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wem liegt es nun, wenn im Unterrichte sich Langeweile zeigt? Nicht an dem Kinde; denn sein Geist ist begierig, Neues aufzunehmen; Gähnen und Schlaffheit treten nur dann ein, wenn ihm zu färgliche oder ungenießbare Nahrung dargereicht wird. Auch nicht am Unterrichtsstoff; denn über jeden Gegenstand läßt sich so reden, daß er anzieht, fesselt und hinreißt, aber auch so, daß er kalt läßt, abstößt und lästig wird. Kein Fach ist langweilig, keins ist kurzweilig; wir sind es selbst, die entweder in ihm leben oder innerlich von ihm getrennt sind. Nur am Lehrer liegt die Schuld des Eintritts der Langeweile, wenn er a. einen Stoff darbietet, welcher über dem kindlichen Vorstellungs- und Sprachkreis liegt und deshalb nicht apperzipiert werden kann, oder zu bekannte Vorstellungen giebt, daß der Unterricht weder Interesse weckt, noch die mindeste Erwartung anregt;

ß. wenn er das Kind mit Stoff überschüttet, sodaß die Menge der Vorstellungen von der kindlichen Seele gar nicht aufgenommen und geordnet werden kann, oder zu wenig giebt, daß der Schüler nicht vollauf beschäftigt wird;

7. wenn er den Stoff zu schnell vorträgt, sodaß das Kind gar nicht zur Vertiefung und Besinnung kommt, oder so langsam, daß das Vorstellen des Kindes dem Unterrichte vorauseilt.

Eine glückliche Mischung des Neuen und Alten, eine weise Beschränkung mit gründlicher Durcharbeitung, ein entsprechender Wechsel der Lehrformen und Lehrveranstaltungen, ein richtiges Tempo und rechtes Maß des Verweilens und ein klares, lebendiges, warmes Wort - das alles beschäftigt die Jugend, hält sie in Atem und bannt den schlimmen Gast der Langeweile aus der Schule.

b. Die Langeweile ist nicht nur der schlimmste Feind des Lernens, fondern auch die fruchtbare Mutter aller Unarten. „In müß'ger Weile schafft der böse Geist." Eine gehörig geleitete Beschäftigung verhütet die Langeweile und läßt das Kind nicht auf böse Gedanken und Streiche verfallen. Die erste Beschäftigung und angenehmste Zeitkürzung ist das Spiel, welches Leib und Seele in Thätigkeit seht. Den Übergang zur eigentlichen Arbeit machen dann Beschäftigungen wie Anlegen von Sammlungen, Ausführung leichter Gartenarbeiten, Zeichnen 2. Durch die reichlichen Übungen, welche die Schule in einzelnen Fächern vornimmt, und durch Aufgaben, die zu Hause zu fertigen sind, wird das Kind allmählich zur Arbeit erzogen; es wird dieselbe lieb gewinnen, da es bald die Erfahrung macht, daß man mit leichterer Mühe und fröhlicherer Stimmung arbeiten als müßig gehen und sich langweilen kann

Anmerkung. Zu den Formalgefühlen gehören auch die Gefühle der Kraft und der Leichtigkeit, der Anstrengung und Schwäche, des Gelingens und Mißlingens ., die mehr oder minder merklich unseren Vorstellungslauf begleiten. Vgl. Nahlowsky, Gefühlsleben, 2. Aufl. S. 70. 77.

II. Besondere oder qualitative Gefühle. 35. Die finnlichen Gefühle.

Wenn man dem Kinde ein Lieblingsgericht vorseßt, so hat es nicht bloß angenehme Geschmacksempfindungen, sondern es wird überhaupt in eine freudige Stimmung versezt. Das Laufen einer Fliege über die Haut empfinden wir nicht nur als unangenehm, sondern wir können durch diese Empfindung mehr oder weniger erregt werden. Die betonten Empfindungen spiegeln sich demnach auf dem Grunde unserer Seele als Gefühle wieder, welche die Empfindungen begleiten und ihnen nachfolgen. Die Erregungen unserer Seele, welche sich an Sinnesempfindungen knüpfen, nennt man sinnliche Gefühle.*)

1. Sinnliche Gefühle rufen besonders die Empfindungen hervor, welche durch den Geruch, Geschmack, Tastsinn und das Gemeingefühl vermittelt werden. Da diese Empfindungen durch starke Betonung sich auszeichnen und in unmittelbarem Zusammenhange mit unserem Wohl und Wehe stehen, so wirken sie in erhöhtem Maße auf die geistige Stimmung ein. So ist z. B. Zahnweh nicht nur ein körperlicher Schmerz, sondern weckt auch ein entschiedenes Unlustgefühl; leibliche Schmerzen und organische Leiden rufen das Gefühl der Niedergeschlagenheit hervor, verschwinden sie, so tritt das Gefühl der Erleichterung ein. Eine wohl= besetzte Tafel ruft Fröhlichkeit hervor, während Meister Schmalhans jede Freude aus dem Herzen verjagt. Der Ekel ist unmittelbar an gewisse sinnliche Eindrücke gebunden, aber er ist nicht bloß Empfindungston, sondern ein uns heftig erfassendes Gefühl.

2. Auch die Empfindungen der höheren Sinne werden von sinnlichen Gefühlen begleitet. Licht und bunte Farben beschäftigen das Auge und erregen an sich dadurch Wohlgefallen; Finsternis und Farbenmangel. geben dagegen dem Auge nichts zu thun und wirken daher unangenehm. Der Gesichtssinn erregt die Luftgefühle der Licht- und Farbenfreude. Die Lichtfreude wird geweckt durch die Tageshelle, den Glanz des Sternenhimmels, den strahlenden Christbaum 2c., die Farbenfreude, durch das Grün des Frühlings, die blumige Wiese, die Farbentöne des

*) „Das sinnliche Gefühl ist gleichsam das Echo der Empfindung, der die psychische Lebenslage verändernde Nachklang derselben". Hagemann, Psychologie, § 154.

Herbstlichen Laubes, durch den Regenbogen, durch Edelsteine, kolorierte Bilder 2c. Finsternis und Farbenmangel sind von Unlustgefühlen begleitet; das Düster der Nacht und des Kerkers, das schwarze Gewand 2c. stimmen traurig und ernst. Daher werden Licht und Farbe als Stimmungsträger und Stimmungswecker gebraucht. Die freudige Stimmung drücken wir aus und wollen sie bei anderen hervorrufen durch Licht- und Farbeneffekte, wie Illumination, bengalisches Licht, Feuerwerk, Flaggenschmuck, farbige Kleidung, glitzernde Edelsteine 2c., die traurige Stimmung durch schwarze Kleidung, Flor, Schließen der Läden 2.

Die verschiedenen Farben haben verschiedene Gefühlsstimmungen zur Folge. Schwarz und düster wirken ernst, weiß und hell freudig, das zwischen ihnen liegende indifferente Grau ist unbetont. Den Gefühlston der einzelnen Farben hat in geistvoller Weise Goethe in seiner Farbenlehre*) festgestellt. Die Farbentöne von Rot bis Grün nennt er die Plusseite, die von Grün bis Violett die Minusseite des Farbenrings. Zur Plusseite gehören Rot, Orange, Gelb, zur Minusseite Blau, Rotblau und Blaurot; das Grün ist die Neutralfarbe, weil in ihm als in der Mischung von Gelb und Blau die Seele süßes Genügen findet. Die Farben der Plusseite machen einen lebhaften, warmen, strebenden Eindruck, die der Minusseite wirken beruhigend, weich, sehnend.

Die Farbenempfindungen sind aber sehr oft mit gewissen Vorstellungs- und Gefühlskreisen assoziiert, welche der elementaren Stimmung der Farbe entweder entgegentreten oder sie verstärken. Das neutral wirkende Grün erhält durch seine große Verbreitung in der Natur den Charakter des Frischen und Lebendigen, das Blau durch seine Verknüpfung mit religiösen Vorstellungen (Madonnenfarbe) den Eindruck des Feierlichen und Andächtigen, das Rot wirkt durch seine Verbindung mit Krieg und Blutvergießen (rot ist die Farbe der Anarchisten, rot war der Mantel des Nachrichters im Mittelalter, rot sind die Hosen der französischen und die Besäße der deutschen Armee!) noch aufregender, wie das Schwarz durch die Erinnerung an Trauer und Tod noch düsterer stimmt. Auf den Gefühlston der Farben gründet sich die symbolische Bedeutung, die man ihnen beilegt (Rot-Freude, Liebe; Blau-Treue, Bescheidenheit; GrünHoffnung, Jugend 2c.), und die Verwendung der Farben in der kirchlichen Paramentif.

3. Die mit den Gehörsempfindungen verbundenen Lustgefühle machen sich als Laut- und Klangfreude geltend. Während Lautlosigkeit und Stille, wie in der Nacht, auf Alpengletschern 2., das Herz beklemmen, fühlt es sich gehoben durch das Rauschen des munteren Baches in der Waldeinsamkeit, durch den Triller der aufsteigenden Lerche, durch das Geläute weidender Herden 2. Insbesondere wirken die Töne anregend; Tonfülle erhebt das Herz, Musik spendet Lust. Tiefe Töne entsprechen den dunklen Farben und stimmen ernst und feierlich: Orgelton, Glockenklang; die hohen Töne entsprechen in ihrer Wirkung den hellen Farben. Wie die verschiedenen Farbentöne Gefühlsnüancen auslösen, so im Gebiete der Schallempfindungen die verschiedenen Klangfarben: Streichinstrumente wirken erheiternd, schmetternde Blasinstrumente

*) Goethe, Zur Farbenlehre. Didaktischer Teil, VI. Better, Symbolik S. 26 ff.

aufregend. Der Gefühlston der Klänge wird noch beeinflußt durch die schnellere oder langsamere Aufeinanderfolge (Tempo), durch Melodie und Harmonie — man denke auch an die verschiedene Wirkung von Dur und Moll auf unser Gemüt!, doch streifen wir hier die Grenze zwischen sinnlichem und ästhetischem Gefühl.

Schall- und Tonempfindungen dienen deshalb auch als Stimmungswecker und Stimmungsträger. Die freudige Stimmung geben wir durch Schalleffekte kund; denn an Festtagen knallen die Böller, läuten die Glocken, tönen Musik und Gesang, erzittert die Luft von Hochrufen. Trauer und Ernst wollen wir hervorrufen durch die Stille am Totensonntage, durch Schweigen der Musik beim Tode des Landesfürsten und in der Passionszeit, durch gedämpften Trompetenton bei Begräbnissen. Selbstverständlich wird die durch Schallempfindungen hervorgerufene elementare Lust und Unlust durch Assoziationen mit anderen Vorstellungen stark beeinflußt.

4. Pädagogisches.

a. Der Erzieher hat das kindliche Bedürfnis nach sinnlicher Lust zu befriedigen, da auf derselben zum Teil die Lebensfreude beruht. Alles, was das Kind sieht und hört, sei freundlich und erfülle es mit Lust, selbst Wohlschmeckendes mag man ihm in angemessener Weise gewähren. Wenn die Bedürfnisse des Kindes nicht befriedigt werden, so wird sein Gemüt verbittert, oder die Lüfternheit wächst. Bisweilen kann man auch die Erregung sinnlicher Gefühle pädagogischen Zwecken dienstbar machen, indem man dem Kinde als Belohnung für gutes Verhalten einen sinnlichen Genuß gewährt und es die wertvolle Erfahrung machen läßt, daß das Gute mit angenehmen Folgen verknüpft sei.

b. Der Erzieher hat der Überschäzung der sinnlichen Lust entgegenzuwirken. Er muß verhüten, daß die natürliche sinnliche Erregbarkeit zur habituellen Sinnlichkeit werde, welche die sinnliche Lust als den höchsten Lebenszweck ansieht. Es ist daher dem sinnlichen Verlangen nicht in allen Stücken nachzugeben; namentlich solchen Kindern, die bei allem dabei sein, alles sehen und hören und jeden Leckerbissen, den sie sehen, essen wollen, muß der Erzicher den Genuß versagen. Der feimende materielle Sinn, der sich in der zu starken Schaulust und im Verlangen nach Ohrenkißel meldet, ist durch reichliche Gewährung von Dingen, mit denen geistige Freuden verbunden sind, zu ersticken. Vor allem müssen die Eltern durch einfache und mäßige Lebensweise immer dem Kinde zeigen, daß der sinnliche Genuß nicht das erste ist. c. Der Erzieher hat das Kind an Ertragen sinnlicher Unlust zu gewöhnen. Kinder sind geneigt, über jeden noch so unbedeutenden

Schmerz zu jammern. Bei geringen Verlegungen darf man sie daher nicht bedauern, damit sie frühe körperliche Schmerzen verbeißen und ertragen lernen und an Widerstandskraft gegen leibliche Übel erstarken. Das Kaiserwort: Lerne leiden, ohne zu klagen!" muß auch in der Erziehung gelten. Die Kinder sind daher abzuhärten durch Waschen mit kaltem Wasser, wie durch weitere Spaziergänge, auf welchen sie sich üben, der etwa schmerzenden Füße und der ermüdenden Muskeln nicht zu achten.

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36. Die ästhetischen Gefühle.

1. Begriff des ästhetischen Gefühls.

Goethe schildert uns in seinem „Nachtlied“, wie im Menschenherzen das Bedürfnis nach Frieden sich regt. Er preist den Frieden als eine Himmelsgabe:

Der du von dem Himmel bist,
Alles Leid und Schmerzen stillest,
Den, der doppelt elend ist,

Doppelt mit Erquickung füllest

bricht dann in schmerzhafte Klage über die Unruhe seiner Seele aus: Ach, ich bin des Treibens müde!

Was soll all der Schmerz und Lust?

nennt in kurzem und daher um so klarer hervortretendem Wort den Gegenstand seiner Sehnsucht:

Süßer Friede!

und endet mit der Bitte:

Komm, ach komm in meine Brust!

Wie erklärt sich nun die ungemeine Wirkung dieses Gedichts auf unser Gemüt? Zuerst ist es der Inhalt, der uns bewegt. Der Dichter spricht den Gedanken aus, daß im Menschenherzen die Sehnsucht nach Frieden lebt, und dieser Gedanke ruft eine Fülle von Vorstellungen und dadurch eine Förderung unserer geistigen Thätigkeit hervor. Erhöht wird die Wirkung durch die vollendete sprachliche Form, welche mit dem Inhalte harmoniert. Wir bezeichnen daher das Gedicht als schön und das Wohlgefallen, das es in uns weckt, als ästhetisches Gefühl. Im Schönen findet sich demnach ein doppeltes Element: ein ideales, der zu Grunde liegende Gedanke, und ein reales, die sinnliche Form, welche zur Verkörperung des Gedankens dient. Beide Elemente sind zu einer Einheit verschmolzen, sodaß der Gedanke in der Form seinen angemessenen Ausdruck findet und durch sie in effektvoller Weise zur Erscheinung kommt und daß die Form nicht losgelöst werden kann von

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