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versicherten, es sei von der bewaffneten Macht nichts zu fürchten: unerwartet aber machte diese einen Angriff auf die Menge und der Jubel endete mit einem blutigen Gemezel. Der Tumult aber wiederholte sich nach Lamoignon's Entlassung. Das Parlement gab durch seine Rüge des Verfahrens der Policeibehörden dem Geiste der Meuterei Nahrung. Durch Necker vermocht, erließ nun der König am 23. Sept. den Beschluß, daß die Reichsversammlung schon am 1. Jan. 1789 beginnen solle 88), was jedoch nicht zur Ausführung kam.

Auf einmal gab nun das Parlement zu erkennen, wie trüglich der Schein des ihm beigelegten Interesse an den Rechten der Nation und wie unverdient die ihm deshalb zu Theil gewordene Popularitåt gewesen sei. Es sehte zu dem königl. Edicte, welches die Versammlung der Reichsstånde ankündigte, in seinem Protokoll am 25. Sept. die Clausel,,nach der im I. 1614 beobachteten Form" "). D'Epremenil, aus seiner Haft auf der Insel S. Marguerite zurückgekehrt, theilte die Ansicht seiner Amtsgenossen. Es war vorbei mit dem erkünstelten Nimbus.

Necker schaute der Entwickelung mit Vertrauen entgegen; er meinte, von den Reichsständen nur Beistand erwarten zu dürfen. Den Privilegirten wurde noch eine Concession gemacht: die Notablen des J. 1787 wurden nochmals berufen, um über die Einrichtung der Reichsversammlung, insbesondere die Zahl der Deputirten des dritten Standes, zu berathen. Dies war wol nicht ganz nach Necker's Sinne; doch war es nicht unråthlich, mit den Privilegirten nochmals über etwa von ihnen zu bringende Opfer zu verhandeln und, wo möglich, mit ihrer Zustimmung den dritten Stand mit erhöhtem Rechte für die Theilnahme an der Reichsversammlung zu befähigen; das konnte zur Beseitigung mancher Conflicte in dieser selbst dienen. Die Notablen begannen ihre Arbeiten am 6. Nov. 1788 90). Für doppelte Repräsentation des dritten Standes (doublement du tiers) erklärte sich von den sechs Bureaur der

88) Moniteur, Introd. 148 fg.

89) Daf. 143.

90) Den Procès-verbal f. Moniteur, Introduct. 143 fg.

Notablen nur das einzige, wo der Graf von Provence práfidirte, und zwar nur mit der Majoritát von Einer Stimme 9). Die Mehrzahl der Prinzen war eifrig gegen Concessionen; auf Betrieb des Prinzen Conti, der in seinem Bureau fich unbedingt gegen jegliche Neuerung erklärte 2), wurde von fünf Prinzen, Artois, Condé, Bourbon, Enghien und ihm selbst, eine dem entsprechende Vorstellung an den König gerichtet 93). Diese blieb unberücksichtigt; wiederum erlangte Necker von den Notablen einige seinen Entwürfen günstige Beschlüsse, z. B. daß zu Repräsentanten des Klerus auch Pfarrer wählbar sein sollten *). Um diese Zeit hatte auch das Parlement, dem seine Einbuße an Popularitåt nicht entgangen war, einen Versuch gemacht, einer neuen Ordnung der Dinge entgegenzukommen ; es gab zuerst in einer Verhandlung mit den Pairs eine Ers läuterung seiner Clausel vom 25. Sept. über die Einrichtung der Reichsversammlung und brachte dann am 5. Dec. eine Pes tition an den König, worin es über die Palinodie fener Clausel noch hinausging und mancherlei vorstellte, über das der König keinen Rath begehrt hatte, periodische Wiederkehr der Reichsversammlungen, Verantwortlichkeit der Minister u. s. w., endlich gesetzliche Freiheit der Presse "). Der Schritt war ungeschickt, die Antwort des Königs trocken zurückweisend. Um dieselbe Zeit überreichten dreißig Herzoge und Pairs dem Kónig eine Erklärung ihres Verzichts auf ihre bisherigen Privile

91) Der alte Graf Montboissier war eingeschlummert; zum Votiren aufgeweckt, fragte er seinen Nachbar, den Herzog Larochefoucauld: Qu'estce qu'on dit? Dieser antwortete: On dit oui, und so sprach jeŋer sein oui. Lafayette, Mém. 2, 184. Monsieur erklärte sich mit der Majoritåt einverstanden. Labaume 2, 325.

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que tous les nouveaux systêmes soient proscrits à jamais et que la constitution et les anciennes formes soient maintenues dans leur intégrité. Moniteur, Introd. 148. Als Gegenschrift erschien: L'ultimatum d'un citoyen du tiers- état, von so aufregendem Charakter, daß die Schrift auf Befehl des Parlements verbrannt wurde.

93) Moniteur, Introd. 187.

94) Necker, De la révol. franç. 1, 137.

95) Moniteur, Introd. 215.

gien in der Besteuerung 96): in der öffentlichen Meinung machte dieselbe, die ein Jahr früher mit Jubel aufgenommen worden wåre, nur geringen Eindruck. Die Notablen wurden am 12. Dec. entlassen. Für die Hauptfragen war durch ihre Versammlung nichts Wesentliches gewonnen worden. Doch war Necker's Stellung bei dem Könige nicht unfest geworden und sein Bericht über die bei der Reichsversammlung zu treffenden Einrichtungen, zum Theil durch Erklärungen der Notablen unterstüßt, wurde von diesem genehmigt. Demnach sollten der Deputirten nicht unter 1000 sein, der dritte Stand noch einmal so viel Deputirten als jeder der beiden andern Stånde senden, Pfarrer und Protestanten wählbar sein und der dritte Stand auch Mitglieder der andern Stånde wählen dürfen 97); den wichtigen Punkt aber, ob nach Stånden oder nach Köpfen zu stim men sei, sollten die Reichsstände selbst ausmachen 98). Für Mangel an Umsicht oder an Charakterstärke mag es gelten, daß er nicht dahin wirkte, zum Size der Versammlung einen von den Einflüssen des Hofes und, der Hauptstadt entlegenen Ort bestimmen zu lassen. Also erfolgte am 24. Jan. 1789 das rönigl. Edict, welches die Wahlordnung bestimmte 99) und die

96) Montgaillard 2, 106. Droz 2, 124.

97) Necker's Rapport (27. Dec.) f. Moniteur, Introd. 188. Duvergier 1, 5. Das darauf folgende königl. Edict Isambert 28, 633. Nur die Beschlüsse über Gesammtzahl der Deputirten und über die Zahl der Deputirten des dritten Standes, wozu Necker den bruit sourd de l'Europe geltend machte, gingen bloß vom Staatsrathe aus. S. dars über Necker, De la révolut. franç. 1, 84.

98) Warum dies? erörtert Necker 1. c. 1, 199 fg.; doch ungenů gend: der Vorwurf, daß er hier etwas verabsåumt habe, ist schwerlich von ihm abzuwenden. Wie er Malesherbes' weisen Rath zurückwies, s. Boissy d'Anglas, Essai sur Malesherbes 2, 108. Eine merkwürdige Protestation des Capitels der pariser Kathedrale gegen die Zulassung der Pfarrer zu den Wahlen, worin von Gefährde der hierarchischen Subordi nation u. s. w. die Rede ist, s. in Planck's neuester Religionsgeschichte 3, 11 aus der Histoire des états-généraux par M. l'abbé S.

99) Duvergier 1, 15. Hauptpunkte: Es wird nach Ämtern (bailliages) gewählt, und die Anzahl der Deputirten richtet sich nach dem Maße der Bevölkerung und der Abgaben jedes Umtes; zuvörderft werden Wahlherren, dann Deputirte gewählt; demnächst die Cahiers de doléan

Reichsversammlung auf den 28. Apr. nach Versailles beschied. Für diesen Ort hatten die Königin und Artois gestimmt.

Indessen war eine Fluth von Schriften über das Wesen des Staates überhaupt, die öffentlichen Zustånde in Frankreich, die ständischen Verhältnisse, die Reichsversammlung und die Rechte und Pflichten der Nationalrepräsentanten erschienen. Der Geist der Zeit hatte Raum gewonnen und kåmpfte mit feurigem Ungestüm gegen Despotismus, Feudalität und Hierarchie. Daher eine Wuchersaat von Vorschlägen, Ansprüchen, Mahnungen und Bedenken. Ein fleißiger Sammler hatte schon in den lehten Monaten des J. 1788 über dritthalb tausend dergl. Schriften zusammengebracht, aber seine Sammlung war bei weitem nicht vollständig 100). Den gewaltigsten Eindruck machte die Schrift: Qu'est-ce que le tiers état des Abbé Sieyes 101), Kanonikus, Generalvicar zu Chartres, der als Commissar seines Stiftes schon der Versammlung des Klerus

ces entworfen u. f. w. Von Bedingungen zur Wählbarkeit, Grundbesig oder Steuersag u. s. f. ist nicht die Rede. Man hatte absichtlich der gleichen nicht bestimmen wollen. Necker, De la révol. fr. 1, 122 fg. Daher auch Bauern zu den Wahlversammlungen und nachher unter den Volksrepråsentanten.

100) Droz 2, 136.

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101) Voran war ihr gegangen Sieyes, Essai sur les priviléges (beide zusammengedruckt mit Noten von Morellet. Par. 1822); nach ihr erschien: Vues sur les moyens d'exécution dont les représentans de la France pourront disposer en 1789. Dazu kamen die délibérations, welche der Instruction des Herzogs von Orleans angehängt wurden ein Katechismus der Revolution. Sieyes hatte diese délibérations handschriftlich mehren Bekannten mitgetheilt; zu jener Instruction kamen sie ohne sein Zuthun. S. (Ölsner) Notice, sur la vie de Sieyes 1795. p. 18. Orleans' Parteigånger war er nicht. Seine äußere Stellung konnte ihn nicht zur Unzufriedenheit stimmen. Ob Sieyes darum zu den Neuerern trat, weil seine Bewerbung um eine reiche Abtei bei Brienne keinen Erfolg hatte, ist auf die Autorität von Bertrand de Moleville 1, 367 schwerlich für gegründet zu achten. Sieyes' angebliches Wort: Il verra de quel bois je me chauffe, möchte nur die Copie von dem sein, was Mirabeau nach einer mislungenen Annäherung an Necker gesagt haben foll: Je n'y reviendrai plus, mais ils auront de mes nouvelles (Mém. de Malouet). Eine von Mignet's Meisterhand entworfene Skizze von Sieyes' politischem Leben f. in der Revue des deux mondes, Janv. 1837.

zu Paris beigewohnt hatte, in jener Schrift aber Sachführer des dritten Standes gegen die Aristokratie wurde und ein bez deutsames Beispiel des Abfalls von seinem Stande gab. Diese

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folgende Stelil est souverai

éclat, que la

Zur Charakteristik der Schrift: Qu'est-ce que le Tiers - état mògên außer der Titelantwort darauf Tout, und den folgenden Fragen und Antworten: Qu'a-t-il été jusqu'à présent dans l'ordre politique? Rien und Que demande-t-il? A être quelque chose len dienen: Le Tiers-état est une nation complète nement absurde, lorsqu'on soutient, d'un côté, avec nation n'est pas faite pour son chef, de vouloir, d'un autre côté, qu'elle soit faite pour les aristocrates. Qu'est-ce que le Tiers? Tout, mais un tout entravé et opprimé. Que serait-il sans l'ordre privilégié? Tout, mais un tout libre et florissant: rien ne peut aller sans lui; tout irait infiniment mieux sans les autres. Le clergé ne doit pas faire un ordre, parcequ'il ne doit pas y avoir de distinction d'ordres dans une nation. Si les aristocrates entreprennent .. de retenir le peuple dans l'oppression, il osera demander à quel titre pourquoi ne renverrait-il pas dans les forêts de la Franconie toutes ces familles qui conservent la folle prétention d'être issues de la race de conquérans, et d'avoir succédé à des droits de conquête? Ne peut-on espérer de voir cesser un jour ce long parricide qu'une classe s'honore de commettre journellement contre toutes les autres ? C'est une grande erreur de croire que la France soit soumise à un régime monarchique. Otez de nos annales quelques années de Louis XI. etc. . . . vous croirez lire l'histoire d'une aristocratie aulique (der Nagel auf den Kopf getroffen)....... Que voit-on en ce moment autour de nous ! L'aristocratie seule combattant tout à la fois la raison, la justice, le peuple, le ministre et le Roi Le Tiers demande que les votes soient pris par têtes et non pas par ordres Que les représentans du Tiers-état ne soient choisis que parmi les citoyens qui appartiennent véritablement au Tiers. (Warum? wegen des Einflusses, den die Aristokratie auf den Póbel übe.) Disons la vérité: dans tous les pays du monde, la Canaille appartient à l'aristocratie. Dazu weiter unten der Sag: Si le Tiers-état sait se connaître et se respecter, certes, les rustres le respecterons aussi. Weiterhin empfiehlt Sieyes das Geschwornengericht, als die wahrhafteste Bürgschaft für die Volksfreiheit. Point d'aristocratie, devrait être comme le cri de ralliement de tous les amis de la nation et du bon ordre. Dann Le Tiers seul, dirat-on, ne peut pas former les états généraux. Eh! tant mieux! il composera une Assemblée nationale (da ist das verhängnißvolle Wort, das Sieyes noch zwei Male weiterhin wiederholt und am 17. Jun. 1789 wiederholen wird).

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