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Gekünstelten und Geschraubten, der einen ungetrübten Kunstgenuß nicht aufkommen läßt. Voltaire versuchte in seiner Henriade, diese Göttermaschinerie durch allegorische Figuren, durch personificirte Begriffe zu ersehen, aber dadurch trat die Zwiespältigkeit der Darstellungsweise noch offener zu Tage, und von den neuesten Versuchen, zur rein historischen Darstellung durchzudringen, ist keiner bedeutend genug ausgefallen, um sich Bahn zu brechen. So wartet das historische Epos noch des Dichters, der es zu seiner vollen Bedeutung er heben wird.

Das komische Epos.

§ 78. Das komische oder humoristische Epos ist wesentlich parodirend, indem es den ganzen Apparat des erhabenen Epos für einen durchaus unbedeutenden Gegenstand in Bewegung setzt, und einige der besten Producte dieser Gattung sind wirklich nur Parodien; das komische Epos ist die Carricatur des Epos, ein höherer Kunstwerth ist ihm kaum beizulegen.

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§ 79. Der Roman war im Alterthume unbekannt, und zwar nicht nur dem Namen, sondern eben so wohl der Sache nach: das Alterthum kannte nur mehr oder minder ausgesponnene Erzählungen; der Roman verdankt seinen Ursprung erst dem mittelalterlichen Kunstepos, dem romantischen Epos. Die Entstehung dieser Dichtungsart aus der Verpflanzung romanischer Sagenkreise auf deutschen Boden, zum Theil aus directer Nachbildung romanischer Epen, ist vorher erwähnt; diese Werke aber, als in romanischer Sprache, der Sprache des romanischen Volkes, gedichtet, hießen Romants oder Romans. Alle Ependichtung, sowohl die germanische wie die romanische, bediente sich der gebundenen Sprache; und wie die romanischen Völker für die Profaauflösungen ihrer epischen Gedichte den Namen Roman beibehielten und demnächst auch auf die ähnlichen, ursprünglich in Prosa geschriebenen Werke übertrugen, so behielten diesen Namen auch die Prosabearbeitungen jener ausländischen Dichtwerke in Deutschland, welche aus der Verbreitung derselben durch das romantische Epos hervorgegangen waren, und endlich wurden auch die Profaauflösungen deutscher Sagendichtung und die derselben Dichtungsart angehörenden Prosawerke mit diesem Namen bezeichnet. So ist der Roman und dessen Ausschnitt, die Novelle, eben so entschieden Prosadichtung, wie das Epos die gebundene Sprache verlangt, und in der allmählichen Entwickelung des Romans, der sich immer schärfer vom Epos schied, je mehr er auf die Darstellung des inneren Lebens ausging, hat die Nothwendigkeit der ungebundenen Sprache nur noch entschiedener hervortreten müssen.

Seinem heutigen Begriffe nach ist der Roman, wie das Epos, ein um= fassendes Zeit- und Culturbild in der Form der Erzählung, aber er spiegelt die Zeit und ihren Culturzustand nicht wie das Epos in dem äußeren Leben ab, sondern in dem inneren, geistigen Leben. Was er sonst auch mit dem

Epos gemein haben mag, hierdurch unterscheidet er sich von ihm, und aus diesem Unterschiede fließen alle übrigen Abweichungen, wie die Verschiedenheit des Stoffgebietes, der Darstellungsweise und der äußeren Form, zugleich aber scheidet dadurch der Roman sich noch schärfer von der sonst nahe verwandten Prosa - Erzählung und weiter von der wirklichen Geschichte. Zunächst hat der Roman ein durchaus anderes Stoffgebiet, als das Epos. Da er das geistige Culturleben seiner oder einer früheren Zeit in mehr oder weniger umfassender Weise zu schildern hat, so kann er nicht gewaltige, tief in das Leben der Völker eingreifende Zeitereignisse zur Darstellung bringen, ja er kann nicht einmal das Leben eines weltgeschichtlich hervorragenden Menschen, eines großen Fürsten oder Helden, zum Mittelpunkte seiner Schilderungen machen, weil die Bedeutung Beider überwiegend auf ihrer Wirksamkeit nach außen hin beruht, sondern er muß sich auf ein Gebiet beschränken, welches abseits von den großen Weltbegebenheiten und deren Leitern liegt, auf einen Kreis, der von jenen Begebenheiten wohl berührt wird, aber nicht wesentlich in dieselben eingreift. Da ferner der Culturzustand einer Zeit, eines Volkes oder eines Standes in der inneren Entwickelung eines einzelnen tüchtigen Menschen sich scharf ausprägt, diese innere Entwickelung aber an den äußeren Lebensgang desselben gebunden ist, so erreicht der Roman seine Aufgabe am leichtesten und sichersten, wenn er das Leben eines einzelnen Menschen, höchstens das Leben eines beschränkten Kreises von innerlich zusammengehörenden Menschen zum Vehikel seiner Schilderungen macht, und darin liegt die Bedeutung der für den Roman allgemein aufgestellten Forderung eines einheitlichen Mittelpunktes, eines sogenannten Helden, um dessen äußeren Lebensgang und dessen dadurch bedingte innere Entwickelung sich die ganze Composition gruppirt. Es ist vorher gesagt, daß das Leben von geschichtlich hervorragenden Gestalten, Fürsten oder Helden, zu folchem Mittelpunkte nicht geeignet sei; der Grund liegt darin, daß diese Menschen der Geschichte angehören, welche die Thaten derselben und deren Einfluß auf die äußeren Weltbegebenheiten feststellt und aufzeichnet, und daß daher dieses Material gegen die Gestaltung zu der künstlerischen Form des Romans sich sträuben muß, weil diese an dem äußeren Lebensgange das innere Leben jener Helden entwickeln will, die historisch feststehenden Lebensereignisse aber der freien Gestaltung durch die Fantasie sich entziehen. So oft deshalb der Versuch gemacht ist, das Leben historisch bedeutender Männer in die Mitte einer Romandichtung zu stellen, so oft hat er scheitern müssen. Der Roman büßte entweder die künstlerische Einheit ein und wurde zu memoirenhafter Geschichtserzählung, oder die Geschichte wurde ins Gesicht geschlagen, der Geschichtsheld sank zum Romanhelden mit historischem Namen herab. Diese Versuche sind aber die kräftigsten Stüßen für die oben gegebene Erklärung des Romanbegriffes, denn die historischen Thatsachen bilden in ihnen überall nur den

äußeren Rahmen für die Darstellungen aus dem inneren Leben und den Privatverhältnissen jener Großen: das geschichtliche oder öffentliche Leben muß dem Romane so fern bleiben, daß es mir als tiefster Hintergrund des Culturgemäldes erscheint. So stellt sich als das eigentliche Stoffgebiet des Romanes das sociale Leben dar, und zwar das sociale Leben in allen seinen Schichten, in den höchsten wie den niedrigsten; nur dürfen namentlich die Schilderungen aus den höchsten Kreisen das Gebiet der Geschichte nur leise berühren, nicht aber auf dasselbe übergreifen.

Eine weitere Verschiedenheit zwischen Epos und Roman liegt in der dem lehteren eigenthümlichen Darstellungsweise, und auch diese Abweichung ist in dem Wesen des Romanes begründet. Als ein umfassendes Culturbild kann der Roman so wenig die Beschreibung entbehren, wie die Erzählung; da seine Darstellungen aber auf das innere Leben und namentlich auf den geistigen Entwickelungsgang des einzelnen Menschenlebens gerichtet sind, so wird die epische Beschreibung von Gegenständen der Außenwelt häufig zur Schilderung von inneren Zuständen, Verwickelungen und Vorgängen, welche hier eine eingehendere Darlegung und tiefere Begründung erfordern, als im Epos, wo das innere Leben mehr plastisch in der äußeren Erscheinung hervortritt und die Handlungen des Helden für sich selbst sprechen oder doch nur mit schlagender Kürze motivirt werden. Dadurch wird der Roman zu einem breit angelegten, aber detaillirt ausgeführten Seelengemälde, und für ein solches ist die vollständig freie Form der Prosa eben so unerläßlich, wie für die reliefartig hervortretenden Darstellungen des Epos die rythmisch gebundene Sprache.

Aber nicht nur die Beschreibung, sondern auch das erzählende Element erleidet im Romane eine auf das Innere gerichtete Umgestaltung und erfordert damit ebenfalls eine besondere, sowohl vom Epos wie von den übrigen Arten der erzählenden Dichtung abweichende Darstellungsweise. In Epos und Erzählung treten die handelnden Personen als die Träger der erzählten Begebenheiten auf, im Roman dagegen stehen Personen und Begebenheiten als die Träger der Culturschilderung da; hier muß zur Anschauung gebracht werden, wie die Handlungen der vorgeführten Personen einerseits durch den Culturzustand, den Charakter derselben bedingt sind, andererseits aber ihr Charakter grade in ihren Handlungen sich offenbart, und wie das Zusammenstoßen verschiedener handelnder Charaktere einestheils Verwickelungen und deren Lösungen hervorruft, die als Begebenheiten erzählt werden, während anderentheils diese Begebenheiten wieder die einzelnen Charaktere in ein helleres Licht stellen und von verschiedenen Seiten beleuchten; aus dem Zusammenwirken dieser einzelnen, an die Erzählung gebundenen Charakterschilderungen entsteht aber das Gesammtbild, das Culturgemälde. Natürlich ist auch für diese Weise der Darstellung die Form der gebundenen Sprache zu enge, und die Prosa das allein Angemessene.

Das gesammte Stoffgebiet des Romans zerfällt zunächst in zwei große Kreise: die Schilderungen desselben können entweder irgend eine Epoche der Vergangenheit oder ein mehr oder weniger umfassendes Gemälde aus dem Culturleben der Gegenwart zur Darstellung bringen. Dort entsteht der historische Roman, hier der Zeitroman. Der Hauptgrundsaß für den historischen Roman, daß er große geschichtliche Thatsachen und Begebenheiten nicht zum Mittelpunkte macht, sondern sie in seine frei erfundenen oder künstlerisch umgestalteten Schilderungen nur hineinragen läßt, ist schon vorher entwickelt und begründet; im Uebrigen unterliegt er vollständig den für alle Romandichtung gültigen Geseßen der Composition und Darstellung, deren treuer Befolgung und Anwendung auf eine vielleicht weite Jahrhunderte zurückliegende Zeitepoche freilich große und nur durch die eingehendsten historischen und culturgeschichtlichen Studien zu überwindende Schwierigkeiten entgegenstehen. Der Zeitroman schildert auf dem Grunde einer in die Gegenwart verlegten und deshalb frei erfundenen oder doch frei gestalteten Erzählung das Culturleben der eignen Zeit, und ist damit ausschließlich an die allgemeinen Geseße der künstlerischen Gestaltung und Behandlung gebunden.

Diese beiden großen Gebiete der Romandichtung theilen sich aber ferner in eine Reihe von kleineren Kreisen, da die gesammte Culturentwickelung eines Jahrhunderts in dem immerhin engen Rahmen einer künstlerischen Darstellung nur äußerst selten (z. B. in den großen Romanen von Guzkow) zusammengefaßt wird, wie ja auch die umfassendsten Schöpfungen der Art in gewisser Weise schon beschränkt sind, sei es auf verschiedene Lebenskreise eines einzelnen Volkes, oder auf einzelne Culturkreise verschiedener Völker. Zunächst schließen sich diese besonderen Stoffgebiete an die hauptsächlichsten Kreise des socialen Lebens an, und geben dem Salonroman, dem bürgerlichen oder Familienroman und dem Volksroman die Entstehung; ferner aber beschränken sie die Darstellung auf noch engere Kreise, und bringen die Ritter und RäuberRomane, die Reise und See Romane, die Schäfer, Schmuggler- und Künstler - Romane nebst anderen Specialitäten hervor, die einer weiteren Erläuterung nicht bedürfen; sie Alle können sowohl in der Vergangenheit wie in der Gegenwart verlaufen.

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Eine andere Eintheilung des gesammten Romangebietes nimmt die Auffassungs- und Darstellungsweise des Dichters zum Ausgangspunkte und unterscheidet ernste und komische, sentimentale, humoristische und satirische Romane; eine leßte umfaßt nur den sogenannten Tendenzroman, welcher die künstlerische Form zum Träger von kunstwidrig lehrhaften Betrachtungen und Darlegungen macht, und nach der Tendenz dieser Auswüchse allerdings als moralischer, ästhetischer, theologischer, pädagogischer, philosophischer Roman u. f. w. unterschieden werden kann.

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