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Und Jemand lebt, der euer Meister möge sein.

Nun sollt ihr, edle Jungfrau, uns hinnen folgen an den Rhein.“
Das Nibelungenlied, überfekt von Simrod.

Das Thierepos.

§ 73. In demselben Verhältnisse, wie die Thiersage zur eigentlichen Sage, steht das Thierepos zum eigentlichen Volksepos. Es ist ein Gesammt= bild aus dem staatlichen und socialen Leben der Thierwelt, wie die Volksdichtung sich dasselbe ausgemalt hatte, entstanden aus einzelnen Thiersagen, welche von einem Mittelpunkte, z. B. den Thaten Reinekes, ausgehend, über immer weitere Kreise sich verbreiteten und endlich das gesammte Thierleben. umfaßten. Das Thierepos ist also nicht allein ein wirkliches, echtes Epos, sondern wird auch mit vollem Rechte als eine Unterart des Volksepos betrachtet.

Anterredung der Thiere.

ie Thiere sprachen eins zum andern:
„So laßt uns denn nach Hofe wandern!
Da uns der Herr zu sich entbot.
So ist's Befehl uns und Gebot.
Nun ist es aus mit Reinke's Kunst,
Da er verlor des Königs Gunst.
So viel wir kommen an der Zahl,
Wir klagen um ihn allzumal,
Denn er ist werth, der Bösewicht,
Das unbarmherzigste Gericht.

Er hat uns oft um Kinder gebracht,
Und Schaden gethan bei Tag und Nacht,
Uns weder Eier noch Junge geschont,
Was man ihm billig Alles lohnt,
Wir stehen uns bei alle zusammen,
Um ihn ganz sicher zu verdammen

Zum Lohn für seine Schändlichkeiten,
Die er uns that seit langen Zeiten.
Ja hätten wir uns eh'r besprochen,
Die Schande wäre längst gerochen
An dem verruchten bösen Diebe.
Er soll nun baumeln uns zu Liebe.
Ist er auch listig und verwogen,
So wird er doch zur Strafe gezogen.
Für alle seine Schlechtigkeit
Werd' ihm nun strenge Gerechtigkeit.
Zwar wär' es besser schon längst geschehn,
Doch nun soll er uns nicht entgehn."
So sprach der Thiere großes Heer,
Als in Schaaren kamen her
Geladen zu dem Hof als Gäste
Zu Isegrim's und Braunens Feste.

Das Fest beim König.

Jer Hof war herrlich nun bestellt.
Da fam gezogen mancher Held;
Vierfüßler waren's nicht allein,
Auch viele Vögel groß und klein,
So daß von mannigfachen Herren
Der Bär und Wolf genossen Ehren

Durch diese großen Freudenfeste.
Man freute sich auf's allerbeste,
Wie man noch nie gesehn bei Thieren.
Man tanzte fein und mit Manieren
Bei Schalmei und Trompetentlang,
Wobei man auch von Speis' und Trank

Das Best' in reicher Fülle fand. Noch immer wurden Boten gesandt, Die überall im vollen Lauf Einluden. Eilig brach man auf Und kamen an in Festespracht Zu jeder Zeit bei Tag und Nacht, Bald einzeln und in schönen Paaren, Bald auch in Haufen und in Schaaren. Nur Reineken den Bösewicht Sah man bei diesem Feste nicht. Er sann auf sein gewohntes Spiel,. Das keinem Thiere wohlgefiel. Am Hofe tönte Sang und Klang, Es floß von Speisen und von Trank. Es übten sich die Rittergeschlechter Als wackre Kämpfer, tapfre Fechter, Man tanzte, aß und trank und sang Bei Pfeifen und bei Paukenklang. Der König sah mit Wohlgefallen Zu diesen Luftbarkeiten allen. Als nun acht Tage so verflossen, Und da der König mit den Großen Bei Tafel saß und trank und aß, Trat vor ihn, wo er eben saß Bei der erhabnen Königin

Das Kaninchen mit betrübtem Sinn:
Herr König! sprach es, wollt euch erbarmen
Mit euren Großen meiner, des Armen,
Dem Reineke mit bösem Verrath
So mörderisches Böse that,
Wie's wohl noch niemals ist geschehn,
Seitdem die ganze Welt mag stehn.
Um sechs Uhr gestern früh am Morgen
Ging ich noch froh und ohne Sorgen
Vor Malepartus just vorbei.
Und Reinke saß vor'm Thore frei,
Ich sah ihn in 'nem Pilgerkleid
Und dachte um so weniger an Leid,
Und ging noch dreister auf ihn zu,
Als er in frommer, heil'ger Ruh
Schien mit den frömmsten, besten Mienen
Mit stillem Beten Gott zu dienen.
Der Weg hierher zu eurer Burg
Der führte mich auch grade durch.
Als er mich hatte wahrgenommen,
Begann er näher mir zu kommen;
Ich dacht', er wolle freundlich mich grüßen,
Doch diesen Wahn mußt' ich da büßen.

Ich hatt' ihm meinen Gruß geboten,
Da griff er mich mit seinen Pfoten
Und biß mich zwischen beiden Ohren:
Ich gab mein Haupt schon für verloren.
Die Klauen waren lang und scharf,
Womit er mich zur Erde warf,
Doch meiner Schnelligkeit sei's Dank,
Mit der ich hastig ihm entsprang
Und so aus seinen Klauen kam.
Da war er mir nicht wenig gram,
Und schrie mir nach in Einem fort,
Doch ich erwiederte kein Wort.
Ein Ohr von mir behielt er doch
Und ich im Kopf manch großes Loch.
Hier sehet selber klar genug
Die Löcher, die er mir da schlug.
Mit Müh' entging ich nur dem Tod.
O Herr, erbarmt euch meiner Noth!
Er brach an mir den festen Frieden,
Den euer Majestät beschieden.
Bedenkt, wer kann da sicher reisen,
Wenn Reinke sich darf so beweisen? “
So sprach's Kaninchen voller Gram,
Als Merkenau die Krähe kam
Und zu dem König kläglich sprach:
„O König höret diese Schmach!

O Gott, vor Angst kann ich kaum sprechen!
Mir ist, als wollte 's Herz mir brechen.
O Jammer, Noth und Angst und Graus!
Nun hört! Ich ging heut Morgen aus
Mit Scharfenebbe, meiner Frau.
Da lag der Reinke ganz genau
Als wie ein Todter auf der Haide,
Verkehrt die Augen alle beide;
Die Zunge hing ihm aus dem Munde
Ganz so wie einem todten Hunde,
Und weit stand ihm der Mund auch offen.
Da rief ich änstlich und betroffen:
„Ach, er ist todt! o wehe! ach!"
Worauf er nur noch stiller lag.
Wir hielten ihn für mausetodt
Und hatten unsre große Noth,
Denn beide hatten wir Erbarmen
Mit diesem hingeschiednen Armen.
Wir klagten mehr, als man wohl glaubt.
Als ich befühlte Bauch und Haupt,
Umkreis'te meine Frau das Kinn,
Ob noch vom Athem was darin

Zu spüren wäre, doch vergebens!
Man merkte keine Spur des Lebens;
Er lag so todt als wie ein Stein,
Das lehrte uns der Augenschein.
Als sie in Sorgen vor ihm stund,
Mit ihrem Kopf vor seinem Mund,
Da merkt' es wohl der Todte gut
Und packte sie, daß ihr das Blut
Sprang aus dem abgerißnen Haupt,
Ach ich erschrak, wie ihr kaum glaubt
Und schrie laut: „O helfet ihr!"“
Da schnappt' er springend auch nach mir,
Doch ich entfloh in meiner Noth,
Sonst läg' ich auch da, bleich und todt.
Ein Glück, daß ich noch schnell entkam
Und Zuflucht auf 'nem Baume nahm.
Ich sahe zu, wie er da saß

Und nun mein liebes Weibchen fraß.
So gierig sah ich ihn da effen,
Daß er wohl Zwei noch hätt' gefressen.

Ach Gott, wie traurig nahm ich wahr,
Wie er sie fraß mit Haut und Haar!
Er lief dann wieder seiner Straßen
Und hatte Nichts mir übrig gelaffen,
Doch flog ich zu der Stelle nieder
Und fand noch einiges Gefieder
Von meiner lieben, todten Frau.
Ich sammelte sie ganz genau
Zum Zeugniß hier vor euer Gnaden
Von meinem ungeheuren Schaden.
Erbarmt euch gnädig meiner Qual!
Verschont ihr ihn auch dieses Mal
Und übt nicht in der Frevelsache
Am Mörder die gestrengste Rache,
Daß eu'r Geleite ward gebrochen,
So wird euch Uebles nachgesprochen.
Man sagt: Wer nicht bestraft die That,
Daß er auch Schuld und Unrecht hat.
Ein Jeder will dann Herrscher sein;
Das greift in eure Rechte ein."

"

Des Königs Bescheid auf die Klagen.

Is Nobel nun der Beiden Klage, Kaninchens Seufzer, der Krähe Plage Vernommen hatte bis zum Schluß, So faßt' ihn grimmiger Verdruß. Er sprach: Bei meiner Treu' und Liebe, Ich will mich an dem Mörder, Diebe So fürchterlich und strenge rächen, Daß drüber soll die Nachwelt sprechen! Mein streng Geleit und mein Gebot So zu verhöhnen! Mein Kopf war todt, Daß ich den Schuft und Bösewicht So leicht befreite vom Halsgericht, Mich ließ durch seine argen Lügen So schimpflich und so leicht betrügen, Und mit so übereilter Weise Ausstattete zur Pilgerreise.

Wie ging er mir so um den Bart!
Und auch mein gutes Weib, wie ward
Sie überredet, daß ich Mann
Durch Weiberrath den Schimpf gewann!
Wiewohl ich bin es nicht allein,
Der Neue fühlt und Qual und Pein,
Auf Weiberrath gehört zu haben.
Sie sind dazu von wenig Gaben.
Wenn wir den Reinke nun nicht zähmen,
So muß ich mich nun wahrlich schämen,
Der uns so lange schon betrog,
Seit Jahren schon, jezt immer noch.
Ihr Herren, machet euch bereit,
Daß wir ihn kriegen, 's ist nun Zeit.
Gehn wir nun ernstlich endlich dran,
Daß er uns nicht mehr entwischen kann.“
Reineke Fuchs, Buch II.

Das Kunstepos.

§ 74. Die übrigen Formen des Epos werden unter dem Namen des Kunstepos zusammen gefaßt, welches man im Gegensaße zum eigentlichen oder Volks - Epos auch Epopöe genannt hat. Das Kunstepos steht dem Volfsepos in so fern gegenüber, als es aus der Nachahmung desselben entstanden ist, indem es zunächst möglichst strenge den Grundbedingungen des Volksepos folgte, allmählich aber von ihnen sich mehr und mehr frei machte und sie zulet völlig unberücksichtigt ließ.

Das romantische Epos.

§ 75. In ähnlicher Weise, wie im classischen Alterthume aus der Nachahmung des griechischen Volksepos eine besondere Dichtungsart hervorging, welche die ersterbende oder bereits erstorbene Mythendichtung und Sagentradition zum Gegenstande hatte, entwickelte sich im Mittelalter aus der Nachbildung des deutschen Nationalepos eine besondere Art des Kunstepos, welche theils in der Volkstradition nicht mehr lebendige heimische Sagenkreise, theils und hauptsächlich aber fremde Sagenstoffe, und zwar die bei uns gleichfalls als abge= storben geltenden Sagenkreise der romanischen oder romantischen Völker behandelte und welche daher den Namen 'romanisches Epos' erhalten hat. In diesem Punkte liegt der Kern des Unterschiedes zwischen Volksepos und romantischem Epos, alle übrigen Verschiedenheiten sind in ihm begründet, namentlich auch die Verschiedenheit der Darstellungsweise, welche im Volksepos an die lebendige Tradition gebunden war, im romantischen Epos und allen übrigen Arten des Kunstepos dagegen durchaus von der Subjectivität des Dichters abhängt; und in dieser Beziehung unterscheiden sich die Dichtungen der Neuzeit, wie Wielands Oberon, weder von Ariosts rasendem Roland, noch von Wolframs Parcival oder Gottfrieds Tristan und Isolde. Der später dem Romantischen untergelegte Begriff steht dem ursprünglichen Gebrauche des Ausdruckes durchaus fern.

ines Morgens kam Herr Gawan
Geritten auf einem grünen Plan:
Einen Schild mit lichtem Glanze
Sah er durchbohrt von einer Lanze,
Und ein Pferd, das Frauenreitzeug trug;
Zaum und Sattel reich genug.
Gebunden zu dem Schilde
War das Roß an eine Linde.

Da dacht er: „Wer dies Weib wohl ist,
Die solcher Kühnheit sich vermißt,
Daß ein Schildesrand ihr frommt?
Wenn sie mit mir zu streiten kommt,
Wie soll ich da mich schützen?
Mir möcht ein Fußkampf nügen.
Will sie mit mir ringen,
Sie mag zu Falle mich bringen.

Auf einen Fußkampf will ich sinnen,
Ob es mir Haß bringt oder Minnen.
Und wenn es Frau Kamille wär,
Die mit ritterlicher Wehr
Vor Laurentum Preis erstritt,
Wär sie stark, wie Die dort ritt,
Ich versucht es doch mit ihr,
Böte sie mir Kampf allhier.“

Der Schild war auch zerhauen:
Gawan begann ihn zu beschauen,
Als er näher kam geritten.

Der Tjoste Fenster war geschnitten
Mit den Lanzeneisen weit.
Also malet sie der Streit;

Den Schildrern würd es nicht vergolten,
Die sie also malen wollten.
Hinter der Linde breitem Stamm
Saß eine Frau, an Freuden lahm,
Auf dem grünenden Klee.
Der that groß Herzeleid so weh,
Keinem Troste gab sie Raum.
Gawan ritt zu ihr um den Baum:
Da lag ein Ritter ihr im Schooß,
Um den ihr Jammer war so groß.

Er grüßte fie gar minniglich, Da dankte sie und neigte sich. Heiser war ihre Stimme,

Harsch von des Schmerzens Grimme.
Vom Rosse sprang Herr Gawan:
Dem durchstochenen Mann
Lief das Blut in den Leib.
Gawan frug des Ritters Weib,
Ob der Ritter lebe,

Ob er schon im Tode schwebe?

Da sprach sie: „Herr, er lebt wohl noch ;
Unlange, dünkt mich, währts jedoch.
Mir zum Troste sandt euch Gott:
Nun rathet treulich, sonder Spott;
Ihr habt solch Leid schon mehr gesehn.
Laßt die Wohlthat mir geschehn,
Daß ich eure Hülfe schaue.“
„Gerne," sprach er, „Fraue.

„Diesem Ritter spart. ich Sterben, Ich möcht ihm Heilung wohl erwerben, Hätt ich cine Röhre;

Sehen und hören

Möchtet ihr ihn noch gefund.
Er ist nicht so gefährlich wund,
Das Blut ist seines Herzens Last."
Da riß er von dem Lindenast
Ein Zweiglein nieder wie ein Rohr
(Er war der Heilkunst nicht ein Thor),
Und schobs dem Wunden in den Leib.
Zu saugen bat er dann das Weib,
Bis ihr das Blut entgegen floß
Und dem Ritter neue Stärke sproß,
Ihm auch die Sprache wieder ward.
Als er Gawanens Gegenwart
Bemerkte, dankt' er sehr dem Degen,
Und sprach, es brächt ihm Gottes Segen,
Daß er ihn schied von Unkraft.
Er frug, ob er um Ritterschaft
Gekommen wär gen Logrois?

„Ich kam auch fern von Punturtois
Hier Aventüre zu erjagen.
Nun muß ich's immerdar beklagen,
Daß ich so nah geritten bin.

Ihr sollts auch meiden, habt ihr Sinn." u. s. w. Wolfram von Eschenbach, Parcival,. übers. von Simrod.

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Von der Waffenprobe.

Is Wieland erwachte, da schien der lichte Tag,
In Sorgen noch der Degen eine Weile lag

Des Doppeltraums gedenkend der wohl bedeutend war:

„Bin ich denn hier bei Feinden, droht meinem Leben Gefahr?

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