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Menschenscheu und verwildert in Felsenhöhlen gebannt hat,
Wo ihr Sibyllen - Ton, leis' überredend, verhallt.
Ahnend deutet' ich mir die begeisternde Seele des Weltalls,
Tief in der heil'gen Sanskrit Göttergeschichten verwebt.
Ernster betrachtend folgt' ich dem Leichenzug des Braminen,
Der zum Wandel den Geist haucht in den Schooß der Natur.
Manchmal flochten mir wohl anmuthigen Tanz Bajaderen,

Nicht von der Ziererei modischer Schönen entstellt.
So verdrängt' ich die Zeit; es kamen trübere Tage.

Nur in der Freundschaft Arm' fühlt' ich, so fern! mich daheim; Und mir starben die Freunde dahin; geblendet vom Wahnsinn Zückte wider sein Haupt einer den tödtenden Strahl. Mir auch tobte gewaltig die glühende Sonn' in den Adern, Wölkt' im verworr'nen Gehirn oft melancholischen Dunst. Uebel des Leibes, sie geh'n, die heftigsten, über und spurlos; Welchem die Ehr' erkrankt, nimmer geneset sie dem!

Endlich erschien der Tag rechtfertigend, wo ich den Ausspruch
Richtender Krieger, gelöst jedes Verdachtes, empfing.
Ö'nügen konnt' ich nun erst dem Gesetz der befehdeten Ehre:
Längst erlittene Schmach rächte geübt mir die Hand,
War's mir doch, als wollte beinah' noch Freude sich regen,
Träume des Glücks noch bau'n weit in das Leben hinaus.
Aber es war umsonst: die früh entkräfteten Glieder,

Mehr das gebrochene Herz, neigten sich still in die Gruft,
Hat kein segnender Vater an meinem Lager gebetet,

Keine Mutter zur Ruh' sanft mir die Augen gedrückt:
Oso schied ich doch nicht von Allen verkannt und verlassen,
Redlicher Freunde Gespräch heiterte Stunden mir noch.
Jenseit wandelt' ich schon, wie lang! am stygischen Ufer,

Eh' ihr Liebenden dort traurig die Kunde vernahmt.
Nicht wehklag' ich, o Bruder, die irdische Lust und die Jugend,
Mein unrühmlich Geschick und die verschwendete Kraft.
So ergießt sich der Strom aufsprudelnd aus kühlem Geklüfte,
Namenlos, gehemmt bald in dem freudigen Lauf.

Auen hätt' er getränkt, er hätte Masten getragen,

Schlürft' ihn tückisch der Sand dorrender Wüste nicht ein. Andere Zeiten wälzen sich um; zwar wechseln sie uns nicht,

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Doch in den Orkus auch dringt die Gefchichte des Tags. Schaudernd erfuhr ich es drunten: die Welt will neu sich gestalten, Aber in's Chaos erst droht sie verderblichen Fall. Alte, geheiligte Sitt' und Gesetz, und erträumte Verbess'rung Kämpfen auf Leben und Tod unter dem Menschengeschlecht. Zahllos kommen die Opfer herab des berauschenden Irrwahns, In der Parteiung Krieg blöde, wie Heerden, gedrängt, Während tyrannische Geißel sie züchtigte, troßend auf Freiheit, Wie sie des Niedrigen Haß gegen das Hohe genannt.

Andere drängen sich nach mit wilden entflammten Geberden,
Welche der Bürgerwuth blutige Beile gerafft.
Alle vermengt sie die Nacht: die unerklärbare Mauer

Eh'rner Verhängnisse läßt keinen in's Leben zurück.

Doch wer schaffend und wirkend sein Dasein droben bewährt hat,
Weidet an Träumen sich noch rüstig verwendeter Kraft.
Drum verzeih', o Bruder! den klagenden Laut von der Gruft her,
Der kalt athmend sich dir hat um den Busen gelegt.

Bring' dem verbrüderten Geist ein Todtenopfer von Thränen
Und von Gesang; und so lebe denn, lebe mir wohl!

A. W. Schlegel.

Die Gnome.

§ 53. Die Gnome ist ein mit schlagender Kürze ausgesprochener einzelner Gedanke ethischen Inhalts von allgemeiner Geltung, also eine Sentenz oder ein Spruch, der, wenn er in Reimzeilen erscheint, auch Reimspruch genannt wird. Die dichterische Bedeutung solcher Weisheitslehren beruht häufig allein in der poetischen Form, welche dem Gedanken Prägnanz des Ausdrucks, so wie Anschaulichkeit und Klangschönheit verleiht; aber selbst auf dieser äußersten Grenze der Dichtkunst tritt der Unterschied zwischen Poesie und versificirter Prosa noch schlagend hervor. Man vergleiche nur den echt poetischen, weil in der Fantasie gestalteten Spruch:

'Heute roth, morgen todt'

mit dem öde prosaischen Denkverse:

'Quäle nie ein Thier zum Scherz,

Denn es fühlt wie du den Schmerz!'

Das Volk spricht mit tiefem Verständnisse das zuverläßigste Urtheil über den poetischen Werth oder Unwerth seiner Sprüche: es gebraucht die poetischen kaum jemals, die unpoetischen bei jeder Gelegenheit im ironischen Sinne.

Die lieblichste Traube.

Willst du wissen, o Mann, wem deine süßeste Traube
Wohl am süßesten schmeckt? Sende dem Lechzenden sie.

Biederkeit.

Herder.

Ob du der Klügfte sei'st, daran ist wenig gelegen,
Aber der Biederste sei, sowie bei Rathe, zu Haus.

Goethe.

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Theuer ist mir der Freund; doch auch den Feind kann ich nügen:
Zeigt mir der Freund, was ich kann, lehrt mich der Feind, was ich soll.

Baterpflicht.

Ein Vater soll zu Gott an jedem Tage beten:

Herr, lehre mich dein Amt beim Kinde recht vertreten !

Friedensbedingung.

Vor Jedem steht ein Bild deß, was er werden soll,

So lang' er das nicht ist, ist nicht sein Friede voll.

Das Epigramm.

Schiller.

Rüdert.

Rüdert.

§ 54. Das Epigramm, ursprünglich eine Aufschrift oder Inschrift zur kurz bezeichnenden Erläuterung von Denkmälern oder anderen Gegenständen, soll wie die Gnome einen einzelnen Gedanken mit treffender Kürze aussprechen; der Unterschied der beiden Formen liegt hauptsächlich darin, daß der Gedanke des Epigramms nicht allgemeine Geltung und Bedeutung hat, sondern im Gegentheil an ein bestimmtes einzelnes Object geknüpft ist, so daß er als eine sinnreiche Aufschrift dieses Objectes betrachtet werden kann. Der Gegenstand

des Epigramms muß damit als allgemein bekannt vorausgesett, oder durch das Sinngedicht selbst allgemein bekannt gemacht werden. Das Lehtere kann entweder in einer kurzen Ueberschrift geschehen, oder aber (mit oder ohne bezeichnende Ueberschrift) im Texte des Epigramms selbst, und zwar naturgemäß im Anfange desselben. Da diese lette Form weitaus die gebräuchlichste ist, so hat man auch hier die einzelne Art mit der ganzen Gattung verwechselt, und das Wesen des Epigramms in einer Gliederung seines Gedankeninhalts in zwei Theile gesucht, von denen der erste einen allgemeinen Sag aufstellt, während der zweite eine besondere Erscheinungsform dieses Sages ausspricht, was offenbar nur die erwähnte Unterart des Epigramms charakterisirt. Die Gliederung des Stoffes in Saß und Gegensat legt selbstverständlich die Verwendung derselben für die geistreichen Spiele des Wißes nahe, welche den Gegensatz im Contraste zum Hauptsaße erscheinen lassen und statt der erwarteten besonderen Anwendung des anfangs ausgesprochenen allgemeinen Sages, durch das in der Mehrdeutigkeit einzelner Wörter begründete Wortspiel oder durch ein entsprechendes Spielen mit ganzen Säßen, ein durchaus Fremdes und daher Ueberraschendes bringen.

Der zweigliedrigen Gedankenentwickelung entspricht vollständig das Distichon, und dieses Metrum wird daher vorzugsweise, keineswegs jedoch ausschließlich, für das Epigramm verwendet.

Epigramme.

Bloß Aufschriften ja find Epigramme; die Treue der Wahrheit
Aber verleiht oftmals kleinen Gesängen Gehalt.

Artheil.

v. Platen.

Auf das empfindsame Volk hab' ich nie was gehalten; es werden,
Kommt die Gelegenheit nur, schlechte Gesellen daraus.

Die alternden Dichter.

Schnell wird ein Dichter alt, dann hat er ausgesungen;
Doch manche Kritiker, die bleiben ewig Jungen.

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Den's trifft.

Im Schweiße des Angesichts aß er sein Brot
Er tanzte, schob Kegel, ritt Pferde zu todt.

Goethe.

Kästner.

Haug.

Der Minister und der Bürgermeister.

Minister:

Brav, meine Herr'n! Das nenn' ich wahre Proben
Von unterthänigster Devotion!

Mein Gnädigster wird in Person
Euch allerhuldreichst noch beloben;

Denn Weine, Speisen aller Art,
Musik, das Feuerwerk superb gerathen!
Ihr thatet Alles, was ihr schuldig war't.

Bürgermeister:

Und sind noch Alles schuldig, was wir thaten.

Ausnahme.

Nichts geht über den Wein,

Sagt mein Kellner; allein

Er geht über den Wein.

Grabschrift.

Hier modert Nitulus, jungfräulichen Gesichts,

Der durch den Tod gewann; er wurde Staub aus Nichts.

Das Räthfel.

Haug.

Haug.

Lessing.

§ 55. Auf der äußersten Grenze zwischen Poesie und Prosa steht endlich das Räthsel. Sowohl die Composition wie die Lösung des Räthsels ist wesentlich eine Sache des Verstandes, in der es darauf ankommt, die charakteristischen Merkmale des Räthselwortes aufzufinden oder zu combiniren, und die Fantasie kommt bei diesen Spielen des Scharfsinns zunächst gar nicht in Betracht. Die Darstellung des Dichters kann indessen auch das Räthsel zu einer poetischen Schöpfung erheben, indem sie die Formen des Gefühlsergusses oder der Schilderung wählt; aber je mehr dabei die Fantasie in Anspruch genommen wird, desto mehr muß die Thätigkeit des Verstandes zurückgedrängt werden, und wirklich scharfsinnige und geistreiche Combinationen lassen höchstens die Benuhung der poetischen Form und Sprache zu, theils zum äußeren Schmucke, theils um die Irrgänge des Wigspieles zu erweitern, um die Discordanz zwischen den einzelnen Merkmalen und deren Anwendung, oder zwischen Aufgabe und Lösung überhaupt zu erhöhen. Lezteres ist z. B. der Fall, wenn in der Charade

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