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nothwendig für den Begriff der Dichtungsart, und abgesehen hiervon darf die Thierfabel niemals über die Wirklichkeit des Lebens hinausgehen. Wenn in fabelartige Dichtungen das Wunderbare, Uebermenschliche hineinragt, so werden fie dadurch sofort zu Märchen: daß der Tannenbaum Wünsche hat und diese ausspricht, ist der erwähnten Auffassung gemäß durchaus correct und natürlich; wenn er aber anstatt der Nadeln goldene, gläserne und grüne Blätter empfängt, so ist das wunderbar. Rückerts Gedicht 'Vom Bäumlein, das andere Blätter hat gewollt' gehört deshalb zu den Märchen, nicht zu den Fabeln. Auf der andern Seite aber liegt z. B. Freiligrath's Löwenritt' außerhalb dieses Kreises, weil ihm die Grundanschauung des Thiermärchens fehlt; dieses Gedicht ist vielmehr nur eine Schilderung aus dem wirklichen Thierleben in poetischer Auffassung und Darstellung.

Im Uebrigen schließt sich wie gesagt, Thiermärchen und Fabel durchaus an die Wirklichkeit an; der Hase kann nicht als muthig, der Löwe nicht als feige gezeichnet werden, der Fleischfresser kann sich nicht in der Kornkammer sättigen und die Schildkröte nicht fliegen, sondern jedes Thier und jedes Geschöpf muß seinem Charakter, seinen Eigenthümlichkeiten und seiner Lebensweise entsprechend auftreten, eben dieser Charakter hat ihm seine bestimmte sociale Stellung in der Thierwelt angewiesen, und lediglich durch diesen sind die Handlungen bedingt, welche in der Thiererzählung zu Begebenheiten zusammentreten. Das ist durchaus unerläßlich für das Wesen der echten Thiersage; die vorgeführten Scenen aus dem Leben und Verkehre der Thiere werden ausschließlich um ihrer selbst willen erzählt, ohne jede andere Rücksicht, am wenigsten eine didaktische oder satyrische.

Aber, wie bereits erwähnt, ist auch die durch Volksüberlieferung entstandene Thiersage von den einzelnen Dichtern frei nachgeahmt, und in dieser Nachahmung hat sich die Fabel ausgebildet. Darin ist der Grundunterschied zwischen Thiersage und Fabel zu suchen; alles Uebrige ist nur Folge davon. Die Fabel, wie sie sich in Nachbildung der Thierfage entwickelt hat, ist zum größten Theile das Product eines Verfalles, welches an poetischer Bedeutung unendlich viel tiefer steht, als sein Original, weil es nicht mehr um seiner selbst willen da ist, sondern im Dienste eines Zweckes steht, im Dienste der moralischen Belehrung. In der Thiersage stand jedes Thier als ein Individuum, als ein sogar mit Personennamen bezeichnetes Einzelwesen da, die Fabel da= gegen hat in falschem Verständnisse von dem. Wesen des Thiermärchens die Personen zu bloßen Typen hinabgedrückt, zu Typen nicht einmal von menschlichen Charakteren, sondern nur von Gattungsbegriffen, von moralischen Eigenschaften. Da tritt der Fuchs als der Repräsentant der Lift, der Esel als das Bild der Trägheit, der Löwe als das Symbol der Großmuth auf, und was diese Thiere reden und thun, dient nicht poetischen Darstellungen aus den

socialen Zuständen der Thierwelt, wie die Volksdichtung sich diese im Anschlusse an die eignen Verhältnisse ausgemalt hatte, sondern dient nur allegorisch moralischen Nuganwendungen, die alle Poesie tödten.

Auf dieser Stufe hatte die Fabel, einzelne Ausnahmen natürlich abge= rechnet, keine poetische Bedeutung mehr, sondern nur noch eine culturhistorische. Man versuchte deshalb die immerhin wichtige Kunstform neu zu beleben, und glaubte das theils auf dem Wege einer breit humoristischen Darstellung, theils durch eine epigrammatisch sinnbildliche Kürze zu erreichen, während man in der weiteren Ausführung des Sinnbildlichen auf das Gebiet des Parabolischen übergriff. Es ist dadurch auch manches Bedeutende und Schöne hervorgebracht, aber doch Nichts, was sich irgendwie mit der echten Thiersage und deren treuen Nachbildungen messen könnte.

Wie der Hahn dem König Reineke's Missethat klagt.

Als vor den König tam der Hahn,

Sah dieser ihn gar traurig an;
Zwei große Hähn' in ihrer Noth
Umgaben ihn betrübt zum Tod.
Der eine hicß Kitirirant,

Der beste Hahn im ganzen Land,
Und neben ihm kam angewandert
Der kühne, starke Hahn, hieß Kandert.
Jedweder trug ein brennend Licht.
Sie riefen um den Bösewicht,
Der ihrer Schwester Leib zerbrach,
Gar jämmerlich ihr Weh und Ach.
Man sah die Bahr' von jüngern tragen,
Die hörte man noch stärker klagen.
Und Henning sprach: „Mein gnäd’ger Herr
Und König! schaut erbarmend her
Und nehmt euch unsrer Schmerzen an,
Die Reinke Fuchs uns angethan!
Als nach der öden Winterszeit
Die Erde gewann ein neues Kleid
Von Laub und Gras und Blum' und Blüthe,
Da war's uns fröhlich zu Gemüthe.
Die vier und zwanzig Töchter und Söhne
Erfreuten sich des Lebens Schöne.
Von meinem Weib, mir wohl gewogen,
In einem Sommer all' erzogen,
Erblühten sie wohl stark und frisch
Und fanden stets gedeckten Tisch
In eines Klosterhofes Fülle,
Beschirmt von einer Mauer Hülle.

Und großer Hunde liebende Schaar
Beschützte sie vor jeder Gefahr.
Doch Reineken, dem bösen Dieb,
War unsre Sicherheit nicht lieb,
Und daß er strenge war geschieden
Von unsers Lebens heiterm Frieden.
Oft schlich er Nachts um unsre Mauer
Und stellte sich gen uns auf Lauer.
Die Hunde kriegten's taum zu wissen,
So ist er schimpflich ausgerissen;
Doch einst beim Kragen schnell gepackt
Ward er von ihnen derb gezwackt.
Er rettete das Leben nur

Und mied ein Weilchen sein Gespur.
Nun aber hört, mein gnäd'ger Herr!
Einst kam er nun als Klausner her
Und brachte mir ein Schreiben dar,
Dran euer Siegel zu sehen war,
Darin fand ich von euch beschieden
Für alle Thiere festen Frieden.

Er sprach, er sei nun Klausner geworden
Und Mitglied von 'nem strengen Orden,
Zu büßen seine Sündenschuld;

Jett heg' er gegen Jeden Huld,
Und Niemand brauch' ihn mehr zu scheu'n,
Da er gelobt mit Ehr' und Treu'n
Sich alles Fleisches zu enthalten
Und frommes Leben zu entfalten,
Und dabei wies und zeigt er mir
Die Kappe und das Scapulier,

Vom Prior noch ein Zeugniß auch
Und's härne Kleid um seinen Bauch.
Und als er ging, da segnet' er mich:
„Dem lieben Gott befehl' ich dich !
Mich ruft die Amtspflicht nun davon,
Die Sept' zu lesen und die Non',
Und noch die Vesper diesen Tag."
Er las im Gehn und stellt' uns nach.
Wir sah'n in ihm des Himmels Erben,
Indem er sann auf unser Verderben.
Ich ohne Furcht begab mich geschwind
Mit froher Kunde zu Weib und Kind,
Und Reinke wär' ein frommer Mann,
Wir könnten ohne Furcht ihm nah'n.
Wir gingen fröhlich vor die Mauer,
Doch unsre Lust war nicht von Dauer.
Er schlich aus einem Busch hervor,

Verrannt' uns schnell das Mauerthor,
Ergriff mir meinen schönsten Sohn
Und schleppt' ihn tückisch schnell davon.
Nachdem er diesen aufgezehrt,
Ist er so oft zurückgekehrt,

Daß er trok Jägern und den Hunden
Des Nachts und auch in Tagesstunden
Mir liftig raubte Kind auf Kind,
Daß ihrer nur noch fünfe find.

über unsre bittre Schmerzen!
Herr König, nehmt sie euch zu Herzen!
Die Tochter biß er gestern todt,
Die ich euch bracht' in meiner Noth.
Er hatte sie schon todt gebiffen,
Als ihm die Hunde sie entrissen.
Hier liegt fie, seht! er hat's gethan.
O nehmt euch unfres Leides an.“
Reineke Fuchs.

Die Klugheit.

urch eines Fischers List berückt,

Ward in sein Garn ein junger Hecht verstrickt.
Das Sprüchwort sagt: die Noth bricht Eisen.

Der Kriegsgefangne nagt so lang',

Bis daß es ihm zuletzt gelang,

Sich aus den Banden loszureißen.

Jest sprach er bei sich selbst: „Ei, ei,

"Ich dacht' es nicht, bei meiner Ehre, „Daß hier ein Neg verborgen wäre!

„Je nun, ich bin ja wieder frei,

„Kein Henker soll zum Zweitenmal mich kriegen.

„Doch still! Was seh' ich dort vor jenem Boot

„Im Wasser hin und wieder fliegen?

„Beim Element! Ein fetter Bissen Brot!"

Er schnappt ihn auf und läßt, dem Nete kaum entgangen, Sich nun durch eine Angel fangen.

Pfeffel.

Die

Ellengröße.

Wie Pappel spricht zum Bäumchen:

„Was machst du dich so breit

Mit den geringen Pfläumchen?

Es sagt: Ich bin erfreut: Daß ich nicht bloß ein Holz, Nicht eine leere Stange!"

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$ 69. Das Allegorische oder Sinnbildliche, welches in der neueren Fabel vielfach zur Verwendung gebracht ist, um dieser Dichtungsart einen tieferen poetischen Gehalt zu geben, hat in der Parabel eine selbstständige, und hier völlig berechtigte Ausbildung erfahren. Die Parabel ist ein Beispiel, ein Gleichniß, wie wir es schon bei der Betrachtung der Sprache als dichterischen

Darstellungsmittels kennen gelernt haben, das hier als selbstständige Kunstform auftritt, aber auch hier nichts Andres ist, als ein Bild, erläutert durch ein Gegenbild. Häufig erscheint das Gegenbild allein, und läßt das Bild nur ahnen oder leise durchschimmern, häufig sind Beide gleichmäßig ausgeführt, und häufig wird das Gegenbild zu einer förmlichen Erzählung ausgesponnen, die indessen nicht individualisiren darf, sondern durchaus allgemein gehalten sein muß, da das Beispiel etwas Allgemeingültiges an einem besonderen Falle erläutert. Die mustergültigsten Parabeln enthält das Neue Testament.

Drei Freunde.

Traue keinem Freunde, worin du ihn nicht geprüfet haft; an der Tafel des Gastmahls giebt's mehrere derselben, als an der Thür des Kerkers.

Ein Mann hatte drei Freunde; zween derselben liebte er sehr, der dritte war ihm gleichgiltig, ob dieser es gleich am redlichsten mit ihm meinte. Einst ward er vor Gericht gefordert, wo er unschuldig, aber hart verklagt war. Wer unter Euch, sprach er, will mit mir gehen und für mich zeugen? denn ich bin hart verklaget worden, und der König zürnet.

Der erste seiner Freunde entschuldigte sich sogleich, daß er nicht mit ihm gehen könne, wegen anderer Geschäfte. Der zweite begleitete ihn bis zur Thür des Richthauses; da wandte er sich und ging zurück, aus Furcht vor dem zornigen Richter. Der dritte, auf den er am wenigsten gebaut hatte, ging hinein, redete für ihn und zeugete von seiner Unschuld so freudig, daß der Richter ihn losließ und beschenkte.

Drei Freunde hat der Mensch in dieser Welt. Wie betragen sie sich in der Stunde des Todes, wenn ihn Gott vor Gericht fordert? Das Geld, sein bester Freund, verläßt ihn zuerst und gehet nicht mit ihm. Seine Verwandten und Freunde begleiten ihn bis zur Thür des Grabes, und kehren wieder in ihre Häuser. Der dritte, auf den er im Leben oft am meisten vergaß, sind seine wohlthätigen Werke. Sie allein begleiten ihn bis zum Thore des Richters; sie gehen voran, sprechen für ihn, und finden Barmherzigkeit und Gnade.

Herder.

Parabel.

Es ging ein Mann im Syrerland,

Führt' ein Kameel am Halfterband.
Das Thier mit grimmigen Geberden
Urplöglich anfing scheu zu werden.
Und that so ganz entseglich schnaufen,
Der Führer vor ihm mußt' entlaufen.
Er lief und einen Brunnen sah
Von ungefähr am Wege da.

Das Thier hört' er im Rücken schnauben,
Das mußt ihm die Besinnung rauben.

Er in den Schacht des Brunnens kroch,
Er stürzte nicht, er schwebte noch.
Gewachsen war ein Brombeerstrauch
Aus des geborstnen Brunnens Bauch;
Daran der Mann sich fest that klammern
Und seinen Zustand drauf bejammern.
Er blickte in die Höh' und fah
Dort das Kameelhaupt furchtbar nah,
Das ihn wollt' oben fassen wieder.
Dann blickt er in den Brunnen nieder;

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