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und die Kraft seines Wortes wirkt, daß sie sich mit innerer Notwendigkeit zum Sprechen aufgemuntert fühlen.

IV. Das Selbst bewuß t f e i n.

31. Die Schvorstellung.

Unsere Seele kann nicht bloß empfinden, wahrnehmen, vorstellen, denken, fühlen und begehren, sondern sie erhebt sich auch zu der Vorstellung, daß jene psychischen Thätigkeiten in ihr vorgehen, ja daß sie es selbst ist, welche dieselben ausübt. Sie erhebt sich zu der Vorstellung von sich selber. Diese Vorstellung ist die des eignen Ichs; die Fähigkeit, sein eigenes Ich zu erfassen, nennen wir das Selbst= bewußtsein.

Das Selbstbewußtsein ist dem Menschen nicht angeboren und nicht in der Seele von Anfang an als ein schlummerndes Wesen vorhanden, das etwa nur geweckt zu werden brauche, um in hellem Glanze hervorzutreten. Vielmehr entsteht es allmählich als das Resultat der geistigen Entwickelung; daher es auch nicht zu verwundern ist, daß die Kinder in den ersten Lebensjahren von einem Ich nichts wissen. Wie entsteht nun die Ichvorstellung?

1. Die erste Entwickelung der Ichvorstellung.

Zuerst lernt das Kind sich in der Gestalt seines Leibes kennen. Einige Teile des Leibes kann es sehen, andere betasten, und diese Gesichtsund Tastempfindungen erzeugen mit den damit verbundenen Muskelempfindungen allmählich ein Bild der äußeren Gestalt, das bald größere Klarheit gewinnt durch das Lokalisieren, durch welches die Empfindungen an die einzelnen Glieder des Leibes verteilt werden. Die scharf umgrenzte Gestalt des Leibes und seine Empfindlichkeit erregen demnach zuerst die Aufmerksamkeit des Kindes. Bald aber hebt der Leib sich noch mehr von den Dingen der Umgebung ab. Denn das Befinden des eigenen Leibes kündigt sich unmittelbar durch Körperempfindungen Hunger, Durst, Ermüdung —, während die Dinge der Außenwelt sich nur mittelbar bemerklich machen, nämlich nur insofern, als sie auf den Leib einwirken. Hierzu kommt die Zweiseitigkeit der Empfindung bei dem Betasten des eigenen Körpers. Sticht sich z. B. das Kind mit einer Nadel, so stellt sich außer der Muskelempfindung noch eine Schmerzempfindung ein; das Kind ist thätig und leidend zugleich. Wenn es dagegen die Schwester mit der Nadel sticht, so nimmt es wohl die Muskelempfindung wahr, doch die Schmerzempfindung bleibt aus. Dadurch lernt es seinen Leib als ein besonderes, empfindliches Ding von den anderen Gegenständen unterscheiden.

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Zugleich wird es aber auch inne, daß es eine gewisse Herrschaft über die Glieder des Leibes besigt; es kann sie bewegen, kann mit den Händen langen und greifen oder die Thüre zumachen, kann mit den Füßen gehen, mit dem Munde sprechen 2c. Bei diesen Bewegungen folgen die Glieder unmittelbar den inneren Antrieben. Die Bewegung und Veränderung der Außendinge ist dagegen seinem Willen nicht unmittelbar unterworfen, sondern kann nur mittelbar, nämlich durch Bewegung der Glieder des Leibes erfolgen. Indem es nun den Leib als ein bewegungsfähiges, lebendiges Ding erkennt, scheidet es ihn von den anderen Gegenständen der Umgebung aus. So ist die Vorstellung des eigenen Leibes als eines empfindlichen und lebendigen Dinges der erste Inhalt der keimenden Ichvorstellung.

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2. Das geistige Ich.

a. Hat nun anfänglich die Vorstellung des eigenen Leibes eine hervorragende Stellung, so tritt sie doch bei zunehmender Bereicherung des Vorstellungslebens nach und nach in den Hintergrund, da die Empfindungen des Leibes etwas Eintöniges an sich haben, weil sie fast immer dieselben sind, während die Vorstellungen schnell wechseln und die Aufmerksamkeit des Kindes auf sich ziehen. Auf die Vorstellungen wird es schon durch deren Reproduktion gelenkt. Hat es z. B. einen Essenkehrer geschen und wird es durch die Mutter an denselben erinnert, so taucht das Bild des schwarzen Mannes in seiner Seele auf, ohne daß es ihn doch wirklich erblickt. Wo befindet sich nun die Vorstellung Effenkehrer“? In der Außenwelt sicherlich nicht, da das Kind den schwarzen Mann nicht sieht; es wird also inne, daß es diese Vorstellung in sich, in seinem Kopfe hat. Es erkennt allmählich, daß Vorstellungen in ihm sind, wenn auch die Objekte, welche sie erzeugt haben, verschwunden sind, und daß dieselben unabhängig von der Außenwelt, auch unabhängig von seinem Körper, wieder hervorgerufen werden können. Die Erinnerungen an Erlebnisse weisen es so allmählich, aber unaufhörlich auf die eigenen Vorstellungen hin. Es gelangt zum Bewußtsein, daß die Vorstellungen etwas anderes sind als der Leib und die Dinge der Umgebung, und kommt so zu der Unterscheidung von Innenwelt und Außenwelt. Sein Körper, der früher den äußeren Gegenständen entgegengesetzt wurde, erscheint ihm nun als ein Äußeres, die Vorstellungen als das Innere.

b. Bei weiterer innerer Entwickelung erkennt nun das Kind, daß die Zustände, die sich in ihm vorfinden, seine eigenen sind, daß es selbst etwas weiß, fühlt oder will. Besondere Verstärkungen erhält die Vorstellung der Selbstheit durch den Umgang mit anderen Menschen

und durch die Ausdrücke der Liebe und Zufriedenheit, des Lobes oder Tadels über sein Verhalten durch die Eltern. Dadurch wird das Kind auf seine Begehrungen und Handlungen gelenkt, in denen sein Selbst anderen gegenüber am stärksten hervortritt. Es weiß, daß es sich so oder anders entschließen oder betragen kann, es beurteilt, billigt oder tadelt sein eigenes Reden und Thun, nimmt sich vor, sich zu bessern 2c., und so stellt es allmählich die Vorstellungen, Gefühle und Strebungen als Objekte sich selbst als dem Subjekt gegenüber. Wenn z. B. der Knabe sagt: Das ist meine Meinung! so nimmt er eine Scheidung vor zwischen seinem Ich, das die Meinung hat, und zwischen der Meinung selbst. Im weiteren Verkehre mit den Dingen der Außenwelt und im Umgange mit anderen Menschen findet diese Ichvorstellung schärfere Ausprägung.

c. Im Laufe der Zeit kommt nun der Mensch dahin, daß er sein eigenes Wesen zum Gegenstande der Betrachtung macht und damit sich selbst als Objekt von sich als dem Subjekt der Erkenntnis unterscheidet. Das Ich weiß dann sich selbst als das Erkennende und Erkannte zugleich. Das Bewußtsein dieser Selbstheit findet seinen Ausdruck in dem Urteile: Ich bin ich, d. h. Ich, der Vorstellende, bin Ich, der Vorgestellte. Ich stelle mir also nicht bloß die einzelnen Vorstellungen, Gefühle und Begehrungen als die meinigen, sondern mich als vorstellendes, fühlendes und begehrendes Wesen mir selbst vor. Diese Ichvorstellung ist die höchste Abstraktion, wodurch die Seele sich selbst gewinnt.

d. Da die Ichvorstellung beim ausgebildeten Bewußtsein mit allen Bewußtseinsvorgängen verschmolzen ist, wird sie die über alle herrschende und übt dann einen apperzipierenden Einfluß auf alle Zustände des Bewußtseins aus; denn diese erscheinen nun alle als seine Zustände. Das Ich weiß sich nun als apperzipierendes Subjekt. Mögen auch die Gedanken, Gefühle und Strebungen sich ändern, mag der Mensch als Kind, Jüngling, Mann, Greis anders denken, fühlen und begehren, in allen diesen Wandlungen bleibt die Ichvorstellung der Träger aller geistigen Akte; troß des Wechsels weiß der Mensch sich immer als ein und dieselbe Person. Das Ich behauptet sich als bleibende Vorstellung unter den zahllosen vorüberfliehenden, es ist das Beharrliche gegenüber allem Wechsel, das feste Zentrum, auf das sich alle inneren Vorgänge beziehen, der Kern der Seele. Auch bleibt die Ichvorstellung sich immer gleich. Mag das geistige Leben noch so sehr an Reichtum und Fülle gewinnen, so wird doch der Inhalt der Ichvorstellung nicht gemehrt; sie ist gewissermaßen der Punkt in der Seele, der nur insoweit vorgestellt werden kann, als unzählige Vorstellungen,

Gefühle und Strebungen von ihm ausgehen und zu ihm zurückkehren, der Mittelpunkt, auf den alles, was in uns ist und vorgeht, hinweist.

Daß der Mensch sein Ich als erste Person hinstellt, ist nicht Aumaßung, sondern läßt sich psychologisch so erklären, daß sich ihm sein eigenes Wesen als nächstes und darum erstes darbietet und so naturgemäß den fernergelegenen Vorstellungen vorangestellt wird. Erst gegen Ende des dritten Jahres wendet das Kind das Wort „ich“ auf seine Person an. Zuerst gebraucht es den Namen, mit dem andere es rufen, und spricht, da es sich gerade durch den Namen von den anderen bewußt zu unterscheiden weiß, von sich in der 3. Person, z. B. Karl will essen. Allmählich wird es aber inne, daß andere, wenn sie von sich selbst reden, das Wort „ich“ gebrauchen, und wendet es dann auf sich selbst an.

3. Das erfahrungsmäßige (empirische) Ich.

a. Ist die Ichvorstellung erwacht, so erscheint uns der Körper, der auf der primitiven Stufe des Selbstbewußtseins dessen einzigen Inhalt ausmachte, nun als ein äußeres, von unserm eigentlichen Selbst verschiedenes Objekt. Er gehört nun zu uns, wie uns etwa ein Haus gehört, als Gehäuse und Werkzeug der Seele. Wir können, wenn wir wollen, von dem Leibe absehen, ihm Wünsche abschlagen, ihn bei geistiger Arbeit völlig vergessen, ja uns seiner entledigen, wie es der Selbstmörder thut.

Trogdem zeigt die Erfahrung, daß bei der innigen Wechselbeziehung, in der Leib und Seele zu einander stehen, der Mensch sich gar nicht anders denken kann als ein Vereinswesen von Leib und Seele. Wir können in Wirklichkeit die Ichvorstellung nicht ganz trennen von der Vorstellung unseres Leibes und rechnen immer den Leib mehr oder weniger zu unserem Ich, zumal dann und wann Umstände eintreten, გ. B. körperliche Leiden, in denen der Leib größere Bedeutung für die Ichvorstellung gewinnt. Wenn der Mensch sagt: „Ich werde nun essen!" oder „Ich habe Kopfweh!", so betrachtet er eben seinen Leib als zu seinem Ich gehörig.

Selbst Gegenstände, welche mit dem Leibe in nähere Verbindung treten, werden als zum Selbst gehörig betrachtet, wie Kleider, Schmuck 2c. Daher wird das Selbst= gefühl gehoben durch die Uniform, schöne Kleider 2c. und dann in erhöhtem Maße, wenn durch die Kleider der Leibesumfang vergrößert wird. Daher sind der Helm und der wallende Federbusch das Attribut des Kriegers; Szepter, Krone und der faltige Mantel dienen als Insignien der Herrscherwürde. Darauf beruhen manche Modethorheiten: die Reifröcke, Schleppkleider, Frisuren, hohe Abfäße der Frauen 2c. Auch Waffen und andere Instrumente werden, da sie die Herrschaft des Ichs über die Außenwelt kräftig vermitteln, wie die eigenen Glieder zum Selbst gehörig angesehen. Der Infanterist rechnet sein Gewehr zu seinem Selbst, der Kavallerist sein Pferd, der Künstler sein Instrument. Ebenso fühlt sich die Persönlichkeit erweitert durch den Besiß der Reiche hat ein stärkeres Selbstgefühl als der Arme -, namentlich durch den geistigen Besit, durch Titel, Rang und äußere Ehrenzeichen.

b. Wir haben das Ich als das Beharrliche in unserer Seele kennen gelernt, und dennoch ist es erfahrungsmäßig dem Wechsel unterworfen. Das Ich ist aus einzelnen, durchaus individuellen Vorstellungen, Gefühlen und Begehrungen erwachsen, die dem Ich einen besonderen Charakter aufdrücken; denn da die Menschen nicht alle dieselben Vorstellungen, Gefühle und Begehrungen haben, so ist bei jedem Menschen das Ich ein anderes. Aber auch das Ich des einzelnen Menschen wird ein anderes, je nach den verschiedenen Erfahrungen des äußeren und inneren Lebens. Wenn den Menschen schwere Schicksale treffen oder ein unverhofftes Glück erfreut, wenn er seine Stellung ändert und ein Amt mit erweiterten Pflichten und Rechten erringt, wenn er seinen Namen wechselt, wie die Jungfrau bei ihrer Verehelichung, wenn gar mit ihm eine tiefgreifende Sinnesänderung vorgeht, z. B. aus dem Saulus ein Paulus wird, so werden alle diese inneren und äußeren Erlebnisse auch das Ich ändern, sodaß streng genommen jeder Mensch in jedem Augenblicke seines Lebens ein anderes Ich hat. So ist eigentlich unser Ich eine fortwährende Aufeinanderfolge einzelner Iche. Da aber der Verstand diese Iche stetig aufeinander bezieht, so bleibt trog aller Veränderungen und Zuthaten die Persönlichkeit dieselbe, sodaß wir in jedem Zeitmoment wissen, daß wir noch dieselben sind, die wir als Kinder und Jünglinge waren. Die Ichvorstellung durchtönt alle Stufen der Entwickelung. Das äußere Band, wodurch die einzelnen Iche zusammengehalten werden, ist der Name, der mit unserem Ich in Eins verschmolzen ist.

c. Wenn auch das Ich in unserer Seele das Bleibende ist, dürfen wir doch nicht vergessen, daß auch die Ichvorstellung dem Schicksale aller Vorstellungen, dem Wechsel zwischen Bewußt und Unbewußt, unterworfen ist. Nicht ununterbrochen sind wir unserer bewußt. Unterbrochen wird das Selbstbewußtsein täglich durch den Schlaf; es ist während desselben so erheblich verdunkelt, daß wir uns nur selten und dann auch nur lückenhaft unserer Träume erinnern können. Auch im wachen Zustande begleitet die Ichvorstellung nicht alle psychischen Akte. Wir lesen und arbeiten stundenlang, ohne auch nur ein einziges Mal uns daran zu erinnern, daß wir selbst diese Thätigkeit ausüben. Wahre Vertiefung in den Inhalt der Vorstellungen fordert und bewirkt Selbstvergessenheit. Erst wenn eine Vorstellung in uns auftaucht, die mit der des Ichs verbunden ist, erinnern wir uns dann an uns selbst. Auch im Zustande der zerstreutheit ist die Ichvorstellung unterdrückt; es wirbeln dann unterschiedliche Vorstellungen durch den Kopf, ohne daß das Ich eingreift, und der Zerstreute sieht dem Spiele seiner Vorstellungen zu wie ein fremder Beobachter. Ebenso verdunkeln Gemütserschütterungen (Begeisterung, Zorn, Schreck 2c.) und der Sturm der Leiden

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