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freie Wirksamkeit desselben die beste und kürzeste Bahn zur Verwirklichung des Gemeinwohls, und die Thätigkeit der Regierungen müsse sich zum Besten des Landes auf die Beseitigung aller Hemmnisse der Handelsfreiheit und der freien Concurrenz in den Gewerben beschränken. Indessen verlangt Smith doch nicht, wie man meist annimmt, unbedingt Handelsfreiheit, sondern erklårt in gewissen Fällen Beschränkungen derselben für angemessen; besonders wenn die Entwicklung eines einzelnen Industriezweiges für die Sicherheit des Landes unerläßlich ist; wenn die inlåndischen Erzeugnisse eines Industriezweiges mit einer Steuer belegt sind; wenn zu erwarten steht, daß durch Retorsionszölle das Ausland zur Wiederherstellung der Handelsfreiheit genöthigt werde: wenn ein bestimmter Industriezweig, durch Zölle emporgetrieben, durch eine sofortige Einführung der Handelsfreiheit aber zu Grunde gerichtet würde.«

Es ist gewiß nicht zu viel behauptet, daß, um auch hier wieder Roscher's Worte zu gebrauchen, die rasche Entfaltung der modernen Weltindustrie in ihrer kolossalen Größe und mit ihren tausendfältigen Rückwirkungen auf den Atlasschultern dieses Mannes ruht, der die gigantische Kraft ihrer Hebel, der Arbeitstheilung, der Maschinenanwendung, der freien Concurrenz im Gewerbbetrieb des Binnenmarkts und im Handelsverkehr der Weltmärkte, die magische Kraft des Capitals und die Arcana des Geldes und des Bankwesens erkennen und anwenden lehrte. Indem Smith die naturwüchsig waltenden Kräfte und Formen zu klarer und bewußter Erkenntniß emporhob, entriß er die wirthschaftlichen Verhältnisse allen gefährlichen Schwankungen und erweckte jene begeisterte Thatfreudigkeit, die nur aus der Gewißheit der inneren Ueberzeugung hervorgeht.

Trotz aller dieser gewaltigen Einwirkungen dürfen wir aber doch nicht vergessen, daß diese durch Smith begründete Anschauungsweise eine sehr bedenkliche Schranke hat.

Ueber dem Wirthschaftlichen geht das Sittliche verloren. Nur allzubald zeigten sich die düsteren Schattenseiten der unbedingten Concurrenz und der steigenden Arbeitstheilung. Der Kleine wurde vom Großen erdrückt, der Bruch zwischen Reich und Arm wurde immer klaffender: während der summarische Reichthum des Landes riesige Fortschritte machte, wuchs das Fabrikproletariat in schreckhafter Anzahl. Und ist es denn ein menschenwürdiges Dasein, wenn auf Grund der streng durchgeführten Arbeitstheilung der Arbeiter von Kindheit an nur zu cinem einzigen ununterbrochen wiederholten Geschäfte, wie z. B. zum Spitzen der Stecknadeln, abgerichtet wird und nun zuleht ganz in sich versumpft und zur todten Maschine herabsinkt?

Hier in Adam Smith tritt die einseitig verständige Richtung des achtzehnten Jahrhunderts in furchtbarer Thatsächlichkeit zu Tage. Der Mensch gilt nur, so weit er núßlich ist; der Mensch ist nur eine wirthschaftliche Kraft, nicht ein in sich selbst berechtigtes Wesen. Allerdings erkannte schon Smith's Anhänger und Nachfolger Malthus diesen schreienden Mangel; aber er betrachtete ihn als eine unabwendbare Nothwendigkeit des Schicksals; er wußte ihn nur in die Formel zu bringen, man müsse die Natur frei gewähren lassen, indem sie das Gute und Heilsame von selbst wieder herstelle, wenn es der leidenschaftliche Mensch zu vernichten drohe. Erst Adam Müller, Sismondi und die neuesten französischen Socialisten eröffneten, freilich von sehr verschiedenen Standpunkten, gegen diese entsehliche Noth einen wirklichen Kampf und wendeten die dauernde Aufmerksamkeit auf die Lehre von der Vertheilung der Güter. Diese "sociale Frage ist die räthselstellende Sphinr, die täglich neue Opfer verlangt; und noch immer fehlt der rettende Oedipus, der oie Lösung bringt und das gierige Ungethům vom Felsen stürzt.

Zweites Capitel.

Die Naturreligion und die Sittenlehre.

1.

Das Christenthum als Naturreligion.

Tindal. Morgan. Chubb.

Im Jahre 1733 seßte der reiche Buchdrucker John Ilive bei seinem Tod eine Stiftung für öffentliche Reden gegen die Religion aus. Und im Jahre 1753 rief, wie Lord Mahon im sechzigsten Capitel seiner englischen Geschichte berichtet, der alte Patriot Sir John Bernard klagend im Parlament aus: »Heutzutage, scheint es, ist es für einen gebildeten Mann zur Modesache geworden, zu keiner Religion zu gehören.«

Angesichts solcher Thatsachen sollte man vermuthen, es erwarte uns hier ein tolles Fastnachtsspiel schrankenloser Freigeisterei. Aber durchaus nicht. Toland's pantheistischem Fluge mochten nur Wenige folgen; und der Einfluß Voltaire's und der französischen Encyklopädisten, der in der englischen Wissenschaft erst durch Hume und Gibbon eindrang, war noch nirgends fühlbar. Die Wahrheit ist, daß die große Mehrzahl der Gebildeten zwar die bestehenden Kirchenformen bekämpfte, mit diesem Kampf aber weder die Religion überhaupt noch insbesondere das Christenthum angetastet wissen wollte.

Die hervorstechendsten Schriftsteller dieser Richtung sind Tindal, Morgan, Chubb. Sie Alle stehen im Wesentlichen noch auf dem Standpunkt Locke's oder, um ihren eigenen Ausdruck zu gebrauchen, auf dem Standpunkt der rational faith, des Denkglaubens. Als Grundwahrheit gilt, daß das Christenthum, wie man zu sagen pflegte, reine Natur- oder Vernunftreligion sei; die Lehren des Christenthums seien weder über noch gegen die Vernunft; Alles, was im Christenthum der Einsicht der Vernunft zu widersprechen oder sie zu überragen scheine, sei Nachwirkung jüdischer Lokalideen oder spåterer Priesterzusah.

Wir betrachten daher diese Schriftsteller hier nur insoweit, als ihre Charakteristik zur Charakteristik der Zeit dient. Die Kirchen und Dogmenhistoriker allerdings, und auch Lechler und Noack, die ausführlicheren Geschichtsschreiber des englischen Deismus, thun Recht daran, wenn sie namentlich Tindal und Chubb eine hohe Stelle einräumen, denn die Kritik der Wunder und Weissagungen hat ihnen gar manche brauchbare Waffe entlehnt; der Kulturhistoriker aber, der nur auf die innere Entwicklung der treibenden Ideen zu achten hat, kann ihnen einen eigenen und eingreifenden Fortschritt nicht zuerkennen. Sie bringen nichts Neues. Sie führen nur das bereits Erarbeitete weiter aus und ziehen die dogmatischen und geschichtlichen Folgerungen.

Matthews Tindal, 1656 zu Beer - Fervi in Devonshire geboren, war vierundsiebzig Jahre alt, als 1730 sein berühmtes Buch das Christenthum so alt als die Schöpfung« erschien. Es führt den Titel: »Christianity as old as the Creation, or the Gospel a republication of the religion of Nature. London 1730.« Es machte sogleich außerordentliches Aufsehen; schon 1733 erschien die vierte Auflage. Ins Deutsche wurde es 1741 von Lorenz Schmidt, dem bekannten Werthheim'schen Bibelüberfeber, übertragen. Das Buch ist ermüdend weitschweifig und unübersichtlich geschrieben; aber als Grundgedanke tritt klar die

Ansicht hervor, daß es nur Eine in sich einige Religion giebt, die sogenannte Naturreligion, und daß also auch das Christenthum nur insofern wirklich Religion sei, als es mit dieser Naturreligion übereinstimme.

Tindal selbst hat sein Buch in vierzehn fortlaufende Capitel zerlegt. Man kann in ihnen aber füglich zwei Theile unterscheiden: einen allgemeinen philosophischen, der den Begriff der Naturreligion und deren Verhältniß zur Offenbarung entwickelt, und einen besonderen kritischen, der insbesondere das Christenthum vom Standpunkt dieser allgemeinen Naturreligion betrachtet und den Versuch macht, aus den vermeintlichen Schlacken den reinen. Kern zu gewinnen. Der erste Theil enthält Cap. 1 bis 6, der zweite Theil Cap. 7 bis 12. Die beiden lehten Capitel, 13 und 14, sind eine kurze Zusammenfassung des Gauzen und eine Widerlegung der entgegenstehenden Ansichten.

Die natürliche Religion und die geoffenbarte, sagt Tindal, sind nicht nach ihrem Inhalt, sondern nur nach der Art ihrer Bekanntmachung von einander verschieden. Die eine besteht in der inneren, die andere in der äußeren Offenbarung des unveränderlichen Willens eines Wesens, das zu aller Zeit gleich unendlich gut und weise ist. Wenn nun dieses Wesen, d. h. wenn Gott zu allen Zeiten gewollt hat, daß alle Menschen zur Erkenntniß der Wahrheit kommen sollen, und wenn es wahr ist, daß Gott niemals die Absicht gehabt hat, daß die Menschen keine oder nur eine unvollkommene Religion haben, so ist es nothwendig, daß von Anfang an nur Eine wahre Religion gewesen, durch welche alle Menschen erkennen können, was ihre Pflicht sei. Diese Eigenschaft aber, die allein wahre Religion zu sein, kann sich nicht auf die christliche Religion allein beschränken, wenn man nicht zugleich zgiebt, daß diese so alt als die Welt ist. Die wahre Religion ist die stete Neigung des Gemüths, Gutes zu thun, um Gott zu gefallen, indem wir uns seinen Absichten gemäß verhalten. Ver

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