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tungen und an jedem Sonnabend regelmäßig seine Sonntagserbauung. Plötzlich aber brach Nr. 41, das Blatt vom 28. April, das gegebene Versprechen. Steele war eine heftige und leidenschaftliche Natur; er wurde von den Umtrieben der herrschenden Torypartei in seinem Gemüth viel tiefer verleht und ergriffen, als der ruhige und sanfte Addison. Unter den Whigs ging damals die, wie sich späterhin ausgewiesen hat, allerdings nicht ganz unbegründete Sage, die Friedensunterhandlungen zu Utrecht wollten in einem geheimen Artikel nach dem Ableben der Königin Anna, mit Ausschluß des Hauses Hannover, den englischen Thron dem jakobitischen Kronpråtendenten sichern. Steele nahm daher im Widerspruch zu seinem ursprünglichen Plan von nun an auch einen fortgehenden Kampf gegen das von Swift mit vieler Umsicht, aber auch mit vieler Gehässigkeit herausgegebene Toryblatt, »der Examiner,« auf, und betrachtete es jetzt überhaupt als seine hauptsächlichste Lebensaufgabe, sich mit allen seinen Kräften der politischen Laufbahn zu widmen. Er verzichtete auf seine Stellung im Stempelamt und ließ sich zu Stockbridge ins Haus der Gemeinen wählen. Wie konnte diese aufgeregte Stimmung dem häuslichen Leben des Guardian zutråglich sein?

Freilich wandelt der Guardian noch eine Zeit lang die gewohnten ruhigen Wege. Er bringt sogar einige sehr meisterhafte Auffage, unter denen wir besonders die Betrachtung über das Unwesen der Schriftstellerdedicationen, über den künstlerischen Werth und Unwerth der Wortspiele, über Findelhäuser, über Eifersucht und über Frauentrachten hervorheben wollen; aber dazwischen ziehen sich doch immer und immer wieder ständige Angriffe gegen den Framiner und das Ministerium. Steele fühlte sehr bald, daß der Plan des Guardian für diese doppelten Zwecke des politischen und häuslichen Lebens zu eng war. Er hielt es daher für rathsam, den Guardian aufzulösen und die zwei verschiedenen Richtungen, die er bisher vertreten hatte, fortan an zwei verschiedene

und von einander getrennte Zeitschriften zu vertheilen. Der Guardian wurde bereits am 1. October 1713 geschlossen.

Ein rein politisches Blatt und ein kleineres, der håäuslichen Unterhaltung gewidmetes, traten an seine Stelle. Fünf Tage nach dem Schluß des Guardian, am 6. October, begann »>The Englishman, der Englånder,« ein rein whiggistisches, besonders gegen den torystischen Examiner gerichtetes Parteiorgan; und einige Monate darauf, am 14. Februar 1714, eine von diesem politischen Blatte durchaus unabhängige, selbståndige moralische Wochenschrift, die, wie einst der Tatler, wöchentlich nur dreimal ausgegeben wurde. Sie führte den Titel »The Lover, der Liebende.«<

Beide Zeitschriften hatten kein langes Bestehen. Sie wur den von den sturmbewegten Fluthen der Politik verschlungen.

Steele war nicht glücklich in seiner politischen Laufbahn. In dem am 7. August 1713 ausgegebenen Blatte des Guardian, in Nr. 128, hatte er auf die Schleifung der Festung Dünkirchen gedrungen, die den Engländern als Unterpfand für die Aufrechthaltung der Utrechter Friedensvertråge gegeben war. Dabei hatte er dreimal das Wort wiederholt: »Das englische Volk erwartet (expect) sofortige Schleifung.« Swift im torystischen Examiner und dessen Parteigenossen erklärten diese Aeußerung für eine Drohung und demgemåß für Majestätsverbrechen. Troßdem behielt Steele im Englishman denselben heftigen Ton bei. Er drang unausgeseht auf die Feststellung der protestantischen Erbfolge; ja er schrieb sogar gleichzeitig eine besondere Flugschrift: »Die Krisis, oder Abhandlung, in welcher dargethan wird, wie gemäß der Erinnerungen und gerechten Ursachen unserer glücklichen Revolution und gemäß der bestehenden Thronfolgebestimmungen die Krone von Großbritannien, nach dem Hingange Ihrer Majestät ohne Nachkommenschaft, auf die erlauchte Prin zeß Sophie, verwittwete Kurfürstin von Hannover, und deren

protestantische Leibeserben übertragen werden muß. Nebst einigen Bemerkungen über die Gefahren eines jakobitischen Nachfolgers. Als er daher im Anfang März 1714 in das Parlament trat und dort sogleich (vergl. Drake a. a. D. Bd. 1, S. 103) eine sehr geharnischte Rede in demselben Sinne vortrug, da vereinigten sich die Tories, ihn des Hochverraths an juklagen. Vergebens hielt Steele selbst eine feurige und kräftige Bertheidigungsrede, vergebens schleuderte Robert Walpole alle Anklagen auf die Jakobiten zurück; am 18. Mårz wurde Steele mit einer Mehrheit von 245 Stimmen gegen 152 aus dem Parlament ausgestoßen.

Damit endete der Englishman. Ein neues politisches Parteiblatt, das Steele sogleich an dessen Stelle treten ließ, »The Reader, der Leser,« ebenfalls gegen den Eraminer und die übri gen Toryblåtter gerichtet, fristete nur ein sehr kurzes Dasein. Blos neun Nummern erschienen, die erste am 22. April, die legte am 10. Mai.

Aber auch der Lover, jene moralische Wochenschrift, die kurz nach dem Englishman entstanden war, spürte sehr bald die nachtheiligen Folgen dieser politischen Wirren. Steele gehörte ihm nicht mehr ganz an. Und kein Blatt bedurfte dringender der unermüdlichsten Thätigkeit als gerade dieses. Es hatte sich seine Aufgabe zu eng gestellt. Nicht alle Kreise der häuslichen Sitte wollte es in sein Bereich ziehen, sondern nur die Empfindung zårtlicher Herzen, die Liebe. Dies Thema, obgleich in den allermannichfachsten Variationen behandelt, wurde bald eintonig und ermüdend; es fehlte jener reizvolle Wechsel, der Steele's erste Zeitschriften so unendlich anziehend gemacht hatte. Der Lover wurde daher bereits am 27. Mai beendet.

Und mit ihm schließt die fruchtbringende journalistische Thatigkeit Steele's überhaupt ab. Steele schrieb noch eine Zeit lang politische Flugschriften. Mit der Thronbesteigung Georg's I.

kam er zu hohen Ehren. Spåter wendete er sich wieder der Bühne zu. Er starb, von Jedermann geachtet und gefeiert, am 1. September 1729.

Jeht aber nahm Addison die Idee der moralischen Wochenschriften wieder auf. Und zwar mit sehr bedeutendem Erfolg.

Er hatte während des lezten Jahres in ländlicher Zurückgezogenheit gelebt. Ein betriebsamer Buchhändler suchte ihn, sogleich als der Guardian eingegangen war, wieder für ein Unternehmen dieser Art zu gewinnen (vergl. Drake Bd. 1, S.379); aber er wies den Antrag entschieden zurück. Auch in den Lover hat er nur eine einzige Nummer, Nr. 10, geschrieben. Nach einer Pause von anderthalb Jahren jedoch kehrte ihm die Mittheilungslust wieder. Und wahrlich! er war der Alte ge= blieben.

Das neue Unternehmen kündigte sich sogleich als die unmit telbare Fortsehung des Spectator an. Der siebente Band des Spectator hatte mit Nr. 555 abgeschlossen; das erste Blatt dieses neuen achten Bandes führte sich als Nr. 556 ein. Es erschien am 18. Juni 1714.

Auch diesmal entschlug sich Addison aller politischen Dinge. Weder Whig noch Tory, aber Wahrheit und Ehre, Religion und Tugend, sagte er, sei sein Wahlspruch. Und wer in diesem Sinne handle, setzte er mit offener Anspielung auf Steele's lehte Zeitschriften hinzu, der sei in der That, gleichviel welcher Partei er angehöre, ein Englishman und ein Lover, d. h. ein Freund, seines Vaterlandes.

Nur insofern unterschied sich der neue Spectator von dem alten, daß er nicht mehr täglich erschien, sondern wöchentlich blos dreimal, Montags, Mittwochs und Freitags. Denn auch hier ist wieder derselbe Witz, dieselbe Anmuth, dieselbe Unerschöpflichkeit der bunt wechselnden Erfindung! Ja es giebt in England sogar nicht Wenige, die diesen achten Band, als von Ad

dison allein herrührend, allen früheren Bånden auf das Entschiedenste vorziehen.

Jedoch auch dies Unternehmen fand bald sein Ende. Am 20. December 1714 erschien das lehte Blatt, Nr. 635. Die Ursache lag in der tiefgreifenden Wendung, die inzwischen die politischen Verhältnisse Englands genommen hatten. Am 12. Auguft war die Königin Anna gestorben. Georg I. wurde ohne Widerstand zum Nachfolger ausgerufen. Damit kamen die Whigs wieder ans Ruder. Addison wurde erster Staatssecretair.

Hier hat im Wesentlichen die Geschichte dieser moralischen Bechenschriften ihren Abschluß.

3war unternahm schon am 3. Januar 1715 ein Herr William Bond einen neunten Band des Spectator. Aber Addison unterstühte diese unberufene Fortsetzung nicht nur nicht, sondern erflärte in der Vorrede, mit welcher er die Herausgabe des achten Bandes begleitete, ausdrücklich, daß er bei dieser Fortsetzung in keiner Weise betheiligt sei. Dieser neunte Band fand daher nirgends günstige Aufnahme; schon nach einundsechzig Nummern entschlief er. Auch Addison selbst gab kurze Zeit darauf, vom 23. December 1715 bis zum 29. Juni 1716 eine wöchentlich weimal erscheinende neue Zeitschrift heraus. Es war der »>FreeHolder, der Freisasse; eine Zeitschrift, die sich den Zweck stellte, den Thron des Hauses Hannover zu befestigen und den schottischen Aufstand zu2 dåmpfen. Politisch ist sie vortrefflich, aber doch der Natur der Sache nach durchaus an die flüchtigen Tagesereignisse gebunden und deshalb auch nur von geringer Tragweite.

Blicken wir auf die großartige Stellung zurück, die diese moralischen Wochenschriften in dem Culturleben Englands einnehmen, so bewahrheitet sich hier schlagend eine wichtige Erfahrung, die sich jedem aufmerksamen Beobachter in der Geschichte des Zeitschriftenwesens unabweisbar aufdrängt. Nur solche Zeitschriften berühren wahrhaft elektrisch den geheimsten

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