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chaft das Selbstbewußtsein. Der Mensch ist in solchen erregten Augenblicken außer sich, er vergißt sich, da eine Vorstellung alle anderen, auch die Ichvorstellung, überstrahlt. Endlich führen auch körperliche Zustände, wie Ohnmacht, Fieber, Rausch 2c., eine zeitweise Unterbrechung des Selbstbewußtseins herbei. So gleicht das Selbstbewußtsein einem Lichte, das oft verlischt, aber scheinbar ganz von selbst sich wieder entzündet. Als teilweise Unterbrechung läßt sich die Spaltung des Selbstbewußtseins ansehen. Je nachdem ein gewisser Vorstellungskreis zum Ausgangspunkte der Jchvorstellung wird, kann sich dieselbe verschieden zeigen. Wir können bei der Vorstellung von uns selbst uns denken als Lehrer, Gatten, Väter, Bürger. Nach diesen ver= schiedenen Vorstellungskreisen treten verschiedene Eigenschaften unseres Wesens ans Tageslicht. Doch müssen diese gespaltenen Jche immer von der reinen Jchvorstellung zusammengehalten werden, damit es nicht den Anschein gewinnt, als ob in uns mehrere Menschen wären. Wir können uns auch in ein anderes Ich versenken, z. B. wenn wir ein Drama mit verteilten Rollen lesen. So hält sich der Schauspieler während seines Spiels für die von ihm vertretene Persönlichkeit, nach dem Spiele aber besinnt er sich wieder auf sein Ich. Wenn die Fähigkeit aufhören sollte, sich wieder auf das eigene Ich zu beziehen, so würde eine andere Vorstellungsmasse die Rolle des Ichs übernehmen und diese Seelenstörung zum Wahnsinn führen.

4. Die Bedeutung des Selbstbewußtseins.

a. Durch das Selbstbewußtsein gewinnt die Seele sich selbst und erkennt sich als Person. Die Ichvorstellung ist eben das Personbildende, das, was durch allen Wechsel des irdischen Daseins als das sich immer Gleichbleibende hindurchtönt. Im Selbstbewußtsein erfaßt sich daher der Mensch als einheitliches, unteilbares Wesen (Individuum). Volkmann*) vergleicht es deshalb mit dem Polypen, der mit dem einen Arme den andern erfaßt und in diesem Erfassen sich als einheitlichen Organismus fühlt. Durch das Ich erkennt sich der Mensch als unzerstörbares Wesen; denn da während des ganzen Lebens das eine, gleiche Ich in allem Wechsel der inneren Zustände beharrt und wir auch fortdauernd uns dieser persönlichen Existenz bewußt bleiben, so dürfen wir schließen, daß die Seele auch nach dem Tode diesen erworbenen Bewußtseinsinhalt bewahren und nicht verlieren wird. Durch das Selbst= bewußtsein fühlt sich mithin der Mensch erst recht als Mensch und höher gestellt als das Tier, weshalb auf dem Selbstbewußtsein die Würde und Freude seines Menschentums beruht. Das Tier erhebt sich nicht zum Selbstbewußtsein. Es hat wohl Bewußtsein; denn es macht Wahrnehmungen mit den Sinnen, die oftmals schärfer sind als die unsrigen, es zieht Schlüsse, erinnert sich vergangener Erlebnisse, aber es kann diese Prozesse weder leiten, zergliedern, willkürlich hervorrufen, noch einander gegenüberstellen, was eben Selbstbeobachtung = Selbstbewußtsein voraus*) Volkmann, Lehrbuch der Psychologie, II, S. 205.

sezt. Es bleibt daher immer befangen im physisch-psychischen Trieb und Instinkt.

b. Hat die Ausbildung der Ichvorstellung eine gewisse Höhe erlangt, so ist es dem Menschen möglich, seine Aufmerksamkeit auf die wechselnden Zustände seines Inneren zu richten und sich innerlich anzuschauen. Er erkennt dann die Bewußtseinsvorgänge als seine Zustände. Diese Thatsache hat man analog der sinnlichen Wahrnehmung die innere Wahrnehmung genannt. Wie die äußere Wahrnehmung uns die Dinge und Erscheinungen der Außenwelt vorführt, so giebt uns die innere Wahrnehmung Kunde von den inneren psychischen Vorgängen. Die Erscheinungen des seelischen Lebens thun sich uns aber unmittelbar kund; die innere Wahrnehmung vollzieht sich ohne besonderen Apparat. Einen inneren Sinn giebt es demnach nicht, und wenn man auch bisweilen von einem solchen spricht, so will man mit diesem Ausdruck nur die Fähigkeit bezeichnen, sich selbst zum Gegenstande seiner Beobachtung zu machen und sich der Zugehörigkeit der Vorstellungen zu dem Ich bewußt zu sein.

Die innere Wahrnehmung ist immer eine beschränkte; denn kein Mensch vermag das ganze Spiel seiner Vorstellungen zu übersehen, in alle Falten seines Herzens zu schauen und sämtliche Motive seiner Handlungen zu überblicken. Dazu kommt, daß durch Affekte, Leidenschaften, Vertiefung in eine Arbeit 2c. die innere Selbstschau unmöglich gemacht wird, und daß die Absicht, die seelischen Vorgänge zu beobachten, die Erscheinungen verändert oder unterbricht. Der Zorn verraucht bei der Selbstbeobachtung. Aus diesem Grunde hat man die Selbstbeobachtung für unmöglich gehalten, und Wundt vergleicht den Selbstbeobachter mit dem sich an dem eigenen Zopf aus dem Sumpf emporziehenden Münchhausen. Die Erfahrung aber zeigt, daß wir unsere Aufmerksamkeit auf vergangene Bewußtseinsvorgänge richten können. der Reue ziehen die einzelnen Motive, die uns zu veranlaßten, vor unserem inneren Auge vorüber Wiederholung der Beobachtung unser Bewußtsein sich derartig verschärft, daß die Seelenvorgänge, soweit sie nicht heftiger Natur sind oder durch das innere Spähen eine Abänderung erfahren, unwillkürlich von uns mit Aufmerksamkeit begleitet werden.

3. B. im Zustande der sträflichen That und daß bei öfterer

Indem das Selbstbewußtsein die Form des inneren Sinnes annimmt, wird es zur Grundlage aller Wissenschaften vom geistigen Leben: der Psychologie, deren Objekte eben die Zustände und Thätigkeiten sind, welche die innere Wahrnehmung uns in unserem Innern finden läßt; der Logik, welche sich mit den Formen und Geseßen unseres

Denkens beschäftigt; der Ethik, welche die menschlichen Willensakte und Handlungen einer sittlichen Wertschäßung unterwirft. Auch haben die Künste, da sie als Ausdrucksform des geistigen Lebens zu betrachten sind, insbesondere Musik und Poesie, welche die Empfindungen, bez. Handlungen und Charaktere der Menschen zur Darstellung bringen, das Selbstbewußtsein zur Vorausseßung.

Ohne die innere Wahrnehmung wäre auch die Beobachtung anderer gar nicht möglich; denn das Wissen von den Seelenzuständen anderer verdanken wir nur der Deutung ihrer äußeren Erscheinung, welche sich lediglich auf das Bewußtsein dessen gründet, was bei ähnlichen Erscheinungen in uns selbst vorgeht. Die Gebärden, Mienen, Worte und Handlungen anderer können wir nur insoweit als den Ausdruck ihres geistigen Lebens erkennen, als wir die aus dem cigenen Innern stammenden Erfahrungen jenen Äußerungen unterschieben und die ihnen entsprechenden Vorgänge unseres Innern als die bewegenden Ursachen unterlegen. Es findet daher durch die Beobachtung anderer eine fortwährende Reproduktion unserer eigenen Ichvorstellung statt, sodaß sie an Klarheit zunimmt nach den Worten des Dichters:

Willst du dich selber erkennen, so sich, wie die andern es treiben;
Willst du die andern verstehn, blick in dein eigenes Herz.

c. Große Bedeutung hat das Selbstbewußtsein insbesondere für das Willensleben. Der Charakter eines Menschen ruht zum großen Teile auf der Vorstellung, die er von sich selbst hat, daher in der Willenssphäre das Bewußtsein der Selbstheit am stärksten hervortritt. Das Ich lernt seine Begehrungen und Wollungen, seine Urteile und Entschließungen kennen, und dadurch werden wir fähig, eine Wahl unter diesen zu treffen und unser Wollen und Handeln darnach zu bestimmen. Wenn der Mensch sich seiner Kraft und seines Könnens bewußt ist, so greift er auch das Schwierigste an, und so entspringen auf dem Boden des Selbstbewußtseins alle wahrhaft großen Thaten. Auch die sittliche Läuterung geht von dieser Quelle aus; denn Selbstprüfung und Selbstgericht, Scham, Reue und andere läuternde innere Vorgänge erwachsen aus der Vorstellung, daß der Mensch sich selbst durch seine That entwürdigt hat.

Noch mehr trägt das Ich zu innerer Veredlung bei, wenn es sich aus dem individuellen zum gesellschaftlichen Ich ausweitet. Dann bildet sich aus dem Ich das „Wir". Durch das Leben in Gesellschaft tritt der einzelne Mensch in äußere und innere Beziehung zu den andern, im Hause zu den Familiengliedern, in der Schule zu den Mitschülern, im Wohnorte zu den Landsleuten, im Berufe zu den Kollegen, in der Kirche zu den Glaubensbrüdern 2c. Der Einzelne erkennt sich diesen

Lebenskreisen zugehörig und drückt die Vorstellung des gemeinschaftlichen Ichs durch das Wort wir aus, z. B. wir Schüler, wir Lehrer, wir Deutsche, wir Christen, wir Menschen u. s. w. Dies gesellschaftliche Ich äußert sich nicht bloß als gewaltige Kraft nach außen, sondern ist auch von hohem sittlichen Werte, da es der Idee des Wohlwollens entspricht und uns vor kaltem Egoismus bewahrt und vor dem Streben, unsere Ansichten, Interessen und Ansprüche in den Vordergrund zu stellen.

5. Pädagogisches. Gewöhnlich tritt bei den meisten Menschen das Selbstbewußtsein hinter dem Weltbewußsein zurück. Sie gehen in dem Treiben der Außenwelt so auf, daß sie weder Zeit finden, noch Lust haben, in sich selbst zu einer aufmerksamen Beobachtung ihrer selbst einzugehen, sodaß sie, meistens sich selbst ein Geheimnis, umherwandeln. Daß dies anders werde, muß die Erziehung mithelfen, zumal sie ihren Zweck, einen sittlichen Charakter im Kinde auszuprägen, nicht erreicht, wenn sie nicht an der Vervollkommnung der Ichvorstellung arbeitet. Denn wenn ein Kind erkennt, daß es gefehlt hat und sich bessern muß, so wird es an seiner Selbsterziehung mitarbeiten und den Bemühungen seiner Erzieher entgegenkommen, während andere Kinder ohne die Leuchte der Selbsterkenntnis die erzieherischen Maßregeln von ganz falschem Standpunkte aus beurteilen. Von einer vollen Entfaltung des Selbst= bewußtseins kann natürlich in den Kinderjahren noch nicht die Rede sein, aber es genügt, dem Zögling die Richtung auf sein Inneres zu geben und ihn oft zur Selbstschau zu veranlassen.

Dies kann nun durch den Unterricht geschehen. In Religion, in Geschichte und den im Lesebuche dargestellten Lebensbildern soll der Unterricht besonders auf die Seelenzustände der handelnden Personen die Aufmerksamkeit lenken; das Kind soll sie nicht bloß innerlich erleben, sondern auch die Handlungen nach ihren inneren Ursachen untersuchen und be= urteilen. Aber der Blick muß nicht aufs Seelenleben überhaupt, sondern insbesondere auf das eigene Ich gelenkt werden. Erkennt das Kind an den Brüdern Josephs, daß es abscheulich ist, die Eltern zu belügen, so muß die Frage an dasselbe gestellt werden: Belügst du deine Eltern auch? Ebenso: Stehlen ist schlecht; ist dir fremdes Eigentum heilig? Der fromme Mensch betet; dankst du denn auch jeden Morgen deinem Gott? Dem Kinde muß es bewußt werden, daß es sich im Unterrichte um seine eigene Sache handelt (tua res agitur!). Auch die Lektüre von Biographien trägt zur Entfaltung des Selbstbewußtseins bei, da das Kind an den Personen sein eigenes Ich unwillkürlich prüfen und messen wird. Im Unterricht ist auch dem Schüler Zeit zur Selbstbesinnung zu lassen. Anfänglich mag er sich in jeden neuen Gegenstand mit solcher Ausschließlichkeit vertiefen, daß er darüber sein Ich vergißt; dann aber mag

er das Neue an die ihm gehörige Stelle in der in ihm aufgebauten Begriffsreihe eingliedern, sodaß er die deutlichste innere Anschauung von dieser geordneten Begriffswelt erhält. So findet der Unterricht den Weg zum kindlichen Ich und läßt im Kinde einen zusammenhängenden, geordneten Vorstellungskreis entstehen, auf welchem die Einheit der Person beruht.

Die Schulzucht kann durch Lob und Tadel hinwirken, daß der Zögling Einkehr in sich hält und zum Bewußtsein kommt, wie weit sein Selbst mit dem als gut Erkannten zusammenstimmt oder nicht. Ebenso kann sie denselben durch Zensuren über Betragen, Fleiß, Aufmerksamkeit und Leistungen zur Selbstbesinnung veranlassen. Auch die Vergleichung mit den anderen Mitschülern, wozu das Kind schon durch die Stelle, welche ihm der Lehrer unter den anderen anweist, aufgefordert wird, ist ein Mittel, die Ichvorstellung zu kräftigen. Ganz vorzüglich aber trägt das Leben in der Gemeinschaft zur Entwickelung derselben bei. Denn durch das Zusammenleben und Zusammenstreben mit anderen erfährt das Ich vielfache Förderung, bisweilen auch wohl Hemmung, und dann giebt sich der Entwickelungstrieb des Selbstbewußtseins in dem Streben fund, auf die anderen fördernd einzuwirken und in der Vorstellung der anderen zum Bewußtsein seiner selbst zu gelangen. Nur auf dem Boden der Gemeinschaft kommt die Ichvorstellung zur vollen Entwickelung; denn das eigene Ich schließt sich mit den anderen Ichen zum gesellschaftlichen Ich zusammen, sodaß es sich veredelt nach der Mahnung Herders:

So lasset denn im Wirken und Gemüt

Das Ich uns mildern, daß das bessre Du
Und Er und Wir und Sie es sanft
Auslösche und von der bösen Unart

Des harten Ich unmerklich sanft befreie.

Rückblick.

1. Das Grundelement des seelischen Lebens ist die Sinnesempfindung, die ein Ding oder einen Vorgang außer uns vorausseßt und die zu stande kommt durch die Reize, die auf die Nerven wirken, von diesen in das Zentralorgan fortgeleitet und im Gehirn in einen psychologischen Akt umgesezt werden (Perzeption). Wird die Empfindung isoliert und projiziert (auf ein Ding der Außenwelt bezogen), so entsteht die Wahrnehmung. Bei der Empfindung steht die Zuständlichkeit, bei der Wahrnehmung die Gegenständlichkeit im Vordergrunde. Diejenigen Empfindungen und Wahrnehmungen, die einen gemeinsamen Ursprung haben, werden von der Seele zu einem einheitlichen Komplexe verbunden, aus dessen Projektion die An

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