Page images
PDF
EPUB

280 Die Einwirkung der moralischen Wochenschriften. Lebensnerv Aller, die wirklich ein neues Prinzip in die Welt führen.

Neu aber waren diese Zeitschriften durch und durch. Bisher hatten die Engländer ihr unmittelbares häusliches Leben nur in den Lustspielen der jüngsten Vergangenheit dargestellt gesehen. In diesen erschien es immer in håßlicher Ausschweifung; leichtsinnig, frech, unsittlich. Hier aber in diesen moralischen Wochenschriften empfanden sie zum ersten Mal das noch nie empfundene und darum doppelt lockende Vergnügen, sich selbst und ihr ganzes häuslich bürgerliches Thun und Treiben im Spiegel der Dichtung genau so wiederzufinden, wie es in der Wirklichkeit war; ohne Verschönerung und ohne Verzerrung, mit allen menschlichen Fehlern und Schwächen, und doch im innersten Grund durchaus wacker und tüchtig.

Wenn daher nach einigen Jahrzehnten als unmittelbare Folge der hier gegebenen Anregung der englische Familien- und Sittenroman auftaucht, so kann man ohne Bedenken behaupten, daß die durch alle Volksschichten dringende Veredlung der Sitten, die um diese Zeit in England Plah greift, zum großen Theil auf Rechnung dieser moralischen Zeitschriften zu schreiben ist. Steele wußte sehr wohl, warum er eine jener Zeitschriften den Guardian, d. h. den Vormund nannte; denn sie verwalteten in Wahrheit für ganz England das Amt des allgemeinen Vormundes und Gewissensrichters. Drake erzählt in seinem mehrfach erwähnten Buche Bd. 3, S. 391 einen in dieser Hinsicht sehr bedeutsamen Vorfall. Für den 9. October 1711 war zu Coleshillheath in Warwickshire nach altem Herkommen ein Pferderennen anberaumt; zum Schluß sollte auch ein Eselrennen und ein Wettlauf von Menschen in Fallstricken stattfinden. Da erschien am 18. September (Nr. 173) ein Blatt des Spectator, das das Pferderennen billigte, das Eselrennen und das Rennen in Fallstricken aber als eine abscheuliche Barbarei brandmarkte.

Sobald das Blatt in Coleshillheath ankam, wurden sogleich diese im Spectator verurtheilten Spiele für immer abgestellt.

Sehr schön sagt Drake am Schluß seines Buchs: »Wenn wir die öffentlichen und häuslichen Zustände Englands, wie sie vor und nach der Zeit jener Wochenschriften waren, mit einander vergleichen, so sehen wir klar, daß England ihnen die heilsamste Umgestaltung des künstlerischen Geschmacks sowohl wie der ge= sammten sittlichen und politischen Denkart verdankt. Das Glück und die Wohlfahrt, deren England sich jetzt erfreut, ist geradezu zum großen Theil das Werk Addison's und Steele's. Wer möchte daher anstehen, sie unter die größten Wohlthäter Englands, ja der ganzen Menschheit zu zählen?«

[merged small][merged small][merged small][ocr errors][merged small]

• Wer dächte nicht mit innigem Entzücken an jene glücklichen Lage und Stunden, in denen sein märchenlustiges Kindergemüth zum ersten Male von der Geschichte und den seltsamen Abenteuern des auf eine wüste Insel verschlagenen Robinson hörte? Es überkommt uns in dieser Erinnerung unwillkürlich wieder

ein Stück Jugendleben. Jenes Gefühl taucht in uns auf, von dem der Dichter sagt:

Aus der Jugendzeit, aus der Jugendzeit
Klingt ein Lied mir immerdar,

wie liegt so weit, o wie liegt so weit,
Was mein einst war.

Gewöhnlich lesen wir den Robinson nur in jenen selig un befangenen Jahren, in denen wir ein Kunstwerk wie ein Natur werk betrachten. Genug, daß es da ist, daß es uns entzückt und alle unsere Sinne gefangen nimmt; was frågen wir da weiter, woher es kommt, durch wen und unter welchen Umstånden es entstanden ist. Und spåter, wenn uns die zunehmende Erfahrung um diese glücklich harmlose Stimmung gebracht hat, spåter, wenn wir kein Buch mehr lesen, ohne uns dabei genau um das Leben und die Denkweise des Verfassers zu kümmern, da haben wir långst auch den Robinson bei Seite gelegt, und nur sehr Wenige finden dann noch Neigung und Muße, wieder einmal das ihnen einst so liebe Kinderbuch in die Hand zu nehmen.

Sicher staunen gar Viele, wenn sie erfahren, daß dieser Dichter, der ihnen einst so schöne Jugendstunden bereitete, nicht nur auch andere Werke gedichtet hat, die an dichterischem Werth dem Robinson nur sehr wenig nachstehen, sondern daß er auch seiner Zeit in die wichtigsten politischen Kämpfe Englands sehr rührig und werkthätig eingriff und zur Begründung vieler, selbst für uns noch sehr folgereicher gemeinnüßiger Anstalten den ersten Anstoß gab. Der Dichter des Robinson ist zugleich der erste Begründer der öffentlichen englischen Banken, der Begründer unserer Hagel- und Feuerassecuranzen und unserer Sparkassen, und was noch mehr ister ist zugleich der vornehmlichste Begründer der politischen Vereinigung von England und Schottland.

Und doch sind gerade diese äußeren Lebensumstände Defoe's

für Entstehung und Inhalt des Robinson entscheidend geworden. Wir ziehen fie um so lieber in unsere Betrachtung, als in der That die jähen Wechselfälle dieses eben so liebenswürdigen als bedeutenden Mannes selbst ein Roman sind. Die Lebensbeschrei bungen von Wilson, Chalmers, Philarète Chasles, und ein vortrefflicher Auffah in der Edinburgh Review (October 1845) geben die Thatsachen in reichster Fülle. Vergl. H. Hettner: Robinson und die Robinsonaden. Berlin 1854.

[ocr errors]

Daniel Foe so nåmlich war der ursprüngliche Name Defoe's wurde im Jahre 1661 in London geboren. Sein Vater war ein wohlhabender Fleischer, der, stolz auf die herverstechenden Anlagen des Sohnes, ihn auf die damals sehr berühmte Schule von Newington-Green schickte und ihm eine sehr sorgfältige Erziehung geben ließ. Aber dieser Vater war Dissenter, d. h. er gehörte nicht der herrschenden bischöflichen Hochkirche an, sondern der vom Geset und von der öffentlichen Meinung geachteten Partei der Puritaner. Und an diese religiöse Genossenschaft, in die ihn zufällig seine Geburt gestellt hatte, schloß sich auch der Sohn sodann aus voller Seele und mit innigfter Ueberzeugung an; ja er wurde sogar der beredteste und unerschrockenste Vorkämpfer derselben.

Hier liegt der Schlüssel für Defoe's ganzes Leben, Denken und Wirken. Diese seine Stellung als unterdrückter Dissenter war der innerste Grund aller seiner Plåne, Unternehmungen. und Schriften.

Als Knabe war er zum puritanischen Geistlichen bestimmt. Für diesen Beruf aber fühlte er sich zu unruhig und raftlos.. Er batte sogar ein sehr schlichtes bürgerliches Gewerbe ergriffen; er war ein ehrsamer Strumpfwaarenhåndler geworden. Wie aber konnte sein sprudelnder Feuergeist gleichgültig bleiben bei den entseßlichen kirchlichen Wirren, die unter Karl II. und Jakob II. England so furchtbar heimsuchten. Schon unter Karl veröffentlichte er

seine erste politische Schrift unter dem seltsamen Titel: »>Speculum crapegownorum,« in der er mit beißendem Wiß die Abgeschmacktheiten und Gehåssigkeiten der verfolgungssüchtigen Hochkirche geißelte. Und als nun gar der kühne Prinz Monmouth, ein natürlicher Sohn des verstorbenen Königs, von den Niederlanden aus einen Einfall nach England wagte, um sich des wankenden Throns zu bemächtigen, da schloß sich Defoe sogleich begeistert den Rebellen an; denn er sah in diesen nur die aufrichtigen Protestanten und die Beschüßer der geistigen und bürgerlichen Freiheit. Er kåmpfte tapfer bei Bristol und Bath, und als das Heer geschlagen und der Heerführer gefangen war, da abenteuerte er als verfolgter Flüchtling in fremden Ländern umher, den günstigen Augenblick erwartend, in dem es ihm erlaubt sei, wieder ins Vaterland zurückzukehren.

Es ist sicher, daß er in dieser Zeit Spanien, Frankreich und Deutschland durchwandert hat. Jedoch scheint es, als ob seine Theilnahme an dem Aufstande in England unbemerkt geblieben sei; denn kurz darauf finden wir ihn in London wieder, unverfolgt und unbestraft. Uebrigens ist es bemerkenswerth, daß er sich nach dieser Rückkehr nicht mehr einfach Foe, sondern de Foe oder Defoe nannte. Man sieht nicht recht, aus welchem Grunde.

Inzwischen stiegen die Fluthen der kirchlichen Kämpfe immer höher. König Jakob war schlau genug gewesen, die Hochkirche und die Dissenters noch årger an einander zu hehen; es dûnkte ihm dann um so leichter, seinen großen Plan, ganz England katholisch zu machen, der Wirklichkeit nåher zu bringen. Defoe sah in diesen Kämpfen ganz außerordentlich scharf; er durchschaute sowohl die betrügerischen Plåne des Königs, als auch die alberne und in dieser schweren Zeit doppelt gefährliche Selbstsucht der gegen einander kåmpfenden und doch in gleicher Weise bedrängten Religionsparteien. Er schrieb in dieser Angelegenheit

« PreviousContinue »