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Romanen aller übrigen Völker so vortheilhaft auszeichnet, das tritt, wenn auch bereits in Fielding, so doch noch unendlich bestimmter in Smollet hervor; namentlich sind in der Schilderung des Seelebens noch alle neueren Dichter bei ihm in die Schule gegangen. Es ist leicht ersichtlich, daß die Romane Smollet's, besonders seine drei berühmtesten, Roderich Random, Peregrin Pickle und Humphry Clinker mit allen ihren Persönlichkeiten, Begebenheiten und Umstånden aus den eigenen Erlebnissen des Dichters hervorwuchsen. Die Helden fahren und irren durch alle Lånder, kommen mit allen Stånden und Charakteren in Berührung, und werden von allen großen und kleinen. Zeitereignissen bedingt und durchrüttelt. Wie nach Barthold's Ausdruck (Casañova, Thl. 2, S. 217) kein Geschichtschreiber die Geschichte des westindischen Krieges schreiben kann, ohne das dreißigste bis fünfunddreißigste Capitel des Roderich Random dafür zu benutzen, so gewinnt auch Niemand von den Sitten und Zustånden jener Zeit einen anschaulichen Begriff, der nicht Smollet's lebensvolle Gemälde wieder und wieder betrachtet. Das ist ein Lob, das eigentlich bei einem guten Roman sich ganz von selbst zu verstehen scheint, und das in Wahrheit doch nur sehr wenigen nachgesagt werden darf.

Ganz ähnlich wie Smollet ist sein ålterer Zeitgenosse Hogarth, geboren 1697, gestorben 1764. Man könnte ihn einen malenden Smollet nennen, wenn seine Zeichnungen harmloser wåren und nicht überall sogleich den Zweck der Satire offen zur Schau trügen.

Auch Hogarth bewegt sich vorzugsweise in der Schilderung des häuslichen Lebens. Nur vereinzelt, wie in dem Portråt Wilke's und in der Verspottung Frankreichs streift er in das politische Feld hinüber. Was Horace Walpole voraussah, daß man dereinst vornehmlich aus Hogarth's Bildern die lebendigsten und urkundlichsten Berichterstattungen über die damaligen

englischen Trachten, Zustände und Gewohnheiten schöpfen werde, das ist bereits eingetroffen. Mit Recht sagt Thackeray in seinen Vorlesungen über die englischen Humoristen, daß in diesen treuen. Bildern das England, wie es vor hundert Jahren war, unzerstörbar fortlebt, der Peer in seinem Gesellschaftszimmer, die Lady in ihrem Boudoir, umgeben von ausländischen Sängern und Modehåndlern; der Prediger mit seiner großen Perrücke, der Gerichtsdiener mit seinem Amtsstock. Wir sehen, wie der LordMayor sein Festmahl einnimmt, wie der Verschwender in schlech= ten Häusern trinkt, spielt und ausschweift, wie das arme Mådchen in Bridewell Hanf klopft, wie der Dieb seine Beute mit seinen Mitgesellen theilt, seinen Punsch im nächtlichen Keller trinkt und seine Laufbahn auf dem Galgen endet. Wir sehen das bewegte und bestechliche Treiben der Parlamentswahlen unter Walpole; der Haudererwagen rollt in das Wirthshaus; der Landprediger in seinen Steifftiefeln, Påfschen und Leibröckchen trottet in die Stadt, und wir denken uns, es sei der gute Adams mit seinen Predigten in der Tasche. Kurz, das ganze wunderliche Wesen und Treiben der Fielding'schen und Smollet'schen Romane steht hier leibhaftig sichtbar vor unseren Augen. Deshalb ist es auch falsch, wenn man Hogarth gewöhnlich nur als Carricatu= renmaler betrachtet. Wenn irgend Jemand, so ist es Hogarth, der den Namen eines Genre- und Sittenmalers verdient.

Jedoch steht Hogarth an künstlerischer Bedeutung Smollet und Fielding durchaus nicht gleich. Es mangelt ihm gånzlich an jener künstlerischen Unbefangenheit, die das Kunstwerk erst wirklich zum Kunstwerk macht. Er ist ausschließlich Satiriker. Seine Darstellung ist nicht die gute Laune harmloser Kritik oder liebevollen Humors, sondern nur unmuthige Bitterkeit, herbe Verstimmung, spottende Menschenverachtung. Und wollen wir auch der bedenklichen Zwittergattung der Satire die unbedingteste Anerkennung gestatten, wenn sie, wie hier, mit

dem sittlichen Ingrimm und den schneidenden Farben eines Juvenal die schwindelnden Abgründe der tiefsten Sittenverderbniß ausmalt, so beeinträchtigt sich doch Hogarth selbst fortwährend die Reinheit der satirischen Wirkung, indem er aufdringlich die schulmeisterliche Prosa seiner moralischen Pointen und Nuhanwendungen in den Vordergrund stellt. Wie in einer der berühmtesten Zeichnungen »Fleiß und Faulheit«, um mit Lichtenberg zu reden, der Faule der Welt unter großem Auflauf entsagt, und sich am Ende seiner Thaten in dem bekannten Luftbadorden zur Ruhe begiebt, in welchem nach einem sehr alten Gebrauch nicht der Ritter das Band, sondern das Band den Ritter trågt, d. h. erhångt wird, der Fleißige sich dagegen zum Lord-Mayor von London erhebt und als solcher unter dem Jubel eines glücklichen Volks seinen prachtvollen Einzug in das Mansion - Haus hålt, so enden alle seine übrigen Bilder, wie z. B. »das Leben der Dirne«, »die Fortschritte des Liederlichen«, »die Heirath nach der Mode«, »die Grade der Grausamkeit«, mit derselben faustdicken Moral. Dazu kommt noch ein sehr wesentlicher Mangel der Komposition und des Vortrags. Auch die Komposition wendet sich nicht an die Phantasie, sondern nur an den grübelnden Verstand; sie sieht einen großen Theil ihrer Wirkung in geheimen und entlegenen Beziehungen und Anspielungen; daher die vielen Erklärer Hogarth's, unter denen merkwürdigerweise ein Deutscher, der sinnige, oft aber auch gesucht spitfindige Lichtenberg, am meisten hervorragt. Und die Formen sind unschön. Hogarth, der in seiner »Gliederung der Schönheit« ganz vor= trefflich über das Schöne zu denken und zu sprechen verstand, hatte als ausübender Künstler weder Sinn für Farbe noch für Formenanmuth. Auffassung und Darstellung ist niedrig, plebejisch.

Am einsichtigsten scheint Goethe über Hogarth zu urtheilen. In den Tag und Jahresheften (Thl. 27, S. 50) nennt er die

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Theilnahme, die Deutschland diesem Künstler einst so lebhaft bezeugte, eine gemachte. Er sagt: »Wie hätte der Deutsche, in dessen einfachem, reinem Zustande sehr selten solche excentrische Fragen vorkommen, hieran sich wahrhaft vergnügen können? Nur die Tradition, die einen von seiner Nation hochgefeierten Namen auch auf dem Continente geltend gemacht hatte, nur die Seltenheit, seine wunderlichen Darstellungen vollständig zu besihen, und die Bequemlichkeit, zu Betrachtung und Bewunderung seiner Werke weder Kunstkenntniß noch höheren Sinnes zu bedürfen, sondern allein bösen Willen und Verachtung der Menschheit mitbringen zu können, erleichterte die Verbreitung ganz besonders; vorzüglich aber, daß Hogarth's Wih auch Lichtenberg's Witzeleien den Weg gebahnt hatte.«

3.

Der humoristische Roman Sterne's.

Man nennt Sterne einen Humoristen und will damit sagen, daß er seiner ganzen Art nach von Fielding und Smollet völlig verschieden sei. Es ist genau derselbe Gegensah, der uns veranlaßt, Aristophanes, Lucian, Rabelais, Cervantes und Swift Humoristen zu nennen, Menander, Posidipp, Plautus, Terenz, Moreto und Molière dagegen Komiker. Calderon und Shakespeare reihen wir bald dieser, bald jener Gruppe ein, je nachdem wir die eine oder die andere ihrer hierher gehörigen Dichtungen vornehmlich im Auge haben.

Der Grund dieses Unterschiedes liegt im Wesen des Humors selbst. Wie man auch diesen gerade neuerdings wieder so vielbesprochenen Begriff bestimmen mag, es bleibt unter allen

Umständen maßgebend, daß im Humor die reich bewegte Innerlichkeit des betrachtenden Ich eine viel wesentlichere Rolle spielt, als in der einfachen Komik. Der Komiker nimmt die Dinge, - wie sie sind, und läßt sie sich in ihrer eigenen Lust, Laune und Lächerlichkeit entwickeln; der Humorist aber seht nicht blos die Dinge, sondern weit mehr noch die Lyrik seines eigenen Gemüths in Scene. Der Humor ist innerlicher und gemüthvoller, darum aber auch unruhiger, willkürlicher und phantastischer. Nicht umsonst führt der Humor seinen Namen vom Feuchten und Flüssigen. Der Humor löst alles Feste auf; vor seiner Quecksilbernatur hat Nichts Bestand; die ganze Welt erscheint wie in einem allgemeinen bacchischen Taumel. Alle Stimmungen zittern rasch wechselnd in einander, jubelnde Lust und verzweifelnde Trauer. Wenn man den Humor gewöhnlich als ein Lächeln durch Thrånen zu bezeichnen pflegt, so soll dieser sinnige Ausdruck auf die gluthvolle Dithyrambe des Gemüths deuten, die alle Töne zugleich anschlägt, und doch dieses rastlose Auf und Ab, weil es nur das treue Echo des vieltönigen, aber in sich einigen menschlichen Herzens ist, zu der wohlthuenden Empfindung reiner und in sich befriedigter Harmonie zu zwingen weiß.

Für den Werth der humoristischen Dichtung ist daher mehr als in irgend einer anderen Kunstart die Persönlichkeit des Dichters entscheidend. Das Gemüth des Humoristen muß ein reines und liebenswürdiges Gemüth sein. Warum stehen Aristophanes und Cervantes so unendlich höher als der verbitterte Swift und der wihige, aber verwilderte Heine? Dort spricht selbst in der ungebundensten Ausgelassenheit die Lieblichkeit eines reinen Herzens, hier nur höhnende Menschenverachtung oder haltloser Leichtsinn. Der wahre Humor erhebt und erquickt uns, denn er zeigt, wie trotz aller Widersprüche und Mångel die Welt doch werth ist, geliebt und gelebt zu werden; von dem falschen Humor wenden wir uns gepeinigt ab, denn er will uns durch seinen ver

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