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stande das eigene Ich. Als egoistisches Gefühl bezeichnet es den Gegensah zum sympathetischen (altruistischen) Gefühle.

Die Ichvorstellung ist die stärkste Vorstellungsmasse, die alle anderen. apperzipiert. Wir wissen immer, daß dies unsere Gedanken, Gefühle, Entschließungen und Handlungen sind, und so kommt es, daß uns fortwährend schwache und flüchtige Selbstgefühle begleiten. Allmählich knüpfen sich an die Vorstellung des Ichs Vorstellungen von dem Werte des Ichs. Der Wert des Ichs ist das Produkt mehrerer Faktoren; Körperkraft, körperliche Schönheit, Vermögen, Anlagen, Wissen, Können 2c. bestimmen diesen Wert. Auch die Abstammung von einer angesehenen Familie, die amtliche Stellung, Titel, die vollbrachten Leistungen 2c. erhöhen das Ich, insbesondere bei Vergleich mit anderen Personen, die jene Vorzüge nicht in dem Grade aufweisen. Alles, was an unser Ich erinnert, hat für uns schon etwas Anheimelndes. Vor andern genannt zu werden und von sich sprechen zu hören, unsern Namen gedruckt zu sehen oder einen Gegenstand zu bemerken, der mit unserer Lebensgeschichte verschmolzen ist, bereitet uns ein gewisses Vergnügen. Mancher Vater spricht mit Behagen von seinen Kindern, die schon deshalb die schönsten und klügsten sind, weil sie seine eigenen sind, und der Lehrer freut sich seiner Schüler, auf die er sein eigenes geistiges Sein übertragen hat. Selbst fremde Körper, die mit der Oberfläche unseres Körpers in Berührung treten, erhöhen das Bewußtsein eigener persönlicher Existenz. So steigern Kleider das Selbstgefühl. Der Soldat gefällt sich in seiner Uniform; der Schüler fühlt sich in seinem Werte gehoben, wenn er sich zum erstenmale in der Heimat mit der bunten Müge zeigen kann, und bei Frauen, die hohe Stiefel oder hochgetürmte Haartouren tragen und sich sonst mit Schleppen, Spißentüchern, Schleiern 2c. schmücken, kann das Wohlgefühl, das mit dieser Vergrößerung des Ichs verbunden ist, selbst kleine Unannehmlichkeiten und Einschränkung in freier Bewegung des Körpers erträglich machen.

Sobald aber nun die Ichvorstellung eine besondere Förderung erfährt, sei es durch Anerkennung, Lob, Ehre oder glückliche Erfolge, namentlich wenn es der Überwindung von Hindernissen galt, so hebt sich das Selbstgefühl zu intensiver Lust. Wenn anderseits die Ichvorstellung durch Tadel, Verachtung und Spott seitens anderer oder durch mißlingende Erfolge eine Hemmung erfährt, so wird das Selbstgefühl herabgestimmt, und es tritt Unlust ein. Der Turner, dem eine Übung nicht gelungen ist, der Redner, der in seinem Vortrage stecken geblieben ist, der Schüler einer höheren Klasse, welcher sich vor einem Schüler einer anderen Klasse eine Blöße gegeben hat, der Knabe, der sich bei einer Antwort versprochen oder lächerlich gemacht, sie alle werden mißgestimmt und ärgern sich über

sich. Wenn wir uns an etwas gewagt haben, was unsere Kräfte überstieg, sodaß wir unser Vornehmen nicht zu Ende führen konnten, so erfährt unser Selbstgefühl eine bedeutende Senkung, wir schämen uns. Das Selbstgefühl teilt mithin mit allen anderen Gefühlen den Zwiespalt in Lust und Unlust.

2. Falsches und richtiges Selbstgefühl.

Hat das Selbstgefühl nicht in den wirklichen Erfahrungen über den Wert und die Geltung des eigenen Ichs seinen Sit, so wird es zum falschen, das aus Überschätzung oder Unterschätzung des Ichs hervorgeht. Das falsche Selbstgefühl ist daher entweder ein zu starkes, oder ein zu schwaches.

a. Das zu starke Selbstgefühl beruht auf Einbildungen über den vermeintlichen Wert des Ichs.*) Namentlich tritt es bei denen auf, die wegen ererbter Vorzüge, wie Körperkraft, Schönheit, Vermögen, Familiennamen 2c., eine höhere persönliche Würde beanspruchen. Gar oft hat auch die Einbildung ihren Grund in der Oberflächlichkeit des Wissens. Äußerlich bekundet es sich in straffer Haltung, sicherem Auftreten, kräftigen Bewegungen, starker Stimme und leuchtendem Blick. Es artet aus in Eitelkeit, wenn bei innerer Nichtigkeit der Mensch auf bloße Außerlichkeiten zu große Bedeutung legt, und in unedlen Stolz, der seine Würde und Bedeutung beständig festhält und der Vorzüge, die er vor allen voraus hat, sich in dem Grade bewußt ist, daß er geringschäßig auf andere herabsieht. Wallt das Selbstgefühl über, sodaß es zur Bethätigung drängt, ohne sich um die Folgen seiner Handlungen für andere oder um die Rechte anderer sonderlich zu kümmern, so wird es zum Übermut; beansprucht es besondere Autorität und Rechte, wodurch andere verlegt werden, so wird es zur Anmaßung (Arroganz).

Ein übermäßig gesteigertes Selbstgefühl zeigt sich bei Knaben in der Periode, welche man die Flegeljahre nennt. Mit Zunahme der Muskelkräfte und mit Erweiterung des geistigen Horizonts entsteht eine übermütige Stimmung, die sich in Neckerei und Gewaltthätigkeit gegen kleine Knaben und besonders Mädchen, im Verspotten gebrechlicher Personen und in Verwüstung und Zerstörung fremden Eigentums kundgiebt. Bei solchem „Gassenjungensinn“ sucht einer den andern in tollen Streichen zu überbieten und dadurch sein Ansehen zu begründen und zu behaupten. Das eigene Ich wird hervorgehoben durch Prahlen und Übertreibung der eigenen Leistungen; das Wegseßen über alle Belehrungen, Ermahnungen und Autorität der Erzieher und das Geringschäßen der Strafen zeigen den ungestümen Drang nach Selbständigkeit. Selbst Schüler in reiseren Jahren verraten noch durch die Dreistigkeit des Urteils, durch Besserwissenwollen und absprechende Beurteilung ihrer Lehrer ein übermäßig gesteigertes Selbstgefühl. **) *) Inwendig lernt kein Mensch sein Innerstes

Erkennen, denn er mißt nach eignem Maß

Sich bald zu klein und öfter noch zu groß. Goethe, Tasso II, 3.

**) Beschränkt und unerfahren hält die Jugend)

Sich für ein einzig auserwähltes Wesen

Und alles über alle sich erlaubt. Goethe, Tasso II, 5.

b. Das zu schwache Selbstgefühl entspringt aus ungenügender körperlicher und geistiger Entwickelung, vielfach auch aus einem Leben in Niedrigkeit. Außerlich verrät es sich in langsamer Bewegung, gebeugtem Haupte, schwacher Stimme, öfterem Erröten und niedergeschlagenem Blick. Wer aus Mangel an Selbstgefühl sich anderen gegenüber mit Worten und Handlungen nicht herauszugehen wagt, ist schüchtern. Wenn die Schüchternheit so weit geht, daß der Mensch dadurch ungeschickt und linkisch erscheint, wird sie zur Blödigkeit. Die tiefste Demütigung erhält das Selbstgefühl, wenn Umstände, die man vor anderen verbergen möchte, vor den Augen anderer enthüllt werden; es treten dann Scham und Reue ein. Die peinigendste Herabstimmung des Selbstgefühls empfindet der Mensch in der Todesfurcht, in welchem Gemütszustande den Menschen die Vorstellung von der gänzlichen Auflösung des Ichs ängstigt, daher das Ich als Ich Anspruch auf eine ewige Fortdauer erhebt und durch den Unsterblichkeitsglauben sich von der Qual der Todesfurcht befreit.

c. Das wahre Selbstgefühl ruht auf der richtigen Selbstschäzung. Es ist völlig berechtigt, da es im wirklichen Werte des Ichs seinen Grund hat und diesen Wert, ohne andere dabei zu verlezen, geltend macht. Von großer Bedeutung ist das in richtigen Grenzen sich haltende Selbstgefühl wegen seiner Beziehung zur Sittlichkeit. Es ist ein unermüdeter Stachel zur Selbstvervollkommnung und ein lebendiges Reizmittel zum Wettkampfe mit den Individuen, um eben dem Ich Geltung zu verschaffen und zu erhalten. Es erfüllt den Menschen mit Selbstvertrauen und wird dadurch zur Quelle der Kraft. Für ein kräftiges und pflichtmäßiges Handeln ist es unerläßlich. Alle wahrhaft großen Männer, die ihren Wert in ihrer ganzen Erscheinung, in ihren Worten und Werken ausgestrahlt haben, sind daher von einem kräftigen Selbstgefühle durchdrungen gewesen und haben immer den Glauben an sich gehabt, daß sie die ihnen geseßten Aufgaben wirklich lösen konnten. Mochte das Emporwachsen über andere Sterbliche sie auch mit edlem Stolz erfüllen, von Hochmut ist ihre Seele frei geblieben (Luther, Bismarck). Wer sein Ich wirklich kennt, dem ist neben seiner Stärke auch seine Schwäche bewußt, und er bleibt deshalb demütig und bescheiden. Endlich bewahrt das rechte Selbstgefühl den Menschen vor Erniedrigung, da es ihn unfähig macht, etwas zu thun, wodurch er sich entwürdigen könnte.

3. Pädagogisches. Früh schon erwacht das Selbstgefühl. Das Kind will bald seine Kräfte äußern, sich vor den andern hervorthun, prahlt gerne mit sich und triumphiert über andere („ich habe das größte Stück“ - wir sind reicher, vornehmer als ihr"). Da die ästhetischen und sittlichen Gefühle noch in der Entwickelung begriffen sind, ist dem Selbstgefühl freies Walten gestattet; deshalb wuchert es auf Kosten der anderen Ge

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fühle empor. Die meisten kindlichen Unarten sind eigentlich nur Ausartungen des Selbstgefühls, wie Eigensinn, Eigennut, Eigenwille, Troß, Lüge, Eitelkeit, Ehrgeiz 2c. Anderseits bleibt es bei manchen Kindern zu schwach, sodaß sie nie zur Selbständigkeit des Thuns gelangen. Deshalb muß es in Zucht genommen werden.

a. Die Erziehung hat das Selbstgefühl zu mäßigen und in den rechten Schranken zu erhalten, wenn es zu stark auftritt. Sie hat dem Kinde zu zeigen, daß der Wert des Menschen nicht besteht in zufälligen, vermeintlichen Vorzügen, da diese nicht einmal eigenes Verdienst sind, sondern in der sittlichen Tüchtigkeit, und daß alles, was der Mensch besißt, erst seinen Wert von dem erhält, was er ist, und daß des Menschen Würde mit seinem sittlichen Werte steht und fällt. Der Unterricht giebt reichlich Veranlassung, das Kind diesen rechten Maßstab seiner Selbst= schäzung erkennen zu lassen. Dem auf sein Wissen eingebildeten Schüler sind die Grenzen seines Wissens bewußt zu machen und oft Perspektiven zu öffnen, damit er sieht, daß er noch viel zu lernen hat, und demütig und bescheiden wird. Insbesondere trägt der durch die Schule erweiterte Umgang dazu bei, das Selbstgefühl auf das richtige Niveau herabzuschrauben, und dem eigenen lieben Ich innerhalb einer großen Gesellschaft anderer Iche die gebührende Stellung zuzuweisen.

b. Die Erziehung hat das Selbstgefühl zu stärken, wenn es noch zu schwach ist. Sie beschäftige die kindlichen Kräfte durch Arbeit und Spiel, sodaß das Kind beim Gelingen seiner Thätigkeit sich seines Könnens bewußt wird und Selbstvertrauen gewinnt. Die Befriedigung über das Geleistete hebt das Selbstgefühl. Man richte die Schwachen durch aufmunternde Worte auf und stärke das zu geringe Selbstvertrauen durch Anerkennung des guten Willens. Endlich hüte man sich, schüchterne und verlegene Naturen vor den Mitschülern bloßzustellen und lächerlich zu machen oder gar durch bitteren und beschimpfenden Tadel das schwache Selbstgefühl im Keime zu ersticken.

42. Das Ehrgefühl.

1. Wesen des Ehrgefühls. a. Paulus bekennt, daß er lieber sterben wolle, als daß ihm jemand seinen Ruhm zu nichte mache (1. Cor. 9, 15), und wehrt sich seiner Ehre, da er in Philippi (Akt. 16, 37) diejenige Satisfaktion beansprucht, die ihm als römischem Bürger gebühre. Er legt Wert auf seine Ehre. Als was sich einer fühlt, will er auch von anderen gehalten sein; was er thut und leistet, will er auch von anderen anerkannt, gebilligt und gelobt wissen; nicht nur sich will er gefallen, auch bei anderen will er Geltung haben. Jeder Mensch strebt daher

nach Anerkennung dessen, was er Tüchtiges ist und leistet, nach Achtung und Würde, die seiner Persönlichkeit nach ihren Vorzügen und ihrem sittlichen Handeln zukommt. In der Anerkennung unseres persönlichen Wertes durch andere besteht die Ehre, in der Wertschäßung, die wir auf die Anerkennung der anderen legen, das Ehrgefühl. Wird nun jemandem die Anerkennung der anderen zu teil, so tritt das Lustgefühl der Befriedigung ein, da es ihn beglückt, daß seine Persönlichkeit bei anderen einen Wert hat. Wird ihm die Ehre versagt, so fühlt er sich in seinem Streben gehemmt und unbefriedigt. Daher erfüllt jeder Beifall, den andere uns zollen, jeder Gruß und jede Beachtung, die sie uns schenken, die Seele mit Lust, während die Erfahrung, von anderen gleichgiltig behandelt, von ihnen übersehen oder gar getadelt zu werden, und das Bewußtsein, sich durch eine unsittliche Handlung vor anderen entwürdigt zu haben, das Unluftgefühl der Beschämung hervorruft. Das Ehrgefühl meldet sich mithin als Lust gefühl bei Befriedigung, als Unlust gefühl bei Nichtbefriedigung des natürlichen Bedürfnisses nach Ehre.

Das Ehrgefühl ist eine Erweiterung des Selbstgefühls, da es auf der Wahrnehmung des Wertes beruht, den andere dem Ich zuerkennen. Zugleich trägt es zur Vertiefung des Selbstgefühls bei; denn indem wir uns in den anderen selbst schauen und das können wir an der Art ihres Betragens gegen uns, wird uns der wirkliche Wert unseres Ichs erst recht bewußt.

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b. Zuerst regt es sich als Schamgefühl. Schon frühe nimmt das Kind wahr, daß alle Familienglieder der Person des Vaters einen Wert beilegen. Es sieht, daß der Vater am Tische einen besonderen Plaß hat, den alle freimachen, sobald er kommt. Es bemerkt, daß der Vater anordnet und befiehlt, die andern aber ihm gehorchen, daß des Vaters Lob die anderen erfreut, sein Tadel die anderen niederdrückt. Dadurch lernt es den Wert der Persönlichkeit des Vaters empfinden und ihn auch anerkennen. Sobald es nun selbst sich den Tadel des Vaters zuzieht, fühlt es sich unzufrieden mit sich, es schämt sich, die Röte steigt ihm ins Gesicht, und es kann den Blick des Vaters nicht aushalten. Es kommt ihm in diesem drückenden Unlustgefühl zum Bewußtsein, daß es sich selbst durch seine Handlungsweise vor dem Vater entwürdigt hat. Im Schamgefühl erwacht daher das Ehrgefühl.

2. Bedeutung des Ehrgefühls. a. Es treibt uns an, das Bild, das andere von uns haben, fleckenlos zu erhalten und, falls dasselbe durch einen Fehltritt gelitten hat, wiederherzustellen. Da nun aber bloß ehrbar ist, was sittlich gut ist, und das nur Schande bringt, was

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