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Gebiete bleibt die Verbindung mit der Musik sowohl wie mit der Dichtkunst unorganisch und deshalb äußerst lose.

Außer diesen in zwei dreigliedrige Gruppen zerfallenden Künsten hat sich aus dem Bedürfnisse, die Schöpfungen derselben dem Verständnisse näher zu bringen oder überhaupt zugänglich zu machen, noch eine Reihe von Einzelkünsten zweiter Ordnung mehr oder weniger selbstständig entwickelt, die, im Gegensaße zu den ersteren, den eigentlich schaffenden Künsten, als darstellende oder ausübende Künste bezeichnet werden können. Von der Composition eines Kunstwerkes muß nämlich die Ausführung oder die äußere Darstellung desselben streng geschieden werden, so häufig auch beide Thätigkeiten in einer und derselben Hand vereinigt sein mögen. Künstlerische Composition ist die Verarbeitung des poetischen Stoffes, der künstlerischen Conception, zum Kunstwerke, zu einer Schöpfung, welche die Aufgabe, die Fantasie nach einer bestimmten Richtung hin in Thätigkeit zu sehen, durch die den einzelnen Künsten zu Gebote stehenden Darstellungsmittel in möglichst vollendeter Weise löst, oder vielmehr nur zu lösen fähig ist. Denn für das Kunstwerk an sich ist es vollkommen gleichgültig, ob es wirklich zur Aufführung oder zur Darstellung gebracht wird, es bleibt sogar völlig gleichgültig, ob die Composition nur im Geiste des schaffenden Künstlers ausgearbeitet ruht, oder ob sie äußerlich, z. B. auf dem Papiere, fixirt ist; das Wesentliche ist lediglich die Ausarbeitung selbst, deren Form einerseits durch den besonderen Stoff, andererseits aber durch das Darstellungsmittel der betreffenden Kunst bedingt wird. Das Material der einzelnen Künste ist die Sprache derselben, jede Kunst hat also ihre eigene Sprache und damit auch ihre eigene Sprachlehre, Grammatik und Syntax. Wie nun Niemand seine Gedanken richtig und klar ausdrücken kann, der seiner Sprache nicht mächtig ist, so wird auch kein Künstler im Stande sein, ohne die vollkommenste Beherrschung seiner Sprache ein wahres Kunstwerk zu liefern, aber er braucht seine Sprache nicht zu sprechen, er muß sie nur schreiben können. Jede Kunst besitzt mit der eigenen Sprache auch eine eigne Schrift, in welcher ihre Werke aufgezeichnet werden, ohne daß die wirkliche Ausführung dabei irgendwie in Betracht käme. Der Architect hat sein Kunstwerk vollendet, sobald sein Entwurf oder der Riß desselben ausgearbeitet und zu Papiere gebracht ist; die Ausführung wird Anderen überlassen. Maler und Bildhauer können ihre schöpferische Thätigkeit abschließen, sobald sie ihr Thonmodell oder ihren Karton vollendet haben, und übertragen die Ausführung ihren Schülern oder dem Erzgießer, und ebenso werden die Werke der musischen Künste nur aufgezeichnet, während die Darstellung oder der Vortrag derselben den ausübenden Künstlern überlassen bleibt. So natürlich und gewöhnlich es nun sein mag, daß der, welcher schreiben kann, das Geschriebene, und namentlich das Selbstgeschriebene nicht nur zu lesen, sondern auch vorzulesen versteht, so ist doch namentlich der

Vortrag wieder eine besondere Thätigkeit, die zu einer besonderen Fertigkeit ausgebildet werden kann; und auf dem Gebiete der Kunst, deren Schrift dem Laien oft vollkommen unverständlich oder unzugänglich ist, und deren Darstellungen häufig nicht nur verschiedene, sondern sogar große Mengen von Mitwirkenden erforderlich machen, hat sich diese ausübende Thätigkeit zu selbstständigen Künsten oder Kunsthandwerken entwickeln müssen.

Der darstellende Künstler ist in keiner Weise an seine eigenen Schöpfungen gebunden, die ausübende Kunst beschäftigt sich sogar hauptsächlich mit der Ausführung von fremden Kunstwerken; und wenn ein Künstler eigne Werke zur Darstellung bringt, so ist das nur ein zufälliges Zusammentreffen zweier durchaus verschiedenen Thätigkeiten, die durch das Ueberspringen der schriftlichen Ausarbeitung und Aufzeichnung, z. B. in der poetischen oder musikalischen Improvisation, allerdings sehr nahe an einander gedrängt werden können, ohne indessen sich irgendwie zu verbinden. Alle ausübende Kunst hat also wesentlich nur mit der Behandlung der Kunstmittel zu thun, sieht dagegen von der selbstständig poetisch schaffenden Thätigkeit völlig ab. Da aber gerade diese schöpferische Thätigkeit den Unterschied zwischen Kunst und Handwerk bestimmt, so entsteht die Frage, wie die ausübende Kunst zu dem Namen und der Bedeutung einer Kunst kommt, und diese Frage findet ihre Antwort in der Gleichartigkeit der productiven und der receptiven oder reproductiven Thätigkeit der Fantasie. Der ausübende Künstler verhält sich zu dem darzustellenden Kunstwerke vollkommen receptiv, völlig so, wie jeder andere Leser, Hörer oder Zuschauer; er muß dasselbe auf sich wirken lassen, dadurch in sich aufnehmen, um es wiedergeben zu können. Das aber heißt nichts Anderes, als es in allen seinen Theilen vollständig nachbilden oder reproduciren; die Fantasie des darstellenden Künstlers muß also genau dieselben Thätigkeiten durchmachen, welche zur Schöpfung des Kunstwerkes geführt haben, und wenn er diese Reproduction zu einer wirklichen Wiedergabe des Kunstwerkes erweitert, so steht er seinem Publikum als schaffender Künstler gegenüber, der nun seinerseits die Fantasie des Publikums zu der ihn bewegenden poetischen Thätigkeit treibt. Das ist die Bedeutung der ausübenden Kunst, und das ist, nebenbei gesagt, auch die Bedeutung des Dilettantismus im edlen Sinne, weil die Uebung in der Wiedergabe von Kunstwerken durch das nothwendig damit verbundene tiefere Eingehen in dieselben die Empfänglichkeit und das Verständniß für Kunst und Poesie wesentlich fördert.

Auch die ausübende Kunst also wird zur Kunst lediglich durch die in ihr entfaltete poetische Thätigkeit, und je bedeutender diese ist, desto selbststän= diger muß sich die Kunst als solche entwickeln, während die Verwendung der künstlerischen Darstellungsmittel, in welcher eine eigene poetische Thätigkeit nicht Statt findet, überall und stets Handwerk bleibt oder sich höchstens zum Kunst

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handwerk erhebt. Das wird sich am deutlichsten aus einer Betrachtung der einzelnen ausübenden Künste ergeben, die sich in ihrer Gruppirung und Gliederung selbstverständlich an die schaffende Kunst anschließen. In der Architectur hat sich die ausführende Thätigkeit nicht zur Kunst erheben können; gewöhnliche Maurer und Zimmerleute gelten noch immer als Handwerker, weil ihre Bearbeitung des Materials nicht auf einem Verständnisse des Kunstwerkes beruht, und daher eine reproductiv poctische Thätigkeit gar nicht zuläßt, während Holzoder Steinarbeiter, sobald sie nur die unbedeutendste Verzierung auszuführen haben, diese als ein Kunstwerk auffassen und in der Wiedergabe desselben also schon eine gewisse künstlerische Thätigkeit entfalten müssen. Die plastische Kunst hat eine ganze Reihe von Kunsthandwerken hervorgerufen, deren Arbeiten sich zu vollgültigen Kunstwerken erheben lassen, sobald die auszuführenden Modelle mit künstlerischem Verständnisse wiedergegeben werden, wozu, wie in aller bildenden Kunst, zunächst und vor allen Dingen eine freie, selbstständige Behandlung der Technik erforderlich ist. Das bloße Abformen oder Abgießen bereits vorhandener Kunstwerke, welches nur mechanische Handgriffe verlangt, bleibt stets eine handwerksmäßige Thätigkeit, während der Erzguß und manche andere Metallarbeit durch das nachfolgende Eiseliren sich zur Kunst erhoben hat. Wie in den plastischen, so hat sich auch in den zeichnenden Künsten die ausübende Thätigkeit zunächst an der Kunst des Copirens ausgebildet, in welcher das Wesen der ausübenden Kunst zu völlig prägnanter Erscheinung gelangt; in der lekteren aber hat der Zweck der Vervielfältigung außerdem noch neue Gebiete geschaffen, unter denen namentlich die Holzschneidekunst und die Kupferstecherei zu durchaus selbstständigen Künsten sich entwickelt haben, während der gleiche Zweck auf dem Felde der Sculptur nur Handwerksmäßiges hervorrufen konnte.

In den musischen Künsten ist die ausübende Thätigkeit ohne jede Ausnahme reine Kunst, und die handwerksmäßige Betreibung derselben ist nur ein Mißbrauch. Selbst die Mimik, die am wenigsten selbstständig ausgebildete Kunst dieser Gruppe, behält noch auf ihren unteren Stufen, in Kunstreiterei und Pantomimik, den Charakter des Künstlerischen, kann aber in Verbindung mit Poesie oder Musik, als Schauspielkunst oder Tanzkunst, künstlerische Leistungen ersten Ranges hervorbringen. Man spricht allerdings von einem handwerksmäßigen Betriebe der Musik, aber das ist ein juristischer Begriff, der nur für die Gewerbegesetzgebung Bedeutung hat; der ausübende Musiker übt bis zum Paukenschläger hinab theoretisch eine rein künstlerische Thätigkeit, wenn er auch nicht überall ein wirklicher Künstler sein kann. Bei der Wiedergabe von Werken der Dichtkunst endlich kann an eine handwerksmäßige Thätigkeit gar nicht gedacht werden; sie beruht unter allen Umständen auf einer poetischen Reproduction, die allerdings häufig genug ungenügend oder gänzlich verfehlt sein mag: die niederen Stufen der ausübenden Thätigkeit werden in den

musischen Künsten nicht von den Handwerkern, sondern von den Dilettanten eingenommen, an sich gehören auch sie der Kunst, und damit der Poesie an.

§ 5. Dies ist das weite Gebiet der Kunst, welches von der Poesie beherrscht wird, oder welches die Poesie zum Ausdrucke bringt. Die bisherigen Betrachtungen haben versucht, in allgemeinen Zügen die Vorgänge darzulegen, in welchen dies geschieht, in welchen die poetische Thätigkeit jeder Richtung als Kunst zur Erscheinung gelangt, und daraus das Wesen der Poesie in ihrem ganzen Umfange zu entwickeln; es darf aber dabei nicht aus den Augen gelassen werden, daß die Poesie hier überall in ihrem weiteren, die gesammte poetische und künstlerische Thätigkeit umfassenden Sinne zu verstehen ist, während die Dichtkunst, die Poesie im engern und geläufigeren Sinne, den Gegenstand des ganzen vorliegenden Buches bildet, so daß das Wesen dieser Einzelkunst erst im Folgenden zu klarem und eingehenden Verständnisse gebracht werden kann. Da nun die erwähnten Vorgänge des poetischen Schaffens mit innerer Nothwendigkeit sich vollziehen, so entwickeln sich aus ihnen die Geseze, nach denen alle poetische und künstlerische Gestaltung vor sich gehen muß. Die nähere Nachweisung und Begründung dieser Geseze bildet den Inhalt der allgemeinen Kunstlehre oder Aesthetik, deren Aufgabe es somit ist, über Alles zu unterrichten, was zum Verständnisse der Kunst als solcher dient. Diese allgemeinen Organisationsgefeße erleiden aber in ihrer Anwendung auf die einzelnen Künste, theils durch die Beschränktheit ihres Wirkungskreises, theils durch die Verschiedenheit ihrer Darstellungsmittel mannigfache Modificationen, und dadurch hat sich für jede einzelne Kunst eine besondere Theorie oder Kunstlehre ausgebildet, welcher also die Aufgabe zufällt, die Geseße der poetischen Gestaltung auf einem besonderen Kunstgebiete durch die demselben eigenthümlichen Darstellungsmittel nachzuweisen. Die Theorie der einzelnen Künste muß demgemäß in zwei Theile zerfallen, von denen der erste die Gesetze des poetischen Schaffens in ihrer Wirkung auf die verschiedenen Richtungen des besonderen Kunstgebietes untersucht, und daraus die Gattungen und Formen der Einzelkunft ableitet, während der zweite ausschließlich der Behandlung des Darstellungsmittels, des Kunstmaterials dient und für diese die Grundsäße und Regeln aufstellt; jenes ist die ästhetische, dieses die technische Seite der Kunstlehre. Obwohl beide häufig eine gesonderte Darstellung erfahren haben, und namentlich der technischen Seite eine fast völlig selbstständige Pflege und Ausbildung zu Theil geworden ist, so läßt sich doch bei der innigen Durchdringung von Inhalt und Form in der Kunst eine scharfe Trennung derselben nicht durchführen, und ein eingehendes Verständniß von dem Wesen der einzelnen Kunst ist nur aus einer Gesammtdarstellung ihrer Theorie zu schöpfen. Ganz besonders gilt dies von der Dichtkunst, deren Technik hauptsächlich nur nach einer Seite hin, als Prosodik, Metrik

oder Verslehre, eine selbstständige Ausbildung erfahren hat, während andere, weite Gebiete ihres Wirkungskreises nur vom aesthetischen Standpunkte aus betrachtet zu werden pflegen, und es hat sich daher neben jener Verslehre noch eine, beide Seiten der Theorie umfassende Lehre der Dichtkunst entwickelt, die gewöhnlich mit dem Namen 'Poetik' bezeichnet wird; eine solche bietet auch das vorliegende Buch.

Die Formen der Dichtkunft.
I. Sprachlehre.

§ 6. Das dem griechischen Worte Poesie (notŋos, poësis) zu Grunde liegende Zeitwort bedeutet ganz allgemein: schaffen, bilden, hervorbringen. Auf die schöpferische Thätigkeit der Fantasie beschränkt, ist der Ausdruck also eine vollkommen passende Bezeichnung für diese; er hat aber noch eine weitere Beschränkung dadurch erfahren, daß er ausschließlich für die Einzelkunst gebraucht wurde, deren Darstellungsmittel das Wort, die Sprache ist, und die im Deutschen den Namen Dichtkunst trägt. Der Ausdruck Poesie bleibt indessen trotz dieser Beschränkung noch ein völlig angemessener; denn der Umfang, das Darstellungsgebiet der durch ihn bezeichneten Einzelkunst ist so weit, wie der Wirkungskreis der schöpferischen Fantasie selbst: die Dichtkunst umfaßt nicht allein die Gebiete sämmtlicher übrigen Künste, sondern noch ein Bedeutendes mehr, welches keiner andern Kunst zugänglich ist, und erleidet innerhalb dieses fast unendlichen Wirkungskreises eine Beschränkung nur durch ihr Darstellungsmittel, die Sprache, die zwar vollkommen fähig ist in der Fantasie Bilder und Gestalten, Regungen und Gefühle hervorzurufen, wie sie sonst nur die übrigen Künste zu wecken vermögen, die aber doch auf durchaus verschiedenen Wegen dazu gelangt. Alles im Vorhergehenden von der poetischen und künstlerischen Thätigkeit überhaupt Gesagte hat daher in eminenter Weise für die Dichtkunst Geltung und wird nur durch die Anwendung auf das Darstellungsmittel derselben näher bestimmt oder modificirt. Eine genauere Betrachtung der dichterischen Sprache muß also schon aus diesem Grunde allem Andern vorausgehen, ist aber doppelt nothwendig, weil die Sprache zugleich das fast ausschließlich verwendete Mittel des gesammten geistigen Verkehrs unter den Menschen bildet, und jeder einzelne Kreis dieses Verkehrs, nicht nur die Poesie, die Kunst und die Wissenschaft, sondern selbst das Handwerk und das tägliche Leben, seine besondere Sprache redet, die in Ausdruck und Form den besonderen Bedürfnissen angepaßt ist, und eben dadurch von der Ausdrucksweise aller übrigen Verkehrskreise sich wesentlich unterscheidet.

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