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Ich bin genügsam und genieße
Schon da, wenn sie mir zärtlich lacht,
Wenn sie bei Tisch des Liebsten Füße
Zum Schemel ihrer Füße macht,
Den Apfel, den sie angebissen,

Das Glas, woraus sie trant, mir reicht,
Und mir bei halbgeraubten Küssen
Den sonst verdeckten Busen zeigt.

Und wenn in stillgesellger Stunde

Sie einst mit mir von Liebe spricht,

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Wünsch ich nur Worte von dem Munde,
Nur Worte, Küsse wünsch ich nicht.
Welch ein Verstand, der sie beseelet,
Mit immer neuem Reiz umgiebt!
Sie ist vollkommen, und sie fehlet
Darin allein, daß sie mich liebt.

Die Ehrfurcht wirft mich ihr zu Füßen,
Die Sehnsucht mich an ihre Brust.
Sieh, Jüngling! dieses heißt genießen,
Sei flug und suche diese Lust.

Der Tod führt einst von ihrer Seite
Dich auf zum englischen Gesang,
Dich zu des Paradieses Freude,
Und du fühlst keinen Uebergang.

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4. Das Glück

An mein Mädgen.

Du hast uns oft im Traum gesehen Zusammen zum Altare gehen,

Und dich als Frau, und mich als Mann;

Oft nahm ich wachend deinem Munde
In einer unbewachten Stunde,
So viel man Küsse nehmen kann.

Das reinste Glück, das wir empfunden,
Die Wollust mancher reichen Stunden
Floh, wie die Zeit, mit dem Genuß.
Was hilft es mir, daß ich genieße?
Wie Träume fliehn die wärmsten Küsse,
Und alle Freude wie ein Kuß.

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ΙΟ

5. Das Glück der Liebe

Trink, o Jüngling, heilges Glücke
Taglang aus der Liebsten Blicke,
Abends gauckl' ihr Bild dich ein;
Kein Verliebter hab es besser,
Doch das Glück bleibt immer größer,
Fern von der Geliebten seyn.

Em'ge Kräffte, Zeit und Ferne,
Heimlich wie die Krafft der Sterne,
Wiegen dieses Blut zur Ruh.
Mein Gefühl wird stets erweichter;
Doch mein Herz wird täglich leichter,
Und mein Glück nimmt immer zu.

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Nirgends kann ich sie vergessen,
Und doch kann ich ruhig essen,
Heiter ist mein Geist und frey;
Und unmerkliche Bethörung esion.
Macht die Liebe zur Verehrung,
Die Begier zur Schwärmerey. sent m

Aufgezogen durch die Sonne,
Schwimmt im Hauch äther'scher Wonne
So das leichtste Wöldgen nie,
Wie mein Herz in Ruh und Freude.
Frey von Furcht, zu groß zum Neide,
Lieb ich, ewig lieb ich sie.

6. An die Unschuld

Schönste Tugend einer Seele,
Reinster Quell der Zärtlichkeit!
Mehr als Byron, als Pamele
Ideal und Seltenheit.

Wenn ein andres Feuer brennet,
Flieht dein zärtlich schwaches Licht;
Dich fühlt nur wer dich nicht kennet,
Wer dich kennt der fühlt dich nicht.

Göttin! In dem Paradiese
Lebtest du mit uns vereint;
Noch erscheinst du mancher Wiese,
Morgens eh die Sonne scheint.
Nur der sanfte Dichter siehet
Dich im Nebelkleide zieh'n;
Phöbus kömmt, der Nebel fliehet,
Und im Nebel bist du hin.

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ΙΟ

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7. Die Freuden

Da flattert um die Quelle Die wechselnde Libelle,

Der Wasserpapillon,

Bald dunkel und bald helle,

Wie ein Cameleon;

Bald roth und blau, bald blau und grün.

Odaß ich in der Nähe

Doch seine Farben sähe!

Da fliegt der Kleine vor mir hin Und sezt sich auf die stillen Weiden. Da hab ich ihn!

Und nun betracht ich ihn genau,

Und seh ein traurig dunkles blau.

So geht es dir Zergliedrer deiner Freuden!

IO

II. Sesenheim

BROKEN in health and spirit, Goethe in 1768 returned to Frankfurt. When he had sufficiently recovered, his father sent him to the University of Strassburg, which he entered in the spring of 1770. While under Herder's guidance his mind here underwent the revolution from which he emerged a great poet; it was in the modest parsonage of Sesenheim that he passed through an experience which had an equally great influence upon his inner life. This episode in the poet's life has often been called an idyl, but the songs in their original form bear witness that it may more fittingly be called a tragedy. No greater difference can be imagined than the difference in tone and spirit between the Leipzig poems and the simple heartfelt songs addressed to Friederike. No longer is Goethe an imitator of others. Innocence, which in Leipzig was only a poetic vision to him, he had found here, and in its sacred atmosphere he became a healthy man once more. For the great change which had taken place in him compare Nos. 1-3. Although a formal betrothal did probably not take place, it is evident that Friederike was justified in accepting as such the song Kleine Blumen, kleine Blätter. The second version of this poem shows clearly that the poet afterwards intentionally obliterated the true meaning of the original.

Ich war grenzenlos glücklich an ihrer Seite, he says in his autobiography forty years later remembering those happy days. Still there was from the beginning in his relation to Friederike an element of doubt and cool rea

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