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empfindungen sind die ersten, die das Kind hat, während deutliches Sehen und Hören sich bei ihm erst nach Wochen zeigen.

6. Der Gefichtsfinn.

1. Das Organ des Gesichtssinns ist das Auge, ein aus durchsichtigen und das Licht brechenden Medien bestehender Apparat. Das Licht fällt durch die Hornhaut, durch die von der Iris umschlossene Pupille*), die Krystalllinse und den Glaskörper auf die Nezhaut, in welcher sich der von hinten in das Auge eintretende Sehnerv ausbreitet. Wo die Augenachse die Nezhaut schneidet, findet sich der gelbe Fleck, der lichtempfindlichste Punkt des Auges. Im gelben Fleck und seiner Umgebung ist die Nezhaut von einer blaßroten Flüssigkeit durchdrungen, dem Sehpurpur, dessen Zellen sich unter dem Einfluß des Lichts ähnlich wie die photographischen Platten verändern, nämlich erblassen und so die äußeren Objekte in der Nezhaut abbilden. Die Nezhaut ist nur mit lichtempfindlichen winzigen Endgebilden, den Stäbchen und Zäpfchen, versehen, welche die Eigenschaft haben, durch Zersehung des Augenpurpurs Schwingungen des Lichtäthers in Nervenreiz zu verwandeln. Das Auge ist beweglich und kann daher jeden Augenblick den durch dasselbe vermittelten Empfindungsinhalt abändern, wenn es von einem Dinge zum andern schweift. Es ist zugleich einstellbar für die Nähe und Ferne (Akkommodationsfähigkeit) und kann durch mikroskopische und teleskopische Hilfe geschärft werden.

2. Der Gesichtssinn vermittelt uns die Empfindungen der Helligkeit und der Farbe. Die Licht- und Farbenempfindungen werden durch Ätherschwingungen hervorgerufen, welche die in den Sehnerven fortwährend stattfindenden Molekularbewegungen abändern. Werden diese chemischen Bewegungen in ihrer Stärke abgeändert, so entstehen die farblosen oder Helligkeitsempfindungen, die sich je nach dem Stärkegrade vom blendendsten Weiß durch Grau bis zum tiefsten Schwarz abstufen. Geliefert werden diese Lichtempfindungen durch die Stäbchen der Nezhaut, die stärker durch kurzwelliges Licht erregt werden. Die Empfindungen der Farben im engeren Sinne (bunte Farben) entstehen infolge neuer, durch langwelliges Licht, für welche die Zapfen der Netzhaut besonders empfindlich sind, hervorgerufener Schwingungen. Die Farbenempfindungen bilden die bekannte Farbenskala, eine von Rot über Gelb, Grün und Blau zum Violett führende, geschlossene

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*) Pupille Püppchen, weil wir in ihr ein kleines Spiegelbild unserer eignen Person erblicken, wenn wir in ein fremdes Auge schauen.

Reihe, wie wir sie im Regenbogen erblicken. Daß es von jeder Farbe Arten vom dunkelsten bis zum hellsten Tone giebt, rührt davon her, daß bei der Farbenempfindung zugleich die Helligkeitsempfindung mehr oder weniger zur Geltung kommt*). Einander naheliegende Farben, z. B. Rot und Gelb, lösen im Nerven eine mittlere Schwingung aus, sodaß eine dem Rot und Gelb ähnliche Nebenfarbe, Orange, **) entsteht. Jede Farbe hat ein bestimmtes Längenverhältnis der Ätherwellen und eine bestimmte Schwingungszahl. Rot hat die längste Welle (6878 ***) und die kleinste Schwingungszahl (481****), Violett die kürzeste Welle (3928***) und die größte Schwingungszahl (790****).

Der Gesichtssinn liefert uns nur die Empfindungen der Lichtstärke und der Farbe; allen anderen Anschauungen räumlicher und körperlicher Verhältnisse, die wir zu sehen meinen, liegt ein Akt des Urteils zu Grunde, wenn schon uns in den meisten Fällen das Bewußtsein davon fehlt.

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So wird die Empfindung der Gestalten dadurch ermöglicht, daß durch die lichtbrechenden Medien die von einem Punkte ausgehenden Lichtstrahlen wieder auf einen Punkt der Stäbchen- und Zapfenschicht der Nezhaut konzentriert werden und sich demgemäß alle von einem Gegenstand einfallenden Lichtstrahlen auf der empfindlichen Stelle der Nezhaut zu einem Lichtbildchen des Gegenstandes vereinigen. Die Stellung im Raume, welche der Gegenstand einnimmt, beurteilen wir nach seiner Stellung zu unserm Auge; denn wir wissen, daß er in der Richtung unserer in den Raum hinaus verlängerten Gesichtslinie liegen muß. Die Größe der Gegenstände schäßen wir nach der Größe des Sehwinkels und nach der Größe der Augen- und Körperbewegungen, welche notwendig sind, um die verschiedenen Punkte ihres Umfangs mit den Augen zu fixieren. Die Bewegung schließen wir daraus, daß der Gegenstand, während unser Auge selbst sich nicht bewegt, seine Stellung im Gesichtsfelde immerfort wechselt, d. h. nach und nach immer andere Stellen der Nezhaut reizt. Daß das Nezhautbildchen umgekehrt steht, stört uns nicht; denn die wahre Stellung der Gegenstände im Raume wird nicht durch das Nezhautbildchen, sondern aus der Erfahrung beurteilt, welche wir uns mittels der Augen- und Körperbewegungen, unterstüßt durch den Tastsinn, von der Stellung im Raume gebildet haben. Auch daß wir troß der 2 Nezhautbildchen die Gegenstände nicht doppelt sehen, beruht auf Übung und Erfahrung, welche uns von dem gleichzeitigen und gleichartigen Nezhauteindruck nur auf ein Objekt im Raume schließen läßt. Um die Tiefendimension wahrzunehmen, werden wir durch das Sehen mit 2 Augen unterstüßt, welches bedingt, daß wir das Objekt, wenn auch in

*) Die Intensität der Farbenempfindungen wird auch durch benachbarte Empfindungen beeinflußt; ein weißer Gegenstand wirkt heller auf schwarzem Grunde und umgekehrt. **) Nur die Hauptfarben haben bestimmte Namen; die Nebenfarben werden entweder durch Zusammenseßung (blaugrün) oder durch Bezeichnung der Farben bekannter Naturkörper gebildet (orang, violett, moosgrün, lachsfarben). ***) Hunderttausendteile eines Millimeters. ****) Billionen auf die Sekunde.

geringem Grade, von 2 verschiedenen Seiten her betrachten. Auch aus der Größe der Anstrengung, welche der Akkommodationsmuskel machen muß, erkennen wir, daß ein Punkt dem Auge näher liegt als der andere, und erfahren dadurch, daß 2 oder mehrere Punkte des Gegenstandes in verschiedener Entfernung vom Auge liegen, woraufhin auf die Tiefendimension geschlossen werden kann.

3. Bedeutung. Der Gesichtssinn ist für die Erkenntnis der Außenwelt der wichtigste von allen Sinnen. Er hat den größten Umfang, 10 aller Empfindungen verdanken wir diesem Sinne, daher auch die Außenwelt die sichtbare Welt genannt wird und die meisten unserer Wörter etwas Sichtbares bezeichnen. Als Raumsinn vermittelt er die Vorstellung einer außer uns vorhandenen Körperwelt, zumal wir mit ihm die Gegenstände in ihrer Totalität und darum só deutlich auffassen, daß sie leicht von einander unterschieden werden können. Er dient aber nicht nur der Erkenntnis der äußeren Natur, sondern wie das Auge selbst ein Spiegel der Seele ist, so vermag es auch in die Tiefen der Seele zu blicken, indem wir an dem Antlig und in den Handlungen der andern Menschen die innern Vorgänge bemerken und so zur Menschenkenntnis geführt werden. Das Gesicht ist ferner der vorzüglichste Sinn der Kunst; es ermöglicht den Genuß an den Schöpfungen der bildenden Künste und durch das Schrifttum Freude an der Poesie. Indem es Natur- und Kunstgenuß vermittelt, trägt es mit zur Erhebung und Veredelung des Gemütes bei. So ist der Gesichtssinn der Fürst aller Sinne, der vorzüglichste Wächter und Hüter und zugleich das edelste Forschungswerkzeug des Menschen, daher sein Verlust am schmerzlichsten empfunden wird. Ein blinder Mann, ein armer Mann.

7. Der Gehörskinn.

1. Das Organ des Gehörssinns ist das Ohr, dessen innerer Teil aus einem kunstvollen System schwingungsfähiger Teilchen besteht. Die Endigungen des Gehörnervs liegen meist in den verwickelten Apparaten der Schnecke, dem sogenannten Cortischen Organ, das wie ein mikroskopische Glasharmonika gebaut ist, deren Tasten für jeden besonderen Ton abgestimmt sind. Außerdem befinden sich einige Endigungen zur Aufnahme von leisen und kurzen Geräuschen im Vorhof, einige auch zur Aufnahme von starken und dauernden Geräuschen in den Bogengängen. Als Reize wirken auf die peripherischen Endigungen des Gehörnervs periodische Schwingungen der Luft, die sich in der Weise fortwährend wiederholen, daß in jeder Sekunde eine gleiche Zahl von Schwingungen stattfindet.

Die Schallstrahlen gelangen durch die Ohrmuschel und den Gehörgang an das Trommelfell, welches sie in Schwingungen verseßen. Die Schwingungen teilen sich den Gehörknöchelchen mit, die das Labyrinthwasser erschüttern, von welchem die Erschütterung auf den Gehörnerven, als der Leitung zum Gehirn, übertragen wird.

2. Ihrem Inhalte nach sind die Gehörsempfindungen entweder Klänge oder Geräusche, je nachdem regelmäßige Schwingungen (solche von gleicher Schwingungsform und Schwingungszahl) oder unregelmäßige Schwingungen, bei denen Schwingungsform und Schwingungszahl wechseln, gegeben sind. Schlagen wir an eine Glocke oder drücken wir eine Orgeltaste nieder, so entsteht ein Klang; Geräusche sind die Konsonanten der menschlichen Stimme, das Säuseln der Blätter 2c. Die Klänge und Geräusche lassen sich in Töne zerlegen. Beim Tone erkennt das normale Ohr 3 Qualitäten: a. die Tonstärke, welche von der Weite der Schwingungen abhängt, die der tönende Körper macht. Ihr entspricht bei der Gesichtsempfindung der Grad der Helligkeit. b. die Tonhöhe, welche ihren Grund in der Zahl der Schwingungen hat. Die Grenze deutlicher Hörbarkeit liegt zwischen 16 und 40960 Schwingungen in der Sekunde und umfaßt gegen 12 Oktaven. Der tiefste Ton hat eine Schwingungsbewegung von 8-10, der höchste eine solche von 40-50000 Doppelschwingungen in der Sekunde. Der Ton a hat 435 Schwingungen. Der Empfindung der Tonhöhe entspricht beim Gesichtssinn die Farbenempfindung. c. die Klangfarbe. Das eingestrichene c des Klaviers klingt anders, als das eingestrichene c der Violine, des Cello, der Orgel, des Horns. Diesen Unterschied des Klanges bei gleicher Tonhöhe bezeichnet man als Klangfarbe. So hat jede menschliche Singstimme und jedes Instrument eine besondere Klangfarbe. Dies kommt daher, daß die Töne der Instrumente aus mehreren einfachen Tönen zusammengesezt sind. Schlagen wir das eingestrichene c1 auf dem Klaviere an, so klingen außer diesem Tone noch folgende Töne mit: c2 g2 c3 e3 g3 b3 c4 d1. Da der Grundton am lautesten klingt, die Obertöne aber mit der Tonhöhe an Stärke abnehmen, so kommen die Obertöne dem Hörer nicht zum Bewußtsein, aber sie bewirken, daß der Grundton eine besondere Färbung annimmt.*)

Der Intensität nach bezeichnen wir die Klänge und Geräusche mit laut und leise, die Töne durch pp, p, mf, f, ff. Das Ohr besißt, wenn auch nur im schwachen Grade die Fähigkeit, Richtung der Schallstrahlen, Entfernung der Schallquelle 2c. angeben zu können, doch werden

*) Die zusammengeseßten Register der Orgel, z. B. Mixtur, sind künstliche Nachbildungen der Obertöne.

deutliche räumliche Bestimmungen erst allmählich durch Erfahrung und Schluß gewonnen. Starke Schallempfindungen werden in die Nähe, schwache in die Ferne projiziert. Auch der Rhythmus wird nicht unmittelbar percipiert, weshalb wir ihn durch Taktieren (sichtbares oder fühlbares) hervorheben.

3. Bedeutung des Gehörssinnes. Er vermittelt uns die Kenntnis der Natur, indem er uns eine Menge von Empfindungen zuführt, die nicht weniger deutlich als die Gesichtsempfindungen sind. Er dient als Zeitsinn, da er uns die Aufeinanderfolge des Geschehens zum Bewußtsein bringt. Vorzüglich ist er der Sinn des menschlichen Gemütes; *) denn durch die Auffassung der Sprache ermöglicht er allen Seelenaustausch und jede Mitteilung des Denkens und Empfindens anderer, sodaß er in seiner Wichtigkeit für die Bildung des Geistes und für den Umgang und Verkehr mit anderen Menschen den Gesichtssinn weit übertrifft. Als Kunstsinn vermittelt er die Aufnahme der Werke der Poesie und insbesondere der Musik, jener Kunst, deren Gabe schon der blinde Homer einen reichen Ersaß für das fehlende Augenlicht nennt. Endlich dient er zum Schuße unseres Lebens, da er uns Gefahren kundgiebt, die dem Auge entgehen; in der Nacht namentlich ist er der Hüter des Menschen. Der Verlust des Gehörs beeinträchtigt die geistige Bildung aufs höchste, wie auch die Erfahrung zeigt, daß nichtunterrichtete Taubstumme lebenslänglich auf der Stufe des Schwachsinns stehen bleiben, während Blinde durch ihren Sinnesdefekt in ihrer intellektuellen Entwickelung nicht zu leiden pflegen. Ist das Auge der klarste, so das Ohr der tiefste Sinn.

8. Der Geruchs- und Geschmacksfinn.

1. Der Geruchssinn.

Das Organ desselben ist die Nase, welche 2 aus zarten Knochen und Knorpeln zusammengesezte Höhlen bildet, in deren Schleimhaut sich die Riechzellen verzweigen. Die Riechzellen sind die Endigungen des Geruchsnerven, der von dem vorderen Großhirnlappen kommt und sich am oberen Teile der hinteren Nasenhöhle ausbreitet.

Geruchsempfindungen entstehen, wenn gasförmige oder in Luft verflüchtigte duftende Stoffe in die Nase dringen und die Fasern des Riechnervengeflechts reizen. Sie können einen bedeutenden Stärkegrad erreichen, sind von kurzer Dauer und fast ausnahmslos von Lust- oder Unlust

*) Der sicherste und gangbarste Weg zum Herzen" (Schiller).

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