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A. Das Vorstellungsleben.

I. Das Empfinden und Anschauen.

1. Physiologische Grundlage.

Bewußtlos tritt der Mensch ins Leben ein. Bald aber wird die Seele durch die Eindrücke, welche die Außenwelt mittels der Sinne auf sie macht, veranlaßt, ihr eignes Wesen zur Geltung zu bringen. Sie besigt demnach die Fähigkeit, durch direkte äußere Einwirkungen zur Selbstthätigkeit angeregt zu werden. Dasjenige Organ, welches die Wechselwirkung zwischen Seele und Außenwelt vermittelt, ist das Nervensystem; alles seelische Leben ist an die Nerventhätigkeit gebunden.

1. Nervencentren. Das Nervensystem besteht aus vielen mikroskopisch kleinen, mit einander nicht verwachsenen Einheiten, den Nervenzellen. Aus den Zellen wachsen weitverzweigte Fortsäße hervor, von denen die Nervenfasern die wichtigsten sind. Die Nervenfaser besteht aus einem weichen, seiner ganzen Länge nach zusammenhängenden Faden, dem Achsencylinder, der von dem Mark und der Scheide umhüllt wird. Anhäufungen von Zellmassen und Nervenfasern bilden nun die drei Centralorgane: das Gehirn, das Rückenmark und das sympathische System.

a. Die Hauptcentralstation ist das Gehirn, das feinste und wunderbarste körperliche Organ. Es hat eine halbeiförmige Gestalt und besteht im Innern vorzugsweise aus weißer, an der Oberfläche aus grauer Nervensubstanz. Sein Gewicht beträgt durchschnittlich beim Manne 1358 g, bei der Frau 1220 g. Das Gehirn liegt im Kopfe, von den Schädelwänden geschüßt, wie die Nuß in der Schale. Gleich der Nuß ist es von einer festen Haut überzogen, der harten Hirnhaut. Wie die Nuß ist es in eine linke und rechte Hälfte (Hemisphäre) gespalten durch die von der Schädeldecke bis zum Balken herabhängende Gehirnsichel. Die auf dem Schädelgrunde ruhende Gehirnmasse ist oben durch eine sehnige Haut an die Schädeldecke geheftet. Umgeben ist das

Gehirn von einer Flüssigkeit, in der es teilweise schwimmt. Die gesamte Gehirnmasse zerfällt in 3 Teile, in das Großhirn, Kleinhirn und das verlängerte Mark.

Das Großhirn füllt den vorderen, mittleren und hinteren Teil der SchädelHöhle und überwiegt die übrige Gehirnmasse so bedeutend, daß es etwa % des ganzen Gehirns beträgt. In jeder Hemisphäre unterscheidet man einen Stirn-, Scheitel-, Hinterhaupts- und Schläfelappen. Es zeigt eine Menge geschlängelter, unregelmäßiger Furchen und zwischen denselben darmähnliche, abgerundete Windungen, die mit dem Alter an Zahl und Schärfe zunehmen. In der Mitte der Hirnmasse sind 3 miteinander verbundene Höhlen, von denen sich 2 wagerecht ausbreiten, während die dritte als Spalt senkrecht nach unten geht. In den Wänden dieser Höhlen trifft man verschiedenartig geformte schwulstige Knoten (Balken-, Seh-, Streifen- und Vierhügel und die Zirbeldrüse), die für das Empfindungsleben bedeutsam sind. So nimmt der nach unten im Sehstrange sich fortseßende Sehhügel einen Teil der ausgebreiteten Sehnerven auf. Die millionenweise sich findenden Nervenzellen bilden als eine mehrere Millimeter starke Schicht die Hirnrinde. Unter ihr, vielleicht auch durch sie ziehen Fäserchen hin, von denen eine große Anzahl sich zu dicken Fäden und Strängen vereinigen (Gehirnnerven); eine andere große Anzahl Fäserchen begiebt sich vom hinteren Teile des Gehirns ins Rückenmark.

Das Kleinhirn, im unteren Teile des Kopfes gelegen und in seiner oberen Hälfte vom Großhirn überdeckt, trennt dieses von dem verlängerten Mark. Statt der Windungen hat das Kleinhirn eine Reihe tiefer Querschnitte, die ihm das Aussehen von übereinander geschichteten Blättern geben. Durchschneidet man es senkrecht, so hat ez das Aussehen eines Baumes mit kurzen Ästen. Diese Partie wurde bereits im Altertum Lebensbaum genannt. Es spielt namentlich in der Körperbewegung die leitende Rolle; wird es verleßt, so treten beim Menschen die verschiedensten Bewegungsstörungen ein.

Das verlängerte Mark, die Brücke zwischen Gehirn und Rückenmark, hat für das animale Leben Bedeutung und entlastet als Reflexcentrum das Gehirn.

Das Gehirn beherrscht das ganze psychophysische Leben. Es ist Träger des Bewußtseins und der Intelligenz und das Organ der bewußten Empfindungen. — Die einzelnen Sinnessphären haben ihren Siß in diesem „Herzen des Nervensystems“; so ist die Tast- und Körperfühlsphäre um die Centralfurche ausgebreitet, die Riechsphäre in den Stirnlappen, die Sehsphäre im Hinterhauptlappen, die Hörsphäre in den Schläfenwindungen.*)

b. Das Rückenmark, mit dem Gehirn durch das verlängerte Mark verbunden, stellt einen im Wirbelkanale aufsteigenden cylindrischen Strang dar, der sich auch hinter dem Nachhirn als schwacher Strang fortseßt. Zwei tiefe Spalten, eine vordere und eine hintere, teilen es in 2 seitliche Hälften. Der Durchschnitt des Rückenmarks zeigt uns einen aus einem vorderen und hinteren Lappen bestehenden, eine Schmetter= lingsfigur darstellenden grauen Kern, der von weißer Substanz umgeben ist. In dieser Anordnung erstrecken sich beide Substanzen durch die ganze Länge des Rückenmarks. Die Verbindung der beiden Hälften wird durch die sogenannte vordere und

*) Ziehen, physiologische Psychologie, 5. Aufl. S. 61 u. a. a. D. führung in die moderne Psychologie, S. 251.

Beez, Ein

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hintere Kommissur hergestellt, welche den engen Centralkanal, eine Fortsetzung der Hirnhöhlen, zwischen sich fassen.

Von Gehirn und Rückenmark gehen die Nervenfasern aus. Sie verbinden in ununterbrochenem Verlaufe die peripherischen Organe mit den Centralstationen und diese beiden unter sich. Die im Gehirn entspringenden Nerven sind paarig, gehen symmetrisch zu beiden Seiten von der Mitte des Gehirnes aus und kreuzen sich nach ihrem Austritte aus dem Gehirn, sodaß die rechte Hirnsphäre die linke Körperseite regiert und umgekehrt. Von diesen 12 Gehirnnervenpaaren (Komplexe von Nervenfasern) gehen einige nach den Sinneswerkzeugen, einige auch zu den Halsmuskeln und zu den Eingeweiden der Brust- und Bauchhöhle. Vom Rückenmark entspringen 32 Paare, und zwar jeder Nerv auf einer Seite des Rückenmarks mit 2 Wurzeln, einer hinteren mit den Empfindungsnerven und einer vorderen mit den Bewegungsnerven. Außerhalb des Rückenmarkes vereinigen sich diese beiden in einem Knoten (Ganglion) und bilden einen Strang, der aus sensiblen und motorischen Nerven besteht. Im Rückenmark verlaufen die Nervenfasern nicht bloß quer von einer Seite zur anderen, sondern auch der ganzen Länge nach aufwärts bis ins Gehirn, sodaß das Rückenmark die Verbindung zwischen Gehirn und den vom Rückenmark mit Nerven versorgten Körperteilen herstellt.

c. Der Sympathikus,*) das dritte Nervensystem, bewahrt sich eine weitgehende Unabhängigkeit vom Gehirn- und Rückenmarksystem. Eigentümlich ist ihm, daß seine Bestandteile nicht auf einem einzigen Raum zusammenliegen, sondern fast durch den ganzen Körper verteilt sind. In zwei Strängen zieht er sich zu beiden Seiten der Wirbelsäule bis in den Grund des Beckens hinab, erstreckt sich aber auch auf Hals und Kopf und steht mit allen Nerven des Rückenmarks und Gehirns, mit Ausnahme der Sinnesnerven, in Verbindung. Er besteht aus dünnen Nervenfasern und Nervenzellen, die durch Nervenfäden untereinander verbunden und zu Nervenknoten und Geflechten angeordnet sind. Er beherrscht die den Vorgängen der Ernährung und Ab= sonderung dienenden Organe und ist daher für den Fortbestand des leiblichen Lebens von höchster Wichtigkeit. Anscheinend unabhängig von jedem Einfluß der Seele, be= einflußt er doch durch die Rückwirkung der organischen Vorgänge auf Gehirn und Rückenmark fördernd oder hemmend das Seelenleben.

2. Die Nervenfunktionen. Damit die Nerven funktionieren, müssen sie gereizt werden. Unter Reizen versteht man Eindrücke, die den ruhenden Nerv in den Zustand der Erregung überführen. Solche Reize sind entweder äußere, die durch physikalische Vorgänge (Atherschwingungen, Schall- und Wärmestrahlen) verursacht werden, oder innere, die durch Zustandsveränderungen im Organismus oder durch unmittelbare Einwirkung der Seele entstehen. Der Erregungszustand der Nerven besteht nun darin, daß durch den Reiz die mechanische und chemische Anordnung der Nerven umgeändert und elektrische Ströme frei werden, die eine bestimmte

*) Der Name rührt daher, daß man ihm früher die Erregung von Sympathie zuschrieb, mit welchem Ausdruck man gleichzeitige Erscheinungen in mehreren Organen, Mitbewegungen und Mitempfindungen (Herzklopfen bei Durst, Erröten bei Scham, Erbleichen bei Schreck) bezeichnete.

Änderung in diesem Augenblicke erleiden. Die Veränderung des elektrischen Stromes pflanzt sich nun von einem Molekül zum andern biz zu den Centralorganen fort. Diejenige Eigenschaft des Nerven, vermöge deren er einen empfangenen Reiz durch seine Bahn hindurch fortpflanzen kann, wird sein Leitungsvermögen genannt. Der Reiz kann aber nur dann bis zum Gehirn und Rückenmark fortgeleitet werden, wenn der Zusammenhang zwischen dem peripherischen und centralen Ende des Nerven nicht unterbrochen ist. Alles, was den Nerv in seiner Kontinuität verlegt (z. B. Durchschneiden) oder an einer Stelle seine Erregbarkeit vernichtet, zerstört das Leitungsvermögen, da sich der Reiz über die verlezte Stelle hinaus nicht fortpflanzen kann.

Je nach der Richtung, in welcher die Erregungsvorgänge übertragen werden, giebt es centripetale und centrifugale Leitungsbahnen. Die centripetalen leiten von außen nach innen, die durch die Sinnesorgane an der Peripherie des Körpers aufgenommenen Reize nach Gehirn und Rückenmark, man nennt sie auch sensible oder Empfindungsnerven, da die Erregung derselben die Empfindung verursacht. Die centrifugalen leiten von innen nach außen, die durch seelische Vorgänge entstandene Erregung nach der Peripherie des Körpers, sie heißen motorische oder Bewegungsnerven, da sie eine Bewegung veranlassen.

Die sensiblen und motorischen Nervenfasern verlaufen meistens nebeneinander in demselben Nervenstamm; so bilden die peripherischen Hirn- und Rückenmarksnerven jedesmal ein Paar von Empfindungsund Bewegungsnerven. Da nun aber im verlängerten Mark und in der benachbarten Stelle des Rückenmarks sensible und motorische Nerven nahe aneinander einmünden, so strahlt bisweilen die Erregung des sensiblen Nervs auf den motorischen über, welcher nun seinerseits die Erregung wieder peripheriewärts sendet und eine Muskelbewegung auslöst. Eine solche Bewegung, die ohne Vermittelung des Gehirns und der durch dasselbe veranlaßten Thätigkeit der Seele zu stande kommt, nennt man Reflex. Wenn ein greller Lichtstrahl das Auge trifft, schließen wir unwillkürlich das Auge und erheben gleichzeitig den Arm zur Abwehr. Wie der auf einen Spiegel fallende Lichtstrahl augenblicklich reflektiert wird, so erfolgt beim Reflex auf die centripetale Einwirkung sofort die centrifugale Rückwirkung. Alle Reflexe sind unwillkürliche Bewegungen, die auf die Erhaltung des Organismus abzielen.

Als Grundform der Nerventhätigkeit ergiebt,sich daher: Physikalische Vorgänge wirken auf die Sinnesorgane, rufen im Sinnesnerven eine Erregung hervor, diese wird von den sensiblen Nervenfäden dem Gehirn zugeführt, dort zu einer Empfindung umgeseßt, dann auf motorische Nerven übertragen und als Muskelbewegung ausgelöst. Somit hat das

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