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Und endlich denkt, man müsse nur gefallen.
Drum bitten wir vor allen andern Dingen,
Was ihr bisher so gütig uns gegönnt,
Aufmerksamkeit; dann euern Beifall öfter,
Als wir ihn eben ganz verdienen mögen;

Denn wenn ihr schweigt, das ist das Allerschlimmste,
Was uns begegnen kann.

Und weil denn endlich hier nur von Vergnügen
Die Rede wäre, wünschen wir euch Allen

Zu Hause jedes Glück, das unser Herz
Aus seinen Banden lös't und es eröffnet:
Die schöne Freude, die uns Häuslichkeit
Und Liebe, Freundschaft und Vertraulichkeit
Gewähren mögen, hat uns auch das Glück
Hoch oder tief gestellt, viel oder wenig
Begünstigt; denn die allerhöchste Freude
Gewähren jene Güter, die uns Allen
Gemein sind, die wir nicht veräußern, nicht
Vertauschen können, die uns niemand raubt,
An die uns eine gütige Natur

Ein gleiches Recht gegeben, und dies Recht
Mit stiller Macht und Allgewalt bewahrt.

So seid denn Alle zu Hause glücklich! Väter, Mütter, Töchter, Söhne, Freunde, Verwandte, Gäste, Diener. Liebet euch, Vertragt euch! Einer sorge für den Andern! Dies schöne Glück, es raubt es kein Tyrann; Der beste Fürst vermag es nicht zu geben.

Und so gesinnt besuchet dieses Haus, Und sehet, wie vom Ufer, manchem Sturm Der Welt und wilder Leidenschaften zu. Genießt das Gute, was wir geben können, Und bringet Muth und Heiterkeit mit euch; Und richtet dann mit freiem reinem Blick Uns und die Dichter. Bessert sie und uns; Und wir erinnern uns in späten Jahren

Mit Dank und Freude dieser schönen Zeit.

Goethe.

Die dramatifirte Begebenheit.

§ 85. Die Einkleidung einer Thatsache oder einer Begebenheit in die äußerlich dramatische Form, wie wir sie in der scenisch gegliederten Erweiterung des Prologs bereits kennen gelernt haben, bezeichnet die legte Vorstufe zum eigentlichen Drama. Sie unterscheidet sich von demselben nur dadurch, daß sie, obwohl ein künstlerisch entwickeltes und abgeschlossenes Ereigniß, doch nicht eine künstlerisch entwickelte und abgeschlossene Handlung zur Darstellung bringt, sondern nur einzelne Stücke oder einzelne Scenen aus einer solchen, so daß sie nur aus mehr oder weniger lose an einander gefügten Situationsbildern besteht, ohne das compacte organische Ineinandergreifen der Charaktere und der durch diese nothwendig bedingten Handlungen, ohne jene durch eine Verwickelung hindurchgehende Entwickelung, welche das eigentliche Wesen des Drama's ausmacht.

Der Tod Napoleons.

(Napoleon. Montholon. Antomarchi, der Arzt. Europa, Geschichte und Poesie, Erscheinungen. Stumme Umgebung: Bertrand, seine Frau und vier Kinder; der Abt Vignali; Marchand und sechs Bediente. Zwei englische Offiziere.

Longwood, am 5. Mai 1821.)

Napoleon (auf dem Sterbebette), Montholon, Antomarchi.

Montholon.

Des Fiebers Gluth hat ausgetobt, er scheint zu ruhn.

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Daß ich geliebt bin worden, legf ihr Zeugniß ab.
Habt Dank. Ich aber scheide hin. Bald haben fie,
Mit deren Kronen ich gespielt, den Haß gekühlt.
Sie ließen uns nur unsrer Thaten Ruhm zurüf.
Ihr werdet bald, aus selbsterkorner Haft erlöst,
Mein stolz durch mich gewesnes Frankreich wiedersehn

Und trauern an dem vielgeliebten Seinestrand.

O grüßt mein Frankreich, grüßet mir mein heimisch Land!
Wär' Frankreich dieser nackte, sturmgeschlagne Fels,
Ich wollt' ihn lieben.

Montholon.

Frankreich finden wir, o Herr,

Nur immerdar, wo dein geweihtes Haupt verweilt.

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Grüßt meinen Sohn, den grausam mir entfremdeten,
Mein Sohn, mein Sohn!

Antomarchi.

Gehorcht dem Kaiser, tretet ab!

(Napoleon ist mit verhülltem Antlik zurückgesunken. Alle heften fragend die Augen auf Antomarchi, der unverwandt den Kranken betrachtet. Sie entfernen sich zögernd.)

Antomarchi.

(Allein bei Napoleon. Lange Pause. Er wirft sich in einen Sessel im Vordergrunde und verhüllt sein Antlik.)

Lösch' aus, du Stern der Herrlichkeit!

(Es erscheinen Europa, Geschichte und Poesie. Napoleon streckt die Arme nach ihnen aus.)

Europa.

Napoleon!

Weltherrscher einst, in Fesseln nun Verschmachtender;
Zurück von dir nicht fordernd das vergoßne Blut,
Das theure meiner Kinder; nein, den hohen Preis,
Um welchen fließen es gesollt, erschein' ich dir.
Es rangen zwei Weltalter um die Herrschaft; du
Stiegst auf, du Schicksalsmächtiger, da ward es still;
Nicht Friede; schweigend lagen sie zu Füßen dir.
Du, Franklin nicht, nicht Washington, du hast gebaut
Vergänglich für die trunkne Lust des Augenblicks.
Du sankst, du stirbst ich frage bang: wem beug' ich nun
Den jochgewohnten Nacken? Weh!

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Napoleon.

Mein Sohn, mein Sohn!

Europa.

O hättest Freiheit du geschafft nach deiner Macht,
Noch ständen aufrecht deine Bilder, unentweiht
Von Händen, die zu heben unvermögend find
Das dir enthunk'ne, dein gewicht'ges Herrscherschwert.

Geschichte.

Standbilder eines Mannes stürzen Knaben um,
Umsonst bemüht, zu tilgen meines Griffels Spur
Zukünft'gem Alter, schwerem Unheil aufbewahrt.

Pocke.

zu schmäh'n, zu schmeicheln haben Knechte nur vermocht,
Jungfräulich deines Namens ist annoch mein Mund,
Hinfort geweiht zum ewigen Gesang, mein Held!

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(Napoleon stirbt, die Erscheinungen verschwinden. Bei dem Ausathmen Napoleons erhebt sich
Antomarchi schnell und tritt zu dem Todten, den er lange betrachtet; er geht sodann nach
der Thür. Montholon und das Gefolge kommen ihm entgegen.)

Montholon.

Der Kaiser?

Antomarchi.

Weint! Das war er! Länger zügelt nicht

Die bleiche Furcht, von diesem Kerker aus, die Welt.
Verbeugt vor dem euch, der ihn schlug;

Das Liebesopfer eures Lebens ist erfüllt!

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zerstreuet euch,

(Montholon hat den Kaisermantel über die Leiche ausgebreitet, der Abt ein Kruzifix
darauf gelegt; Alle weinen. Zwei englische Offiziere dringen ein. Der Vorhang fällt.)

Chamisso.

Das Drama.

§ 86. Zu voller künstlerischer Entfaltung gelangt die dramatische Dichtung erst im eigentlichen Drama, in der Gestaltung eines durch bestimmte Charaktere und deren Handlungen herbeigeführten und vor unseren Augen sich vollziehenden Ereignisses zu einem einheitlichen, nach allen Seiten hin abge= rundeten und abgeschlossenen Kunstwerke. Das im Drama zur Darstellung gebrachte Ereigniß heißt der Stoff, die Fabel oder das Sujet desselben, während genau genommen unter der Handlung ein dramatisch schon organisirter Stoff verstanden wird. Es könnte nun scheinen, als ob das gesammte Stoffgebiet der episch erzählenden Dichtung auch für die Bearbeitung zum dramatischen Kunstwerke geeignet wäre, wenn nur die dort erzählten, ja ebenfalls durch bestimmte Personen oder Charaktere herbeigeführten Begebenheiten als vor unseren Augen sich entwickelnd dargestellt würden; aus solchen Bearbeitungen epischer Stoffe entstehen indessen meistens nur dramatisirte Begebenheiten oder Charaktergemälde, keine wirklichen Dramen; diese sind vielmehr an eine Reihe von besonderen Vorbedingungen gebunden, welche nur in verhältnißmäßig seltenen

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