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denselben Obersaß wie in dem oben angeführten Beispiele. Durch öftere Anwendung wird der Obersah dann so geläufig, daß er weggelassen werden kann: Der Diebstahl ist ein Verbrechen, folglich ist er strafbar. Der Obersaß: „Alle Verbrechen sind strafbar“ gleitet dann blißartig durch unser Bewußtsein und bleibt unausgesprochen. Solche Schlüsse nennt man enthymematische, da man dabei den Obersah als etwas sich von selbst Verstehendes im Sinne behält, ohne ihn auszudrücken.

Wie ein Schluß verkürzt werden kann, so kann er auch erweitert werden, indem eine Reihe logisch zusammenhängender Prämissen aufeinanderfolgen, die dann einen gemeinsamen Schlußsaß haben, sodaß Schlußketten und Kettenschlüsse entstehen. Solche Kettenschlüsse sind:

Qui prudens est, et temperans est,
qui temperans est, et constans est,
qui constans est, et imperturbatus est,
qui imperturbatus est, sine tristitia est,
qui sine tristitia est, beatus est,
ergo prudens beatus est. Seneca ep. 85.

Der Trunk zerüttet die Seelenkräfte;
was die Seelenkräfte zerrüttet,
raubt uns die Menschenwürde;
was uns die Menschenwürde raubt,
erniedrigt uns zu den Tieren;

der Trunk erniedrigt uns zu den Tieren.

3. Die Schlußweisen. a. Bei dem Schließen kann man ein zweifaches Verfahren anwenden, z. B.

1. Alle Körper haben drei Dimensionen.

Der Würfel ist ein Körper.

Der Würfel hat drei Dimensionen.

Bei diesem Schlusse wird von einem allgemeinen Begriffe ausgegangen; indem nun eine besondere Vorstellung dem allgemeinen Begriffe untergeordnet wird, ergiebt sich die Berechtigung, diese untergeordnete Vorstellung mit dem jenem allgemeinen Begriffe zugehörigen Prädikate zu verbinden. Ein solcher Schluß ist ein Schluß der Unterordnung oder der Deduktion. Er richtet sich nach dem Geseze: Was von allen gilt, muß auch von jedem einzelnen gelten, oder: Was von der Gattung gilt, muß auch von der Art gelten.

2. Fische, Amphibien, Lurche, Vögel, Säugetiere haben rotes Blut, Fische, Amphibien, Lurche, Vögel, Säugetiere sind Wirbeltiere,

Die Wirbeltiere haben rotes Blut.

Bei diesem Verfahren wird umgekehrt von einer Reihe von Vorstellungen ausgegangen, die alle mit demselben Prädikat verknüpft sind. Indem nun ein allgemeiner Begriff diesen Vorstellungen übergeordnet wird, ergiebt sich die Berechtigung, diesen übergeordneten Begriff mit dem den besonderen Vorstellungen zugehörenden Prädikat zu verbinden. Ein Schluß dieser Art ist ein Schluß der Überordnung oder der Induktion. Beim deduktiven Verfahren wird demnach vom Allge= meinen auf das Besondere durch Unterordnung, beim induktiven

Verfahren vom Besonderen auf das Allgemeine durch überordnung geschlossen.

b. Dem Deduktionsschluß kommt unbedingte Giltigkeit zu, daher er zu einem wichtigen Hilfsmittel der Erkenntnis wird. Vorzüglich wird er in Mathematik, Physik und Grammatik angewendet, indem einzelne gegebene Fälle oder Erscheinungen bereits erkannten Lehrfäßen bez. Gesetzen untergeordnet werden und dadurch ihre Erklärung finden. Der Induktionsschluß sezt dagegen eine umfassende Erfahrung voraus; da man aber alles Einzelne nicht kennt und doch annimmt, daß die in den bekannten Arten sich findenden Merkmale auch in anderen gleicher Art sich finden werden, so kommt diesem Schlusse nur Wahrscheinlichkeit (bedingte Giltigkeit) zu. Man muß daher behutsam verfahren, damit man nicht in falsche Verallgemeinerungen gerät, wie dies ungebildeten Leuten und solchen, die von Vorurteilen befangen sind, gar oft begegnet. Und doch ist das induktive Verfahren von großer Wichtigkeit, da durch dasselbe die allgemeinen Urteile, die der Deduktionsschluß anwendet, erst gewonnen worden sind. Es dient der Erkenntnis namentlich dadurch, daß es die wissenschaftlichen Axiome, Geseze und Systeme durch Verallgemeinerung der Erfahrung entstehen läßt. Der Wert des Induktionsschlusses besteht demnach in der Feststellung, der des Deduktionsschlusses in der Anwendung der allgemeinen Urteile.*)

Eine Abart des Induktionsschlusses ist der Schluß der Analogie, bei welchem man aus ähnlichen Thatsachen die Wahrheit einer anderen Thatsache darzulegen sucht, 3. B. wenn man auf das Fortleben schließt, indem man darauf hinweist, daß auch in der Natur auf den Winter der Frühling folge. Beim Analogie-Schlusse wird daher von einem Besonderen auf ein anderes Besonderes geschlossen.

4. Bedeutung des Schlusses.

a. Der Schluß giebt uns die unmittelbare Gewißheit unseres Wissens und damit die eigentliche Erkenntnis; denn nur ein Wissen aus Gründen ist Erkenntnis.

b. Der Schluß bringt, da durch ihn das einzelne Urteil aus seiner Isoliertheit gehoben und in Verbindung mit anderen gesetzt wird, in unser geistiges Leben Zusammenhang; ohne ihn wäre in unserem Denken, Reden und Wissen Alles vereinzelt. Durch die große Zahl von obersten Sägen, die wir durch das Schließen gewinnen, übersehen wir nun die vielen Einzelerscheinungen und bringen sie in Ordnung.

c. Der Schluß ist ein Mittel zur Erweiterung unseres Wissens Die gezogenen Schlüsse werden zu festen Anhaltspunkten für unsere Erkenntnis, mit denen wir uns schnell Neues aneignen. So schließen wir von den Merkmalen einer uns neuen Pflanze auf die Gattung, von

*) Schumann und Voigt, Lehrbuch der Pädagogik, S. 83 ff.

einem obliquen Kasus auf ein Regierendes, vom Vorkommen von Lava und Basalt auf vulkanische Thätigkeit, von der Gestalt des Erdschattens bei Mondfinsternissen auf die Gestalt der Erde, von der zweckmäßigen Einrichtung der Welt auf das Dasein Gottes 2c.

d. Alles Beweisen beruht auf den Schlüssen, mögen nun die Gründe in historischen Zeugnissen, in empirischen Thatsachen oder wissenschaftlichen Axiomen wurzeln.

e. Auch unser praktisches Handeln ruht, soweit es durch allge= meine Gesichtspunkte bestimmt wird, auf dem Schlusse, wie denn namentlich das sittliche Handeln um so bestimmter und sicherer erfolgt, je mehr die einzelnen Willensentscheidungen den sittlichen Grundsägen unterstellt und von ihnen geleitet werden.

5. Pädagogisches.

a. Da durch Übung im Schließen der Schüler zu geistiger Selbstthätigkeit angeregt und zu geistiger Selbständigkeit geführt wird, hat der Lehrer ihn durch Bilden einfacher Schlüsse und Schlußreihen an folgerichtiges Denken zu gewöhnen. Gelegenheit dazu bietet jeder Lehrgegenstand. So hat der Schüler in der biblischen Geschichte auf die verborgenen Beweggründe göttlichen und menschlichen Handelns, in der Geschichte auf die Ursachen und Folgen der Ereignisse, in der Geographie aus der Bodenbeschaffenheit auf Klima, Produktion und Beschäftigung und Charakter der Einwohner, in der Physik von den Naturerscheinungen auf die Geseze und die in ihnen wirkenden Kräfte, in der Naturgeschichte von dem Bau der einzelnen Organe der Lebewesen auf die Notwendigkeit, Zweckmäßigkeit und Bedeutung derselben zu schließen. Insbesondere sind Rechnen und Formenlehre ganz vom Schlußverfahren beherrscht, sodaß der Schüler durch Schlußfolgen die Regeln für die Berechnung aus den Verhältnissen der Rechenaufgabe und aus den Eigenschaften der betreffenden Raumgrößen selbst ableiten kann.

b. Zunächst gewöhne man die Kinder an die induktive Schlußreihe, indem man aus einzelnen Gegenständen, Thatsachen, Erscheinungen, Beispielen, Handlungen zc. das Allgemeine, die Regel, das Gesez, den Grundsah durch Schlüsse gewinnen läßt. Dabei ist zu verhüten, daß das Kind bei seinem Triebe nach Verallgemeinerung zu oberflächlichen und ungründlichen Schlüssen geführt wird. Dann lasse man durch die gewonnenen Regeln, Geseße, Grundsäge auf einzelne Fälle und Situationen Deduktivschlüsse anwenden. Wenn die Schüler an richtiges Schließen gewöhnt sind, ist es nicht mehr nötig, daß sie jedesmal die strenge Schlußform sprachlich konstruieren; in vielen Fällen genügt die abgekürzte Form.

c. Um die Schüler zur Selbstthätigkeit anzuregen, muß sie der Lehrer durch seine Fragweise zur Bildung von Schlüssen nötigen. Ist

das Unterrichtsziel ein durch Schlußfolgen zu gewinnendes Urteil, so muß eine kürzere oder längere erotematische Schlußkette angewendet werden. Aus mehreren Urteilen ist dann der Schluß zu ziehen und dadurch das gesuchte Urteil zu gewinnen. Nur sind dabei an einen Schüler mehrere Fragen zur Gewinnung dieses Resultats zu stellen, damit derselbe in zusammenhängendem, folgerichtigem Denken geschult wird.

28. Die Ideen.

1. Begriff der Idee.

Die seither besprochenen seelischen Gebilde haben empirischen Ursprung und überschreiten die Erfahrung nicht. Wir können aber auch Begriffe erzeugen, denen kein Ding in der Wirklichkeit vollkommen entspricht. So vermögen wir uns eine Schule zu denken, die nur körperlich, intellektuell und sittlich gesunde Schüler besuchen, in der die besten Lehrmethoden und Lehrmittel zur Anwendung kommen, deren äußere Einrichtung allen pädagogischen und hygienischen Forderungen entspricht und an der nur tüchtige Methodiker und sittliche Charaktere als Lehrer wirken, sodaß das Ziel der Erziehung und des Unterrichts an allen Schülern erreicht wird. Doch, existiert irgendwo wirklich eine solche Schule? Zwar treten einzelne der genannten Züge bei dieser oder jener Schulanstalt zu Tage, aber keine einzige entspricht völlig dem gezeichneten Bilde. In dieser Vollendung soll sich die Schule zwar zeigen, aber sie kann sich ihr nur nähern. Die Vollendung existiert nur als Vorstellung in unserer Seele. Eine solche Vorstellung des Vollkommenen und Musterhaften nennt man eine Idee. In der Idee ist alles erfahrungsmäßig Mangelhafte ausgeschlossen, dagegen sind alle die Merkmale, die die Schule haben muß, um ihren Zweck vollständig zu erreichen, aufgenommen. Die Idee als vollkommene Gattungsvorstellung entsteht demnach wie der Begriff durch Abstraktion und Determination, nur daß ein solcher Musterbegriff sich über die Wirklichkeit erhebt und die Dinge in ihrer vollkommenen Gestalt erfaßt. Die Ideen sind demnach die höchsten und tadellos gebildeten Produkte unseres Geistes.

Das Wort „Schule“ kann mithin einen dreifachen psychischen Gehalt haben; es kann der Ausdruck für eine Vorstellung, für einen Begriff oder für eine Idee sein. Die Vorstellung ist das Bild der äußeren Erscheinung, der Begriff die Erkenntnis seiner Merkmale, die Idee erfaßt das Wesen des Dinges einschließlich seiner Erscheinung und seiner Bestimmung als möglichst vollkommen gedachte Totalität. Die Vorstellung macht uns bewußt, wie die Dinge erscheinen, der Begriff, was sie ihrem Wesen nach sind, die Idee, wie sie sein sollen.

b. Idee und Ideal. Haben wir z. B. die Idee eines guten Lehrers in unserer Seele entwickelt, und tritt nun dieselbe der geistigen

Anschauung in einer bestimmten Gestalt entgegen, z. B. in Pestalozzi, so nennen wir diese konkrete Erscheinung der Idee ein Ideal.*) Ideen sind Musterbegriffe, Ideale sind Mustergestalten. So ist Titus das Ideal eines guten Regenten, Winkelried das Ideal eines Patrioten, Königin Luise das Ideal einer Mutter, Jesus Christus das Ideal eines tugendhaften, reinen Menschen. Männer, welche es auf den einzelnen Gebieten menschlicher Thätigkeit zu einer hohen Stufe der Vollendung gebracht haben, werden zu Idealen für das ihnen nachstrebende jüngere Geschlecht. Zu äußerer Anschauung wird namentlich die Idee gebracht durch die Kunst. Den Künstler drängt es, die Idee in ihren feinsten und zartesten Kundgebungen in sinnlicher Form darzustellen; wie er mit dem geistigen Auge das Ideal schaut, so verlangt auch sein leibliches Auge das Ideal zu sehen, und er schafft deshalb aus dem sinnlichen Stoff die Wirklichkeit des Ideals, das Kunstwerk. So schuf uns Homer das Ideal der Weiblichkeit in der Penelope, Goethe in der Iphigenie, Rafael in der Sixtinischen Madonna; der Baumeister versinnlicht im gotischen Dome die Idee der Unendlichkeit, die Dichter liefern uns Idealgestalten für die menschlichen Tugenden 2c. Jedes Ideal ist der vollkommene Ausdruck einer Idee.

Die Fähigkeit, Ideale zu entwerfen, ist allen Menschen eigen. Wer besonders nach Idealen strebt, heißt Idealist. Unter Idealismus verstehen wir die Bereitwilligkeit für Zwecke, die außerhalb des Bereiches sinnlicher Wahrnehmungen liegen und das persönliche Wohl und Wehe nicht unmittelbar berühren. Sein Gegensaß ist der Realismus, der sich auf die Wirklichkeit, auf das von den Sinnen Erfaßbare, stüßt.

2. Arten der Ideen. Je nachdem die Ideen Vorbilder zur intellektuellen Beurteilung oder leitende Ziele für unser Handeln sind, unterscheidet man theoretische und praktische Ideen.

a. Die theoretischen Ideen. Die Erfahrung zeigt, daß kein Geschöpf, kein Ding, überhaupt nichts in der Welt seinen Grund in sich selber hat und daß das, worin eine Erscheinung ihren Grund hat, wieder von einer anderen Ursache bedingt ist. Da nun aber eine unendliche Reihe von bloß Bedingtem undenkbar ist, entsteht in uns die Vorstellung von *) Schiller braucht dafür auch den Ausdruck Gestalt.

.. frei von jener Zeitgewalt,

Die Gespielin seliger Naturen,

Wandelt oben in des Lichtes Fluren,
Göttlich unter Göttern die Gestalt.

Wollt ihr hoch auf ihren Flügeln schweben,
Werft die Angst des Jrdischen von euch,
Fliehet aus dem engen, dumpfen Leben
In des Ideales Reich.

Das Ideal und das Leben.

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