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zu ihm in Beziehung sehen. Im Urteil: „Die Kugel ist rund" enthält das Prädikat eine Teilvorstellung, ein Merkmal des Subjekts, daher man ein solches Urteil ein analytisches nennt. Jede Definition ist daher ein analytisches Urteil, da sie die Merkmale eines Begriffs angiebt, z. B. „das Dreieck ist eine von 3 geraden Linien begrenzte Fläche".*) Ich kann aber auch das Dreieck mit anderen Begriffen in Verbindung seßen und z. B. das Urteil fällen: Ein Dreieck ist halb so groß als ein Parallelogramm von gleicher Grundlinie und Höhe. Hier habe ich zum Begriff Dreieck den Begriff Parallelogramm in Beziehung gescht, der als solcher nicht in dem Inhalte des Dreiecks enthalten ist. Die verschiedenen Beziehungen der Begriffe führen also zu neuen Urteilen, zu sog. synthetischen Urteilen.

Begriff und Urteil stehen demnach im Verhältnisse wechselseitiger Abhängigkeit.

4. Der sprachliche Ausdruck des Urteils. Die sprachliche Bezeichnung für das Urteil ist der Sah, z. B.: Der Hund ist ein Tier. Der Hund beißt. Das Subjekt ist der engere, das Prädikat der weitere Begriff; die Beziehung beider wird entweder durch das Sazband oder durch die Biegung des Zeitworts ausgedrückt.

Doch nicht gleich nimmt das Urteil diese abgeklärte Form an. Wenn das kleine Kind zum Fenster hinaussieht und ruft: Hund! so wissen wir wohl, daß es sagen will: Das ist ein Hund! Es verwendet also bei seinen ersten Sprachversuchen das bloße Wort als Saß und bringt das logische Subjekt durch den Empfindungston und eine begleitende Gebärde zum Ausdruck. Auch das Verbum verwendet es in Infinitivform als Urteil: Schlafen! Nicht schlagen! So enthalten auch die Interjektionen vollwertige, wenn schon unvollständige Urteile, weshalb diese impulsiv hervorbrechenden Laute als Aussagen der das Wort ausstoßenden Person unmittelbar verstanden werden. Bei weiterer geistiger Entwicklung und wachsendem Wortreichtum fügt das Kind dem Worte noch eine Eigenschaftsbestimmung bei: Vater gut, Zucker süß. Hier treten bereits Sub

*) Das Urteil sezt überhaupt eine Analyse des Wahrgenommenen und Vorgestellten voraus. Wenn ich sage: das Haus brennt! so gehe ich von der Gesamtvorstellung eines brennenden Hauses aus, löse dieselbe in die beiden Borstellungen „Haus“ und „brennen“ auf und vereinige sie in dem Urteile: das Haus brennt. Daß die Urteilsbildung psychologisch als analytische Funktion anzusehen ist, betont namentlich Wundt (Grundriß der Psychologie, S. 311.): „Jedes Urteil gliedert die ursprünglichen Gesamtvorstellungen in seine aufeinander bezogenen Bestandteile. Die Produkte dieser Gliederung sind die Begriffe". Er definiert daher (Logik, I., S. 137) das Urteil als „eine Zerlegung einer zusammengeseßten Vorstellung in ihre Bestandteile"

jekt und Prädikat auf, doch die Copula fehlt; trozdem wird dieses unvollständige Urteil gar wohl verstanden. Endlich nimmt das Urteil die Form des vollständigen Saßes an. Zuerst entstehen Einzelurteile: „Dieser Tisch ist rund“, „der Baum ist hoch"; später treten, sobald sich das Kind eine Menge ähnlicher Anschauungen erworben hat, allgemeine Urteile auf. Zunehmende Reife, Unterricht und Übung führen das Kind allmählich dahin, seine Urteile in richtigen und wohlgeordneten Säßen auszudrücken.

5. Bedeutung des Urteils für das Seelenleben.

a. Durch die im Urteile stattfindende Verbindung oder Trennung von Borstellungen und Begriffen kommt Leben und Bewegung in die Bewußtseinsinhalte. Die Urteilsbildung regt demnach die Seele zur Thätigkeit an.

b. Da das psychische Urteil ein Apperzeptionsaft ist, wodurch eine Verknüpfung eines Neuen mit dem vorhandenen Wissensschaße oder eine Einverleibung desselben in den Umfang bereits bekannter Begriffe bez. eine Einordnung in die schon gebildeten Vorstellungsgruppen und Vorstellungsreihen stattfindet, so führt das Urteil zur Bereicherung unseres Wissens.

c. Da das logische Urteil auf Grund der Prüfung und Vergleichung des Inhaltes der Vorstellungen und Begriffe entsteht, so treten die Merkmale derselben bestimmter ins Bewußtsein und werden schärfer auseinander gehalten. Durch das Urteilen gewinnen deshalb die Begriffe an Klarheit, Stärke und Festigkeit.

d. Endlich hängt von der Richtigkeit des Urteils das verständige Handeln ab. Nur wenn die Zweckmäßigkeit der Mittel zur Erreichung eines Ziels richtig beurteilt ist, kann das Handeln zum gewünschten Ziele gelangen.

6. Pädagogisches.

a. Frühzeitig sind die Kinder zum Urteilen zu veranlassen und in der Bildung richtiger und selbständiger Urteile zu üben. Da man nun aber nur das richtig beurteilen kann, was man versteht, so muß das Kind seine Urteile auf klare und deutliche Anschauungen, Vorstellungen und Begriffe gründen. Dazu soll ihm der Unterricht durch Erweiterung und Klärung des Vorstellungskreises besonders verhelfen. Über das, was die Schüler im Anschauungsunterrichte und naturgeschichtlichen Unterricht sehen, müssen sie sich aussprechen und die Teile und Eigenschaften der Dinge genau angeben; was sie im Lesebuche lesen oder in Geschichte und bibl. Geschichte hören, müssen sie wiedererzählen und dabei zugleich über die Beweggründe der menschlichen Handlungen und über deren sittlichen Wert oder Unwert ein Urteil fällen. So muß jede

Lehrstunde zu einer Übung im Urteilen werden.

Das Mittel dazu ist die Frage, welche keine bloße Entscheidungsfrage sein darf, in der die Verbindung der Begriffe vom Lehrer schon vollzogen ist und welche dem Kinde nur aufgiebt, die Qualität des Urteils zu bestimmen oder von den vorgelegten Urteilen nur eine Wahl zu treffen, sondern immer Bestimmungsfrage sein muß, die den Schüler zu einem wirklichen Urteilsvollzuge nötigt. Dabei ist dem Kinde zum Urteilen die nötige Zeit zu lassen; man hüte sich daher, durch ungeduldiges Drängen den Überlegungsakt zu kürzen oder dem Kinde durch Hasten die für ein richtiges Urteilen nötige Gemütsruhe zu stören.

b. Kinder werden bei der Flüchtigkeit ihrer Natur sehr oft zu falschen, vorschnellen Urteilen geführt. Sie urteilen oft vorlaut und naseweis, ohne die rechte Sachkenntnis zu besißen, gar oft auch leichtfertig, indem sie, wenn ein Prädikat einmal oder manchmal einem Subjekte zukommt, den vereinzelten Fall verallgemeinern oder von anderen Personen gehörte Urteile gedankenlos nachsagen. Dann muß ihnen die Voreiligkeit und Unwahrheit ihres Urteils zum Bewußtsein gebracht werden, indem man sie zur Prüfung und Begründung ihrer Aussage auffordert. Durch öftere Einwendungen gewöhnt man sie zur Vorsicht im Urteilen. Auf jeden Fall halte man darauf, daß sie jedes falsche und unrichtige Urteil wo möglich selbst berichtigen.

c. Alle Urteile sind in vollständigen, sprachrichtigen Säßen zu geben, damit das Kind sich der Beziehung zwischen Subjekt und Prädikat klar bewußt wird. Nichts ist der Klarheit der Begriffe und dem Denken so förderlich als das Sprechen in vollständigen Säßen. Jüngere Kinder haben die Frage in die Antwort mit aufzunehmen, um sich an die korrekte Urteilsform zu gewöhnen; bei älteren ist der Inhalt die Hauptsache, die sachlich richtige Antwort ist nicht zurückzuweisen. Auch darf das Kind nicht während des Sprechens unterbrochen werden, damit die Selbständigkeit und Selbstthätigkeit des Geistes angeregt wird. Die bloße Mittheilung von Urteilen ist ohne bildenden Wert; insbesondere besigen bloß nachgesprochene religiös sittliche Urteile weder Wahrheit, noch Kraft.

27. Der Schluß.

1. Entstehung und Wesen des Schlusses.

Wenn man das Urteil ausspricht: Der Meineid ist strafbar, so empfinden wir als psychologischen Zwang, für diese bejahende Aussage,

falls dieselbe nicht bloß eine willkürliche Verknüpfung der beiden Begriffe sein soll, einen Grund zu haben, warum man das Prädikat strafbar auf das Subjekt Meineid bezieht. Dieser Grund ist mehr oder weniger bewußt, findet sich aber im Urteile selbst nicht ausgedrückt. Er muß aber zureichend sein, d. h. es muß so viel in ihm liegen, daß dadurch das Urteil Anspruch auf objektive Giltigkeit machen kann. Wir nehmen daher einen Begriff zu Hilfe, welcher ein gemeinsamer Bestandteil beider Begriffe ist und zu welchem sie nun in Beziehung gesetzt werden, sodaß daraus ihre Beziehung zu einander als Folge sich ergiebt. Hier ist es der Begriff „Verbrechen". Daraus lassen sich nun die beiden Urteile bilden: Der Meineid ist ein Verbrechen, das Verbrechen ist strafbar. Dadurch werden notwendig auch die beiden Begriffe Meineid und strafbar in Beziehung zu einander gesezt und als vereinbar im Bewußtsein festgehalten. Wir erhalten demnach die Urteilsreihe:

Alle Verbrechen sind strafbar.

Der Meineid ist ein Verbrechen.

Der Meineid ist strafbar.

Ein solch vermitteltes Urteil nennen wir Schluß. In ihm entfalten sich die Elemente, durch welche das Urteil vermittelt ist*), also die Ableitung eines Urteils aus zwei anderen.

Urteil und Schluß sind dieselben psychischen Thätigkeiten, indem sie die Beziehung zweier Begriffe zu einander aussprechen, unterscheiden sich aber dadurch, daß im Urteile die Beziehung eine unmittelbare, im Schluß eine durch einen dritten Begriff vermittelte ist. Der Schluß ist schwerer als das Urteil, da er nötigt, mehrere Begriffe samt ihren Beziehungen gleichzeitig in voller Klarheit im Bewußtsein festzuhalten. Durch den Schluß erweisen wir die Notwendigkeit des Prädizierens, indem in ihm der Grund liegt, um deswillen jenes Urteil gefällt und der Prädikatsbegriff dem Subjekte zu- oder abgesprochen wird. Diese objektive Gewißheit giebt aber nur der logische Schluß.

Die psychische Thätigkeit des Schließens entwickelt sich schon an dem Verlaufe der Reproduktion. Öfters verbundene und ähnliche Vorstellungen rufen einander wechselseitig ins Bewußtsein. Haben wir z. B. öfter die Erfahrung gemacht, daß bei Kälte das Wasser gefriert, so werden wir nach einer kalten Winternacht ganz mechanisch den Schluß ziehen, daß auch der Teich, auf welchem wir gewöhnlich Schlittschuh laufen, zugefroren ist. Solches Schließen üben wir fortwährend aus; wir schließen aus nassen Dächern auf einen vorhergegangenen Regen, von dem Auf

*) Schumann und Voigt, Lehrbuch der Pädagogik II, S. 83.

türmen der Wolken auf ein kommendes Gewitter, vom Bellen des Hundes auf die Ankunft eines Fremden 2c. Die Erfahrung hat uns diese drei Erscheinungen verbunden gezeigt; sobald wir nun die eine Erscheinung gewahr werden, reproduzieren wir unwillkürlich die zweite. Diese psychischen Schlüsse können freilich auch zu unrichtigen Urteilen führen. Hat das Kind neunmal Kirschen gekostet und dabei die Empfindung des Süßen gehabt, so wird es wohl den Schluß ziehen: „Alle Kirschen sind süß“; doch die zehnte Kirsche kann es lehren, daß es auch saure Kirschen giebt und sein allgemeines Urteil falsch war. Die psychischen Schlüsse sind daher zu logischen Schlüssen umzubilden; denn nur diese haben Anspruch auf unbedingte Giltigkeit.

2. Die Glieder des Schlusses.

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Der Schluß leitet aus zwei Urteilen ein drittes ab, besteht also aus drei Säßen. Die beiden Urteile, aus denen das dritte abgeleitet wird, heißen Prämissen (propositiones praemissae vorausgeschickte Säße, Vordersäge), das abgeleitete Urteil heißt der Schlußsah (conclusio). Diejenige Prämisse, welche das allgemeine Urteil und in ihm den Begriff enthält, welcher im Schlußsah als Prädikat erscheint, nennt man den Obersag (terminus major); diejenige Prämisse, durch welche dem Subjekte des Obersages der speziellere Begriff, der im Schlußsaß als Subjekt erscheint, untergeordnet wird, nennt man den Untersaß (term. minor). Der beiden Prämissen gemeinschaftliche Begriff, welcher den Grund zu ihrer Verbindung enthält, heißt Mittelbegriff (term. medius), weil er das Mittel ist, das Verhältnis zwischen Prädikat und Subjekt des Schlußsages deutlich zu machen und dadurch den Schlußsaß zu vermitteln. So gewinnen wir für den Schluß die Formel:

MP Alle Verbrechen sind strafbar.

S M Der Meineid ist ein Verbrechen.

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Diese logische Form pflegt aber mit Recht im praktischen Gebrauch abgekürzt zu werden, z. B. es hat geregnet, folglich ist es naß. Welchen von den 3 Sägen trifft nun die Abkürzung oder der Wegfall? Der Schlußsaß ist zwar in beiden Prämissen schon mitenthalten und fügt keinen neuen Begriff hinzu; aber dieser darf am wenigsten unausgesprochen bleiben, weil es auf dessen Ableitung gerade hier ankommt. Der Obersah dagegen kann in einer ganzen Reihe von Schlüssen immer derselbe sein, während die Untersäße verschieden sind. So haben wir in den Schlüssen Alle Verbrechen sind strafbar.

Der Diebstahl (Mord, Betrug, Lüge 2c.) ist ein Verbrechen.

Der Diebstahl (Mord, Betrug, Lüge) ist strafbar.

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