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Blut gefüllt werden. Es stellt sich namentlich ein bei Schüchternheit, Scham, Schuldbewußtsein, Verlegung des Anstandes, Tadel, Lob und Bewußtwerden der Aufmerksamkeit anderer auf uns. Da das Erröten ein Zeichen vorgeschrittener Erziehung und Bildung ist, wird es im günstigen Sinne gedeutet: „Wie kann man denen trauen, die nicht erröten können!"

Diese körperlichen Erregungen wirken nun wieder auf die Erregung der Seele zurück und lassen diese nicht gleich zur Ruhe kommen; denn die Ruhe des Gemütes kann nur dann erst eintreten, wenn sie im leiblichen Organismus wiederhergestellt ist. Anderseits erfahren durch diese Entladungen die Affekte bisweilen eine Milderung; die Stimmung wird eine ruhigere, wenn man bei einem großen psychischen Schmerze sich „ausweinen" fann. Gewaltsam unterdrückter Zorn gährt im Innern um so heftiger.

3. Arten der Affekte. a. Ihrer Natur und ihren Wirkungen nach sind die Affekte sehr mannigfaltig. Man hat sie eingeteilt je nach ihrem Einfluß auf das Vorstellungsleben in Affekte der Überfüllung und Entleerung (Drobisch), je nachdem sie von Lust oder Unlust begleitet sind, in rüstige und schmelzende (Carus) und je nachdem sie das Streben fördern oder hemmen in sthenische und asthenische (Kant). Diese Einteilungen lassen aber die Wirkung des Affekts auf den körperlichen Organismus außer acht. Da nun aber die Affekte geistig und körperlich entweder belebend oder lähmend wirken, teilen wir sie am besten mit Nahlowsky in exzitierende und deprimierende ein. Bei den erzitierenden finden wir Reichtum an Vorstellungen, Lustgefühl, Willens- und Körperkraft, bei den deprimierenden Seelenarmut, Unlust, Willenlosigkeit und körperliche Schwäche. Je nach ihrem aktiven oder passiven Charakter ordnet Nahlowsky die Affekte in eine Plus- und Minusseite.*) Plus-Seite (aktive):

Angenehme Überraschung.
Plögliche Erheiterung.

Minus-Seite (passiv):

Beklommenheit, Staunen.

Verlegenheit, Verblüffung.

Lustigkeit.

Schmerzliche Überraschung.

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b. Der Affekt unterscheidet sich vom Gefühle, das auch eine Erregung der Seele ist, aber langsamer und ruhiger verläuft und nicht so intensiv auf Seele und Leib wirkt. Die Gefühle können jedoch, wenn sie einen hohen Stärkegrad gewinnen, in Affekte umschlagen, so das Gefühl der Erwartung in Ungeduld, Furcht, Verzweiflung, Überraschung; die ästhetischen Gefühle in Bewunderung, Schwärmerei, Entzücken; die intellektuellen Gefühle in Verlegenheit, Verblüffung, Staunen, Begeisterung; die ethischen und religiösen Gefühle in Entrüstung, Scham, Reue, Verzückung; das Mitgefühl in Groll, Ingrimm, schwärmerische Liebe und das Selbstgefühl in Mut, Übermut, Zorn, Kleinmut.

4. Pädagogisches.

Wenn auch der Affekt das Zeichen eines empfänglichen und beweglichen Geistes ist und ein Mensch, der nicht aus seiner Ruhe aufgeschreckt werden kann, eigentlich nur zum Teil lebt, so trägt der Affekt doch das Gepräge einer Krankheitserscheinung, die durch ihr plögliches Auftreten und ihre stürmischen Äußerungen die geistige und körperliche Gesundheit aufs höchste bedroht. Da der Affekt die Seele in eine unwürdige Abhängigkeit von den Zuständen des Leibes seht, ist es Pflicht, ihn zu beherrschen und der Leitung der Vernunft zu unterwerfen.

Insbesondere sind die Kinder wegen der großen Empfänglichkeit für äußere Eindrücke und wegen Mangels an festen Vorstellungsverbindungen und an Selbstbeherrschung den Affekten preisgegeben. Auch äußern sich bei ihnen die Affekte stürmisch und wechseln rasch; manche Kinder haben „Lachen und Weinen in einem Säckchen“. Ihre Vorstellungen sind eben noch nicht feste Assoziationen eingegangen, sodaß sie durch irgend einen Anstoß leicht in Verirrung geraten; aus Mangel an Selbstbeherrschung können sie dem Anprall von außen und dem Ausbruch von innen keinen Widerstand entgegenseßen. Der Pädagog muß daher die Affekte wie Naturkräfte zähmen und auf ihre Milderung bedacht sein.

a. Der Unterricht hat auf einen wohlverbundenen Gedankenkreis hinzuarbeiten. Mit Recht sagt Herbart:*) „Je weniger Verbindungen noch unter den Vorstellungen stattfinden, desto mehr gehen die Bewegungen des Gemüts stoßweise und mit harten Rückungen; je mehr die Verbindungen zunehmen, desto gleichmäßiger und sanfter wird der Fluß der Vorstellungen". Bei einem geschlossenen Gedankenkreise ist das Innere gerüsteter gegen jenen überraschenden Stoß, der das Hauptmerkmal des Affekts ausmacht; bei geringerer Bildung dagegen bringen jeder Anprall von außen und jeder Ausbruch von innen den lockeren

*) Herbarts Werke V, S. 401.

Bau aus dem Gleichgewicht. In der Beherrschung der Affekte liegt mit ein Segen der Bildung.

b. Da der Affekt mit der leiblichen Disposition zusammenhängt, ist namentlich auch der Körper durch Turnen, Bewegung in freier Luft 2c. zu stärken, damit er der aus dem Innern kommenden Erschütterung widerstehen kann. Jede Überreizung der Nerven durch Überanstrengung und Überhäufung mit geistigen Arbeiten ist zu vermeiden. Je mehr durch Gesundheitspflege und Stählung des Körpers das Gefühl der wachsenden Kraft erregt wird, desto weniger wird das Kind den deprimierenden Affekten (Angst und Furcht) preisgegeben sein.

c. Die Zucht muß auf Verhütung bez. Besänftigung der Affekte bedacht sein. Eltern und Lehrer sollen alles meiden, wodurch Affekte erregt werden; sie dürfen den Kindern einfache Wünsche nicht versagen, um nicht das Gemüt zu erbittern, oder gar in ihnen durch ironische Worte und allzu große Strenge einen Sturm von Gefühlen hervorrufen und verursachen, daß sie sich innerlich aufbäumen und in Zorn geraten.*) Die Kinder sind von Orten zu entfernen, an denen sie Zeugen von nervenerschütternden, aufregenden Ereignissen werden; denn je öfter sie Gemütserschütterungen ausgesetzt werden, desto mehr wächst die Empfänglichkeit dafür. Allen maßlosen Ausbrüchen der Affekte durch Stampfen mit den Füßen, Umsichschlagen, Werfen auf den Boden, lautes Schreien 2c. ist mit Besonnenheit und Festigkeit entgegenzutreten. Nicht durch fortwährendes Schelten und Strafen läßt sich die ruhige Gemütslage erhalten, „nur der Liebe gelingt's, wenn sie sich selber bezwingt". Einem jähzornigen Kinde räume man alles aus dem Wege, was es zum Jähzorn reizen könnte, dann wird, wie ein Feuer durch Mangel an Brennstoff ausgeht, auch der Affekt sich allmählich legen. Bricht er wieder aus, dann lenke man die kindliche Aufmerksamkeit von dem verursachenden Gegenstande oder der Person ab und suche auch durch Zurechtweisung und Beschämung das Kind zur Ruhe zu bringen.

d. Das Beispiel des Erziehers ist für Behandlung der Affekte von großer Wichtigkeit. Heftigkeit und Erregbarkeit der Eltern tragen sich auf die Kinder über, gerade wie die Angst vor dem Gewitter ansteckend wirkt. Die Eltern müssen in Freud und Leid maßvoll bleiben und dürfen auch die besonnene Ruhe nicht verlieren, selbst wenn sie vom Kinde zum Zorne gereizt werden und über dasselbe eine Strafe verhängen müssen. Selbstbeherrschung ist daher eine wichtige Tugend der Erzieher. Auch mag der Erzieher immer bedenken, daß jeder Affektausbruch seiner Würde Eintrag thut.

*) Eph. 6, 7.

C. Das Willensleben.

Die Vorstellungen sind psychische Zustände, die in unserer Seele vorgehen, die Gefühle Zustände, die mit unserer Seele vorgehen. Nun giebt es aber auch Zustände, die aus ihr hervorgehen; denn die Seele wirkt von innen heraus und kann an und außer sich einen noch nicht vorhandenen Zustand herbeiführen. Diese von innen nach außen gerichtete, zu äußerlicher Kundgebung drängende Thätigkeit nennen wir Streben. Während das Gefühl zentrale Geistesthätigkeit ist, tritt die Seele im Vorstellen und Streben in Beziehung zur Außenwelt, und zwar mit dem Unterschiede, daß beim Vorstellen die Außenwelt verwandelt wird in eine Welt von Gedanken, beim Streben dagegen die Innenwelt sich in Bewegungen und Handlungen umsetzt. Das Vorstellen nimmt ge= wissermaßen die Dinge in sich auf, das Streben ist Bewegung nach den Dingen hin; jenes ist zentripetal und der Anziehungskraft vergleichbar, dieses zentrifugal, der Expansionskraft vergleichbar.

Die Strebungen, die dritte Gruppe der seelischen Erscheinungen, hängen aufs innigste mit den Vorstellungen und Gefühlen zusammen, ohne die sie überhaupt nicht entstehen können. Doch veranlassen Vorstellen und Fühlen nur das Streben, das seinen Grund in der eigenen Natur der Seele selbst hat. Es liegt eben in der Seele die Grundfähigkeit, sich in der Richtung von innen nach außen zu bethätigen und aus eigener Kraft Ursache von Wirkungen an und außer sich zu sein. Die reiche Mannigfaltigkeit der Strebungszustände von den ersten dunklen Triebregungen bis zu den bewußten, sich selbst be= stimmenden Entscheidungen fassen wir unter dem Namen Willensleben zusammen.

Die Seelenvorgänge werden je nach ihrer Verschiedenheit gewöhnlich in 3 Klassen geteilt, in Vorstellungen, Gefühle und Strebungen, sodaß ein besonderes Erkenntnis-, Gefühls- und Willensvermögen unterschieden worden ist. Der Vater der Vermögenstheorie war Aristoteles, der Erkenntnis und Willen als die Hauptformen des geistigen Lebens annahm. Diese Ansicht galt bis auf Wolff († 1752), der Vorstellen und Streben als die Grundvorgänge alles psychischen Geschehens ansah. Sein Schüler Tetens fügte zwischen Erkennen und Wollen das Gefühl als drittes Vermögen ein, und durch den Einfluß Rousseaus und das Ansehen Kants († 1804), welcher ihr beipflichtete, hat diese Dreiteilung allgemeine Verbreitung gefunden. Mit diesem Überbleibsel der alten Philosophie räumte Herbart († 1841) auf, indem er darauf hinwies, daß es in der Seele als einem einfachen Wesen gar keine ursprünglichen Vermögen geben könne und daß die sogenannten Seelenvermögen nur Klassenbegriffe von psychischen Erscheinungen seien. Seine Annahme aber, daß die Vorstellungen die einzigen psychischen Prozesse seien und daß die anderen seelischen Vorgänge, wie Fühlen und Wollen, nur aus der wechselseitigen Förderung und Hemmung der Vorstellungen her

vorgehen, *) ist eine bis jezt noch nicht erwiesene Hypothese. Wir halten, ohne die Seele in verschiedene Vermögen zu trennen, doch Vorstellungen, Gefühle und Bestrebungen für eigenartige Erscheinungen, die sich wechselseitig bedingen und bei jedem psychischen Akte zusammenwirken. Die Grundfähigkeiten des Vorstellens, Fühlens und Wollens sind zwar verschieden, aber nicht geschieden, sondern in gegenseitiger Abhängigkeit von= einander thätig. Die einzelnen Erscheinungen sind nur verschiedene Strahlen eines Ganzen, der einen, unteilbaren Seele. Die Seele selbst ist das Subjekt alles psychischen Geschehens, sodaß in jeder Seelenthätigkeit die ganze Seele nach ihrem ganzen Wesen aktiv ist, das aber in verschiedenen Momenten in verschiedenen Zuständen zur Erscheinung kommt, bei denen das Denken, Fühlen oder Wollen überwiegt. Wenn wir nun auch hier die einzelnen Seelenerscheinungen getrennt behandeln, so müssen wir uns doch immer bewußt bleiben, daß wir damit theoretisch eine Trennung vollziehen, die in Wirklichkeit nicht vorkommit.

44. Der Trieb.

1. Wesen des Triebes.

Das Kind verlangt nach Nahrung, wenn es Hunger und Durst fühlt, es sehnt sich nach Bewegung, sobald es eine Zeit lang still gesessen hat, schreit, wenn man es allein im Zimmer läßt 2c. Es verlangt also nach Nahrung, Bewegung und Gesellschaft und strebt, diesen Drang zu befriedigen. Diese in der Natur des Menschen begründete AnLage zu einem gewissen Streben nennen wir den Trieb.

Die Geburtsstätte des Triebes ist zunächst die Körperempfindung. Mit jeder durch einen von innen kommenden Reiz entstehenden Empfindung ist ein Gefühlston verknüpft. Das Gefühl ist entweder Lust oder Unlust, und damit ist schon unmittelbar ein Streben verbunden, sich von dem, was Unlust schafft, abzuwenden und sich hinzuwenden zu dem, was mit Lust erfüllt. Dieses zum Streben drängende Gefühl nennt man die Triebfeder. Es stellen sich nämlich dann ganz von selbst Bewegungen ein, welche darauf zielen, von der Unlust loszukommen und namentlich jene Reize aufzuheben, durch welche die unbehagliche Gemütslage hervorgerufen worden ist. Die Seele reagiert gegen jene Reize, und dieses auf Aufhebung des Reizes gerichtete unbewußte Streben ist der Trieb. Es ist demnach im Triebe dreierlei zu unterscheiden:

a. der von innen kommende Reiz, mit welchem meist ein Gefühl der Unlust verbunden ist.

b. das Streben, von dieser Unlust loszukommen, und

c. die zur Aufhebung des Reizes führende Bewegung.

Die Bewegungen sind bei den ersten Triebäußerungen Reflexe. Je öfter aber gewisse Bewegungen ausgeführt werden und zum Ziele führen,

*) Schopenhauer nimmt als Grundthätigkeit der Seele den Willen an, indem er sagt: „Das lezte Substrat jeder Erscheinung im Seelenleben ist der Wille.“

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