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Aufmerksamkeit nur den Objekten zuwenden, die uns nicht gleichgiltig find. Unter Begleitung von Gefühlen entstehen daher klare und deutliche Vorstellungen, und selbst die Ichvorstellung geht zuerst aus dem förperlichen Selbstgefühle hervor. Je größer nun das Wertgefühl ist, das einer Vorstellung anhaftet, desto leichter prägt sie sich unserer Seele ein. Schneller und reichlicher werden die Vorstellungen reproduziert, an denen das Gemüt lebendigen Anteil nimmt; im Gefühl der Reue tritt immer wieder die unsittliche That vor unser geistiges Auge, und das Gefühl der Liebe ruft immer das Bild der geliebten Person ins Bewußtsein. Die Gefühle regen auch die Phantasie zu lebendiger Thätigkeit an; denn sie bemächtigt sich der Vorstellungen, an welche Gefühle ge= knüpft sind, z. B. der Hoffnung, Liebe, Furcht oder Angst, und entwirft heitere oder düstere Bilder von künftigen Tagen. Abgeklärte Gefühle fördern das Denken und geben ihm neue Richtungen. Wir denken frischer, rascher und erfolgreicher, wenn uns ein lebhaftes Interesse für den Gegenstand durchglüht. Die Lustgefühle, welche dem Erringen einer Wahrheit folgen, und die Unlustgefühle, welche sich mit dem Bewußtsein des Irrtums verknüpfen, treiben den Verstand zu erneutem Forschen an. Mit Recht nennt daher Wundt die Gefühle die Pioniere der Erkenntnis.

Nicht immer wirken der „helle“ Verstand und das „dunkle“ Gefühl in Eintracht, sondern sie stehen sich bisweilen als feindliche Geschwister gegenüber. Durch straffes Denken wird das Gefühl in den Hintergrund gedrängt, da durch die logischen Operationen die konkrete Frische des Eindrucks, welche zur Weckung des Gefühls so viel beiträgt, beeinträchtigt wird. Man hat daher den Verstand den Dämpfer der Gefühle genannt. Dafür gehen aber die Gefühle aus dem abstrakten Denkprozeß veredelter und geläuterter hervor. Anderseits kann das Gefühl, wenn seine Wogen zu hoch gehen, die Verstandesthätigkeit unterbinden, da es die zum Denken nötige Ruhe beeinträchtigt und die ruhige, objektive Betrachtung des Denkens trübt. (Liebe macht blind!)

Den mächtigsten Einfluß haben die Gefühle auf unser Wollen und Handeln. Winkelried wurde durch seine feurige Vaterlandsliebe zum Aufopferungstode und Paulus durch das lebendige Gefühl von der seligmachenden Kraft des Evangeliums zur Mission getrieben. Der Entschlußz des Ordensritters im Kampf mit dem Drachen", die Insel von der Plage zu befreien, ging nur aus dem Gefühle hervor:

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Und wenn der Morgen dämmernd kam

Und Kunde gab von neuen Plagen,

Da faßte mich ein wilder Gram,

Und ich beschloß, es frisch zu wagen.

Die Gefühle wirken mit den Vorstellungen, an die sie geknüpft sind, als Motive des Entschließens und Handelns und verleihen daher dem Wollen Kraft und Stärke. Jedes Gefühl ist Lust oder Unlust, und

damit ist ein Hinneigen zu oder ein Abneigen von dem Gegenstande, der das Gefühl erregt, verbunden; die Lust soll ganz gekostet, die Unlust völlig beseitigt werden. Je ergriffener daher die Seele ist, desto mehr Kraft und Stärke wird der Wille äußern, das Gute zu vollbringen und das Übel zu fliehen. „Lust und Liebe sind die Fittiche zu großen Thaten“. Wenn nun dieselben Gefühle wiederkehren, so wiederholen sich auch die Wollungen und Handlungen, und so entsteht ein gewisses gleichmäßiges Handeln, welches die formale Seite des Charakters ausmacht. Auf dem Grunde des Gefühls baut sich daher auch der Charakter auf. Nur müssen edle, sittliche Gefühle das Herz bewegen, wenn ein sittliches Handeln folgen foll; unreine Gefühle reizen zu bösen Thaten.

7. Pädagogisches. Da die Gefühle als die Quelle alles Guten und Bösen für die Bildung des Charakters, für die Lebensführung und das Lebensglück von der größten Bedeutung sind, hat die Erziehung die Gefühlsbildung als eine ihrer edelsten Aufgaben zu betrachten.

a. Sie hat zunächst auf Erweckung und Belebung der Gefühle hinzuwirken. Die erste und wichtigste Pflanzstätte des Gefühls ist das Familienleben. In der warmen Atmosphäre des Hauses und bei dem innigen Zusammenleben der Glieder desselben erblühen im Kinde die Gefühle der Anhänglichkeit, Liebe, des Vertrauens, des Mitleids und der Mitfreude 2c. Eine weitere Förderung soll aber das Gefühlsleben in der Schule erhalten. Hier kann, da das Gefühl seine Quelle in den Vorstellungen hat, die Anregung aufs Gemüt durch Einwirkung auf den Gedankenkreis erfolgen; denn das Gefühl reicht nur so weit, wie weit der Vorstellungsfreis geht. Der Unterricht rege daher ein vielseitiges Interesse an und mache die jungen Herzen empfänglich für die Schönheiten der Natur, für Wahrheit und sittliches Thun, wie für das Göttliche. Mit der Zahl und Stärke der im Unterrichte empfangenen Anregungen wird die Empfänglichkeit des Gemüts wachsen und das anfänglich arme:Gefühlsleben an Reichtum zunehmen, zumal es auch durch das Zusammenleben mit den Mitschülern eine Fülle weiterer Anregungen gewinnt.

b. Die Erziehung hat auf Beständigkeit der Gefühle hinzuarbeiten. Die Gefühlserregungen des Kindes haben das Merkmal der Unbeständigkeit und Flüchtigkeit. Ein lebhafter Stimmungswechsel findet beim Kinde statt; schnell geht es von der Ausgelassenheit zur Trauer über und kann lachen unter noch auf den Wangen rollenden Thränen. Da jedoch dieser schnelle Wechsel, wenn er zur bleibenden Eigenschaft wird, zur Oberflächlichkeit und zum Leichtsinn führt, so muß die Erziehung frühe für tiefe Eindrücke sorgen, damit die junge Seele sich dauernd dem hin

giebt, was sie anspricht. Zur Gewöhnung an die Beharrlichkeit der Gefühle ist nun das Familienleben der günstigste Boden. In der abgeschlossenen Welt dieses kleinen Kreises, in welchem alle Glieder mitund füreinander leben, sprossen Neigungen und Interessen für Personen und Dinge hervor, die zu dauernder Hingabe führen. In der frommen Familie schlägt auch der Glaube an den Lenker aller Geschicke die ersten und tiefsten Wurzeln. Insbesondere kann der Schulunterricht durch Begründung eines Lebendigen Interesses zur Vertiefung des Gefühls führen.

c. Die Erziehung hat auch für die Läuterung der Gefühle zu forgen. Anfänglich betreffen die kindlichen Gefühle nur das eigne Wohl und Wehe und sind auch nur sinnlicher Natur. So hat das Kind wohl das Rechtsgefühl, aber es entbrennt nur für Wahrung des eigenen Rechts, fremde Rechte erkennt es weniger an. Das Gefühl ist daher seines egoistischen Charakters allmählich zu entkleiden durch Weckung des Wohlwollens. Das Kind soll nicht allein für sich, sondern auch für andere fühlen, wozu das Leben im Hause und in der Schule, wie der Unterricht reichliche Anregung geben können. Damit die sinnlichen Gefühle nicht überwuchern, muß das Herz edleren Gefühlen zugänglich gemacht und für höhere Zwecke begeistert werden. Dann wird zugleich der Nebel dunkler Gefühle zerstreut und jede Gefühlsheuchelei durch das reine Empfinden unmöglich gemacht.

d. Endlich hat die Erziehung das Kind in der Beherrschung der Gefühle zu üben. Das kindliche Gemütsleben charakterisiert sich durch große Stärke der Gefühlswallungen, daher die Kinder oft zu Maßlosigkeit in Freud und Leid hingerissen werden. Jedes Übermaß der Gefühle ist zu bekämpfen. Durch Zureden, Verweisen und Strafen lassen sich unbändige Heiterkeit, wie übergroße Furcht allmählich beschwichtigen. Der Unterricht muß durch Belehrungen über den Wert und Unwert der Dinge in der jungen Seele Maßstäbe entstehen lassen, welche zu festen Pfeilern werden, an denen die Wogen der Gefühle sich brechen. Alle übermäßigen Reizmittel des Gefühls (Lektüre von Romanen, Umgang mit exaltierten Menschen) sind zu vermeiden.

Von tiefstem Einflusse auf das kindliche Gefühlsleben sind die persönlichen Eigenschaften des Erziehers, insofern sie anziehend und gewinnend oder abstoßend und einschüchternd, Achtung gebietend oder den Widerspruch reizend, die Regungen der Liebe und Dankbarkeit weckend auf das leicht erregbare Herz einwirken. „Nichts erzieht besser als die Gegenwart eines trefflichen Menschen; er braucht nicht zu dozieren und zu predigen, sein stilles Dasein ist eine Sonne, welche wärmt und leuchtet" (I. J. Wagner).

I. Allgemeine oder formale Gefühl e. 33. Die Erwartung.

1. Wesen der Erwartung. Ein Beispiel dieses Gefühls giebt uns Shakespeare in Romeo und Julie (II, 5). Julie hat die Amme entsandt, um Romeo die Vermählung anzutragen. Sie harrt gespannt der Botschaft Romeos entgegen. Ihre Unruhe mehrt sich, da die schwahhafte Alte drei volle Stunden fort ist. Endlich kommt sie, doch nicht gleich vermag Julie das entscheidende Wort ihr zu entlocken. Die Alte schöpft Atem in ihrer Erzählung, flagt über Ermüdung, schweift ab, erzählt Nebendinge und foltert so das Mädchen aufs höchste. Julie wird immer ungeduldiger; man hört gleichsam ihr Herz klopfen, bis endlich das gewünschte Wort fällt. Julie erwartet dieses Wort, dies nur will sie hören; ihre Gedanken eilen vorwärts, sie werden aber durch die Rede der Amme wieder zurückgehalten, und dadurch wächst die innere Spannung.

Im Gedicht „Salas y Gomez" von Chamisso sieht der auf das Eiland des stillen Oceans Verschlagene nach jahrelanger Einsamkeit plößlich ein Schiff. Obgleich das Fahrzeug noch weit von seiner Insel ist, hört er doch in Gedanken den lang entbehrten wonnereichen Laut der Menschenrede an sein Herz schlagen, und als das Schiff sich zu nähern scheint, malt er sich aus, wie er nun für die Jahre der Einsamkeit durch Jahre reicher Liebe in der Heimat Entschädigung finden werde. Doch das Schiff ändert seinen Kurs, und der Unglückliche ist nun der Verzweiflung preisgegeben.

In dem Erwartenden wird also ein Gedanke oder ein künftiges Ereignis reproduziert, und zwar eilt dieses der wirklichen Wahrnehmung voraus. Da aber nun die Wirklichkeit dieser antizipierten Vorstellung widerspricht, wird leztere immer wieder zurückgedrängt, und durch diese Hemmung entsteht ein Unlustgefühl, das mit Spannungsempfindungen in den Muskeln begleitet ist. Durch den beschleunigten Rhythmus dieser Vorstellung und durch den Widerstreit der vorausgeeilten Vorstellung und der wirklichen Wahrnehmung, welcher eine Verschmelzung beider unmöglich macht, wird in der Seele eine Unruhe hervorgerufen, welche sich bis zur Ungeduld steigern kann. Die Erwartung ist demnach ein UnLustgefühl.

Die Lösung dieses Widerstreites kann nun auf zweifachem Wege geschehen; entweder wird die Erwartung bestätigt, und dann stellt sich das Lustgefühl der Befriedigung ein, oder sie bestätigt sich nicht, und dann tritt das Unlustgefühl der Enttäuschung ein, da die anti

zipierte Vorstellung durch die ihr entgegengesezte Auflösung eine dauernde Hemmung erfährt. Je höher die Spannung gewachsen war, desto stärker macht sich nach der Lösung die Lust oder Unlust geltend. Meisterhaft legt Schiller in seinem Gedichte: „Die Erwartung" die einzelnen Momente dieses Gefühls dar: a. Anzeichen, b. Vorauseilen der Vorstellung, c. Wirklichkeit, d. Hemmung der Vorstellung, e. Enttäuschung, bez. Erfüllung.

Die Erwartung ist ein formales Gefühl. Wenn wir am Bahnhof einen Freund erwarten, wenn die Theaterbesucher des Augenblicks unruhig harren, bis das Spiel beginnt, wenn der Botaniker das Aufblühen der Königin der Nacht, der Jäger auf dem Anstand das Nahen des Wildes, das Kind den Beginn eines Festes, der examinierte Schüler die Verkündigung des Prüfungsresultats und der Lotteriespieler den Ziehungstag herbeisehnen, so sind dies gewiß sehr verschiedene Vorstellungen, welche die Seele beschäftigen, im Grunde aber ist die GesamtLage des Bewußtseins bei allen Erwartenden dieselbe: in allen wird durch vorauseilende Vorstellungen ein künftiges Ereignis antizipiert. Dadurch unterscheidet sich die Erwartung von der Erinnerung; denn die Erinnerung schaut rückwärts, in die Vergangenheit, die Erwartung aber vorwärts, in die Zukunft; sie ist wie eine Uhr, die immer vorgeht. 2. Verwandte, bez. entgegengesezte Gefühle.

a. Die Hoffnung. Der Kranke hofft auf Gesundheit, der Arme auf Wohlstand, der Gläubige auf ein Wiedersehen nach dem Tode; die Juden hofften auf den Messias, die Deutschen auf des Reiches Einheit und Herrlichkeit. Die Hoffnung ist demnach auch eine Erwartung, aber sie unterscheidet sich von ihr dadurch, daß der Zeitpunkt des künftigen Ereignisses nicht bekannt ist, während bei der Erwartung der Zeitpunkt meist bekannt ist, wenn schon bei dem gesteigerten Vorstellungsverlaufe die Zeit bis zum Eintritt zu langsam verstreicht. Darum zeigt sich auch die Hoffnung als ein sanftes, ruhiges Gefühl. Ihrem Tone nach ist sie als die Erwartung eines angenehmen Ereignisses ein Luftgefühl. Die Phantasie malt das Lusterregende mit den schönsten Farben aus und läßt uns die Lust schon im voraus genießen. Shakespeare: Hoffnung auf Genuß ist fast so süß als schon erfüllte Hoffnung."

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Die Hoffnung ist uns eine holde Begleiterin durchs Leben,*) sie schafft uns einen Himmel auf Erden, und es giebt wohl kein Menschen

*) Schiller: Die Hoffnung führt ihn ins Leben ein,

Sie umflattert den fröhlichen Knaben,
Den Jüngling begeistert ihr Zauberschein,
Sie wird mit dem Greis nicht begraben;

Denn beschließt er im Grabe den müden Lauf,
Noch am Grabe pflanzt er die Hoffnung auf.

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