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tungswürdige Furien genannt hat; aber immer sind die Leidenschaften dieser starren Naturen in die großen Weltverhältnisse verflochten und beugen sich zulest willig in die Lust und Pflicht, sich den Forderungen des öffentlichen Wohles unterzuordnen. Es ist wahrlich mehr als Zufall, daß grade Cinna und Polyeucte dichterisch am vollendetsten sind; die Tragödie Einna's, welche das Königthum vorführt, wie es im sicheren Besitz der Macht die Aufstände, Verschwörungen und Verråthereien nicht mehr zu fürchten braucht, sondern sich nur um so tiefer befestigt, je huldvoller und hochherziger es vergißt und verzeiht; und die Tragödie des Polyeucte, welche mit warmer Glaubensinnigkeit die Kraft und Weihe der Kirche feiert, in welcher der neue Staat seinen Grund und seine Stüße findet. Und auch in den anderen Dramen Corneille's ist es immer der freudige Tod für das Vaterland, der Sieg der Alleinherrschaft über die sinkende republikanische Größe, der glückliche Krieg eines nach Weltmacht strebenden Reiches gegen verweichlichte oder barbarische Völker, welcher unter dem Spiegelbild der römischen Geschichte und Sage dargestellt wird. Auf Corneille folgt Racine. Er ist milder, innerlicher, weiblicher, auch in der Sprache feinfühliger und musikalischer. Das gåhrende Staatswesen hat sich inzwischen geklårt, die wilden Stürme sind beschwichtigt. Racine hat daher nicht mehr jenen begeisterten Hang nach dem öffentlichen Leben; er versenkt sich lieber in die Widersprüche und Verstrickungen des von Pflicht und Neigung, des von Ehre, Liebe und Eifersucht erregten Herzens. In den Gemüthskämpfen der Andromache, Electra und Phådra liegt seine Seele, und in den biblischen Dramen der Esther und besonders der Athalie erreicht er einen Schwung, der oft an die Erhabenheit seiner psalmodischen Vorbilder mahnt. E: ist Zeit, daß wir endlich diesen gewaltigen Dichtungen Corneille's und Racine's wieder gerecht werden. Nicht blos ihr Inhalt ist bedeutend; auch in der Form liegt gar Manches, was den weg

werfenden Ton nicht verdient, mit welchem wir Deutschen gewöhnlich von ihr sprechen. Der stete Hinblick auf die griechische und römische Tragik, durch das Beispiel der Italiener und Spanier und die Anfänge der eigenen französischen Vorgänger zur bindenden Grundlage gemacht, sichert diesen Dichtern eine so klare und scharfe Zuspihung der kämpfenden Gegensäge, eine so reine und übersichtliche Charakterzeichnung, eine so durchaus alles Nebensächliche fernhaltende Ruhe und Stetigkeit der Handlung,. daß selbst Goethe und Schiller gegen die einbrechende Verwilderung der neueren Bühne Corneille und Racine, wenn auch nicht als »Muster«, so doch als »Führer zum Besseren« empfahlen, theilweise überseßten und in Einzelnheiten sogar nachahmten. Warum also haben wir troh alledem kein volles Herz für Corneille und Racine, sondern verhalten uns nach dem ruhmreichen Vorkampfe Lessing's noch immer gegen sie ablehnend? Niemand kann über seinen Schatten springen. Hier offenbart sich und råcht sich, daß das Königthum dieser Zeit nicht blos die feste und geschlossene Staatseinheit ist, sondern als ausschließlicher Selbstzweck sich einseitig über Volk und Staat stellt. Das schreckliche »der Staat ist der König« zeigt sich als das noch schrecklichere »der König und sein Hof ist die Menschheit". Etudiez la cour, connaissez la ville", mahnt Boileau, welchen man prahlerisch den Gesetzgeber des Parnaß ge= nannt hat und welcher doch in Wahrheit nur ein sehr kleinlicher Oberceremonienmeister ist. Nicht das rein Menschliche, nicht die Tiefe der Leidenschaft, nicht das Hohe und Große ist das dichterische Ideal, sondern mehr noch das blos äußerlich Glänzende, das blos Vornehme, die Willkür und Gespreiztheit der Etikette oder, wie Schiller sich in einem Gedicht ausdrückt, des falschen Anstands prunkende Gebärde. Die französische Tragik ist wesent lich Hofkunst. Man nennt diese Kunstrichtung Klassizismus, aber es ist der Klassizismus der Unfreiheit. Daher der alberne Zwang,

daß sie ausschließlich an die Götter und Heroen gebannt ist; wie dürfte vor dem König ein tragischer Held erscheinen, dem nicht das Vorrecht der Hoffähigkeit zusteht? Daher auch die Verzerrung des an und für sich ganz richtigen Kunstgefühls nach fester Geschlossenheit der Handlung in die berüchtigten, aus Mißverståndniß der Alten entstandenen drei Einheiten; die Etikette verbietet alles Sprunghafte und Geräuschvolle. Und daher auch vor Allem jener vorwiegende Hang nach dem Rhetorischen, ganz wie die Literatur der Alexandriner und der römischen Kaiserzeit denselben rhetorischen Hang hat. Die Phantasie hat unter der Künstelei und Unnatur der sie umgebenden Außenwelt jene naturwüchsige Saftigkeit und Blüthenfülle eingebüßt, welche ihr in frischeren und ursprünglicheren Zuständen und Stimmungen eigen ist. Das Stilgefühl ist rege und ist durch die griechisch-römischen und italienischen Muster gebildet; aber Stil ohne Naturwahrheit wird leer, unnatürlich, schablonenhaft. Die Grundanlage ist das Steife und Gradlinige trockener Verständigkeit; für diesen Mangel soll dann Schönrednerei und epigrammatischer Wit entschådigen.

Mit keck zugreifender Hand enthüllt Molière die komische Kehrseite. Wir begegnen denselben Menschen, derselben Gesellschaft, deren genrebildliche Schilderung die liebenswürdigen Plaudereien der Madame de Sevigné so spannend und geschichtlich belehrend macht. Der immer wachen, feinen und schlauen Beobachtung Molières entgeht keine Lächerlichkeit und keine Verirrung, kein Stand und kein Charakter. Den anmaßlichen und geckenhaften Marquis giebt er ebenso seinem unerbittlichen Spott preis, wie den aufgeblasenen Emporkömmling, den gelehrten Blaustrumpf, den Charlatan, den Geizigen, den Menschenfeind; ja in seinem gehaltvollsten Stück, im Tartüffe, stellt er sich mit der Verfolgung der selbstsüchtigen Scheinheiligkeit so mitten in die große politische Komik, wie feit der Zeit des Aristophanes kein Lustspiel

von ähnlicher Tiefe und Tragweite auf die Bühne gekommen. Molière ist auch bei Solchen in ungeschwächtem Ansehen, welche für die französische Tragik kein Herz haben. Aber auf der höchsten Höhe komischer Dichtung steht er trohalledem nicht. Wie Corneille und Racine leidet auch er, namentlich im Charakterlustspiel, an jener verstandesmåßigen Gradlinigkeit und Begriffs= allgemeinheit, welche die Gestalten nicht als vollblütige, in die mannichfachsten Zwecke und Beziehungen verschlungene Persönlichkeiten darstellt. Mit Recht tadelt Lessing in der Dramaturgie (Lachm. Bd. 7, S. 412), daß Molière, ebenso wie Plautus, statt der Abbildung eines geizigen Mannes nur eine grillenhafte und widrige Schilderung der Leidenschaft des Geizes gegeben; und dasselbe Urtheil gilt selbst vom Tartüffe. Es ist bezeichnend, daß seine Possen, in welchen er aus der frischen Quelle ungebundenen Volkslebens schöpft, in dieser Hinsicht unendlich ursprünglicher und lebendiger sind. Und was das Schlimmste ist, Molière hat keine sichere sittliche Fährte. Wie das ganze Zeitalter, das seine tiefsten Anliegen an Thron und Altar entäußert hatte, ist auch Molière ohne festen Halt, ohne freie und wesenhafte Selbstbestimmung. Der Maßstab seiner dichterischen Gerechtigkeit liegt in der zeitweiligen Sitte, nicht in der unverrückbaren Sittlichkeit. Es beeinträchtigt die freie Heiterkeit des Genießens, wenn der Dichter im George Dandin, in der Frauenschule, in der gezwungenen Heirath und anderen Dichtungen dieser Art uns in die Freude über die årgsten Unsittlichkeiten verstricken will, ja es wirkt gradezu verleßend, daß im Misanthrope einzig Derjenige als Thor verspottet und verlacht wird, welcher mit den Wölfen zu heulen zu stolz und zu ehrlich ist.

Noch fester an den Hof gekettet war die bildende Kunst. Am deutlichsten zeigt sich dies in Versailles, in jenem glänzenden Königssit, welcher das Wesen Ludwigs XIV. mit epigrammatischer Schärfe verkörpert. Jules Hardouin Mansart hat diesen Palast erbaut. Der König hatte keine Freude am Louvre; dieser

liegt mitten in der Stadt und rings um ihn lårmt und wogt das Volk, von welchem der Selbstherrscher sich in stolzer Unnahbarkeit abtrennt. In sandiger und wasserloser Gegend errichtet der König sein Schloß; es ist, als habe er Allen eindringlich sagën wollen, daß selbst der Eigensinn der Natur fich beugen müsse vor der Uebermacht königlicher Laune. Vorn am Eingang des Schlosses die mächtige Statue des Königs, dann weite Vorhöfe, zuleht das Schloß selbst mit seiner gewaltigen Westfaçade, die das eigentliche Versailles ist. Welche gebieterische Großartigkeit der Massen! Der langhingestreckte Bau nimmt einen Raum von beinahe zweitausend Fuß ein. Das in der Mitte weit vorspringende Hauptgebäude kündigt sich sogleich als der Sik und Schauplah des königlichen Herrn an; jeder Stein predigt, daß hier die Majeståt wohnt; die beiden Seitenflügel weichen ehrerbietig bescheiden zurůdk. Treten wir in das Innere des Palastes selbst ein, in diese hohen, prächtigen, unermeßlichen Räume, so erzählen die farbenund gestaltenreichen Deckengemålde Lebrun's mit pomphafter Ruhmredigkeit von allen Großthaten, welche in den zahllosen Kriegszügen den Ruhm des Königs verherrlichten und ihn zum måchtigsten aller Könige machten. Der ganze Olymp wirft sich ihm zu Füßen; die Mythologie ist nichts als eine großartige Allegorie auf die Macht und Weisheit des Königs. Deutschland, Holland, Spanien, selbst Rom beugen demüthig ihre Kniee. Nirgends aber erscheint die Personification Frankreichs, denn Frankreich ist der König selbst, sowie auch auf den großen Schlachtenbildern nicht das Heer, sondern nur der König und an seiner Seite höchstens der große Condé erscheint, denn dem König, nicht dem Heer gehört der Ruhm. Und an das Schloß schließt sich der weite und breite Park, die große Schöpfung Lenotre's. Aus den Fenstern seines Schlosses sieht der König nur sich selbst; der Park ist so weit als der Horizont, dem Auge jede fremdartige Umgebung entrückend. Die langen, gradlinigen, sandbestreuten

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