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begründet und richten unsere Thätigkeit nur auf das den natürlichen Zwecken Entsprechende hin, enthalten also in keiner Weise etwas Unrechtes und Verkehrtes. Da sie aber bei übermäßiger Befriedigung die verHeerendsten Folgen für unseren Organismus haben, zu Leidenschaften ausarten und durch ihre Zügellosigkeit zur Entwürdigung der Menschennatur führen, sind sie durch die Vernunft zu regulieren.

5. Pädagogisches.

a. Die Erziehung hat die Triebe zu kräftigen, falls sie zu schwach sind, und ihre Befriedigung zu regeln. Dies geschieht, wenn der Erzieher selbst die Befriedigung der Triebe des Kindes in die Hand nimmt und Art und Umfang derselben nach den berechtigten individuellen Bedürfnissen bestimmt.

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Der Nahrungstrieb ist durch Gewährung zusagender Nahrungsmittel zu befriedigen. Schmeckt dem Kinde Essen und Trinken nicht, so muß durch Abwechselung der Speisen der Appetit gestärkt werden, damit die leibliche Entwickelung des Kindes nicht gehemmt werde. Vor allem ist die Befriedigung des Triebes streng zu regeln. Pfisterer: „Lasset das Kind essen, lasset es zur rechten Zeit essen, und ihr erzieht es zum Ordnungsmenschen, laffet es auf die rechte Weise essen, und ihr erzieht es zum Anstandsmenschen, lafset es die rechte Speise essen, das hilft mit zum Vernunftmenschen.“ Dem Bewegungstrieb ist möglichst Raum zu geben. Man lasse daher das Kind seine bewegungslustigen Glieder in freier Luft tummeln nach Herzenslust.*) In der Schule muß das lange Stillsizen unterbrochen werden in den Pausen durch Spiel und Bewegung zu Nuz und Heil von Leib und Seele. - Der Schuh- oder Verteidigungstrieb ist dadurch anzuregen, daß man das Kind belehrt, wie einzelne Dinge der Umgebung auf seinen Organismus schädlich einwirken, und es anhält, sich vor dem Ofen, der Lampe, dem grellen Sonnenlicht 2c. zu hüten und mit gefährlichen Dingen, wie Messer, Schere, Licht 2c., vorsichtig umzugehen. Der Lehrer betone im anthropologischen Unterrichte den Schuß und die Pflege der Organe, mahne im Turnen zur Vorsicht, warne vor Wagstücken und sehe in allen Stunden auf rechte Haltung 2c.

hin

Der Wissenstrieb

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in der Schulsprache der „Trieb“ schlecht= muß, wenn er zu matt ist, möglichst belebt werden, indem die Eltern die Kinder in vielfache Beziehung zur Außenwelt seßen und durch Erzählungen, gelegentliche Belehrungen, Beantwortung der kind*) Gönne dem Knaben zu spielen, in wilder Begierde zu toben, Nur die gesättigte Kraft kehret zur Anmut zurück. Schiller.

lichen Fragen und Lenkung der Aufmerksamkeit auf hervorragende Erscheinungen den Drang im Kinde wecken, den Kreis des Wissens zu mehren. Eine höhere Steigerung erfährt dieser Trieb durch den Unterricht, der namentlich auf Bereicherung des Gedankenkreises abzielt. Alles, was den Trieb schwächen kann, wie Genuß- und Vergnügungssucht, ist zu bekämpfen. Die Befriedigung des Thätigkeits triebes kann im Hause erfolgen durch verschiedene die kindlichen Kräfte übenden Spiele, Leichte Beschäftigungen und regelmäßige Verrichtungen, die der kindlichen Leistungsfähigkeit entsprechen. Nie dulde man, daß das Kind unbeschäftigt dasigt. Die Schule belebt den Thätigkeitstrieb durch den Unterricht und durch die mit demselben verbundenen Übungen, Wiederholungen und häuslichen Aufgaben. Ist der Unabhängigkeitstrieb zu schwach, wie bei ängstlichen, schüchternen Naturen, so ist er anzuregen, damit die Kinder nicht unselbständige Menschen werden, die blindlings ihrer Umgebung folgen. Belebt wird er dadurch, daß man die Kinder beim Spiele nicht zu sehr beschränkt und ihnen auch Zeit zu Lieblingsbeschäftigungen gewährt. Der Ehrtrieb ist frühe dadurch zu wecken, daß man bei unschicklichen Handlungen das Gefühl der Scham hervorruft und löbliches Verhalten anerkennt.

Der Geselligkeitstrieb findet seine erste Nahrung durch das Zusammenleben mit den Eltern, insbesondere mit den Geschwistern *). Weitere Vefriedigung findet dieser Trieb durch den Umgang mit den Spielgenossen und durch die Schule, welche den Umgangskreis mächtig erweitert. Wenn das Verlangen nach Gesellschaft sich zu schwach meldet, muß der Erzieher durch Sorge für entsprechenden Umgang den Hang zum Alleinsein bekämpfen.

b. Die Erziehung hat die Triebe zu zügeln und unter ihnen ein rechtes Gleichgewicht herzustellen. Bei übermäßiger Stärke stellen sich bald Fehler ein, die um so fester haften, als sie von seiten des Organismus Hilfe empfangen, und die zur Entwürdigung der Menschennatur und zur Verheerung des Leibes und Geistes führen.

Um die Ausartung des Nahrungstriebes zu verhüten, hat der Erzieher für Einfachheit der Lebensweise zu sorgen, jedes Übermaß von Speise und Trank fernzuhalten und das Kind an Enthaltsamkeit und Entbehrungen zu gewöhnen. Auch der Bewegungstrieb muß bei der quecksilbernen Natur des Kindes in Schranken gehalten werden, sonst kommt es zu keiner inneren Sammlung und zu keinem anständigen Be

*) Ein Bruder und eine Schwester nichts Treures kennt die Welt,
Kein goldnes Kettlein hält fester, als eins am andern hält. (Heyse).

tragen. Durch eine feste Hausordnung ist das zwecklose Umherbummeln und Straßenlaufen zu bekämpfen, und durch gute Schuldisziplin ist das Kind an Stillsigen und Bekämpfung alles unanständigen Wesens zu gewöhnen. Der Selbsterhaltungstrieb erlangt oft durch Verzärtelung seitens der Eltern ein Übergewicht. Durch die zu ängstliche Bemutterung wird das Kind selbst ängstlich und schrickt vor dem kleinsten Schmerze zurück. Einer solchen Steigerung des Triebes ist durch Ge= wöhnung an manches Ungemach, durch Abhärtung des Körpers gegen die Witterung, durch Turnen und Fußwanderungen und Weckung des Mutes entgegenzuarbeiten. Geschlechtliche Verirrungen kommen leider nicht selten schon in den Kinderjahren vor. Die Eltern beugen ihnen vor, wenn sie frühe das Schamgefühl wecken und sorgfältig darüber wachen, daß den Kindern durch Umgang und Lektüre nichts Unkeusches in Wort, Gebärden und Bildern entgegentritt. Gewissenhafte Aufsicht, Weckung edler Neigungen, körperliche Bewegung und strenge Bestrafung bei Vorkommnissen halten den Trieb in Schranken.

Auch die geistigen Triebe sind in Zucht zu halten. So kann der Wissenstrieb in Neugierde ausarten, bei der die Seele nur nach Neuem verlangt, sodaß der Mensch dadurch kindisch und oberflächlich wird. Naseweises und unbescheidenes Fragen der Kinder weise man daher mit Nachdruck zurück. Auch kann die Leselust leicht zur Lesesucht ausarten, sodaß dabei wichtige Pflichten versäumt werden. Der Beschäftigungstrieb wird oft zur Vielgeschäftigkeit, die Zeit und Kraft unnüz aufreibt und nichts Solides zustande bringt. Ebenso leicht artet der Nachahmungstrieb zur Nachäfferei, der Spieltrieb zur Vergnügungssucht und Tändelei aus, sodaß ernste Pflichten vernachlässigt werden. Es ist darauf zu dringen, daß das Kind seine Thätigkeit nach einer bestimmten Richtung hin zur Wirkung bringt und in dieser Thätigkeit ausharrt. Dem Nachahmungstrieb ist die Richtung auf wirklich Nachahmenswertes zu geben, damit das Kind nicht schlechten Gewohnheiten verfällt. Der Freiheitstrieb wuchert am üppigsten in den sogenannten Flegeljahren, in jener Periode der Entwickelung förperlich gesunder und willenskräftiger Knaben, die sich durch ein Wegsehen über Verbote, durch ein Auflehnen gegen Zucht und Sitte, wie durch Gewaltthätigkeiten gegen Schwächere kennzeichnet und die das Kind unbändig und unausstehlich erscheinen läßt. Eine feste Schulordnung, eine durch Wissen und sittliche Tüchtigkeit imponierende Persönlichkeit und eine beschämende Bestrafung weisen das zu starke Ich in die ge= hörigen Grenzen zurück. Besonderer Vorsicht bedarf es auch, den Eigen

tumstrieb und den Ehrtrieb nicht zu stark emporschießen zu lassen, damit sich nicht Habsucht und Ehrsucht in die junge Seele einnisten. Die übermäßige Steigerung des Geselligkeits- und Mitteilungstriebes, welche Schwazhaftigkeit, Klatschsucht und Vergnügungssucht im Gefolge haben, kann durch Zurückgezogenheit und Einfachheit des Lebens verhindert werden. Die Zügelung der Triebe ist die Aufgabe der korrektionellen Erziehung, die das rechte Gleichgewicht unter den Trieben wiederherstellen will.

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Das Herrlichste, was dir in dir gelingt,

Es ist die Kraft, die aus dem tiefsten Leben
All' die erwachten Seelenkräfte zwingt,

Zum ruh'gen Gleichmaß stets zurückzustreben.

c. Die Erziehung hat die Triebe für ihre besonderen Zwecke als Zugkräfte zu benußen.

Die geistigen Triebe erscheinen als wesentliche Förderungsmittel des Unterrichts. Der Wissenstrieb ist der Drang nach Zuwachs von Vorstellungen. Wenn daher der Lehrer in seinem Unterrichte ein lebendiges Interesse weckt, so beschäftigt sich der Schüler aus innerem Drange mit dem Gegenstande und ist unwillkürlich aufmerksam, sodaß der Unterricht gelingt. Ein gewaltiger Hebel für den Unterricht ist auch der Nachahmungstrieb; wenn der Lehrer denselben durch gutes Vormachen und Vorsprechen lebhaft anregt, hat er sich einen guten Bundesgenossen für seine Arbeit erworben. Ein solider Verbündeter ist auch der Thätigkeitstrieb; wird derselbe durch fleißiges üben angenehm befriedigt, so erreicht der Unterricht leichter sein Ziel. Ge= stachelt wird dieser Trieb durch den Ehrtrieb, daher auch diesen der Lehrer vorsichtig seinen Zwecken dienstbar machen muß. Von den sinnlichen Trieben ist der Bewegungstrieb besonders in den Pausen und durch das Turnen zu befriedigen; denn die Bewegung des Körpers wirkt auch erfrischend auf die jungen Geister.

Auch die Zucht, die den Gedankenkreis in Handeln umseht und das Kind an Tugenden gewöhnen will, hat zur Lösung ihrer Aufgabe die Triebe zu benußen. Um das Kind an Fleiß und Arbeitsamkeit zu gewöhnen, ist der Thätigkeitstrieb anzufeuern; um zur Selbständigkeit zu erziehen, ist der Trieb zum Spielen zu begünstigen, weil es dem Zögling einen hinreichenden Spielraum zur Bethätigung des eigenen Willens gewährt; um das lügnerische Wesen zu bekämpfen, ist der Ehrtrieb zu wecken, damit ein edler Stolz im Zögling emporkeimt; um die Tugenden der Verträglichkeit, Gefälligkeit und

Dienstfertigkeit zu pflegen, hat die Zucht den Geselligkeitstrieb zu ihrem Genossen anzunehmen. Stellen sich aber Fehler beim Zögling ein, so hat die Zucht durch Strafen in demselben Unlustgefühle hervorzurufen, welche zur Einkehr nötigen und vom falschen Wege ablenken. Zu gleichem Zweck bedient sich der Erzieher der Versagung der Befriedigung der Triebe, wodurch er dem Zögling ins innerste Mark greift. Er bestraft ihn daher am wirksamsten durch Entziehung von Freiheit, Abbruch von Speise und anderem sinnlichen Genuß, durch Entziehung jeder Gesell= schaft, durch Zurückseßung verschiedener Art und endlich durch körperliche Züchtigung, bei welcher die Scham über die Entehrung weher thun muß als jeder Schlag.

45. Die Begierde.

1. Wesen und Begriff der Begierde. Als der verlorene Sohn (Luc. 15) Hunger litt, tauchte in ihm die Vorstellung auf, daß im Hause seines Vaters Brotes die Fülle sei. Diese Vorstellung erzeugte in ihm Lust, in welcher die durch den Genuß des Brotes entstehende Befriedigung antizipiert wurde. Thatsächlich aber bestand ein Mißverhältnis zwischen dieser lustspendenden Vorstellung und der mit Unlust erfüllenden Wirklichkeit und, deshalb wirkt seine Seele auf die Beseitigung dieses Mißverhältnisses hin: sie strebt darnach, das Gefühl des Nichtbefriedigtseins aufzuheben und dafür den Zustand der Lust, den die Sättigung durch Brot gewährt, herbeizuführen. Die Vorstellung ist in das Streben nach Genuß von Brot umgeschlagen. Eine im Zustande des Strebens befindliche Vorstellung nennt man Begierde.

Auch bei der Begierde ist das Unluftgefühl das erste, aber dasselbe geht nicht gleich wie der Trieb in Bewegung über, sondern zwischen Gefühl und Bewegung tritt die Vorstellung von dem Gegenstande, der die Unlust beseitigt und Lust schafft. Mit dieser deutlichen Vorstellung ist zugleich das Bewußtsein verbunden, wie fern die lustspendende Vorstellung dem wirklichen Genusse steht. Dadurch wird das Streben angeregt, die Lust durch das Mittel, welches sich dem Bewußtsein als Lustspendend aufdrängt, wirklich herbeizuführen. Es ist demnach bei der Begierde dreierlei zu unterscheiden:

a. das Gefühl des Mangels,

b. die Lustspendende Vorstellung,

c. das Streben, diese Lust wirklich zu erreichen.

Die Begierde will eine Zustandsveränderung hervorrufen; ist das Erstrebte erlangt, so tritt Befriedigung ein, und die Begierde erlischt.

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