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1. Antike Metrik.

§ 9. Die Gestaltung des Sprachmaterials zu Versen und Strophen beruht auf der mehr oder weniger regelmäßigen Wiederholung der metrischen oder rythmischen Einheit, wie diese in den einzelnen Wörtern oder Wortverbindungen auch in der gewöhnlichen Sprache, außerhalb der Gruppirung zu Versen, als Wortfuß vorliegt. Die metrische Einheit, der Versfuß, besteht aus Verbindungen von langen und kurzen Silben, in denen der Länge die Dauer von zwei Kürzen (Moren) angewiesen wird, so daß in einzelnen Fällen für zwei Kürzen eine Länge, und für eine Länge zwei Kürzen eintreten können; jedoch gelten die aus solcher Vertretung entstandenen Formen, wie - - (Längen) oder (Kürzen), nicht als eigentlich metrische Bildungen und heißen deshalb unächte Versfüße. Die Stelle der Länge wird Arsis, die der Kürze Thesis genannt. Gewisse Silben sind schwankend oder mittelzeitig, d. h. sie können sowohl als Längen wie als Kürzen gebraucht werden. Die wichtigsten Versfüße sind

a. diejenigen, deren Arsis und Thesis gleiche Zeitdauer haben,

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b. diejenigen, in denen die Arsis doppelt so lang ist, als die Thesis,

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c. diejenigen, deren eines Glied um die Hälfte länger ist, als das andere, Creticus (Amphimacer),

-v

Päon, der nach der Stellung der Längen vier verschiedene
Formen annimmt;

d. die unächten Versfüße

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Spondeus (an der Stelle des Dactylus oder Anapäst),
Tribrachys (anstatt des Jambus oder Trochäus).

Die übrigen als Versfüße angegebenen Silbenverbindungen dürfen mit Ausnahme etwa des Choriambus, -~~-, der Zusammenseßung eines Trochäus und eines Jambus, hier übergangen werden, da sie als Verseinheiten kaum zu verwenden sind.

§ 10. Der Vers entsteht entweder aus der Wiederholung_desselben Fußes oder aus der Verbindung verschiedener Füße zu einer Einheit höherer Ordnung. Mit Ausnahme des Dactylus, der in allen Maßen selbstständiger erscheint, treten zunächst zwei Versfüße als höhere Einheit zusammen, und bilden ein Dipodie oder ein Metrum. Aus einer Gruppe von Dipodien entsteht dann das Versglied, aus zwei Gliedern endlich der Vers, doch kann.

auch schon eine einzelne Dipodie als Vershälfte oder Versglied gelten. Auf diese Weise bilden sich mannigfach verschiedene metrische Formen, die mit sprachlichem Inhalt ausgefüllt werden, aber dabei verschiedene Umgestaltungen erleiden. Neben den rein metrischen Versfüßen kommen nämlich noch die sprachlichen Wortfüße in Betracht, welche durch die Quantität der einzelnen Wörter außerhalb der metrischen Schemata gebildet werden, und entweder mit den Versfüßen zusammenfallen oder dieselben durchschneiden. Da nun jede Regelmäßigkeit sowohl beim Zusammenfallen wie beim Durchschneiden der Wortfüße und der Versfüße die metrische Gruppe zusammenhanglos und unorganisch erscheinen läßt, so muß dieselbe überall vermieden werden, wo nicht eine Trennung, ein Einschnitt ausdrücklich beabsichtigt oder geboten ist, wie z. B. am Ende und in der Mitte der Verse. Die in der Natur des Verses begründeten, aus dem Zusammentreten mehrerer Versglieder entstehenden Einschnitte heißen im Allgemeinen Cäsuren. Unter ihnen ist der wichtigste, der meistens allein hervortretende, der Einschnitt in der Mitte des Verses, und auch an dieser Stelle wird die zu weit gehende Regelmäßigkeit umgangen, welche den Vers in zwei gleiche Hälften theilen würde. Man benut dabei zwei Wege, zunächst die Verschiebung der metrischen Cäsur an das Ende eines Wortfußes, in welcher also der Versfuß durchschnitten wird, und die dadurch hervorge= brachte Trennung heißt im engeren Sinne Cäsur, während der im Zusammenfallen eines Wortendes mit einem Fußende entstehende Einschnitt durch den Namen Diäresis unterschieden wird. Die Cäsur sowohl wie die Diäresis ist männlich, wenn sie nach einer Länge, und weiblich, wenn sie nach einer Kürze eintritt. Der zweite Weg ist die Katalexis, das Fallenlassen einer oder zweier kurzen Silben am Ende des Verses, und die Hyperkatalexis, die Zugabe einer ebenfalls kurzen Silbe an derselben Stelle. Wenn der Vers vollständig ist, d. h: wenn das Ende des leßten Wortfußes mit dem Ende des lezten Versfußes zusammenfällt, so heißt er akatalektisch.

Unter den daktylischen Versen ist der Herameter der einzige, der im Alterthume unvermischt mit anderen Metren gebraucht wurde. Er besteht

aus sechs Daktylen, deren -letter katalektisch ist. Die vier ersten Füße können durch Spondeen erseßt werden, während diese Vertauschung im fünften Fuße nur sehr selten vorkommt. Die Cäfur fällt der Regel nach in den dritten

Fuß, entweder nach der Arsis,
aber auch mannigfach verschoben,
verlegt, um dem Rythmus eine größere Mannigfaltigkeit zu verleihen.

oder nach der ersten Kürze der Thesis, wird
namentlich oft in die Mitte des vierten Fußes

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Der sogenannte Pentameter unterscheidet sich vom Hexameter dadurch, daß er im dritten und sechsten Fuße die Thesis unterdrückt, so daß eine fest=

stehende, scharfe Diäresis die Mitte des Verses durchschneidet. Die beiden ersten Daktylen werden häufig mit Spondeen vertauscht.

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Der Pentameter steht niemals allein, sondern verbindet sich mit dem Hexameter zum elegischen Verse oder Distichon:

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Im Herameter steigt des Springquells flüssige Säule,

Im Pentameter d'rauf fällt sie melodisch herab.

Schiller.

Der gewöhnliche anapästische Vers besteht aus vier Füßen mit Diäresis in der Mitte. Die Anapästen können mit Spondeen vertauscht werden, an deren Stelle wieder, vielleicht mit Ausnahme des letzten Fußes, Daktylen treten dürfen. Dieser Dimeter galt indessen nicht für völlig selbstständig, sondern eine ganze Reihe derselben wurde mit einander verbunden, als ob sie nur Versglieder seien, und dieses System von Versen wurde bei einem Gedankenabschlusse durch Kataleris oder durch Fallenlassen der ganzen zweiten Hälfte des legten Verses abgerundet. Er wurde im Alterthume für die Chorgefänge verwendet, hat aber in der neueren Zeit keine Nachahmung gefunden.

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Das gebräuchlichste troch äische Metrum ist der katalektische Tetrameter, der nach der Anzahl der vollständigen Füße auch trochäischer Septenarius genannt wird. Er besteht also aus sieben Trochäen und einer Silbe mit Diäresis nach dem vierten Fuße. Statt der Trochäen kann überall ein Tribrachys und in der zweiten Hälfte der Dipodien, also im zweiten, vierten und sechsten Fuße, auch ein Spondeus stehen; die komischen Dichter behandeln den Vers sogar noch viel freier, und streuen selbst Daktylen und Anapästen ein.

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Unter den jambischen Versen ist der wichtigste der Trimeter oder Senarius, aus drei Dipodien bestehend, deren erste Hälfte durch einen Spondeus ersetzt werden kann. Auch tritt an die Stelle des Jambus (den lezten Fuß ausgenommen) häufig ein Tribrachys, und bisweilen werden auch Daktylen oder Anapästen eingestreut. Er hat eine Cäsur nach der Thesis des dritten oder des vierten Verses.

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Der Choliambus (Skazon) ist ein jambischer Trimeter, in dessen letzten Fuß ein Trochäus eintritt, wodurch er das Hinkende erhält, das ihm den Namen gegeben hat.

Der Choliambe scheint ein Vers für Kunstrichter,
Die immerfort voll Naseweisheit mitsprechen u. s. w.

W. A. Schlegel.

Die wichtigsten der gemischten, aus verschiedenen Füßen zusammengesetten Versarten sind:

Der adonische Vers, |, die Verbindung eines Hexameters und eines Trochäus,

der phaläkische Vers, Hendekasyllabus, -~|~--|-~|-~|~, ein trochäisches Metrum, dessen zweiter Fuß ein Daktylus ist,

der pherekrateische Vers, |-|-, ein von zwei Trochäen umgebener Daktylus. Wird diesem Metrum noch eine Arsis angefügt, so entsteht der glykonische Vers.

Der elffilbige alcäische Vers besteht aus fünf Jamben, von denen der vierte durch einen Anapäst erseßt ist, ~-|- -|-|-|~~_|~~, während der zehnfilbige zwei Dactylen und zwei Trochäen enthält (~~~ |-~~ |-~| _☺), und der neunsilbige ein überzählig jambischer Dimeter ist, dessen dritter Fuß stets durch einen Spondeus ersetzt wird (-~|~ -|- - | ~ - |-).

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Der sapphische Vers enthält fünf Trochäen, deren dritter sich zum Daktylus erweitert hat||_|||_ |_ 5.

In den choriambischen Versen wechseln Trochäen und Jamben mit einander ab, oder einem Daktylus folgt eine Arsis ohne Thesis, z. B.

- ༦ | ༦ - | -ཅ|༦

- ཅv| - | - ཅ༦|

Wird diesem Schema ein Trochäus voran, und ein Jambus nachgesetzt, so entsteht der kleinere asklepiadeische Vers, von welchem der größere nur dadurch sich unterscheidet, daß er einen Daktylus mehr enthält, daß also die Unterbrechung einer Arsis durch eine neue Arsis sich wiederholt.

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§ 11. Die Verbindung mehrerer einfachen oder zusammengeseßten Verse heißt Strophe. Die wichtigsten sind:

1. Die sapphische Strophe, drei sapphische Verse und ein Adonius:

Jung und harmlos ist die Natur, der Mensch nur
Altert, Schuld aufhäufend umher und Elend;"
Drum verhieß ihm auch die gerechte Vorsicht
Tod und Erlösung.

Platen.

2. Die erste asklepiadeische Strophe, drei kleinere asklepiadeische Verse

und ein Glyconicus:

Welchen König der Gott über die Könige

Mit einweihendem Blick, als er geboren ward,

Sah vom hohen Olymp, dieser wird Menschenfreund

Sein und Vater des Vaterlands.

Klopstod.

3. Die zweite asklepiadeische Strophe, zwei kleinere asklepiadeische Verse, ein Pherecrateus und ein Glyconicus:

Süß ist, fröhlicher Lenz, deiner Begeist'rung Hauch

Wenn die Flur dich gebiert, wenn sich dein Odem sanft

In der Jünglinge Herzen

Und die Herzen der Mädchen gießt.

Klopstod.

4. Die alcäische Strophe enthält zwei elfsilbig, einen neunsilbig und einen zehnfilbig alcäischen Vers;

Von deinem Antlig wandelt, Unendlicher,

Dein Blick, der Seher, durch mein eröffnet Herz.

Sei vor ihm heilig, Herz, sei heilig,

Seele, vom ewigen Hauch entsprungen!

2. Germanische Rythmik.

Klopstod.

§ 12. In der germanischen Dichtung werden die Silben, Wörter und Verse nicht gemessen, sondern gewogen, nach den Gewichtsbestimmungen der Betonung geregelt; die Quantität hat dabei nur eine sehr untergeordnete Bedeutung.

Der Wortton zerfällt hauptsächlich in zwei Arten, in Hauptton und Nebenton; eine dritte Gruppe bilden die Silben, deren Vocal unter Umständen stumm wird. Die Silben, welche den Hauptton tragen, heißen Hebungen, die welche den Nebenton haben, Senkungen. Der deutsche Vers wurde ursprünglich nur nach Hebungen gemessen, nach der Anzahl der accentuirten Silben, so daß auf eine Hebung nicht nothwendig überall eine Senkung folgen mußte. Doch galt als rythmische Einheit natürlich die aus Hebung und Senkung zusammengesette Gruppe, und wurde seit Heinrich von Veldecke (um 1180) in der hyrischen Dichtung ausschließlich angewendet, seit Konrad von Würzburg († 1287) auch in der Erzählung. Wo die Senkung vorhanden ist, da darf sie nur aus einer einzigen Silbe bestehen. Es finden sich freilich oft mehrere unbetonte Silben zwischen zwei Hebungen, aber nur in solchen Fällen, in denen eine derselben stumm werden kann. Dies geschieht z. B., wenn der Hauptton auf einer kurzen Silbe ruht, wo der Vocal der nächsten Silbe elidirt wird; wenn das eine Wort vocalisch schließt und das nächste vocalisch anfängt, wo beide Silben in eine einzige zusammenfließen;

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