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Die Gesetze der poetischen Sprache sind in dem Wesen und der Bedeutung der Poesie begründet; diese ist das Resultat einer zur Begeisterung erhöhten Thätigkeit der Fantasie und der Seelenkräfte, und ihre Aufgabe besteht darin, die Gestaltungen der Fantasie zum Ausdrucke zu bringen, und dadurch die Fantasie Anderer zu einer analog poetischen Thätigkeit zu bewegen. Daraus ergiebt sich sofort die Bestimmung, daß die Sprache der Poesie eine höhere, schwunghaftere und edlere sein muß, als die Sprache des täglichen Lebens, daß sie aber auch von der ebenfalls gehobenen und veredelten, aber lediglich auf den Verstand und die Kräfte des Geistes berechneten Sprache der Wissenschaft sich scharf abzusondern hat, und zwar dadurch, daß sie selbst in ihren kleinsten Theilen die Fantasie erregt und in Thätigkeit erhält. Durch diese beiden allgemeinen Bestimmungen ist zunächst negativ alles Unedle, Niedrige und Gewöhnliche des Ausdrucks aus der dichterischen Sprache verwiesen und alles wissenschaftlich Abhandelnde oder Zergliedernde ausgeschieden, welches durch abstracte Wörter und beschränkende Saßfügungen Begriffe, Urtheile und Schlüsse aufstellt, ferner aber positiv auf der einen Seite Adel, Innigkeit und Schwung, auf der andern Seite sinnliche oder plastische Bildlichkeit des Ausdrucks gefordert, durch welche der Zuhörer oder Leser nicht zum Denken und Begreifen, sondern zum Fühlen und Schauen veranlaßt wird. Das geschieht hauptsächlich durch eine warme Lebendigkeit der Darstellung: wie in der Poesie selbst, so ist auch in der Sprache der Poesie alles Todte und Leblose wirkungslos, denn das Todte ist stumm und kann nicht zu uns reden; wie deshalb die poetische Auffassung auch die leblose Natur belebt und beseelt, so muß die dichterische Sprache auch dem todten Begriffe den Hauch und die Farbe des Lebens verleihen. Diese Lebendigkeit der Darstellung ist aber nur durch ein Zusammenwirken aller Sprachtheile zu erreichen. Die Wirksamkeit des Substantivs berüht wesentlich auf einer schlagenden, alles Halbe, Unbestimmte und Abstracte_ver= meidenden Prägnanz, die in der Fantasie sofort ein scharf begrenztes Bild hervorruft. Da indessen eine treffende Schärfe des Ausdrucks grade beim einfachen Hauptworte häufig unerreichbar ist, so wird dieselbe theils durch substantivische Zusammenseßungen befördert, theils und vorzüglich aber wird durch das Beiwort und die adjectivischen Satformen dem Mangel abgeholfen. Mit Recht ist der Wahl des Adjectivs von jeher die größte Bedeutung für die Sprache der Dichtkunst beigelegt, denn das vom Substantive oft nur im Umrisse gezeichnete Bild erhält durch das Beiwort Farbe, Rundung und Leben, und ihm muß also die bedeutsame Wirkung des Colorits in der Dichtkunst zugeschrieben werden, welche dem Ganzen Stimmung und Charakter verleiht. Die Aufgabe, Leben und Bewegung in das vom Substantiv und seinen Beiwörtern gezeichnete Bild zu bringen, fällt vornemlich dem Verbum zu. Die active Form des Zeitwortes wird deshalb immer lebendiger wirken, als die

passive, und je schärfer das Verbum die Thätigkeit des Hauptwortes ausprägt, desto lebendiger und voller wird der Eindruck des Gesammtbildes. Wie das Adjectiv zum Hauptworte, so tritt das Adverb zum Zeitworte, um die Handlung prägnanter zu bezeichnen, und würde so wichtig wie jenes sein, wenn nicht dem Verbum meistens an sich schon eine farbenreichere Anschaulichkeit beiwohnte, als dem oft unbestimmten und blassen Substantiv. Von den Partikeln läßt sich kaum mehr sagen, als daß sie möglichst zu vermeiden sind, wo sie einschränkend oder begründend nur der logischen Gliederung dienen ; fie halten die Lebhaftigkeit der Vorstellung zurück und wirken nur auf den ordnenden Verstand, nicht aber auf die gestaltende Fantasie. Damit berühren wir das Gebiet der Syntax; aber so wichtig auch die Formen der Saßbildung und Satgliederung, wie Inversion, Ellipse, Aposiopese u. s. w. für die Belebung der Sprache sind, so ist ein näheres Eingehen auf dieselben an dieser Stelle doch kaum erforderlich, da sie der allgemeinen Sprachlehre und namentlich der Rhetorik eben so wohl angehören, wie der Dichtkunst: sie dürfen als bekannt vorausgesetzt werden.

§ 7. Die bisher in ihren grammatikalischen Beziehungen betrachteten Mittel der Veranschaulichung und Belebung sind ihrer Form nach sehr verschieden. Die Berechtigung und Bedeutung aller dieser Formen liegt darin, daß ursprünglich jedes Wort der Sprache ein Bild war, und zunächst eine Vorstellung dieses Bildes in der Seele hervorrufen mußte; durch den fortwährenden Gebrauch der Wörter im täglichen Leben ist aber die Bildlichkeit derselben meistens verwischt oder verblaßt, und sie erregen nun ohne Weiteres eine Vorstellung von der Sache selbst, so daß wir auch bei den abstractesten Ausdrücken, wie begreifen, einsehen u. s. w. nicht mehr an ihre ursprüngliche Bedeutung denken. In der Sprache der Poesie dagegen ist die Anschaulichkeit des Ausdrucks ein nothwendiges Erforderniß, um auf die Fantasie wirken zu können, und sie benußt deshalb jedes Mittel, durch welches sie die verlorene Bildlichkeit des Sprachmaterials ersetzen und damit ihren Vorstellungen Farbe und Leben verleihen kann. Wie bereits erwähnt, dient dazu vor Allem das Beiwort oder Epitheton, welches nicht nur eine Seite des Hauptwortes plastisch oder färbend hervorhebt, sondern auch das Ganze belebt und beseelt, und dadurch zu der weitergehenden Personification überleitet, die ohne Weiteres das leblose als lebend, handelnd und fühlend darstellt:

Wie die jungen Blüthen leise träumen

In der stillen Mitternacht!

Schüchtern spielt der Mondschein in den Bäumen,

Daß die Blüthe nicht erwacht.

Die Dichtkunst und ihre Gattungen.

Hoffmann.

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Die Personification abstracter Begriffe wird, namentlich wenn sie weiter ausgeführt ist, Allegorie genannt, und die Anwendung derselben auf die Kräfte der Natur führt zur Mythe, zur Religion der antiken Welt; beiden Formen verdanken wir große und erhabene Schöpfungen, aber mit beiden ist auch ein entseßlicher Mißbrauch getrieben, namentlich in den geschmacklosen allegorischen und mythologischen Anspielungen der Renaissance.

Die übrigen Formen der Veranschaulichung entstehen aus der Vergleichung oder Vertauschung der Begriffe und werden daher Tropen genannt. Die Metonymie bewegt sich noch innerhalb desselben Begriffes; sie vertauscht einzelne Verhältnisse und Seiten desselben Gegenstandes, seßt das Zeichen für die Sache, wie das Scepter für die Herrschaft, das Werkzeug für den Träger desselben, wie Bajonette für Soldaten, den Theil für das Ganze, wie Schwelle für Haus. Die Synekdo che ist nur eine Unterart der Metonymie, die Metonymie der logischen und grammatikalischen Verhältnisse; sie vertauscht Allgemeines und Besonderes, Abstractes und Concretes, Einzahl und Mehrzahl, Adjectiv und Substantiv, und fällt in der Vertauschung des Ganzen und eines seiner Theile vollständig mit der Metonymie zusammen. Die eigentlichen Bilder, das Gleichniß und die Metapher, stellen Gegenstände aus ganz verschiedenen Kreisen nebeneinander oder für einander, die irgend eine gemeinschaftliche Seite als Vergleichungspunkt darbieten, und sind dadurch das hauptsächlichste Mittel, der Darstellung Reichthum der Anschauungen, Farbe und Glanz zu verleihen. Das Gleichniß oder die Vergleichung erläutert und beleuchtet ein Bild durch ein Gegenbild, indem sie das Gemeinsame ausdrücklich hervorhebt, in den epischen Dichtungsarten über dieses Gemeinsame sogar noch hinausgeht und das Bild auch in seinen ferneren Beziehungen breiter ausmalt.

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Wie der wandernde Mann, der vor dem Sinken der Sonne
Sie noch einmal in's Aug', die schnell verschwindende, faßte,
Dann im dunkeln Gebüsch und an der Seite des Felsens
Schweben siehet ihr Bild, wohin er die Blicke nur wendet,
Eilet es vor und glänzt und schwankt in herrlichen Farben:
So bewegte vor Hermann die liebliche Bildung des Mädchens
Sanft sich vorbei und schien dem Pfad in's Getreide zu folgen.
Goethe, Hermann und Dorothea.

Die Metapher stellt die verglichenen Gegenstände entweder appositionsartig hart neben einander oder sezt an die Stelle des einen unmittelbar den andern:

Ein Tropfen Haß, der in dem Freudenbecher
Zurückbleibt, macht den Segenstrank zum Gift.

Schiller, Jungfrau von Orleans.

Damit sind wir wieder an unserm Ausgangspunkte angelangt, denn alle Sprache redet ursprünglich in Metaphern, wo sie nicht die Begriffe unmittelbar nachbildet, und die Sprache der Dichtkunst geht fast überall darauf aus, das Metaphorische des Ausdrucks zu kräftigen und neu zu beleben. In dem folgenden Gedichte von Heine, dem Epiloge des Buch der Lieder' sind die wichtigsten der angeführten Formen vertreten:

Wie auf dem Felde die Weizenhalme,
So wachsen und wogen im Menschengeist
Die Gedanken.

Aber die zarten Gedanken der Liebe
Sind wie lustig dazwischenblühende
Roth' und blaue Blumen.
Roth' und blaue Blumen!

Der mürrische Schnitter verwirft euch als

nuklos,
Hölzerne Flegel zerdreschen euch höhnend,
Sogar der hablose Wanderer,
Den euer Anblick ergößt und erquickt,

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Schüttelt das Haupt

Und nennt euch schönes Unkraut.
Aber die ländliche Jungfrau,
Die Kränzewinderin,

Verehrt euch und pflückt euch,

Und schmückt mit euch die schönen Locken,
Und also geziert, eilt sie zum Tanzplatz,
Wo Pfeifen und Geigen lieblich ertönen,
Oder zur stillen Buche,

Wo die Stimme des Liebsten noch lieblicher
tönt,

Als Pfeifen und Geigen.

Eine lehte Form der Veranschaulichung und Belebung durch das Sprachmaterial ist die Onomatopöie, welche durch den Klang der Wörter die Bedeutung derselben ausdrückt und durch die rythmische Gruppirung dieser Wörter auch den Inhalt der Säße abspiegelt. Sie beruht darauf, daß viele Wurzelwörter nicht, wie die metaphorische Ausdrucksweise, ihren Begriff durch ein Bild aus fremder Sphäre bezeichnen, sondern durch eine unmittelbare Nachbildung des Begriffes selbst, namentlich bei den Naturlauten, wie brüllen, zwitschern, sausen u. s. w. Es wird dadurch eine doppelte Bildlichkeit des Ausdruckes erreicht, für das innere Auge und für das innere Ohr, die indessen nur mäßig verwendet werden darf, weil sie leicht in blos äußerliche Spielerei

ausartet.

Und wenn der Sturm im Walde brauft und knarrt,

Die Riesenfichte stürzend Nachbaräfte

Und Nachbarstämme quetschend niederstreift

Und ihrem Fall dumpf hohl der Hügel donnert u. s. w.

Goethe, Fauft.

Da pfeift es und keucht es, und klingelt's und klirrt's;

Da ringelt's und schleift es, und wispert's und girrt's;

Da pispert's und knistert's, und flüstert's und schwirrt's u. s. w.

II. Berslehre.

Goethe, Des Ritters Brautfahrt.

§ 8. Diese verschiedenen Mittel des Ausdrucks finden in aller poetischen Sprache ihre Verwendung, in der freien so wohl, wie in der gebundenen, und die ihnen zu Grunde liegenden Gesche können, außer bei der Charakteristik, nur in der komischen Darstellung umgangen werden, welche, überall durch Gegenfäße wirkend, häufig auch den Gegensatz zwischen poetischem Inhalt und unpoetischer Sprache sich nußbar macht. Sie können als die Farben der dichterischen Sprache betrachtet werden; die Sprache der Poesie hat aber auch ihre Musik. Die wesentlichen Darstellungsmittel der Tonkunst sind Klang und Rythmus, und beide kommen auch in der Dichtkunst zur Verwendung, zunächst und hauptsächlich freilich das rythmische Element, welches einen so tiefgehenden Einfluß auf die poetische Gestaltung erlangt hat, daß man häufig nur die rythmische oder gebundene Form der Darstellung mit dem Namen "Poesie' be= zeichnet, Alles nicht durch rythmische Gliederung gebundene dagegen Prosa nennt, auch wenn es seinem Inhalte nach unzweifelhaft der Poesie angehört.

Wie in der Musik, so bezeichnet auch in der Dichtkunst der Ausdruck ‘Rythmus' ein Zweifaches: im weiteren Sinne die gesammten Zahlenverhältnisse der gebundenen Sprache, im engeren Sinne nur die Gewichtsverhältnisse derselben; dem Rythmus in der letzteren Bedeutung steht das Metrum gegenüber oder zur Seite, welches ausschließlich die Maßverhältnisse der Wörter, so wie der Verse und Strophen regelt. Da die Poesie der antiken Welt ihre Verse nur maß, so hieß die Verslehre derselben Metrik, und durch den Namen Rythmus wurde ein höherer Begriff, die Bewegung metrisch geordneter Gruppen bezeichnet; die modernen Völker dagegen ordnen ihre Verse wesentlich nach Gewichtsverhältnissen, und bei ihnen haben daher die Ausdrücke Metrum und Metrik, außer in der Nachbildung antiker Versmaße, nur noch eine übertragene Bedeutung, die in der Entwickelung der neueren Verslehre aus der antiken ihren Grund hat, so daß man häufig von Metren, Versmaßen und Versfüßen spricht, wo man rythmische Gruppen oder Glieder im Sinne hat. Durch die Uebertragung der antiken Verslehre auf die deutsche Sprache hat sich indessen auch eine eigenthümlich deutsche Metrik ausgebildet, so daß beide Systeme eine gesonderte Betrachtung erfordern. Die Metrik also mißt die Wörter und Verse in Beziehung auf die Zeitdauer, die Länge und Kürze ihrer Glieder (quantitirender Rythmus), die Rythmik dagegen in Beziehung auf das Gewicht, die Schwere und Leichtigkeit derselben (accentirender Rythmus).

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