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spiel der alten Tragödie; Homer, Virgil und Milton seien die tragische Trilogie, die Dunciade das Satyrnachspiel.

Die Homerübersehung Pope's hat für uns nur noch insofern Werth und Bedeutung, als sie schlagend beweist, wie innig ganz England damals von derselben Geschmacksverwirrung umstrickt war. Sie war für England geradezu ein Ereigniß. Pope selbst rühmt in der Vorrede die thåtige Förderung, die er Dryden, Addison, Steele, Swift, Garth, Rowe, Parnell und Congreve verdanke; und die Theilnahme der Lesewelt entsprach diesen Bemühungen. Die Uebersehung erschien, wie auch Dryden's Virgil, auf Subscription, sechs Bånde in Quart für sechs Guineen; ein Preis, der nach den damaligen Verhältnissen ungemein hoch war. Und überdies kaufte sie ihm noch der Buchhändler Bernhard Luicot ab, zweihundert Pfund für jeden Band, so daß Pope, wie ihm Johnson nachrechnet, nicht weniger als fünfbis sechstausend Pfund an Reinertrag hatte. Zieht doch selbst Johnson Pope's Iliade der des Homer vor. Welch Entzücken mußte daher erst die große Menge haben?

Jetzt ist Pope nur noch eine geschichtliche Merkwürdigkeit. Es war eine seltsame Verirrung Byron's, daß er noch in neuester Zeit den begeisterten Parteigånger Pope's spielte. Im Jahre 1821 schrieb er an Moore: »Was Pope angeht, so habe ich ihn immer für den größten Namen in unserer dichterischen Literatur gehalten; Sie können sich darauf verlassen, alle Anderen find Barbaren; er ist ein griechischer Tempel mit einer gothischen Kathedralkirche auf der einen Seite, und eine türkische Moschee und alle möglichen phantastischen Pagoden und Kapellen um ihn her; Sie können Shakespeare und Milton Pyramiden nennen, wenn es Ihnen beliebt, ich aber ziehe den Tempel des Theseus und den Parthenon einem Berge von gebrannten Ziegelsteinen vor.«<< Aber dies wunderliche Urtheil steht völlig vereinzelt. Auch in England nennt und rühmt man zwar Pope noch im

mer; aber, was die Hauptsache ist, man liest ihn nur wenig. Fast steht zu befürchten, daß auf das übertriebene Lob der früheren Zeit jetzt eine eben so einseitige Geringschäßung gefolgt ist. Am richtigsten, scheint es, urtheilt man über Pope, wenn man das bekannte Wort auf ihn anwendet, daß sein Genre zwar klein, er aber in diesem Genre groß sei. In Deutschland ist erst wieder im Jahre 1842 Pope ganz vortrefflich von A. Böttger und Th. Delkers überseht worden.

Unter den unzähligen Nachahmern Pope's sind Prior und Gay die beachtenswerthesten.

Mathew Prior (geb. 1664, gest. 1721), der, wie er selbst in einem lyrischen Gedicht von sich sagt, von Horaz und von seinen Freunden begleitet heiter durch das Leben wandert, ist hauptsächlich durch seine frischen und wißigen Lieder (songs), sowie durch seine zierlichen, aber muthwilligen kleinen Erzählungen bekannt geworden, während seine beiden satirischen Lehrgedichte, Alma und Salomo, die die Eitelkeit des menschlichen Wissens verspotten, ein wenig allzusehr an das Genre der Langweiligkeit streifen. John Gay aber (geb. 1688, gest. 1732) schreitet bis zur bewußten Komik fort. Er trat zuerst mit einem idyllischen Gedicht, die Lust des Landlebens, the rural sports, auf; und diesem folgte sodann eine zweite Idylle, die Schäferwoche, the shepherd's week, die von so feiner Ironie durch-haucht ist, daß wir deutlich die Klånge des Pope'schen Lockenraubes aus ihr vernehmen. Auch seine Fabeln, die noch heute in England ein beliebtes Kinderbuch sind, erheben sich nicht selten zu kleinen humoristischen Erzählungen. Am vollsten aber entfaltet Gay seinen Humor in dem burlesken Gedicht »>Trivia oder die Kunst, auf den Straßen Londons zu wandern, und in seiner berühmten Bettleroper, Beggar's opera, die das Unwesen der italienischen Oper parodirt.

Aber mit so günstigem Auge wir auch Gay und Prior

betrachten mögen, geschichtlich sind sie doch ohne tiefere Bedeutung. In den Gang der Entwicklung greifen sie nicht ein. Der Beginn des Besseren zeigt sich erst in Thomson und Young.

3weites Capitel.

Das moralisirende Drama und die moralischen
Wochenschriften.

I.

Das moralisirende Drama.

1.

Die Tragödie.

Southerne. Congreve. Rowe. Addison.

Voltaire sagt in seinen Briefen über England, daß Addison's Cato das erste englische Stück sei, das sich der Eleganz der französischen Tragödie nähere. Diese Behauptung ist nur insofern richtig, als dieser Addison'sche Cato allerdings die Spige der französirenden Geschmacksrichtung ist; aber im Wesentlichen bestand das sogenannte regelmäßige Drama bereits seit Otway in unerschüttertem Ansehen. Die drei dramatischen Einheiten wurden jest in England fast eben so streng innegehalten, als in Frankreich selbst; einzig die reimlosen Jamben erinnerten dann und wann noch leise an die Naturwüchsigkeit der geschwundenen altenglischen Ueberlieferung. Schritten doch jezt sogar schon rein

griechische Tragödien über die englische Bühne; der Oedipus und die Elektra des Sophokles in der Bearbeitung von Lewis Theobald mit den festgehaltenen griechischen Chören, und der Hippolyt des Euripides von Edmund Smith.

Nicht in der veränderten Form, sondern im veränderten Inhalt liegt der Schwerpunkt der englischen Dramatik in diesem Zeitalter.

Es tritt jest die bestimmt ausgesprochene Absicht der moralischen Besserung hervor.

Lehrstücke sein.

Die Dramen wollen moralische

Wie wunderlich! So unsittlich auch das englische Drama unter den lehten Stuarts war, ein moralisirender Zug hatte nichtsdestoweniger immer in ihm gelegen. Wenigstens in der Tragédie. Der Canon der tragischen Kunst war, wie für Frankreich, so auch für das damalige England die aristotelische und horazische Poetik. Und so stellt nach dem berühmten Sah des Aristoteles, daß die Tragödie Furcht und Mitleid erwecken und dadurch die Leidenschaft reinigen müsse, Dryden in der »Kritik ter tragischen Kunst«, mit der er seine Bearbeitung von Shakespeare's Troilus und Cressida begleitet, bereits im Jahre 1679 den Sah auf: "der Endzweck der Dichtung sei, zugleich zu unterrichten und zu vergnügen; die Wissenschaft unterrichte blos, die Dichtung aber lehre in Beispielen, und diese Beispiele seien es, die uns Vergnügen gewährten; Zweck der Tragödie also sei die Reinigung der Leidenschaft durch Beispiele, jede Tragödie müsse eine moralische Lehre in ihrer Handlung enthalten; so habe er, Dryden, in seiner Eroberung von Granada nach dem Bergange Homer's gezeigt, daß Einheit das Gemeinwohl befördere, Zwietracht es aber zerstöre, und in seinem Oedipus, daß kein Mensch vor dem Tode glücklich zu preisen sei.«

Und nun war inzwischen die Zeit eine so durchaus andere geworden. Der Rausch der Liederlichkeit hatte sich ausgetobt.

Der Hof Wilhelm's von Oranien und der Königin Anna gingen mit gutem Beispiel voran. Und mußte auch der treffliche Bischof Gilbert Burnet, der Hausgeistliche Wilhelm's, in seiner Geschichte, die er selbst erlebt hat,« noch oft darüber klagen, daß die Sittenverbesserung der höheren Klassen nur sehr langsam von Statten gehe, so rühmt er doch namentlich in seiner Schlußbetrachtung den Mittelstand, die Kaufleute und die Handwerker, ausnehmend wegen ihrer Milde, Mäßigkeit und Gutherzigkeit. Dadurch war nothwendig eine völlige Aenderung der bisherigen Dramatik bedingt; zumal jest das gewaltige Buch Collier's über die Unstttlichkeit der Bühne seine tiefgreifenden Wirkungen äußerte. Neue Geister traten auf den Schauplak, die, unter anderen Einflüssen aufgewachsen, die volksbildende Bedeutung der Bühne begriffen. Konnte im Jahre 1708 Burnet in jener Schlußbetrachtung allerdings noch mit einigem Recht sagen, daß, so lange die englische Bühne sich nicht åndere, sie nur eine Verführerin des Volks sei, so håtte er wenige Jahre nachher schwerlich noch diesen Vorwurf aussprechen können.

Southerne und der uns bereits als Lustspieldichter bekannte William Congreve sind die ersten Tragiker, in denen dieser lehrhaft moralisirende Zug mit dem Bewußtsein bestimmter Absichtlichkeit sich deutlich hervorhebt.

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Thomas Southerne's (geb. 1660 zu Dublin) berühmtestes Stuck ist the fatal marriage or the innocent adultery, die unglückliche Heirath,« im Jahre 1694 geschrieben. Die Fabel ist einfach. Ein Sohn heirathet wider den Willen seines Vaters. Er verläßt man sieht nicht recht, aus welchem Grunde seine Frau, die er doch so innig liebt; er zieht in den Krieg, wird in Candia gefangen und als Sklave verkauft. Inzwischen lebt seine Frau Isabella mit ihrem Kinde zu Hause in der drückendsten Armuth. Der jungere Bruder des Entfernten, eine Art Franz Moor, unterschlägt alle Briefe, die aus Candia kommen,

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