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der Selbstverwerfung.

So werden die Ideen zu normativen Mächten,

die unseren Wert bestimmen.

4. Pädagogisches.

Die Schule soll in der jungen Menschenseele einen idealen Sinn wecken und pflegen, der sich freilich nicht in einen Gegensaß zum wirklichen Leben stellen darf, sondern zur Verklärung der Alltäglichkeit und zur Veredelung des kindlichen Herzens und Gemütes dient. Das Kind soll die Überzeugung gewinnen, daß es neben der realen Welt noch eine andere Welt, die Welt der Ideen, gebe, und sein Herz soll sich in Ideale vertiefen, versenken und sich an ihnen erwärmen.

An Bildungsstoffen, welche dem Kinde die ideale Welt erschließen, fehlt es der Schule nicht. Im Religionsunterrichte erhebt sie das Kind über die Endlichkeit, macht in ihm den Gott der Macht, Weisheit und Liebe lebendig, senkt ihm das hehre Beispiel Jesu ins junge Herz und läßt ihn in den Menschen Brüder sehen, die einer des anderen Fehler tragen. In der deutschen Lektüre öffnet man dem jungen Gemüte die sonnigen Hallen der Poesie und erfüllt es mit Begeisterung für ideale Gestalten. In der Geschichte erzeugt man durch die Biographie der Träger der Zeitideen einen Eindruck von Größe und Bewunderung, *) richtet den Blick auf höhere Zwecke und facht den Funken der Begeisterung an. In der Naturkunde weist man hin auf die Ordnung und Weisheit in allen Dingen und auf die das All durchdringenden Ideen, nach welchen Gott die Welt geschaffen hat. Durch Gesang, Zeichnen und Schreiben weckt man das Verständnis und den Genuß an den Werken der Kunst.

Am lebendigsten muß der ideale Sinn im Jünglingsalter sich regen. Daher sind namentlich die Jünglinge einzuführen in den Blütenhain der Ideale, daß sie große und edle Gedanken in sich aufnehmen, eine ideale Auffassung der Welt und Menschen gewinnen und erglühen, das wirkliche Leben durch treue Arbeit den Idealen gemäß auszugestalten. Selbst= verständlich ist alles, was über den Vorstellungs- und Empfindungskreis der betreffenden Altersstufe hinausliegt, auszuschließen, damit die Jugend nicht in einer eingebildeten Welt schwebt, die sie für die wirkliche untauglich macht. Es ist daher das Bewußtsein zu wecken, daß die Welt nur vorwärts schreitet auf dem Wege der Entwickelung, indem die Ideen als treibende Kräfte für allmähliche Verbesserung der wirklichen Zustände dienen.

Der Lehrer wird aber nur dann die ideale Aufgabe des Unterrichts lösen können, wenn er selbst von einer idealen Richtung durchdrungen *) „Ein jeder muß sich seinen Helden wählen, dem er die Wege zum Olymp sich nacharbeitet." Goethe, Iphigenie II, 1.

ist. Ihm muß bei seiner ganzen Thätigkeit das Bild eines vollkommenen Zustandes vorschweben, in welchem in dem Einzelnen und Ganzen die Erziehungsidee verwirklicht ist. Dieses Hochbild ist sein Bildungsideal, auf welches er dann hinarbeitet und woraus er immer warme Begeisterung für seinen Beruf schöpft.

29. Das Denken. Verftand und Vernunft.

1. Thätigkeit des Denkens. Die höheren Vorstellungsgebilde Begriff, Urteil, Schluß entstehen, wie wir gesehen haben, aus der Vereinigung von Vorstellungen. Diese Verknüpfung erfolgt aber nicht wie bei den assoziativen Verbindungen, je nachdem die Vorstellungen gleichzeitig oder nacheinander auftreten und sich aneinanderreihen, sondern richtet sich nach der inhaltlichen Zusammengehörigkeit der Vorstellungen. Die Vergesellschaftung der Vorstellungen nach Gleichzeitigkeit und Reihenfolge ist nur eine zufällige, äußere, mechanische, die nach der inhaltlichen Beschaffenheit des Vorgestellten dagegen eine notwendige, innere, logische. Die Thätigkeit unserer Seele, die Vorstellungen in Rücksicht auf ihren Inhalt zu verbinden oder zu trennen, heißt denken; die Fähigkeit zu denken ist der Verstand.

Das Wort denken wird in unserer Sprache mehrdeutig gebraucht. Bei dem Ausrufe: „Wer hätte das gedacht!" gebrauchen wir es gleichbedeutend mit Vorstellung, und wenn wir fragen: „Woran denkst du denn?" wollen wir die Richtung des Vorstellens wissen. In dem Saze: „Da kann er lange denken“ nehmen wir es gleichbedeutend mit Besinnen, in dem Wunsche: „Denke an mich“ wird es in Beziehung zum Gedächtnis, in der Zusammenstellung „Dichten und Denken" in Beziehung zur Phantasie gesezt. So umfaßt es seinem Gebrauche nach fast alle Erscheinungen des Intellekts und dient selbst zur Bezeichnung von Gefühlen („All mein Sehnen, all mein Denken —“) von Wollungen („ich denke dieses Jahr in die Schweiz zu reisen“) und von der Geistesthätigkeit überhaupt („der Mensch ist ein denkendes Wesen"). Im eigentlichen Sinne bezeichnet es aber nur die Verbindung oder Trennung von Vorstellungen nach ihrer inneren Zusammengehörigkeit.

Der Mensch denkt, wenn er die durch die sinnlichen Empfindungen und Wahrnehmungen gegebenen Vorstellungselemente miteinander vergleicht und das Gleiche zu einer Einheit verbindet, also Begriffe bildet, oder wenn er zwischen mehreren Begriffen das Verhältnis bestimmt, also urteilt, oder auch wenn er aus zwei Urteilen ein drittes folgert, also schließt. Demnach sind Begriffebilden, Urteilen und Schließen die drei Funktionen des Denkens. Das Denken aber erfolgt nur unter Beobachtung von Gesezen, nach denen allein richtig gedacht werden kann. Diese Denkgeseze fließen unmittelbar aus der ursprünglichen Geseßmäßigkeit unserer Seele, welche, wiewohl sie nicht immer begreift, wie und warum es so und nicht anders ist, dennoch erkennt, daß es ent

weder so sein kann, oder so ist, oder so sein muß, wenn sie ihr eigenes Denken nicht zerstören will. Mit den Denkgeseßen und den Formen des richtigen Denkens beschäftigt sich die Denklehre oder Logik.

Das Denken ist die dem menschlichen Geiste eigentümliche Thätigkeit, durch welche sich der Mensch von den anderen Lebewesen unterscheidet. Jeder Mensch denkt zu allen Zeiten und in allen Lagen seines Lebens, das Denken ist sein geistiges Atmen. Die Menschen unterscheiden sich nur durch die Art und Weise, wie sie denken, ob richtig oder unrichtig, klar oder unklar, und durch die Gegenstände, worauf ihr Denken gerichtet ist.

Die Denkthätigkeit wird namentlich unterstüßt durch die Phantasie, welche, indem sie die Vorstellungen den mannigfaltigsten Verbindungen unterwirft, durch ihre Kombinationen dem Verstande das Mittel in die Hand giebt, diese Verbindungen nach ihrer Zusammengehörigkeit zu prüfen. Das Denken unterscheidet sich von dem Phantasieren dadurch, daß es sich nur durch die in den Vorstellungen und Begriffen liegenden Momente, nicht durch willkürlich mit den Vorstellungen und Begriffen in Beziehung gesezte fremde Momente leiten läßt. Das Gedächtnis dient dem Denken durch Lieferung von Material; denn oft müssen viele Vorstellungen zusammengebracht werden, ehe entschieden werden kann, welche Verbindung zwischen ihnen durch ihre Beschaffenheit gefordert wird. Das Denken beruht ferner auf der Apperzeption; alles Denken ist ein Apperzipieren. Doch während bei der Apperzeption der neue Erwerb bedingt wird durch den Zustand der bereits in der Seele vorhandenen Vorstellungsverbindungen, faßt das Denken die logischen Forderungen ins Auge, denen bei der Vorstellungsverbindung entsprochen werden soll. Insbesondere steht das Denken unter dem Einfluß des Willens; denn es fordert immer ein Überlegen, Prüfen und Entscheiden.

2. Das natürliche und logische Denken. a. Die Anfänge des Denkens liegen bereits in der sinnlichen Wahrnehmungsthätigkeit. Bei ähnlichen Wahrnehmungen verschmelzen unwillkürlich die gleichen Elemente, die ungleichen hemmen sich, und so bilden sich Allgemeinvorstellungen, die eben dasjenige festhalten, was die Gegenstände mit einander gemein haben, und dasjenige fallen lassen, was nur einzelnen eigentümlich ist Es be wirkt demnach der psychische Mechanismus eine Art Denken, das wir das natürliche nennen. Dasselbe beruht auf der unmittelbaren Förderung und Hemmung der Vorstellungen, auf Verschmelzung des Gleichartigen und Scheidung des Ungleichartigen. Auf dieser Grundlage entstehen psychische Begriffe, Urteile, Schlüsse. Was nun bei dem natürlichen Denken zufällig und unwillkürlich geschieht, erfolgt beim logischen Denken mit voller Klarheit und mit bestimmter Absicht. Das logische

Denken ist ein bewußtes und planmäßiges; denn bei ihm werden die Vorstellungselemente absichtlich klar durchschaut, verglichen und nach ihrer Verwandtschaft miteinander verbunden, oder nach ihrem Gegensaße voneinander geschieden, wobei zugleich der Grund der Vereinigung und Trennung zum Bewußtsein kommt.

b. Bei dem natürlichen Denken entwickeln sich die Begriffe der vorgestellten Gegenstände teils nach ihren auffälligsten Merkmalen und Beziehungen, die sich durch ihre Stärke oder Häufigkeit am meisten aufdrängen, teils nach denen, die unsere Aufmerksamkeit durch ihre Bedeutung für unser Wohl oder Wehe fesseln, teils nach der Überlieferung der Namen durch die Sprache. Daher sind auch die durch das natürliche Denken entstehenden Begriffe noch mit mancherlei subjektiven Elementen, mit räumlichen und zeitlichen Bestimmtheiten, mit disparaten oder gar widersprechenden Merkmalen behaftet, sodaß sie keine Allgemeinheit beanspruchen können. Das logische Denken verfährt gründlicher; es nimmt nicht die Vorstellungen in denjenigen Verbindungen hin, welche der Zufall der gleichzeitigen Entstehung gestiftet hat, sondern übt Kritik an dem zufälligen Zusammensein und bringt durch genaue Analyse und Vergleichung alle Merkmale, in denen die Objekte übereinstimmen oder sich unterscheiden, zum Bewußtsein. Dabei beschränkt es die Zahl der zum Vergleiche gestellten Objekte nicht auf wenige, sondern sucht einen möglichst weiten Kreis derselben zu umspannen, um zu prüfen, ob die gewonnene Verbindung sich in allen Fällen gleich bleibt und ob sie den Charakter der Allgemeinheit und Notwendigkeit trägt. Es hat die flare Einsicht in die Unmöglichkeit des Gegenteils und stüßt sich auf Gründe, zu deren Anerkennung ein jeder mit Verstand und gesunden Sinnen begabte Mensch sich innerlich genötigt sieht. Das logische Denken ist daher immer mit dem Bewußtsein der allgemeinen Giltigkeit seiner Erzeugnisse verbunden.

c. Das natürliche Denken orientiert uns über die Wirklichkeit, da es meist nur auf die äußere Erscheinung gerichtet ist. Durch dasselbe eignen wir uns die Begriffe von den uns umgebenden Gegenständen und Erscheinungen an; selbst die allgemeinen Begriffe, wie Raum, Zeit, Zahl, Größe, Einerleiheit und Gleichheit, Ursache und Wirkung, Grund und Folge, Mittel und Zweck, entwickeln sich auf dem Wege der Erfahrung vor dem bewußten, planmäßigen Denken. Das natürliche Denken dient demnach den Bedürfnissen des praktischen Lebens und liefert uns die praktische Weltauffassung. Das logische Denken prägt nun diese psychischen Begriffe schärfer aus, zeigt die Verhältnisse der Unter- und Beiordnung, verbindet oder sondert sie nach gewissen Kategorien, führt

eine Summe verwandter Begriffe auf einen ersten und legten zurück, auf den Grundsay (Prinzip), welcher als Entwickelungspunkt des notwendigen Zusammenhangs an die Spiße der ganzen Begriffsreihe gestellt wird. Das logische Denken führt daher zu einer theoretischen (wissenschaftlichen) Weltauffassung. Natürliches und logisches Denken unterscheiden sich somit a. nach dem psychischen Vorgange, b. nach den Produkten und c. nach ihrer Bedeutung.

3. Verstand und Vernunft.

Von dem Verstande als der Fähigkeit zu denken unterscheidet der Sprachgebrauch noch die Vernunft. Die schroffste Gegenüberstellung beider verwandten Begriffe rührt von Kant her, der den Verstand das Vermögen der Begriffe, die Vernunft das Vermögen der Ideen nennt. Doch sind beide nicht gesonderte Vermögen, sondern geben nur die verschiedenen Richtungen des Denkens an.

a. Wir schreiben demjenigen Verstand zu, der fähig ist, den Inhalt eines Vorgestellten zu verstehen, d. h. ihn richtig, so wie er wirklich ist, zu erfassen. Der Verstand untersucht die einzelnen Vorstellungen, um zu erkennen, welche Verbindung zwischen ihnen gefordert oder welche durch sie verboten wird. Er analysiert das Verwickelte, firiert die Unterschiede zwischen den einzelnen Vorstellungen und verkettet die zusammengehörigen Merkmale zu begrifflichen Formen. Er schafft nichts Neues, sondern kennzeichnet sich als die Fähigkeit, den geistigen Inhalt anzuordnen und neuen Inhalt dem vorhandenen Besigstand an der entsprechenden Stelle einzugliedern, und ist mithin die ordnende, rubrizierende Kraft unseres Denkens.

Doch das Denken bleibt nicht bloß bei dem erfahrungsmäßig Gegebenen stehen, sondern überschaut und vereinigt ganze Begriffsreihen, geht bis zu den letzten, einer weiteren Begründung nicht mehr bedürftigen Gründen zurück und bildet so Prinzipien und Axiome. Indem aber bei der Vertiefung in größere oder kleinere Gebiete des wirklichen Lebens sich ihm das Ungenügende einer bloß empirischen Auffassung der Dinge offenbart, überschreitet das Denken die Wirklichkeit und erhebt sich zum Vollkommenen, Übersinnlichen; es bildet die Ideen des Wahren, Schönen, Guten, Göttlichen. Diese Richtung des Denkens heißt Vernunft; sie ist die schaffende und bildende Kraft unseres Denkens.

b. Im gewöhnlichen Leben faßt man den Verstand auch auf als die Fähigkeit, die Umstände richtig zu beurteilen, sein Handeln ihnen gemäß einzurichten und zur Erreichung seines Zwecks die passenden Mittel aufzufinden. Doch auch auf diesem praktischen Gebiete zeigt sich die logische Natur des Verstandes; denn er ordnet genau die zur Erreichung des Zweckes

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