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von den Unterschieden der äußeren Ståndegliederung abhängig zu machen. Jetzt aber, nachdem es durch die Gewohnheiten und Ueberlieferungen der französischen Tragik allgemeines Gesetz geworden, einzig Fürsten und Feldherren das Vorrecht tragischer Würde einzuräumen, jest war es allerdings eine gewaltige That, wenn der tragische Dichter wieder das Herz hatte, sich mitten hinein in das Denken und Treiben der bürgerlichen Welt zu begeben. Ein solches Trauerspiel war ein offener Bruch mit der herrschenden Denkweise. Den Meisten mußte es als eine völlig neue und unerhörte Kunstart erscheinen. In dieser Hinsicht ist es beachtenswerth, daß Lillo's Versuch in Frankreich und Deutschland noch ungleich mehr Aufsehen erregte als in England, wo die französische Kunstlehre doch verhältnißmåßig nur kurze Zeit eine ganz unbedingte Herrschaft ausgeübt hatte. Nicht die Englånder, sondern Voltaire und Diderot, Gottsched und Lessing waren es, die für diese Art der Tragik den neuen und eigenen Namen der Tragédie bourgeoise oder domestique und des bürgerlichen Trauerspiels erfanden. Lillo schreckte den französischen Klassizismus aus seiner Ruhe und sicheren Geltung auf. Ein verlorenes Land war wiedergewonnen. Es bedurfte nur der kundigen Arbeiter, um es urbar zu machen.

Weder Lillo selbst noch seine nächsten Nachfolger waren im Stande, das rustig begonnene Werk zu vollenden.

Lillo hat außer diesem seinem ersten Stück nichts geschrieben, was irgendwie auf Bedeutung Anspruch hat. Doch gehören »die unglückliche Neugier, The fatal curiosity«<, aus welcher Zacharias Werner die Fabel seines vierundzwanzigsten Februar geschöpft hat, "Marine«, die dem Shakespeare'schen Perikles nachgebildet ist, und die Umarbeitung des Arden von Feversham« noch zu derselben Gattung. Lillo's spåtere Stücke »Elmerich« und der christliche Held« schlagen den Ton der höheren Tragik an. Das dürre Moralisiren bleibt überall dasselbe.

Zunächst tritt Edward Moore auf. Auch er hat keinen besseren Erfolg. Er schrieb 1753 ein bürgerliches Trauerspiel, »der Spieler, The gamester«. Die Fabel ist, wie schon Lessing (Thl. 11, S. 343) bemerkt hat, der alten Yorkshiretragödie entnommen. Beverley, ein schwacher, leichtsinniger Mann, wird von einem böswilligen Spieler, Stuckely, um all sein Vermögen gebracht. Dieser läßt ihn sogar unter falscher Anklage in das Gefängniß werfen. Dort vergiftet sich Beverley aus Verzweiflung. Stuckely wird entlarvt. Eine reiche Erbschaft bringt Beverley's unglückliche Familie wieder zu Glück und Ehren. Fünf lange Acte hindurch hören wir Beverley, seine Gattin und seine Schwester sich in allen Tönen des entsehlichsten Jammers ergehen, und zuletzt kommt als die Moral des Ganzen die schöne Lehre zum Vorschein, »daß Mangel der Klugheit auch Mangel der Tugend sei. Was Wunder, daß dieses Stück in England selbst vorerst nicht mehr als zehn oder elf Aufführungen erlebte, obgleich Garrick in der Rolle des Stuckely (vergl. The life of D. Garrick von Thomas Davies. London 1780. Thl. 1, S. 167) die ganze Meisterschaft seines naturwahren Spiels entfaltete. In Frankreich bearbeitete es Saurin, in Deutschland Schröder zu einem Schauspiel, in welchem der reuige und bekehrte Spieler vom Untergang gerettet wird. Aber auch unter dieser Gestalt blieb das Stück verfehlt, trocken und ängstlich langweilig.

Einen anderen Weg schlägt Cumberland ein. Aber keinen glücklicheren. Seine drei berühmtesten Stücke sind »die Brúder«, von Schröder unter dem Titel »das Blatt hat sich ge= wendet« bearbeitet, »der Westindier« und »der Jude«. Es sind vortreffliche Charakterskizzen, die mit Recht die lebendigste Theilnahme fanden. Capitain Ironside in den Brüdern, bei Schröder als Capitain Hamster bezeichnet, erinnert an Smollet's Tom Bowling; der Jude Schewa ist noch heut eine Bravourrolle

guter Charakterdarsteller. Aber wir stehen hier in der zweideutigen Mittelgattung des sogenannten Schauspiels, das, weil es von Anfang an Alles auf glückliche Lösung berechnet, die kåmpfenden Gegensäte niemals zu ergreifendem Vernichtungskampf auf Tod und Leben vertiefen kann und daher nur auf die flache Alltåglichkeit leicht vorübergehender Irrungen und Mißverhältnisse gewiesen ist.

Keinem dieser Männer blieb es verborgen, daß ihre Neuerungen ein grundsählicher Kampf gegen die überkommenen Geseße der französischen Tragik seien. Lillo wendete sich nicht blos darum vom Verse zur Prosa, weil diese Prosa für die platte Natürlichkeit seiner Stücke am geeignetsten war, sondern mehr noch, weil die französische Tragik diese prosaische Sprechart verfehmt und geachtet hatte. Moore springt so auffallend wild und willkürlich mit dem jåhsten Wechsel der Scene um, daß man deutlich sieht, wie nicht die Nothwendigkeit der Handlung, sondern der Krieg gegen die drei Einheiten den leitenden Beweggrund bildet. Und Cumberland greift im Prolog zu den Brüdern die früheren Dramatiker wegen ihrer Nachahmung der Franzosen mit Bitterkeit an, und brüstet sich, in der Form nicht minder wie im Inhalt åcht englisch zu sein. Aber in die tieferen Forderungen der Kunst hatten sie doch insgesammt keine durchdringende Einsicht. Mögen sie nun, wie Lillo und Moore, auf eine wirklich tragische Haltung ausgehen, oder mögen sie, wie Cumberland, von Haus aus auf diese verzichten, es fehlt ihnen durchaus der wesenhafte tragische Hintergrund, die tiefere künstlerische Idee, der Hinblick auf die unwandelbar waltenden Weltmächte, es fehlt das große gigantische Schicksal, welches den Menschen erhebt, wenn es den Menschen zermalmt.« Sie steigen nicht hinab in die angeborenen, großen und ewigen Kampfe des menschlichen Herzens; sie haften an zufälligen Einzelngeschichten, die keinen Anspruch haben, als Spiegelbilder der

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Hettner, Literaturgeschichte. 1.

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ganzen Menschheit zu gelten. Für die Verlegenheiten und Un fålle, die uns hier vorgeführt werden, haben wir höchstens ein flüchtiges Bedauern, kein zur Seele dringendes Mitleid. Dieser Mangel ist es, den man im Sinne hat, wenn man diese Stücke verächtlich Rührstücke zu nennen pflegt. Sie rühren nur, sie erschüttern und erheben nicht; sie sind nur traurig, nicht tragisch.

Auch Diderot, der diese Kunstart mit leidenschaftlicher Begeisterung ergriff und durch sie in Frankreich selbst gegen die überkommene Tragik einen anhaltenden Kampf eröffnete, wußte in seinen Dichtungen diese unkünstlerische Schwäche nicht zu vermeiden. Auch er bleibt im blos Rührenden stecken, in der Enge und Schwüle der alltäglichsten Begegnisse.

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Lessing war es vorbehalten, die knospenden Keime vollends zur Reife zu bringen. Es ist bekannt, wie ganz unmittelbar Lessing's bürgerliche Trauerspiele aus englischen Anregungen hervorgingen. Erinnert doch Miß Sara Sampson, die aus Richardson's Clarissa geschöpft ist, schon durch den Namen an ihren englischen Ursprung! Indem er in der Hamburger Dramaturgie (Lachmann, Thl. 7, S. 62) die Aufführung dieser seiner ersten tragischen Dichtung bespricht, sagt er ganz übereinstimmend mit Lillo: Die Namen von Fürsten und Helden können einem Stücke Pomp und Majestät geben, aber zur Rührung tragen sie nichts bei. Das Unglück Derjenigen, deren Umstände den unsrigen am nächsten kommen, muß natürlicherweise am tiefsten in unsere Seele dringen.« Aber Lessing machte den bedeutenden Fortschritt, daß er in die Tiefe des Familienlebens, im Nathan ogar in die Tiefe der gewaltigsten religiösen Fragen hineingriff. Seine Dramen haben eine ideale, allgemein menschliche Unterlage. Wir stehen überall auf der reinen Höhe wahrhafter Dichtung; selbst wenn es wahr sein sollte, was Einige behaupten, daß Lessing sich noch nicht völlig von lehrhaft moralisirender Absichtlichkeit losgelöst hat.

Seitdem hat sich nie wieder ein giltiger Einwurf gegen das bürgerliche Trauerspiel erhoben, so oft auch die weichlichen Rührstücke Iffland's und Kozebue's dazu Veranlassung boten. Im Gegentheil, wir verdanken gerade dieser Gattung einen guten Theil unserer größten dramatischen Schäße. Immer wird daher dem glücklichen Wurf, den Lillo mit seinem schwachen Gedicht that, ein ehrendes Gedächtniß gesichert bleiben. Vergl. H. Hettner: Das moderne Drama. Braunschweig 1852, S. 63 82.

2.

Die Posse und das Lustspiel.

Foote. Garrick. Colman. Goldsmith. Sheridan.

Wie das bürgerliche Trauerspiel Lillo's und Moore's mit den Romanen Richardson's im engsten Zusammenhang steht, so erinnert auch das gleichzeitige Lustspiel sehr bestimmt an Fielding, Smollet und Hogarth. Und zwar hat auch hier die komische Dichtung entschieden die Oberhand.

Die Lustspieldichtung dieser Zeit ist sehr zahlreich. Das Burleske und das Feinkomische wird mit gleicher Vorliebe ausgebildet. Welcher Gattung die einzelnen Stücke aber auch angehören, immer greifen sie frisch in das volle Leben, sind packend, klar verständlich und bühnenwirksam.

Eine höchst eigenthümliche Erscheinung sind die satirischen Possen von Samuel Foote.

Foote, 1719 zu Truro in Cornwallis geboren, war ein genialer Schauspieler. Im Jahre 1747 gründete er auf dem Haymarket eine kleine Bühne und eröffnete diese mit einer von ihm selbst gedichteten Posse, die den Titel »Morgenbelustigungen,

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