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gefühlen begleitet. Die zahlreichen und verschiedenen Geruchsqualitäten werden gewöhnlich nach den Erregern bezeichnet: Rosen-, VeilchenWeingeruch, oder nach den Wirkungen: eklig, abscheulich, ange= nehm. Selbst die einzigen selbständigen Bezeichnungen duftend und stinkend geben weniger die Qualität als das begleitende Gefühl an.

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Der Geruchssinn bleibt zwar wegen seiner geringen Bedeutung für die geistige Ausbildung meist unausgebildet, sodaß er der Selbständigkeit fast entbehrt und eigentlich nur den Gehilfen der anderen Sinne abgiebt, doch ist er als Wächter der Atmungsorgane und als Kontrolleur der Nahrungsmittel von großer Wichtigkeit für den leiblichen Organismus. Er warnt nachdrücklich; denn nichts widerstrebt uns mehr, als übelriechende Speisen zu genießen und da zu verweilen, wo wir einen ekelhaften Duft empfinden. Als Stimmungswecker hat er Einfluß auf unser Gemüt (Weihrauchduft in der katholischen Kirche).

Bei den Tieren spielt der Geruch eine vorherrschende Rolle unter den Sinnen; mittels desselben wird die Nahrung gewittert und die Gefahr vermieden.

2. Der Geschmackssinn.

Das Organ desselben ist die Schleimhaut der Zunge, in deren verschieden geformten Wärzchen sich die Nervenenden verzweigen. Die intensivste Geschmacksempfindung ist an der Wurzel, der Spiße und den Rändern der Zunge; der vordere Zungenrücken ist stumpf.

Der Geschmackssinn nimmt die chemischen Bestandteile der in Flüssigkeiten gelösten Körper wahr. Man unterscheidet 4 verschiedene Geschmacksqualitäten: süß, sauer, bitter und salzig.*) Das Bittere schmecken wir im hinteren Dritteil der Zunge, die anderen Qualitäten im seitlichen und vorderen Teile derselben. Die unmittelbare Berührung fordernd, erseßt dieser Sinn die geringe Weite seines Wirkungskreises durch die Stärke und die lebhafte Betonung der Empfindungen, die noch von sehr verschiedenen Neben- und Folgeempfindungen der Lust und Unlust begleitet werden; deshalb werden auch seine Qualitäten auf Gefühle (füßes Hoffen - bitteres Leid) und deren Ausdrucksvorgänge (süß lächeln, sauer sehen, bitterlich weinen) übertragen. Seine Empfindungen haben einen subjektiven Charakter; denn was dem einen gut schmeckt, kann dem andern widerstehen. De gustibus non est disputandum. Dem leiblichen Leben dient er als Wächter der Verdauungsorgane, da er die Beschaffenheit, Zuträglichkeit und Schädlichkeit der Speisen prüft. Troßdem fällt er leicht der Anpassung an das Schädliche anheim, weil er wie der Geruchssinn nur im ersten Anfange warnt, z. B. beim Rauchen. Er

*) Die Empfindung des Efels, welche meist mit intensiven bittern und salzigen Geschmackseindrücken sich verbindet, ist eine Gemeinempfindung.

ist der eigentliche Nahrungssinn und wirkt bei der Nahrungsaufnahme als Erzieher, Leiter und Beschüßer. Gerne verbindet er sich mit dem Gesichtssinn; ein häßlicher Anblick verdirbt den Appetit, Schmuck der Tafel erhöht den Genuß des Essens. Der geistigen Bildung dient er nur insofern, als er durch prüfendes Zerlegen die chemischen Eigenschaften der lösbaren Körper erkennen läßt.

9. Der Taftfinn.

1. Sein Organ ist die Haut, die in Ober-, Leder- und Fetthaut zerfällt. In der Lederhaut sind die Endungen des Gefühls- und Taftsinns, die bis an die Oberhaut reichen und von derselben geschützt werden. In die Oberhaut sind, namentlich an den Händen, den Füßen und der Zungenspitze, die Tastkörperchen gebettet, kleine bläschenförmige Organe, die je von einer sensitiven Nervenfaser umschlungen werden.

2. Der Tastsinn liefert sehr verschiedenartige Empfindungen, nämlich: a. Druckempfindungen. Sie entstehen durch Berührung mit unserm eigenen Körper oder miteinem fremden Körper; durch den mechanischen Widerstand, den dabei die Körper leisten, werden die unter der Haut liegenden Neri enenden erregt. Wir gelangen dadurch zur Empfindung des Aggre. gatzustandes der Körper (fest, flüssig, luftförmig), der Beschaffenheit ihrer Oberfläche (hart, weich, stumpf, spißig, rauh, glatt, schlüpfrig, naß, trocken), ihres Gewichtes (schwer, leicht) und ihrer Gestalt (rund, viereckig 2c.), wobei durch das Hin- und Hertasten der Haut auf der Oberfläche des Körpers, durch Tragen, Heben, Ziehen 2c. sich mit den Tastempfindungen zugleich Muskelgefühle verbinden. Durch das Tasten erlangen wir eine solche Fertigkeit, daß wir selbst Werkzeuge wie verlängerte Glieder gebrauchen und die Empfindung in das Ende des Werkzeugs, nicht in die Stelle verlegen, wo die Hand dasselbe berührt, z. B. beim Gebrauche der Feder, der Nadel, des Messers, des Stockes 2c. b. Temperaturempfindungen. Indem die Wärmeschwankungen eine Erweiterung oder Zusammenziehung der Hautblutgefäße bewirken, entstehen in uns Kälte- und Wärmeempfindungen: kalt, kühl, lau, warm, heiß. Die Empfindungen der Wärme und Kälte sind kontrastierende Empfindungen, da es zwischen beiden Qualitäten eine objektive Temperatur (15-16° C) giebt, bei der die Wärmeempfindung verschwindet (physiologischer Nullpunkt); je weiter die Empfindung nach beiden Seiten von diesem Nullpunkt entfernt ist, desto intensiver werden die Empfindungen, die bei Ueberreizung der Nerven zu Schmerzempfindungen sich steigern.

c. Organempfindungen, welche aus Reizen entstehen, die durch die Funktionen der Organe unseres eignen Leibes auf die im Innern unsres Körpers endigenden Empfindung snerven ausgeübt werden. Zu ihnen gehören namentlich das Gemeingefühl und das Muskelgefühl.

Das Gemeingefühl oder der Vitalsinn. Man schreibt ihm alle diejenigen Empfindungen zu, die durch die Zustände und Vorgänge in unserm Körper hervorgerufen werden. Durch dasselbe wird uns bewußt, daß wir leben und wie wir leben, ob wir gesund oder krank, kräftig oder schwach sind, ob wir uns behaglich fühlen, wie nach Schlaf, Sättigung, Genuß frischer Luft 2c., oder unbehaglich, wie bei Hunger, Durst, Verdauungsbeschwerden, leiblicher Notdurft. Da die Reizbarkeit der innern Organe im allgemeinen schwach ist, haben wir von den Zuständen derselben meist nur dunkle Empfindungen, und nur wenn der normale Zustand eine Förderung erfährt, wie nach einem Bade, oder durch Hemmung verändert wird wie bei Zahnweh, Seitenschmerz, Atembeschwerden 2c., oder wenn diese Schmerzempfindungen mit Druckempfindungen (Ziehen 2c.) oder Wärmeempfindungen (Fieberhize 2c.) verbunden sind, treten klare Perceptionen ein. Die meisten dieser Innenempfindungen werden, da sie andauernd gleichmäßig verlaufen und wir die Reize nicht willkürlich veranlassen können, einzeln kaum bemerkt, und nur dadurch, daß sie zusammenklingen, bilden sie eine wahrnehmbare Gesamtempfindung, daher man sie als Gemeingefühl bezeichnet. Es ist eben eine dunkle Flut, die aus den verschiedensten Lebenswellen gemischt ist."*) Drobisch nennt es, da es der Gradmesser der allgemeinen Stimmung unsres Organismus ist, das Barometer unsres Lebensprozesses." Auch unsere Gemütsstimmungen hängen zum größten Teile davon ab, wie es in jener dunklen Region schwingt und lebt.

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Das Muskelgefühl. Durch Einwirkung von Muskelzusammenziehungen auf das peripherische Ende der in den Muskeln, Sehnen und Gelenken gelegenen sensiblen Nerven werden Bewegungs- und Lageempfindungen ausgelöst, die, da sie immer nur in höchst zahlreichen Komplexen entstehen 3. B. bei Bewegung eines Armes werden an 25 Muskeln in Thätigkeit gesezt -, etwas Unbestimmtes haben und deshalb Muskelgefühl genannt werden. Das Muskelgefühl unterrichtet uns, daß unsere Muskeln und in welchem Grade sie thätig sind und in welcher Lage sich dies oder jenes Glied befindet. Wir bestimmen durch dasselbe das Maß der Kraft, das zu körperlicher Leistung nötig ist, um etwa einen Widerstand zu überwinden oder um unsere Glieder in eine gewisse Lage zu verseßen und sie darin zu erhalten, und spüren

*) S. Rubinstein, psychologisch-ästhetische Essays. S. 89.

den Spannungs- und Erschlaffungszustand der Muskeln. Durch dasselbe erhalten wir Kunde von der Haltung des Körpers, seinem Gleichgewicht, der Bewegung der Glieder, des Rhythmus des Schritts 2c., sodaß unserm Willen die Zügelung und Beherrschung des motorischen Apparates ermöglicht wird. Von besonderer Wichtigkeit ist es auch für den Gebrauch der Sprachwerkzeuge; denn wir würden nicht verschiedene Laute und Töne erzeugen können, wenn uns nicht der Muskelsinn von der erforderlichen Anstrengung, Stellung und Bewegung der Muskeln beim Sprechen Kunde gäbe. Muskelgefühle begleiten namentlich Gesichts- und Tast» empfindungen, indem sie die feinste Einstellung des Sinnesorgans unterstüßen. Dadurch tragen sie zur Gewinnung der Raumvorstellungen bei.

3. Der Tastsinn arbeitet den anderen Sinnen vor, indem er ihnen durch die Hand, das vorzüglichste Tastorgan, die zu untersuchenden Objekte darbietet. Da er jeden Eindruck auf das peripherische Ende des erregten Nerven bezieht und die Lage der gereizten Hautstelle angiebt, ist er der Sinn der Lokalisation und hat dadurch und als Diener des Gesichtssinns bedeutenden Anteil zur Bildung der Raumauffassung. Durch ihn überzeugen wir uns nicht nur von der Existenz der Dinge, sondern gewinnen auch die Wahrnehmung der Körperlichkeit derselben, weshalb man ihn den Körpersinn nennen kann. Wie sehr er als Erkenntnissinn wirkt, sehen wir daraus, daß Kinder und Erwachsene die Gegenstände in die Hand zu nehmen oder doch zu betasten pflegen, um fie deutlich kennen zu lernen, daher bei Ausstellungen das Verbot, die Gegenstände zu berühren, nötig ist. Besonders bringt uns der Tastsinn unsern eignen Körper, dessen Glieder sich gegenseitig betasten können, zum Bewußtsein und wird dadurch der Entstehung der Ich vorstellung dienstbar. Im Dunkeln dient er uns zum Schuße, und dem Blinden giebt er Ersag fürs Augenlicht. Als Temperatur- und Schmerz= sinn wacht er über unser leibliches Wohl und warnt uns vor Gefahren.

10. Pflege der Sinne und des Empfindungslebens.

Die Sinne sind „die Thore des ersten Weltverkehrs" und erschließen uns die Außenwelt. Aus den eigentümlichen Qualitäten der fünf gesonderten Empfindungsweisen sezen wir das Bild der Körper zusammen; so dringt auf fünffache Weise die äußere Wirklichkeit in unsern Geist ein. Die Sinnesthätigkeit ist die Grundlage des seelischen Lebens und liefert die ersten Bausteine des Gedankenkreises. Doch auch das ganze Gebäude weiterer Bildung ruht auf diesem Fundamente; denn nur das kann zum kräftigen Geistesleben werden, was in der Sinnesthätigkeit seine Wurzel

hat.

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Was soll der Baumeister Verstand anfangen, wenn ihm die Sinne nicht handlangen?" Nihil est in intellectu, quod non ante fuerit in

sensu.

Um aber die Sinne in ihrer ganzen Wirksamkeit und Feinheit zu erhalten, müssen sie in pädagogische Pflege genommen werden. Zunächst muß der Erzieher auf den Schuß derselben bedacht sein; denn wenn ein Sinn schwächer wird, versiecht eine Erkenntnis- oder Freudenquelle, der Mensch kann sich nicht mit der nötigen Raschheit schüßen, sein Verkehr mit der Natur- und Menschenwelt wird beeinträchtigt, sein Gemüt verschlossen und trübe. Der Erzieher bewahre sie daher vor allen schädlichen Einflüssen, vor zu starken und scharfen, vor zu lange anhaltenden und vor zu vielen und zu verschiedenartigen Reizen und erhalte sie durch Abwechselung zwischen Ruhe und Thätigkeit frisch, sodaß sie zu ihrem Dienste tauglich bleiben. Dann aber suche er sie durch sorgfältige und fleißige Übung zu möglichster Vollkommenheit auszubilden, sie zu schärfen, daß sie auch schwache Eindrücke bemerken, und zu verfeinern, daß sie auch kleine Unterschiede der Empfindungen wahrnehmen. Durch öfteren und zweckmäßigen Gebrauch steigert sich die Empfindlichkeit der Sinne, sodaß die Kinder nicht flüchtige und dunkle, sondern genaue und klare Perceptionen gewinnen.

Beim Kinde vollzieht sich die Empfindungsthätigkeit am stärksten, da es ganz der Sinnenwelt hingegeben ist; seinen Sinnen entgeht kaum ein neuer Eindruck, den die Umgebung darbietet. Dieser lebendige Empfindungsprozeß wird erst gegen Ende der Kindheit mit dem Vorwiegen der Denkthätigkeit abgeschwächt. Mit diesem Faktor hat der Pädagog zu rechnen. Sein Unterricht darf nie empfindungslos sein, sondern muß auf allen Stufen eine frische Empfindungsthätigkeit anregen. Er gebe den Sinnen reiche Bethätigung und sorge, daß die vorgelegten Gegenstände einen genügenden Reiz ausüben, indem er sie

a. in gehöriger Größe vorführt,

b. kleine Objekte den Kindern nahe bringt,

c. kleine Teile in vergrößertem Maßstabe darbietet,

d. die gehörige Zeit zum Ansehen gewährt,

e. nicht zu viel oder vielerlei auf einmal vorlegt *) und
f. die Darbietung vorbereitet, jodaß der Eindruck schneller
percipiert wird.

*) Schmitt: Willst du dich in der Schule abhasten,

Als wär' dein Unterricht ein Guckkasten,

So wirst du niemals Schäße aufschichten,
Du wirst nur Verwirrung anrichten.

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