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Das Schloß am Meere.

Hast du das Schloß gesehen,
Das hohe Schloß am Meer?
Golden und rosig wehen
Die Wolken d'rüber her.
„Es möchte sich niederneigen
In die spiegelklare Fluth;
Es möchte streben und steigen
In der Abendwolken Gluth."
„Wohl hab' ich es gesehen,

Das hohe Schloß am Meer,
Und den Mond darüber stehen
Und Nebel weit umher."

„Der Wind und des Meeres Wallen,

"

Gaben sie frischen Klang?

Vernahmst du aus den Hallen

Saiten und Festgesang ?"

Die Winde, die Wogen alle

Lagen in tiefer Ruh',

Einem Klagelied aus der Halle
Hört' ich mit Thränen zu."

,,Sahest du oben gehen

Den König und sein Gemahl? Der rothen Mäntel Wehen, Der goldnen Kronen Strahl? Führten sie nicht mit Wonne

Eine schöne Jungfrau dar, Herrlich wie eine Sonne, Strahlend im goldnen Haar?" „Wohl sah ich die Eltern beide,

Ohne der Kronen Licht,

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Im schwarzen Trauerkleide;

Die Jungfrau sah ich nicht."

Ludwig Uhland.

Josephine.

In der kaiserlichen Halle thronet ernst Napoleon;
All die Fürsten, all die Großen drängen sich um seinen

Thron.

All die Fürsten, all die Großen lauschen jenem Wort
gespannt,

Was noch eh'r als Tod zerreißen soll der Liebe zartes
Band.

In der kaiserlichen Halle thronet, jezt zum letzten Mal,
An des Kaisergatten Seite sein tief trauerndes Gemahl.
Von der Stirne, von dem Busen glänzen Perlen des
Geschmeids,

In den Augen schimmern Perlen aus dem Meer des
Seelenleids.

Was der Herrscher auf dem Throne mit bewegter Stimme

spricht,

Wie des Reiches Kanzler schmeichelt, Josephine hört es

nicht.

Worte mögen nicht betäuben des zerriss'nen Herzens

Qual,

Und der Blumenkranz versöhnet nicht das Opfer mit dem Stahl.

Thrän' im Auge, Thrän' im Herzen, denkt die Kaiserin der

Zeit,

Wo den Gatten Robespierre's Blutspruch dem Schaffot

geweiht;

Wo ihr Knabe, kühnen Troyes, forderte des Vaters

Schwert,

Wo er, stolz des ersten Sieges, an des Feldherrn Hand

gekehrt.

Jener sonn'gen Tage denkt sie, wo ihr des Jahrhunderts Held Huldigend zu Füßen legte die Trophäen einer Welt; Wo in Notre-Dame's Hallen sie dieselbe Hand geschmückt Mit der Krone lichtem Golde, die den Reif ihr jetzt entrückt.

So bewährten die Geftirne, was des Negerweibes Mund, In der Hand des zarten Kindes Zukunft lesend, machte

fund:

,,Heil dir, Herrin, die dereinst du über Königinnen ragst! „Weh dir, Herrin, die dereinst du deinen tiefen Sturz beklagst!"

Und die Kaiserin erhebt sich, zeichnet rasch das Pergament, Das sie von der Herrscherkrone, das sie von dem Gatten trennt,

Scheidet mit verhülltem Auge, weinet unter Blumen fern,
Weinet bis zum Tod:

entwichen ist mit ihr des

Kaisers Stern.“

Franz Frhr. Gaudy.

Der Mönch von Heißterbach.

Ein junger Mönch im Kloster Heisterbach
Lustwandelt an des Gartens fernstem Ort,
Der Ewigkeit sinnt still und tief er nach,
Und forscht dabei in Gottes heil'gem Wort.
Er liest, was Petrus der Apostel sprach:

Dem Herren ist ein Tag wie tausend Jahr,
Und tausend Jahre sind ihm wie ein Tag.
Doch wie er sinnt, es wird ihm nimmer klar,

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