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Bald zwar mag der Born versiegen,
Und der Baum grünt fort und treibt,
Und er grüßt noch manchen Frühling,
Toch der Schnitt, der Wunde — bleibt.
Mädchen, denk' des wunden Baumes
Auf des Ostens fernen Höhn;

Denke, Mädchen, auch des Mannes,
Den du weinen einst gesehn!

So

Abreise.

Anaftafius Grün.

do hab' ich nun die Stadt verlassen,
Wo ich gelebet lange Zeit;

Ich ziehe rüstig meiner Straßen,
Es gibt mir Niemand das Geleit.
Man hat mir nicht den Rock zerrissen,
Es wär' auch schade für das Kleid!
Noch in die Wange mich gebissen
Vor übergroßem Herzeleid.

Auch Keinem hat's den Schlaf vertrieben,
Daß ich am Morgen weitergeh';
Sie konnten's halten nach Belieben

Von Einer aber thut mir's weh.

Ludwig Uhland.

Sie sagen wohl, ein Kuß sei Scherz.

Sie sagen wohl, ein Kuß sei Scherz,

Sie sagen wohl, ein Kuß sei Spiel,
wie ein Kuß mir fiel auf's Herz,
wie ein Kuß auf's Herz mir fiel!

Ich küsse nicht zum Scherze dich,
Ich küsse dich aus vollem Ernst,
Und wenn du anders küssest mich,
So bitt' ich, daß du's besser lernst.
Ich sage dir mit diesem Kuß,

Daß ich die Deine bin und bleib',
Ich sage dir, das ewig muß
Ich mich bekennen als dein Weib.
Du hast dasselbe mir gesagt,

Du liebst im Ernst und nicht im Scherz,
Und wenn mein Mund dich zweifelnd fragt,
So küss' es wieder mir in's Herz.

Perlenfischer.

Friedrich Rückert.

Du liebes Auge, willst dich tauchen
In meines Aug's geheimste Tiefe,
Zu spähen, wo in blauen Gründen
Verborgen eine Perle schliefe?

Du liebes Auge, tauche nieder,

Und in die klare Tiefe dringe,

Und lächle, wenn ich dir dein Bildniß
Als schönste Perle wiederbringe!

Du bist wie eine Blume,

Otto Roquette.

So hold und schön und rein;
Ich schau' dich an und Wehmuth
Schleicht mir in's Herz hinein.

Mir ist, als ob ich die Hände

Auf's Haupt dir legen sollt',

Betend, daß Gott dich erhalte
So rein und schön und hold.

Die Entfernten.

Diese Rose pflück' ich hier

Heinrich Heine.

In der fremden Ferne;
Liebes Mädchen, dir, ach dir
Brächt' ich sie so gerne!
Doch bis ich zu dir mag zichn
Viele weite Meilen, .

Ist die Rose längst dahin,

Denn die Rosen eilen.

Nie soll weiter sich in's Land

Lieb' von Liebe wagen,

Als sich blühend in der Hand
Läßt die Rose tragen;
Oder als die Nachtigall
Halme bringt zum Neste,
Oder als ihr süßer Schall
Wandert mit dem Weste.

Nicolaus Lenau.

Du bist die Herrlichste von Allen,
So sonder Falsch, so schön und rein.
Ein Stern, vom Himmel frisch gefallen,
Er könnte selbst nicht schöner sein.
Du bist ein stilles, liebverklärtes
Gemüth von Kindessinn beseelt,
Und das Bewußtsein deines Werthes
Die einz'ge Tugend, die dir fehlt.

Felix Dahn

Ich will von dir, was keine Zeit zerstöret,
Nur Schönheit, die das Herz verleiht;

Ich will von dir, was nie der Welt gehöret.
Die engelreine Kindlichkeit.

Das sind des Herzens allerbeste Gaben,

Das ist des Lebens schönste Zier.

Hat dich die Welt, so kann ich dich nicht haben;

Lebst du der Welt, so stirbst du mir.

Hoffmann von Fallersleben.

Ich sehe, wie in einem Spiegel.
Ich sehe, wie in einem Spiegel,

In der Geliebten Auge mich;
Gelöst von mir ist jedes Siegel,
Das mir verbarg mein eignes Ich.
Durch deinen Blick ist mir durchsichtig
Mein Herz geworden und die Welt;
Was in ihr wirklich und was nichtig,
Ist vor mir ewig aufgehellt.

So wie durch meinen Busen gehet

Hier deines Herzens stiller Schlag,
So fühl' ich, was die Schöpfung drehet
Vom ersten bis zum jüngsten Tag.
Die Welten drehn' sich all' um Liebe,
Lieb' ist ihr Leben, Lieb' ihr Tod;
Und in mir wogt ein Weltgetriebe
Von Liebeslust und Liebesnoth.
Der Schöpfung Seel' ist ew'ger Frieden,
Ihr Lebensgeist ein steter Krieg:
Und so ist Frieden mir beschieden,
Sieg über Tod und Leben, Sieg.

Ich spreche still zur Lieb' im Herzen,
Wie Blume zu der Sonne Schein:
Du gib mir Lust, du gib mir Schmerzen!
Dein leb' ich und ich sterbe dein!

Friedrich Rückert.

Daß du mich liebst, das wußt' ich,
Ich hatt' es längst entdeckt;
Doch als du mir's gestanden,
Hat es mich tief erschreckt.
Ich stieg wohl auf die Berge
Und jubelte und sang;

Ich ging an's Meer und weinte
Beim Sonnenuntergang.
Mein Herz ist wie die Sonne
So flammend anzusehn,
Und in ein Meer von Liebe
Versinkt es groß und schön.

Heinrich Heine.

Auf weichen Abendlüften.

Auf weichen Abendlüften

Fliegt mein Gedanke zu dir,

Und wollt' ich mit Ketten ihn binden,
Ich könnt' ihn nicht fesseln bei mir.

Ich fürchte nur, daß er irret,

Den Flug wo andershin lenkt,
Und sich in einer Rose
Aufblühenden Kelch versenkt.

Ich fürchte, daß er sich stürzet

Dort in den Abendstern,

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