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Da jah am Grund er einen Drachen
Aufgähnen mit gesperrten Rachen,
Der drunten ihn verschlingen wollte,
Wenn er hinunter fallen sollte.
So schwebend in der Beiden Mitte
Da sah der Arme noch das Dritte.
Wo in die Mauerspalte ging
Des Sträuchleins Wurzel, dran er hing,
Da sah er still ein Mäujepaar,
Schwarz eine, weiß die andre war.
Er sah die schwarze mit der weißen
Abwechselnd an der Wurzel beißen.
Sie nagten, zausten, gruben, wühlten,
Die Erd' ab von der Wurzel spülten;
Und wie sie rieselnd niederrann,
Der Drach' im Grund' aufblickte dann,
Zu sehn, wie bald mit seiner Bürde
Der Strauch entwurzelt fallen würde.
Der Mann in Angst und Furcht und Noth,
Umstellt, umlagert und umdroht,
Im Stand des jammerhaften Schwebens,
Sah sich nach Rettung um vergebens.
Und da er also um sich blickte,
Sah er ein Zweiglein, welches nicte
Vom Brombeerstrauch mit weißen Beeren.
Da konnt' er doch der Luft nicht wehren,
Er sah nicht des Kameeles Wuth
Und nicht den Drachen in der Fluth
Und nicht der Mäuse Tückespiel,
Als ihm die Beer' ins Auge fiel.
Er ließ das Thier von oben rauschen
Und unter sich den Drachen lauschen
Und neben sich die Mäuse nagen,
Griff nach den Beerlein mit Behagen.

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Es ist der Drach' im Brunnengrund
Des Todes aufgesperrter Schlund;
Und das Kameel, das ohen droht,
Es ist des Lebens Angst und Noth.
Du bist's, der zwischen Tod und Leben
Am grünen Strauch der Welt muß schwe-
ben.

Die Beiden, so die Wurzel nagen,
Dich sammt den Zweigen, die dich tra-

gen,
Zu liefern in des Todes Macht,
Die Mäuse heißen Tag und Nacht.
Es nagt die schwarze wohl verborgen
Vom Abend heimlich bis zum Morgen,
Es nagt vom Morgen bis zum Abend
Die weiße, Wurzel untergrabend.
Und zwischen diesem Graus und Wust
Lockt dich die Beere Sinnenlust,
Daß du Kameel, die Lebensnoth,
Daß du im Grund den Drachen Tod,
Daß du die Mäuse Tag und Nacht
Bergisfest und auf Nichts hast Acht,
Als daß du recht viel Beerlein haschest,
Aus Grabes Brunnenrizen naschest.

Die Paramyihie.

Rüdert.

§ 70. Die Paramythie ist nichts, als die moderne Nachahmung der alten Mythentradition, welche mit bewußter Absicht einen symbolischen Charakter angenommen hat und dadurch als eine Abart der Parabel erscheint.

Der sterbende Schwan.

Muß ich denn allein stumm und gesanglos sein?" sprach seufzend der stille Schwan zu sich selbst, und badete sich im Abglanz der schönsten Abendröthe, „beinahe ich allein im Reiche der gefiederten Schaaren? Zwar der schnatternden Gans, der gluckenden

Henne und dem krächzenden Pfau beneide ich ihre Stimme nicht; aber dir, o sanfte Philomele, beneide ich sie, wenn ich, wie festgehalten durch dieselbe, langsamer meine Wellen ziehe und mich im Abglanz des Himmels trunken verweile. Wie wollte ich dich fingen, goldne Abendsonne! dein schönes Licht und meine Seligkeit singen, mich in den Spiegel deines Rosen - Antliges niedertauchen und sterben!"

ihr den Ton der Unsterblichen Aufgelöset und ergossen sang besang er die schöne Sonne, Sanft, wie seine Gestalt, war

Still entzückt tauchte der Schwan nieder, und kaum hob er sich aus den Wellen wieder empor, als eine leuchtende Gestalt, die am Ufer stand, ihn zu sich lockte. Es war der Gott der Abend- und Morgensonne, der schöne Phöbus. „Holdes, liebliches Wesen," sprach er, „die Bitte ist dir gewährt, die du so oft in deiner verschwiegenen Brust nährtest, und die dir nicht eher gewährt werden konnte." Kaum hatte er das Wort gesagt, so berührte er den Schwan mit seiner Leier und stimmte auf an. Entzückend durchdrang der Ton den Vogel Apollo's. er in die Saiten des Gottes der Schönheit, dankbar froh den glänzenden See und sein unschuldiges, seliges Leben. das harmonische Lied; lange Wellen zog er daher in süßen, entschlummernden Tönen, bis er sich in Elysium wiederfand, am Fuße des Apollo in seiner wahren, himmlischen Schönheit. Der Gesang, der ihm im Leben versagt war, war sein Schwanengesang geworden, der sanft seine Glieder auflösen mußte; denn er hatte den Ton der Unsterblichen gehört und das Antlig eines Gottes gesehen. Dankbar schmiegte er sich an den Fuß Apollo's und horchte seinen göttlichen Tönen, als eben auch sein treues Weib ankam, die sich in süßem Gesange ihm nach zu Tode geklaget. Die Göttin der Unschuld nahm Beide zu ihren Lieblingen an: das schöne Gespann ihres Muschelwagens, wenn sie im See der Jugend badet.

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Gedulde dich, stilles, hoffendes Herz! Was dir im Leben versagt ist, weil du es nicht ertragen könntest, giebt dir der Augenblick des Todes.

Herder.

In den parabelartigen Dichtungen tritt die Erzählung immer mehr zurück und löst sich zuletzt in ihre Elemente auf, in einzelne Bilder und Vergleichungen, die wie die verwandten Sprachfiguren nicht nur als Bestandtheile größerer Dichtungen auftreten, sondern sich eben so wohl zu selbstständigen Compositionen erweitern. Solche sinnbildliche Gedichte aber gehen entweder unmittelbar zur Beschreibung über oder gehören ohne Weiteres der lyrischen Form der Gedankendichtung an.

Den Gärtnern.

[ch zog eine Winde am Zaune;
Und was sich nicht wollte winden
Von Ranken nach meiner Laune,
Begann ich dann anzubinden,
Und dachte, für meine Mühen
Sollt' es nun röthlich blühen.

Doch bald hab' ich gefunden,
Daß ich umsonst mich mühte:
Nicht, was ich angebunden,
War, was am schönsten blühte,
Sondern was ich ließ ranken
Nach seinen eignen Gedanken.

Rückert.

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§ 71. Der im Vorhergehenden betrachtete Kreis der epischen Dichtungsarten wird von dem Epos und dessen Nebenformen und Abarten mehr oder weniger vollständig zu einem großen Ganzen zusammengefaßt, wie das schon äußerlich darin hervortritt, daß die ganze Gattung der epischen Poesie dieser umfassenden Kunstform den Namen verdankt. Das Epos faßt zunächst die beiden Haupttheile der Epik, die Beschreibung und die Erzählung zusammen, und zwar so, daß diese beiden Elemente der epischen Dichtung nicht nur ge= sondert neben einander stehen, wie das auch in den einzelnen Arten derselben der Fall ist, sondern daß sie einander gegenseitig durchdringen zu einem Elemente höherer Ordnung, zur Schilderung, aber zur Schilderung nicht allein von Begebenheiten, wie sie die verschiedenen Arten der Erzählung bieten, sondern eben so wohl von Personen und Gegenständen, von Lebenserscheinungen und Weltverhältnissen. Damit stellt sich das Epos als ein umfassendes Zeitgemälde, als ein Culturbild dar, welches nicht nur Ausschnitte aus einem

einzelnen Menschenleben, sondern das ganze Leben, welches nicht nur kleinere oder größere Gruppen von Menschen, sondern ganze Völker und Völkergruppen in ihrer Culturentwickelung zu poetischer Darstellung bringt. Immerhin aber ist es nur ein Ausschnitt aus dem großen Weltbilde, welchen das Epos in künstlerischer Umgestaltung wiederspiegelt, und die allgemeinen Grundgeseße der künstlerischen Composition bleiben auch hier in Geltung, ja erfordern hier um so strengere Beachtung, je größer und weiter die darzustellenden Verhältnisse find. Wenn es auch keineswegs unerläßlich ist, daß der gesammte Stoff des Epos um eine einzelne Gestalt, um den Helden des Gedichtes sich gruppirt (welches in diesem Falle auch Heldengedicht genannt wird), wodurch das Festhalten der künstlerischen Einheit eine wesentliche Erleichterung erfährt, so muß doch um so strenger die Einheit der Handlung gewahrt bleiben, welche verlangt, daß auch die scheinbar fernliegendsten Beschreibungen und Erzählungen, wie die aus dem Zusammenhange des Ganzen leicht sich auslösenden Episoden, in einer nothwendigen Beziehung zu der Haupthandlung und deren Entwickelung stehen, denn aus dem lockeren Zusammenfügen einer Reihe von einzelnen Darstellungen entsteht kein Epos, sondern nur ein Cyclus von Einzeldichtungen, von Romanzen, Balladen oder anderen Erzählungsarten.

Aus diesem Zusammenfassen des beschreibenden und erzählenden Elementes im Epos ergiebt sich die Forderung einer breiteren, ausgeführteren Darstellungsweise, als sie die rein erzählenden Formen der Epik verlangen. Das Epos bewegt sich in ruhiger, ausführlicher Erzählung, und an diesem Faden entwickelt sich allmählich das Ganze; aber jede Gelegenheit zu einem Verweilen, zu einem weiteren Ausspinnen dieses Fadens wird benußt, sei es nun in der Beschreibung oder der Erzählung, als der Aufnahme eines zur Seite laufenden neuen oder vorher fallen gelassenen Fadens. Da nun sowohl diese Ruhepunkte, als auch die einzelnen Begebenheiten der Haupthandlung selbst zu einem gewissen Abschlusse gebracht werden müssen, so zerfällt die ganze Dichtung naturgemäß in größere Theile und kleinere Abschnitte, welche dem Ganzen Klarheit und Uebersichtlichkeit verleihen.

Außer jenen beiden Haupttheilen der epischen Dichtung faßt das Epos aber auch noch einen weiteren oder engeren Kreis von einzelnen Erzählungsarten in sich zusammen und darin ist die Gliederung desselben in verschiedene Formen begründet, welche eine gesonderte Betrachtung verlangen.

Das Volksepos.

§ 72. Das Volksepos oder Nationalepos beruht wesentlich auf Mythus und Sage, und zwar auf den großen Kreisen mythenhafter Sage, die nicht nur das Leben und die Thaten eines einzelnen Helden, sondern die Kämpfe

Die Dichtkunst und ihre Gattungen.

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und Schicksale eines ganzen Volkes zum Gegenstande haben, so daß dieses eigentliche Epos in demselben Sinne Volksdichtung ist, wie die einzelnen Mythen und Sagen selbst. Die Entstehung des Nationalepos hat man sich in derselben Weise vorzustellen, wie die Entstehung der Sage und deren allmählige Erweiterung zu immer größeren Sagenkreisen. An cinen Helden, in dessen Leben und Thaten sich eine entscheidende Epoche aus der Geschichte seines Volkes abspiegelt, eine Epoche, welche eingreifend genug war, um auch in der Periode der Sagenbildung noch die Nachkommen allgemein und gewaltig zu bewegen, knüpft die Tradition an; der Preis seiner Thaten wächst, die Thaten selbst werden ins Unglaubliche und Wunderbare erhoben, bis das ganze Leben des Helden sagenhaft umgestaltet ist. Je weiter die Tradition im Volke um sich greift, desto weiter wird auch der Kreis der Sagenbildung; er ergreift die Umgebung des Helden, jedes Glied dieser Umgebung wird der Mittelpunkt für einen neuen Kreis, und endlich wird auch die weitere Umgebung, das Heer, das ganze Volk, dessen Land, dessen Sitte und Gebrauch in diese Kreise hineingezogen. Eine so mächtig zur Sagenbildung treibende Epoche kann auf dem Gebiete des weltlichen Volkslebens nur ein Kampf, und zwar ein Nationalkampf sein; die Existenz der Nation, der Sieg oder Untergang des ganzen Volkes ist die eigentliche Triebkraft dieser Sagenbildung: deshalb wird auch der Feind hineingezogen, und auf der Seite des Feindes findet die Tradition ein neues Feld für ihre Thätigkeit. Etwas Aehnliches ist auf weltlichem Gebiete ganz undenkbar; eine in gleicher Weise bewegende Kraft ist nur auf dem Gebiete des religiösen Volkslebens möglich, und wir finden wirklich durchaus analoge Bildungen in der heidnischen Mythologie, in beschränkterer Weise sogar in den christlichen Mythen und Legenden. Ebenso, wie die Dichtkunst nun der mythologischen Göttergestalten sich bemächtigte, muß sie auch die weltlichen Sagenstoffe verarbeitet haben; die künstlerische Gestaltung ging der Sagenbildung Schritt vor Schritt nach, indem erst eine Reihe von einzelnen Sagen oder Sagengruppen dichterisch reproducirt wurde, diesen mehrere und mehrere folgten, welche dann einzelne Dichter zu größeren Dichtungen oder Rhapsodien gestalteten, bis endlich der ganze Kreis in einem großen Werke, im Nationalepos, zusammengefaßt wurde. Wie viel von diesem Werke der Volksdichtung, wie viel den früheren Dichtern, und wie viel dem leßten Bearbeiter angehört, das läßt sich natürlich nicht mehr nachweisen, wo in den meisten Fällen nicht einmal der Name des leßten Bearbeiters bekannt ist; als wesentlich muß nur festgehalten werden, daß das Epos nur dann auf die Bedeutung eines Nationalepos Anspruch erheben kann, wenn das aus dem Volke Hervorgegangene auch wieder ins Volk zurückdringt, wenn also die benutten Sagenstoffe zur Zeit ihrer künstlerischen Bearbeitung im Volksmunde noch lebendig sind; heute, wo jene Sagenkreise aufgehört haben, sich traditionell zu erhalten

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