handlung es verlangt, so weit aber auch fest, voll und unerschütterlich. Um nun bei diesen durch das Wesen der Dramatik, namentlich durch das mimische Auftreten der handelnden Personen gebotenen Beschränkungen ein Kunstwerk im oben angegebenen Sinne zu schaffen, ist der Dichter auf eine bestimmte, einzelne Weise der Gestaltung und Darstellung des Stoffes angewiesen, und dieser verdankt das Drama seine Entstehung.

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Alle die verschiedenartigen und einander gegenseitig beschränkenden Elemente des Dramatischen können zu einem wirklich dramatischen Kunstwerke nur dann zusammenwirken, wenn ein Conflict, ein Kampf widerstreitender Charaktere oder Charaktereigenschaften den Gegenstand der Darstellung bildet, denn nur in diesem Falle ist es möglich, eine geschloffene Einheit sowohl der Handlung, wie der handelnden Charaktere herzustellen, und damit die wesentliche Eigenschaft des Dramatischen, die unaufhaltsam vorwärts treibende Kraft, jenen beiden hauptsächlichsten Elementen beizulegen. Aehnliche Kämpfe, Collifionen oder Conflicte bringt auf epischem Gebiete das Epos und der Roman, namentlich aber die Novelle zur Darstellung, wodurch sich leicht erklärt, weshalb Novellenstoffe so häufig zu Dramen verarbeitet werden, und wir haben bereits früher gesehen, daß die künstlerische Gestaltung solcher Stoffe schon im Epischen eine bestimmte, fest gegliederte Organisation derselben zur unabweisbaren Nothwendigkeit macht. Diese Nothwendigkeit aber tritt im Drama noch weit zwingender hervor, weil hier viele dem Epiker zu Gebote stehenden Mittel der künstlerisch logischen Gestaltung unbenugt bleiben müssen, und das Ganze nur durch die engste Verkettung und Verschlingung der einzelnen Momente der Handlung zusammengehalten werden kann. So wird die künstlerische Einheit des Drama's zunächst durch einen Mittel- und Höhepunkt der Handlung erreicht, um welchen sich alles Uebrige als vorbereitend oder abschließend, als Ursache oder Wirkung gruppirt, und dieser Mittelpunkt ist die Krisis des Conflictes oder der Knoten

der Handlung, welcher durch das Vorangehende geschürzt, durch das Nachfolgende gelöst wird. Da nun die Handlung lediglich durch die vorgeführten Charaktere zur Darstellung kommt, so fällt mit jenen um die Krisis gruppirten vorbereitenden oder abschließenden Momenten ein weiterer zusammen, der Kreis der handelnden Charaktere, in dessen Mitte der Hauptheld des Drama's steht, derjenige Charakter, an welchem der ganze Verlauf der Krisis zur Erscheinung gelangt und an welchen deshalb das Interesse hauptsächlich gebunden ist.

Eine kunstreichere Form der Construction ist die mehrgliedrige, die Verschlingung zweier oder mehrerer Handlungen und Charaktere zur höheren Einheit. Zwei Handlungen können anfangs ganz selbstständig und gleichberechtigt neben einander sich entwickeln und erst allmählich zu einer gemeinsamen Spiße sich vereinigen, wie in König Lear und im Kaufmann von Venedig, oder sie können von vorn herein innerlich zusammengehörend in einander verschlungen sein, wie in Wallenstein und Tell, doch liegt hier die Gefahr eines Zerfallens der dramatischen Einheit zu einzelnen Charakter- oder Sittengemälden nur zu nahe, wie wir an Götz von Berlichingen, theilweise auch an Tell sehen.

Außer der Einheit der Handlung hat man, namentlich von Seiten der classischen französischen Schule, auch die Einheit der Zeit und des Ortes, den Verlauf der Handlung innerhalb eines oder weniger Tage an demselben Orte gefordert, allein das moderne Drama hat sich von diesen unberechtigten Schranken seit langer Zeit frei gemacht, und hält eine Grenze der Zeit nur in so weit ein, als die Einheit der Handlung und der Charaktere es erfordert, die nicht in Jahre lang aus einander liegende Bilder zerrissen werden, nicht einen Jüngling als Greis wiedererscheinen lassen kann, während sie in dem Wechsel des Ortes oder der Scene nur durch die Gliederung des Stückes sich beschränken läßt, die den tiefen Einschnitt eines Scenenwechsels nur da gestattet, wo die Handlung zu einem bestimmten Abschlusse, zu einem bestimmten Stadium der Entwickelung gelangt ist.

Der Bau des Drama.

§ 87. Aus dem Wesen des Drama ergeben sich nun sowohl für die allgemeine Anlage, wie für die Gliederung im Einzelnen, für den ganzen Verlauf der Handlung bestimmte unverbrüchliche Gesetze, die jedes dramatische Kunstwerk als einen architectonischen Bau erscheinen lassen. Als die Darstellung eines zur Krisis und Entscheidung durchgeführten Conflictes oder Kampfes, bei welchem der Zuhörer für Einen der Kämpfenden, für den Helden des Drama's, Partei nimmt, zerfällt das Ganze zunächst in zwei Haupttheile, in die Schürzung und die Lösung des Knotens, in die Steigerung des Conflictes zu seinem Höhenpunkte, der Krisis, und das Hinabsinken der Handlung bis zur Kata

strophe. Die Stellung der kämpfenden Parteien kann dabei eine zweifache sein: einmal kann der Held in der steigenden Hälfte das Uebergewicht oder die Führung haben, und erst in dem zweiten, fallenden Theile von den widerstrebenden Gewalten gedrängt und bis zur Katastrophe hinuntergestürzt werden, oder aber die Gegenpartei treibt im ersten Theile den Helden vorwärts bis zur entscheidenden That der Krisis und erst von da ab ergreift dieser die Führung. Welche Partei den endlichen Sieg behält, das hängt von der den Streitenden beigelegten Gewalt ab; das naturgemäßeste freilich scheint zu sein, daß in der ersten Form der Held, in der zweiten aber das Widerspiel unterliegt, indessen auch die zweite Form läßt Gestaltungen zu, in denen der Held dem Untergange entgegeneilt, hier tritt die fallende Hälfte sogar doppelt scharf als ein unaufhaltsames Drängen nach abwärts hervor. So muß jedes Drama in fünf Abtheilungen zerfallen, in die Einleitung, die Steigerung, den Höhenpunkt, die Wendung und die Katastrophe, von denen eine jede ihre bestimmte Bedeutung und damit auch ihre besondere Construction hat.

Die Einleitung führt in Ort, Zeit, Lebensverhältnisse und Stimmung der handelnden Personen ein, indem sie zugleich aus den Vorbedingungen der Handlung die Anfänge derselben hervortreten läßt. Sie verseht uns also zuerst in die Situation des Drama's, verbindet damit die Exposition oder die Vorbereitung der Handlung, und schließt mit den Keimen des Conflictes, namentlich mit einem von außen oder von innen kommenden erregenden Momente, wie in Maria Stuart Mortimers Bekenntniß, in Macbeth das prophetische Wort der drei Heren, in Hamlet das Erscheinen des Geistes ist.

Die Steigerung besteht aus der Kette von vorwärts treibenden Momenten, von mehr oder weniger entscheidenden Thaten, welche den Conflict zur Krisis reifen und zuspißen. Die einzelnen Fäden der Handlung laufen noch selbstständig neben einander her, aber alle drängen nach ihrem gemeinsamen Höhenpunkte, dem Knoten der Verwickelung. Das Wesentliche dieses Abschnittes ist die Spannung, die Steigerung des Interesses, die nicht nur durch den drängenden Fortgang der Handlung, sondern auch durch Reichthum und Wechsel im Bau der einzelnen Scenen erreicht wird..

Im dritten Abschnitte erreicht die Steigerung ihren Gipfel, aber diese Spiße der Steigerung enthält zugleich den.Keim des Falles oder der Wendung, und von nun an geht Alles unaufhaltsam rückwärts oder abwärts. Im Trauerspiele, in dem der Held unterliegt, ist die Krisis mit dem tragischen Momente eng verknüpft, mit dem Punkte, in welchem die That des Helden beginnt, auf ihn zurückzuwirken, um ihn zu vernichten.

Diesem Schwerpunkte der Handlung folgt die Peripetie, die Wendung, ein Umschlag in der Stellung des Helden, entweder zum Guten oder zum Schlimmen, durch welchen die Krisis ihrer Lösung entgegengeführt wird. Da

die dramatische Kraft der Handlung und damit die Spannung und das Interesse des Zuhörers schon nahezu erschöpft ist, eilt das Drama entweder rasch seinem Ausgange zu, oder eine lehte Möglichkeit der Rettung, umgekehrt ein leßtes Hinderniß des Erfolgs zeigt sich, bringt eine neue Spannung hervor und hält den Schluß noch einmal auf.

Die Katastrophe endlich bringt den Abschluß der ganzen Handlung in der durch den Verlauf des Drama's als nothwendig hervorgetretenen Form: den Sieg des Helden oder seinen Untergang. Hier mehr als irgendwo sonst ist alles Breite oder gar Ueberflüssige störend und schädlich, da der Zuhörer den Ausgang längst geahnt hat und Nichts verlangt, als seine Ahnung bestätigt zu sehen; je gedrängter und schlagender deshalb die Schlußscenen find, desto sicherer die Wirkung des Ganzen.

Dieser inneren Gliederung entspricht eine äußere, die Eintheilung des Drama's in Aufzüge, Scenen und Auftritte, welche als mehr oder weniger scharf getrennte Abschnitte der Handlung sich darstellen, aber nicht nur äußerlich die innere Gliederung ausprägen, sondern diese noch mit größerer Entschiedenheit hervorheben, indem sie jedes einzelne Glied als ein verhältnißmäßig abge= · schlossenes Stück erscheinen lassen, welches in künstlerischer Abrundung eben so wohl Anfang, Mitte und Ende enthält, wie das ganze Werk. So ist der Aufzug ein durch das Fallenlassen des Vorhangs in sich abgeschlossenes Stück der Handlung, welches schon durch den geläufigeren Namen "Act' als ein abge-rundetes Ganzes sich erweist, so wird die Scene durch einen ohne Abschluß der Bühne bewerkstelligten, aber gleichfalls scharf einschneidenden Wechsel des Ortes, der Scenerie oder Decoration. hervorgebracht, während der Auftritt, die kleinste Gruppe der Handlung, die einzelnen Monologe oder Dialoge zur künstlerischen Einheit zusammenfaßt, obgleich die Ausdrücke 'Scene' und 'Auftritt' häufig, aber unrichtig auch als gleichbedeutend gebraucht werden, und als Scene auch jede zur höheren Einheit zusammengefaßte Gruppe von Auftritten sich darstellen kann.

Das Grundgesez aller dramatischen Architectur, das Drängen nach einem bestimmten Ziele, das Hinaufstreben zu einem Gipfelpunkte, behält sowohl in dem kleinsten Neben- und Verbindungsauftritte seine Geltung, wie im reich gegliederten Acte. Wie der Auftritt aus einzelnen dramatischen Momenten sich zusammenfügt, im spannenden Verlaufe eines inneren oder äußeren Kampfes ein Resultat herbeiführt, und damit eine Stufe der Handlung abschließend bezeichnet, ist schon früher dargelegt; denselben Bau zeigt auch die aus architectonisch gegliederten, größeren oder kleineren Auftritten zusammengesetzte Scene und der aus diesem gesammten Materiale aufgebaute Act. Jeder Act umfaßt nun im Allgemeinen einen der vorher angeführten fünf Abschnitte des Drama's, und lediglich die in sich selbstständige Architectur der einzelnen Aufzüge macht hier und da ein Uebergreifen erforderlich. Die fast durchgängig eingehaltene

Gliederung des großen Drama's in fünf Acte ist also nichts Zufälliges oder Conventionelles, sondern hat ihre tiefe künstlerische Bedeutung, während allerdings kleinere oder kürzer behandelte Stoffe auch eine geringere Anzahl von\ Aufzügen, selbst das Zusammenziehen in einen einzigen Act vertragen; doch follte auch in den engsten Formen die fünftheilige Gliederung oder mindestens die dreitheilige in Exposition, Verwickelung und Lösung, durch erkennbare Abschnitte hervorgehoben werden.

Im ausgeführten, fünfactigen Drama wird dem ersten einleitenden Acte meist noch der Anfang der Steigerung angefügt, sodaß er folgende Theile enthält: die orientirende Situationsscene, die Exposition mit dem erregenden Momente und die erste Scene der Steigerung. So folgen in Maria Stuart dem Erbrechen der Schränke als der Einführungsscene die Bekenntnisse Maria's als Exposition, das Geständniß Mortimer's als erregendes Moment und die Scene mit den Commissarien als Anfang der Steigerung und Abschluß des Actes. Im Tell laufen mehrere Handlungen neben einander her. Der stimmenden Anfangsscene folgt die allgemeine Exposition durch die Landleute, dann Baumgarten's Rettung als das erregende Moment für die Handlung Tell's, die Scene vor Stauffacher's Haus als Einleitung für die Handlung des Bundes, die Unterredung Tell's und Stauffacher's vor dem aufgesteckten Hute als die erste Steigerung für jenen, die Unterredung Walter Fürst's und Melchthal's als das erregende Moment für die zweite Handlung und endlich die erste Steigerung, der Entschluß, auf dem Rütli zu tagen.

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Im zweiten, dem Acte der Steigerung, pflegen zunächst die Widersacher des Helden vorgeführt zu werden, wo diese bis dahin noch nicht aufgetreten sind, und damit wird der Fortgang der Steigerung aufs Beste eingeleitet. Da der ganze Act der engeren Verschlingung des Knotens gewidmet ist, so wird hier namentlich eine durchschlagende Scene für den Schluß wünschenswerth. Nach Vorführung Elisabeth's nebst den übrigen Widersachern der Maria steigt die Handlung Maria Stuart's in den Versuchen einer Annäherung zwischen den beiden Heldinnen, in dem Streite der Höflinge und dem Briefe Maria's, der Unterredung zwischen Mortimer und Leicester, dem Bemühen des Letzteren, Elisabeth zu einer Zusammenkunft mit Mária zu bewegen. Im Tell wird zunächst eine dritte Handlung, die der Familie Attinghausen, eingeführt, dann folgt die große Scene auf dem Rütli als Steigerung und Höhenpunkt für den Bund.

Im dritten Acte erreicht die Steigerung ihren Gipfel, der Conflict gelangt zur Krisis, und der Anfang der fallenden Handlung entwickelt sich aus ihr als Actschluß; in der Tragödie tritt mit dem Höhenpunkte die Scene des tragischen Momentes zusammen. So sind in Maria Stuart beide Punkte in der großen Gartenscene mit einander verbunden, dann folgt nach einer kleinen Zwischenscene der Ausbruch von Mortimer's Leidenschaft als Beginn des Rück

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