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Die Novelle.

§ 80. Neben dem Romane, ja parallel mit ihm, hat sich auch die Novelle erst in der neuesten Zeit zu einer selbstständigen, von den übrigen Arten der Erzählung scharf abgegrenzten Kunstform entwickelt. Ursprünglich war die Novelle nichts Anderes, als eine die Wirklichkeit des Lebens schildernde, freilich auch vielfach mit Wunderbarem und Märchenhaftem durchwebte Erzählung in Prosa, deren Stoff im Gegensaße zu der älteren, noch auf sagenhaftem Grunde erwachsenen Epik, der Gegenwart, mindestens der Neuzeit entnommen oder doch in dieselbe verlegt war, und dieser Uebertragung auf die Neuzeit verdankt sie auch den seitdem ihr gebliebenen Namen.

An der allmähligen Erhebung des Romans zu einem Culturgemälde hat nun auch die Novelle Theil nehmen müssen, die fortwährend nur als ein Ausschnitt aus dem Romane, als ein einzelnes Bild aus dem großen Gemälde deffelben gegolten hat, und zwar mit vollem Rechte: die Novelle unterliegt allen Bedingungen des Romans mit einziger Ausnahme des allerdings wesentlichen Punktes, daß sie nicht ein umfassendes Bild eines wenn auch noch so eng begrenzten Culturkreises vorführt, sondern eben nur einen Ausschnitt aus demselben, daß sie nicht den ganzen Entwickelungsgang eines Menschenlebens zur Darstellung bringt, sondern nur einen einzelnen aber entscheidenden Abschnitt daraus. Um nun einen solchen Ausschnitt zu einem selbstständigen, abgerundeten Kunstwerke zu gestalten, ist es nothwendig, daß die gesammte Darstellung nach einem Schwerpunkte hinstrebt und in allen ihren Theilen von diesem Mittelpunkte zusammengehalten wird. Deshalb erzählt die Novelle zunächst nur eine einzelne, wenn auch vielfach gegliederte Begebenheit, und steht damit durchaus auf dem Boden der eigentlichen Erzählung; ferner aber, und darin ist die wesentliche Verschiedenheit von der Erzählung begründet, bringt sie in der er= zählten Begebenheit eine Verwickelung, einen socialen Conflict zur Darstellung, der allmählich zur Krisis reift und endlich zur Lösung gelangt. Während der Roman stets eine Reihe von solchen Collisionen des Culturlebens vorführt und in dem Zusammenfassen derselben sein Gesammtbild gestaltet, enthält die Novelle nur eine einzige, und findet in deren künstlerischer Entwickelung ihre eigentliche Aufgabe.

Im Uebrigen hat alles über den Roman Gesagte auch für die Novelle Geltung, selbst die Gliederung des Stoffes ist dieselbe, und selbst der Mißbrauch zu tendenziöser Abhandlung fehlt ihr nicht.

III. Dramatische Dichtung.

§ 81. Auf die Entstehung des Dramatischen aus einer Verbindung der subjectiven und objectiven Poesie ist bereits früher (§ 43) hingewiesen. Es wurde dort gezeigt, daß die objective Dichtung das außerhalb des Dichters Gelegene zur Darstellung bringt, also Thatsachen und Ereignisse, und daß ihr für diese Darstellung nur zwei Wege offen stehen, nämlich die Schilderung, in welcher der Dichter selbst das Organ der Mittheilung ist, und die Handlung, in welcher die darzustellenden Thatsachen und Ereignisse durch deren Träger, durch die handelnden Personen, unmittelbar vollzogen werden. Auf jenem Wege entsteht die Epik, auf diesem die Dramatik; lettere aber nicht ohne Weiteres, sondern zunächst durch eine Mitwirkung derjenigen Seite der subjectiven Dichtung, welche aus dem Charakter, aus der Subjectivität der dargestellten Personen heraus dichtend, die einzelnen Handlungen derselben begründet und deren Zusammentreten zu Ereignissen verständlich macht. Indessen genügt auch diese Verbindung noch nicht zur Hervorbringung des Dramatischen, sie führt vielmehr nur zu den Anfäßen und Keimen derselben, die sich höchstens zum Dialog entwickeln können, Ansäte und Keime, die aus denselben Elementen in allen Arten der epischen Dichtung sich bilden, sobald die Darstellung lebendiger, gedrängter und drängender wird. Das Dramatische entsteht erst aus dem Hinzutreten eines dritten Elementes, und zwar eines Elementes, welches im Grunde gar nicht der Dichtkunst angehört, sondern nur der Poesie im weiteren Sinne. Dieses Element ist das Mimische. Die unmittelbare Vorführung von handelnden Personen, aus deren Zusammenwirken sich Ereignisse entwickeln, kann unter feinen Umständen einer dichterischen Thätigkeit zugeschrieben werden, die kein anderes Darstellungsmittel hat, als das gesprochene Wort, sondern nur der allgemein poetischen Production. Wir werden dadurch wiederum auf den Ausgangspunkt unserer Darlegungen hingewiesen, auf den elementaren Zusammenhang der Dichtkunst und aller Einzelkunst mit der Poesie im weiteren Sinne, wir finden hier einen unwiderleglichen Beweis des Sahes, daß alle Kunst auf dem breiten Grunde der Poesie ruht und nur aus diesem als Einzelkunst sich entfaltet. Die Grundlage aller künstlerischen Schöpfung, die Composition, ist nicht ein Ausfluß der Einzelkünste, sondern entsteht lediglich aus der allgemein poetischen Thätigkeit; in der Composition ist der Künstler nicht Maler, Bildhauer oder Dichter, sondern ganz allgemein schaffender Künstler, erst bei der Ausführung durch ein besonderes Darstellungsmittel tritt die Einzelkunst in ihre Rechte und modificirt den allgemein künstlerischen Entwurf ihren besonderen Bedürfnissen gemäß. Die künstlerische Darstellung irgend eines Ereignisses beruht zunächst und vor allen Dingen auf der Composition; das

Ganze muß zu einem organischen Gebilde abgerundet werden, jede mitwirkende Person muß einen bestimmten Theil an der Handlung zugewiesen erhalten, und dieser Theil muß einerseits aus ihrem Charakter naturgemäß und nothwendig hervorgehen, andererseits aber denselben auch zu scharfer Ausprägung bringen. Soll nun eine solche organisch gruppirte und organisch gegliederte Fantasieschöpfung zur äüßeren Darstellung gebracht werden, so kann das nur durch die besonderen Darstellungsmittel geschehen und die allgemein künstlerische Thätigkeit geht in die der Einzelkünste über: die bildende Kunst muß das ganze Ereigniß in einem entscheidenden Momente, in einem einzelnen Bilde concentriren, die mimische Kunst bringt es in einer contiunirlichen Reihe von belebten Bildern in seinem vollen Verlaufe zur Darstellung, die epische Dichtung schildert es in seinem inneren Zusammenhange, und die dramatische Dichtung, sie kann nicht anders als die Composition der mimischen Kunst aufnehmen und das in ihr äußerlich zur Erscheinung kommende Seelenleben durch das dichterische Wort, namentlich durch den dramatischen Dialog auch in seiner inneren Entwickelung darlegen. Die dramatische Dichtung benutzt also in ihrer Composition das gesammte Darstellungsmaterial der mimischen Kunst, aber natürlich mit den Modificationen, die ihr eignes Darstellungsmittel, das Wort, erfordert, mit anderen Worten, sie ist eine Verbindung der in der Dichtkunst selbst enthaltenen Keime des Dramatischen nicht mit der mimischen Kunst selbst, sondern nur mit deren schon in der allgemein poetischen Thätigkeit enthaltenen Elementen. Dabei ist von der wirklichen Aufführung dramatischer oder mimischer Schöpfungen auf der Bühne noch gar nicht die Rede, sondern nur von der schöpferischen Composition, höchstens von dem Vorführen dieser Composition vor den inneren Sinnen durch die Schriftsprachen beider Kunstgattungen; aber ihre innere Zusammengehörigkeit erweist sich auch äußerlich darin, daß sie zu voller Wirksamkeit erst durch die Darstellung auf der Bühne gelangen, ja hier tritt das Wesen des Dramatischen als einer unlösbaren Verbindung der dichtenden mit der mimischen Kunst in schärfster Prägnanz hervor. Weniger scharf, aber noch immer unverkennbar zeigt sich dieser elementare Zusammenhang darin, daß überall, wo in der Dichtung das mimische Element zu Gunsten der rein dichterischen Bestandtheile vernachlässigt ist, wie in dramatisirten Erzählungen oder sogenannten Lefedramen, die dramatische Kraft fehlt, während umgekehrt durch das Heranziehen des Mimischen, mit oder ohne dialogische Form, selbst epischen Darstellungen eine größere dramatische Wirksamkeit verliehen werden kann, als sie jenen anämischen Schöpfungen beiwohnt.

Die Dramatik ist also diejenige Dichtungsgattung, welche Begebenheiten oder Ereignisse vor unsern Augen geschehen, durch die handelnden Personen unmittelbar sich entwickeln läßt, und zwar so, daß die vorgeführten Personen nicht nur die Handlung vollziehen und dabei das zur Handlung treibende

Seelenleben mimisch abspiegeln, sondern daß sie dieses Seelenleben selbst darlegen, ja nur als die Verkörperung desselben auftreten. Die äußere Handlung wird durch das mimische Element zur Erscheinung gebracht, das innere, zur Handlung treibende Leben aber durch die dichterische Charakterdarstellung der handelnden Personen. So erscheint das Dramatische als eine Verbindung von Handlung und Charakteristik, die in inniger Verschlingung sich gegenseitig be= dingen und gegenseitig ergänzen, indem die Handlung aus den dargestellten Charakteren mit Nothwendigkeit sich ergiebt, und diese Charaktere erst in der Handlung zu lebendiger Ausprägung gelangen. Um nun die dramatischen Charaktere und deren Seelenleben zu vollen Gestalten abzurunden, und damit zugleich das innere Getriebe der Handlung völlig klar zu stellen, benutzt die Dramatik häufig auch epische und lyrische Elemente in mehr oder minder selbstständiger Entfaltung. Da aber diese Nebenbestandtheile nur unter der Beschränkung auftreten können, daß der Dichter nicht aus dem eignen Innern, sondern aus der Seele der von ihm vorgeführten Personen heraus dichtet, so erhalten auch sie einen besonderen dramatischen Charakter; sie erscheinen nicht als freier lyrischer Erguß oder als behaglich breite Schilderung, sondern als Knoten- und Keimpunkte der Handlung, als Ausfluß des im Handeln begriffenen und wieder zur Handlung treibenden Seelenlebens: reine Lyrik und Epik im Drama ist immer opernhaft.

Aus diesen einzelnen Bestandtheilen der Dramatik und den verschiedenen Mischungsverhältnissen derselben haben sich nun bestimmte dramatische Formen als Vorstufen und Bruchstücke des eigentlichen Dramas entwickelt, die zunächst im Einzelnen zu betrachten sind.

Der Monolog.

§ 82. Die Monologe zerfallen in subjective und objective. Der subjective, eigentliche Monolog ist das Selbstgespräch einer dramatisch dargestellten Person, und hat die Aufgabe, das Seelenleben vor oder nach einem entscheidenden Momente der Handlung dichterisch zu malen. Vor dem Eintritte einer solchen Krisis muß er stets dramatische Bewegung, ein Werden, eine Entwickelung zeigen, er muß einen inneren Kampf darlegen, einen Entschluß zur Reife bringen, überhaupt den Fortgang der Handlung fördern. Nach dem Eintritte der Entscheidung bezeichnet er einen Ruhepunkt in der Handlung und schildert das Auf- und Niederwogen des Seelenlebens nach geschehener That. Hier vor allen Dingen kommt das lyrische Element zur Geltung, und deshalb beruht auf der geschickten Herbeiführung und Verknüpfung solcher Situationen wesentlich die Kunst des Operndichters.

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Wallenstein, (mit sich selbst redend.)

Wär's möglich? Könnt ich nicht mehr, wie ich wollte ?
Nicht mehr zurück, wie mir's beliebt? Ich mußte

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