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Kirchengeschichtliches.

Wer nicht von dreitausend Jahren
Sich weiß Rechenschaft zu geben,
Bleib im Dunkeln, unerfahren,
Mag von Tag zu Tage leben.
Divan V. 15.

841.

Der kirchliche Protestantismus, den man uns überlieferte, war eigentlich nur eine Art trockner Moral; an einen geistreichen Vortrag wurde nicht gedacht, und die Lehre konnte weder der Seele nach dem Herzen zusagen. Deswegen ergaben sich gar mancherlei Absonderungen von der gesetzlichen Kirche. Es entstanden die Separatisten, Pietisten, Herrnhuter, die Stillen im Lande.

Dichtg. u. Wahrh. I. (ca. 1756.) H. 20, 37.

842.

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Die trefflichen Männer, die ich auf dem (herrnhutischen) Synodus zu Marienborn... kennen gelernt hatte, hatten meine ganze Verehrung gewonnen und es wäre nur auf sie angekommen, mich zu dem Jhrigen zu machen. Ich beschäftigte mich mit ihrer Lehre, der Herkunft und Ausbildung derselben. Ich mußte jedoch bemerken, daß die Brüder so wenig als Frl. v. Klettenberg mich als einen Christen wollten gelten lassen, welches mich anfangs beunruhigte, nachher aber meine Neigung einigermaßen erkältete.

Dichtg. u Wahrh. XV. (in Bezieh. auf 1769) H. 22, 177.

843.

Ein protestantischer Landgeistlicher ist vielleicht der schönste Gegenstand einer modernen Idylle. Er erscheint, wie Melchisedek, als Priester und König in einer Person. An den unschuldigsten Zustand, der sich auf Erden denken läßt, an den des Ackermanns, ist er meistens durch gleiche Beschäftigung so

wie durch gleiche Familienverhältnisse geknüpft; er ist Vater, Hausherr, Landmann und so vollkommen ein Glied der Gemeinde.

Dichtg. und Wahrh. X (1770). H. 21, 196.

844.

Die Kirchengeschichte war mir fast noch bekannter als die Weltgeschichte, und mich hatte von jeher der Konflikt, in welchem sich die Kirche, der öffentlich anerkannte Gottesdienst, nach zwei Seiten hin befindet und immer befinden wird, höchlichst interessirt.

Dichtg. und Wahrh. XI (1771). H. 22, 26.

845.

Mir kommt nichts beschwerlicher vor, als nicht Mensch sein zu dürfen. Armuth, Keuschheit und Gehorsam drei Gelübde, deren jedes, einzeln betrachtet, der Natur das unausstehlichste erscheint, so unerträglich sind sie alle. Und sein ganzes Leben unter dieser Last oder unter der weit niederdrückenderen Bürde des Gewissens muthlos zu keuchen!

Gesch. Gottfriedens v. Berlichingen I (1771). H. 11, 23.

846.

Wir bitten doch ein für allemal unsere Leser, keine Keßereien in unserem Blatte (den Frankf. Gel. Anzeigen) zu suchen, so werden sie gewiß keine darin finden. Denn Freimüthigkeit ist in unserer Kirche, wo man von keiner Hierarchie und keinem Gewissenszwang weiß, keine Keßerei, sondern von jeher der Vorzug des wahren Christen und ehrlichen Mannes gewesen. Und dann bitten wir noch eins: uns nicht eher zu beurtheilen, bis man uns versteht.

Anz. von Meine Vorsäße' (Frankf. Gel. Anz. 1772). H. 29, 52.

847.

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Es gehörte diese Schrift (Bahrdt's Eden") zu den neueren menschenfreundlichen Bemühungen der erleuchteten Reformatoren, die auf einmal die Welt von dem Ueberreste des Sauerteigs säubern und unserem Zeitalter die mathematische Linie zwischen nöthigem und unnöthigem Glauben vorzeichnen wollen.

Ebendas., vom 19. Juni 1772, H. 29, 32.
848.

Seit meiner Annäherung an die Brüdergemeinde hatte meine Neigung zu dieser Gesellschaft, die sich unter der Siegesfahne Christi versammelt, immer zugenommen.

Dichtg. und Wahrh. XV. (bez. d. Zeit v. 1769-1773). H. 22, 176.

849.

Ich weiß nicht, ob's Eurem Verstand oder Eurem Herzen mehr Ehre macht, daß Ihr so jung und so friedfertig seid, ohne deswegen schwach zu sein; denn freilich ist's auch kein Vortheil für die Herde, wenn der Schäfer ein Schaf ist.

Brief des Pastors zu ***, 1773. H. 27, 87.

850.

Wer die Geschichte des Wortes Gottes unter den Menschen mit liebevollem Herzen betrachtet, der wird die Wege der ewigen Weisheit anbeten.

851.

Ebendas. S. 91.

Luther arbeitete, uns von der geistlichen Knechtschaft zu befreien. Möchten doch alle seine Nachfolger so viel Abscheu vor der Hierarchie behalten haben, als der große Mann empfand!

852.

Ich schwör' bei meinem Leben,

Ebendas. S. 92.

Hätte man St. Paulen ein Bisthum geben,
Poltrer wär' er worden, ein fauler Bauch
Wie caeteri confratres auch.

Der ewige Jude, Fragm. 1774 (?) H. 3, 182.

853.

Reformation hätt' ihren Schmaus

Und nahm dem Pfaffen Hof und Haus,
Um wieder Pfaffen nein zu pflanzen,
Die nur in allem Grund der Sachen

Mehr schwägen, weniger Grimassen machen.

854.

Ebendas. H. 3, 188.

Man wiederholte so oft in jenen toleranten Zeiten, jeder Mensch habe seine eigene Religion, seine eigene Art der Gottesverehrung. Ob ich nun gleich dies nicht geradezu behauptete, so konnte ich doch bemerken, daß Männer und Frauen

einen verschiedenen Heiland bedürfen.

Dichtg. und Wahrh. XIV. 1774. H. 22, 156.

855.

Das Himmlische, Ewige wird in den Körper irdischer Absichten eingesenkt und zu vergänglichen Schicksalen mit fort

gerissen.

Dichtg. und Wahrh. XIV. 1774. H. 22, 171.

856.

Wir schienen freudiger zu folgen, wie denn die Gebräuche der katholischen Kirche dem Protestanten durchaus be= deutend und imposant sind, indem er nur das Erste, Innere, wodurch sie hervorgerufen, das Menschliche, wodurch sie sich von Geschlecht zu Geschlecht fortpflanzen, und also auf den Kern dringend, anerkennt, ohne sich gerade in dem Augenblicke mit der Schale, der Fruchthülle, ja dem Baume selbst, seinen Zweigen, Blättern, seiner Rinde und seinen Wurzeln zu befassen.

Dichtg. und Wahrh. XVIII (1775). H. 23, 68.

857.
W.

Allein die Welt, des Menschen Herz und Geist!
Möcht jeglicher doch was erkennen.

F.

Ja, was man so erkennen heißt!

Wer darf das Kind beim rechten Namen nennen?
Die wenigen, die was davon erkannt,

Die thöricht g'nug ihr volles Herz nicht wahrten,
Dem Pöbel ihr Gefühl, ihr Schauen offenbarten,
Hat man von je gekreuzigt und verbrannt.

858.

Faust I. 1. H. 12, 24.

Die Kirche hat einen guten Magen,
Hat ganze Länder aufgefressen

Und doch noch nie sich übergessen.

Die Kirch' allein, meine lieben Frauen,
Kann ungerechtes Gut verdauen.

859.

Ebendas. 9. H. 12, 92.

Ein katholischer Christ wird immer dasselbige hören, überall auf die gleiche Weise unterrichtet und erbauet werden. Und das ist's, was die Gewißheit unsres (des katholischen) Glaubens macht, was uns die süße Zufriedenheit und Versicherung giebt, in der wir einer mit dem andern fest verbunden leben.

Der Pater, Reise in d. Schweiz II, den 12. Nov. (1779.)

860.

Kirchen, Thürme, Gebäude haben etwas Großes und Vollständiges in der Anlage, das allen Menschen insgeheim Ehr

furcht einflößt. Hier und da fehlt es auch nicht an etwas Abgeschmacktem, damit die Menschheit versöhnt und angezogen werde. Es ist dies überhaupt der Genius des katholischen äußeren Gottesdienstes; noch nie habe ich es aber mit so viel Verstand, Geschick und Konsequenz ausgeführt gesehen als bei den Jesuiten.

Ital. Reise, den 4. Sept. 1786. H. 24, 5.

861.

Was die Mutter Gottes für eine schöne Erfindung ist, fühlt man nicht eher als mitten im Katholicismus. Es ist ein Gegenstand, vor dem einem die Sinne so schön stillstehen, der eine gewisse innerliche Grazie der Dichtung hat, über den man sich so freut und bei dem man so ganz und gar nichts denken kann, daß er recht zu einem religiösen Gegenstande gemacht ist.

862.

Reisetagebuch v. 8. Oft. 1786.

Dem Mittelpunkt des Katholicismus mich nähernd, von Katholiken umgeben, ... trat mir so lebhaft vor die Seele, daß vom ursprünglichen Christenthum alle Spur verloschen ist. Ja, wenn ich es mir in seiner Reinheit vergegenwärtigte, wie wir es in der Apostelgeschichte sehen, so mußte mir schaudern, was nun auf jenen gemüthlichen Anfängen ein unförmliches barockes Heidenthum lastet. Ital. Reise, den 27. Okt. 1786. H. 24, 112.

863.

Vom Theater und den kirchlichen Ceremonien bin ich gleich übel erbaut. Die Schauspieler geben sich viel Mühe, um Freude, die Pfaffen, um Andacht zu erregen, und beide wirken nur auf eine Klasse, zu der ich nicht gehöre. Beide Künste sind in ein seelenloses Gepränge (in Rom) ausgeartet.

An Herzog Karl August, den 3. Febr. 1787.

864.

Zu Anfang des 16. Jahrhunderts hatte sich der Geist der bildenden Kunst völlig aus der Barbarei des Mittelalters emporgehoben; zu freisinnigen, heiteren Wirkungen war sie gelangt. Was aber sich in der edlen menschlichen Natur auf Verstand, Vernunft, Religion bezog, genoß keineswegs einer freien Wirkung. Im Norden kämpfte ein gebildeter Menschensinn gegen die plumpen Anmaßungen eines veralteten Herkommens. Leider waren Worte und Vernunftgründe nicht hinreichend; man griff

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