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nicht, daß sie die beste ist; ich will gern gestehen, daß sie zuweilen recht nårrische und zuweilen sogar verächtliche Folgen hat. Aber sie ist um so viel häufiger der Grund von sehr rechtschaffenen Dingen; man muß sie daher in jeder Weise ermuthigen und anfeuern. Dieser Eitelkeit, die die Philosophen verdammen, verdanke ich einen großen Theil der Rolle, die ich in der Welt gespielt habe. Wende alle Künste der Gefallsucht an, die nur je eine Kokette anwendete; sei hurtig und unermüdlich in Allem, was Dir die Bewunderung der Männer und die Liebe der Weiber erwerben kann; dies ist der sicherste Weg, in der Welt vorwärts zu kommen.<<

Drittes Capitel.

Die Kunstwissenschaft.

1.

Die psychologische Aesthetik.

Burke. Gerard. Home.

Die Schule der englischen Moralisten brachte auch in die Kunstwissenschaft eine neue, sehr einflußreiche Wendung.

Pope und die französischen Lehrdichter waren ganz wie die Horazische Dichtkunst nur immer bemüht gewesen, den Dichtern gewisse Grundsäße und Regeln an die Hand zu geben; es handelte sich um rein technische Anweisung. Die Moralisten dagegen, mit ihrem psychologischen Spürsinn, suchten in das We

sen und den Ursprung der künstlerischen Empfindung selbst einzudringen. Es erstand eine Reihe von Forschern und Denkern, die vor Allem darnach fragten, woher die Kunst stamme und wohin sie ziele, d. h. aus welchen Empfindungen und Seelenthätigkeiten sie entspringe und welche Empfindungen sie errege. Die Kritik wurde zur Aesthetik, zur Physiologie des künstlerischen Sinnes. Die englische Wissenschaft wandelt hier selbständig und durchaus unabhängig denselben Weg, den schon etwas früher, auf Anregung der Wolff'schen Philosophie, Baumgarten und Meier in Deutschland bahnten.

In England hatten Addison, Shaftesbury und Hutcheson zu dieser neuen Kunstbetrachtung den ersten Anstoß gegeben; Addison durch einige vortreffliche Abhandlungen über das Erhabene im Spectator, Shaftesbury durch seine gefühlsinnige Hervorhebung des Platonischen Philosophirens, Hutcheson durch sein Buch über den Ursprung der Ideen des Guten und Schönen. Doch haben diese Denker nur das Verdienst, die Frage gestellt zu haben; sie lösten sie nicht. Das Schöne fållt ihnen noch fast ganz unterschiedslos zusammen mit dem Guten und Wahren. Sie fühlen zwar, daß im Genießen und Hervorbringen des Schönen ein »>innerer Sinn« thåtig sei, der über die einseitige und beschränkte Fassungskraft des Verstandes hinausreiche; aber die Entstehung und Beschaffenheit dieses inneren Sinnes ist für sie unerklärlich. Hutcheson schwankt und schwankt und weiß zuleht keinen besseren Ausweg zu finden, als daß er ihn der unmittelbaren Güte Gottes zuschreibt.

Es ist Edmund Burke, der berühmte Staatsmann, der die hier erhaltenen Anregungen weiter bildete und, so weit es sein Standpunkt erlaubte, zu festen Ergebnissen führte. Seine im Jahre 1756 erschienene Jugendschrift: »A philosophical enquiry into the Origin of our Ideas of the Sublime and the Beautiful, ist in dieser Beziehung epochemachend.

Das Wesen der künstlerischen Empfindung von allen schillernden Nebenbegriffen streng abgrenzend, ist Burke bestrebt, die verschiedenen Arten und Erscheinungsweisen derselben aus den verschiedenen Arten und Erscheinungsweisen der menschlichen Natur selbst abzuleiten. Er verfährt rein psychologisch. Nach seiner Ansicht hat das menschliche Gemüth zwei wesentlich verschiedene Grundtriebe; der eine ist der Trieb der Selbsterhaltung, der andere der Trieb nach dem Ganzen und Großen der Menschheit, der Trieb der Gesellschaft. Auf jenem, meint Burke, beruht das Gefühl des Erhabenen, auf diesem das Gefühl des Schönen. Mit Zagen und Furcht erfüllt uns, was unserer Einbildungskraft als bedrohlich erscheint, jedes ungeahnte Uebermaß von Gewalt und Größe, von zeitlicher und räumlicher Ausdehnung, von Licht, Schall und Farbe, oder, was nur die Kehrseite derselben Bedingungen ist, ungeahnte Leere und Finsterniß; es gewinnt uns und muthet uns an, was uns zu Theilnahme, Nachahmung und Wettstreit ruft, die gegenseitige Liebe der beiden Geschlechter, und sodann in der Körperwelt der Gestalten, Farben und Töne das Zarte und Milde, das Reine und Feine, das Reizvolle und doch leise Widerstrebende. Und von diesem Gesichtspunkte aus entwickelt dann Burke die einzelnen Begriffs= bestimmungen des Erhabenen und Schönen meist so scharf und erschöpfend, daß nach dieser Seite hin die spätere Wissenschaft wenig Neues hinzuzufügen gewußt hat. Bei Kant sind die Einwirkungen Burke's bis in das Einzelnste zu verfolgen.

Namentlich ist nicht genug anzuerkennen, wie eindringlich und sicher Burke hervorhebt, daß in ästhetischen Dingen immer und überall nur die reine zweck- und leidenschaftslose Beschaulichkeit walte. Die süßen Schauer der Erhabenheit scheuchen zurück, wo die Schrecken wirklicher Gefahren über uns hereinbrechen; die låuternde Weihe des Schönen entflieht, wo lüsternes Verlangen sich einschleicht. Aber die Engherzigkeit der nur auf die Ober

Hettner, Literaturgeschichte. 1.

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fläche der äußeren Sinneneindrücke gestellten Auffassungsweise überwindet auch Burke nicht. Die Darstellung ist wirr und sprunghaft; und diese Ordnungslosigkeit der Form ist nur die unumgängliche Folge von der Aeußerlichkeit seines Denkens. Burke hat keine Ahnung von dem Höheren und Geistigen, das das eigenste Lebensgeheimniß der Kunst ist. Die Gegensätze des Erhabenen und Schönen stehen ganz unvermittelt neben einander ohne tiefere bindende Einheit. Und roh sinnlich sind ihm die Ursachen des Erhabenen und Schönen, roh sinnlich ihre Wirkungen. Wie er die Eigenheiten und Beschaffenheiten des Schönen und Erhabenen nicht als durch einen inneren geistigen Gehalt bedingt und getragen, nicht als die durchsichtige Form und Erscheinung des schöpferischen Ideals darstellt, sondern immer nur als stofflich in sich selbst befriedigt, als frei und selbständig durch ihre eigene Macht und Zauberkraft zu uns sprechend, so weiß er auch nur in ausschließlich physiologischer Weise zu sagen, daß das Schöne die Nerven angenehm abspanne, das Erhabene sie belebe und steigere; ja vom Erhabenen rühmt er ausdrücklich, daß es die Gefäße von beschwerlichen und gefährlichen Verstopfungen reinige. A. W. Schlegel hat treffend bemerkt, unter diesen Umständen könne man das Erhabene in der Apotheke kaufen.

Burke's Buch erregte die lebendigste Aufmerksamkeit. Die Untersuchungen über die künstlerische Empfindung oder, wie man sich damals auszudrücken pflegte, die Untersuchungen über den Geschmack drangen in alle Kreise und wurden ein believtes Thema akademischer Preisfragen.

Am bemerkenswerthensten unter diesen neu auftauchenden Aesthetikern sind Gerard und Home.

Gerard, Professor der Moral zu Aberdeen, schrieb im Jahre 1756 eine Schrift über den Geschmack, Essay on Taste, und 1774 eine Schrift über das Genie, Essay on Genius.

Jener »innere Sinn«, den Hutcheson aufgestellt, aber nicht erklärt hatte, ist bei ihm ebenso wie bei Burke der Ausgangspunkt. Doch kommt auch er nicht über die alleräußerlichste Betrachtung hinaus. Er zerlegt den inneren Sinn in nicht weniger als sieben verschiedene Bestandtheile, in das Gefühl des Neuen, des Erhabenen, des Schönen, der Nachahmung, der Harmonie, des Lächerlichen, der Tugend. Es ist klar, daß diese Zergliederungskunst, mit Burke verglichen, nicht ein Fortschritt, sondern ein Rückschritt ist.

Aehnlich sind die Elements of Criticism, die Grundsähe der Kritik, von Henry Home Lord Kaimes. Sie erschienen 176265 zu Edinburgh in drei Bånden. Die philosophische Grundlegung ist äußerst schwach und unklar und dabei von ermüdender Breite; schon Goldsmith sagte, wie Boswell im Leben Johnson's berichtet, es sei leichter, dies Buch zu schreiben als es zu lesen. Home bezeichnet als seinen Zweck, »den empfindenden Theil der menschlichen Natur zu untersuchen und durch Erforschung der angenehmen und unangenehmen Gegenstände die åchten Grundsätze der schönen Künste zu entdecken.« Diesen Zweck glaubt er erfüllt zu haben, wenn er die menschlichen Leidenschaften, die einzelnen ästhetischen Begriffe und die rhetorischen Figuren und Kunststücke in möglichster Vollständigkeit zusammenhangslos aufzählt. Nichtsdestoweniger war dies Buch nicht blos in England, sondern vornehmlich auch unter den deutschen Popularphilosophen sehr angesehen; Johann Nikolaus Meinhard, der es übersehte, nennt es die richtigste und vollständigste Theorie der schönen Künste, die es jemals gegeben habe. Der Grund dieses Beifalls liegt darin, daß Home eine große Anzahl neuer, bis dahin unerörterter Begriffe, wie die Begriffe von Anmuth und Würde und andere dieser Art, zuerst in die Untersuchung einführte. Wenn Lessing im Laokoon den »Reiz« als die »Schönheit in Bewegung« erklärt, so erinnert er auf das Bestimmteste

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