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Man schlägt den Werth dieses Buchs zu gring an, wenn man sein Wesen nur darein seht, daß, wie Vischer (Aesthetik Thl. 1, S. 105) sich ausdrückt, es in der Wellenlinie die Linie der individuellen Eigenartigkeit, d. h. die Berechtigung des den typischen Kanon der Gattung durchbrechenden Individualisirens, geahnt habe. Es ist durchaus zu beachten, daß das erste Capitel, die Grundlage der ganzen Entwicklung, sehr eindringlich das künstlerische Schauen und Schaffen von innen heraus hervorhebt. Hogarth weiß sehr bestimmt, daß einzig und allein die Idee, der geistige Gehalt, die wirkende Ursache der Schönheit ist, d. h. daß eine Form nur dann schön sein kann, wenn sie ihrem inneren Zweckbegriff entspricht. Diese Uebereinstimmung der Form mit der Idee nennt er die künstlerische Richtigkeit. »Diese Richtigkeit,« sagt er, »leitet und bedingt alle Massen und Verhältnisse; das Zugpferd ist in Beschaffenheit und Gestalt von dem Reiterpferd so sehr verschieden wie der Herkules von dem Mercur; seht den schönen Kopf und den zierlich gestreckten Hals eines Reitpferdes auf die Schultern eines Zugpferdes, statt seines eigenen unförmlichen Kopfes und geraden Halses, so würde es das Pferd unangenehm und häßlich machen, statt es zu verschönern, denn das Urtheil würde es als unpassend verdammen.« Und dann fährt Hogarth fort: »An dem Herkules des Glykon sind alle Theile desselben in Ansehung der sehr großen Stärke so gut eingerichtet, wie es die Zusammensehung der menschlichen Gestalt irgend zuläßt. Der Rücken, die Brust und die Schultern haben scharfe Knochen und solche Muskeln, welche sich zu der vorausgesetzten Stärke seiner oberen Theile schicken; aber da für die unteren Theile weniger Stärke erfordert ward, so verminderte der scharfsinnige Bildhauer, allen neuen Regeln, jeden Theil nach Verhältniß zu vergrößern, zuwider, herunterwärts nach den Füßen, allmålig die Größe der Muskeln, und aus eben dieser Ursache machte er den Hals im Umfange dicker als einen jeden anderen Theil des Kopfes;

sonst würde die Figur mit einer unnöthigen Last beladen sein, wodurch man ihrer Stärke und folglich auch ihrer charakteristi= schen Schönheit Abbruch gethan håtte. Diese scheinbaren Fehler, welche sowohl die große anatomische Kenntniß als auch die Urtheilskraft der Alten bekunden, findet man nicht an den bleiernen Nachahmungen davon am Hydepark. Diese saturnischen Köpfe bildeten sich ein, sie wüßten solche scheinbare Verhältnißfehler zu verbessern.«<

War mit dieser Einsicht in die Tiefe des künstlerischen Schaffens nicht für immer der akademische Eklekticismus vernichtet? Es ist daher sehr zu bedauern, daß Hogarth nicht klar und folgerichtig genug ist, um nach allen Seiten hin seinem Standpunkt getreu zu bleiben. Die Befangenheit der früheren Denkart wirkt leider noch in ihm. Oft sett er im Widerspruch mit sich selbst ganz ausschließlich die Schönheit in äußere Merkmale; und spricht dann der leersten Ornamentik das Wort.

Gleichzeitig mit diesen Bestrebungen Hogarth's fällt die griechische Kunstreise Stuart's und Revett's. Stuart, ein englischer Architekt, hatte während seines Aufenthalts in Rom sich von den römischen Bauwerken nicht befriedigt gefühlt; es war in ihm die Sehnsucht entstanden, die Reinheit des griechischen Stils an Ort und Stelle kennen zu lernen. Er bewog einen anderen englischen Architekten, Revett, ihn dorthin zu begleiten. Beide Freunde verweilten drei Jahre in Athen, 1751 bis 1754, und zeichneten und studirten dort mit emsigster Sorgfalt. Im Jahre 1762 erschien der erste Theil ihres großen Werks, »die Alterthümer von Athen, Antiquities of Athens.<< Das so lange verlorene Land reiner Kunstschönheit war wieder entdeckt. Die im Jahre 1734 gestiftete Society of Dilettanti that das Ihrige, dem glücklichen Anfang ein glückliches Ende zu geben. Fast jedes Jahr schickte sie wissenschaftliche und kunstsinnige Forscher nach Griechenland und Kleinasien, die dortigen

Alterthümer zu erforschen und auszugraben, und durch Zeichnung und Erklärung allgemein zugänglich zu machen. Die Ionian antiquities 1769 geben von diesen Untersuchungen ein herrliches Zeugniß. Mit Recht darf sich die »Gesellschaft der Dilettanten«< rühmen, für die Hebung der Künste mehr gethan zu haben, als irgend eine Regierung.

Wir treten den Verdiensten, Winckelmann's nicht zu nahe, wenn wir auch eingestehen, daß diese architektonischen Studien der Engländer zu Winckelmann's Kunstgeschichte eine sehr wesentliche Ergänzung bilden. Und wir Deutschen können dies Geståndniß um so williger ablegen, da wir die hier gebotene Erweckung und Läuterung des bauenden und bildenden Formgefühls unendlich genialer benugt haben als die Engländer selbst.

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Aus dieser Stellung erklärt sich, warum dieselben Romane Richardson's, die wir heut nur sehr selten lesen, und wenn dies einmal ausnahmsweise geschieht, doch höchst trocken, matt und langweilig finden, unseren Uråltern und Großåltern herzinnige Thränen der Rührung und Entzückung entlockten. Jenen waren sie eine Offenbarung ganz neuer, noch nie durchlebter Empfindungen ; wir aber haben inzwischen Romane gewonnen, die in derselben Grundanschauung wurzeln und doch an rein dichterischem Werth ganz unendlich höher stehen.

Unsere Vorfahren hatten Recht in ihrer unbedingten Bewunderung. Man vergißt jezt nur allzu leicht, wie gewaltig und muthvoll Richardson's That war.

Es klingt hart, aber es ist wahr, wenn Danzel in seinem Leben Lessing's (Thl. 1, S. 305) die französirende Haltung der vergangenen Literaturepoche eine arge Donquixoterie nennt. Die

kecke Selbstherrlichkeit und Abenteuerlichkeit des mittelalterlichen Ritterwesens war verschwunden; an seine Stelle war, um Danzel's Worte zu gebrauchen, das moderne Privatleben getreten, wie es auf der Grundlage bürgerlicher Ordnung und Sicherheit arm an åußeren Vorfållen, aber an innerlichen Gemüthsbeziehungen desto reicher im Schooß der Familie seinen Verlauf nimmt. Und noch immer haftete die Dichtung vorzugsweise an den Ueberlieferungen dieser vielbesungenen Ritterlichkeit; oder ist, fragt Daznel sehr treffend, die französische Tragödie Corneille's und seiner Nachfolger, sie mag sich noch so antik stellen, etwas Anderes als eine Ausgeburt altfranzösischer Romananschauung, ausstaffirt mit spanischem Hidalgothum, dem der Don Quixote ohnehin überall im Nacken siht? Die Malerei hatte schon långst durch die Holländer den Weg zur Darstellung der unmittelbarften Gegenwart gefunden, und war dabei doch durch und durch künstlerisch und voll åchter Schönheit geblieben; aber die Dichtung glaubte noch immer, wo sie rein menschliche Gefühle und Zustände schildern wollte, wenigstens in die erträumte Fabelwelt der bebånderten arkadischen Schäfer flüchten zu müssen. Nun regte sich endlich die Sehnsucht nach größerer Wahrheit. In Frankreich erhoben sich Marivaur, Novelle de la Chaussee, Destouches. Besonders lebhaft aber mußte der Widerspruch zwischen Leben und Dichtung in England empfunden werden; in England, wo das freie Bürgerthum, und mit diesem der Sinn für festes und trauliches Familienleben mehr als irgendwo an= ders erstarkt war. In despotischen Ländern hat die menschliche Natur an sich keinen Anspruch, studirt und geschildert zu werden: die niederen Volksschichten, die »Canaille«, sind mehr ein Gegenstand der Verachtung als der Wißbegierde, und einen Mittelstand giebt es nicht. In England aber war um diese Zeit Unabhängigkeit und Freimuth heimisch geworden; Jedermann hatte die Macht, seine Persönlichkeit und sein Schicksal ganz nach

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