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bert so hoch geschäßt wurde. Vermochte doch Colbert nicht, seine industriellen Schöpfungen und die daraus hervorwachsende Frucht gegen die rastlosen Anforderungen eines unersättlichen Despotismus aufrecht zu halten; das materielle Nationalvermögen hatte sich bedeutend vermehrt, die gewerbliche Production hatte in bewunderungswürdigem Fortschritte sich vervielfacht und ausgebildet; in überschreitendem Verhältnisse aber mehrten sich die begehrlichen Ansprüche des Monarchen; die zu hoher Blüthe gelangten gewerblichen Institute wurden zu Liez ferungsmaschinen, deren Kräfte man mit jedem Jahre mehr überspannte; der durch Colbert's Wirksamkeit hervorgerufene Mehrertrag wurde bald absorbirt, und die Quellen selbst versiegten, als die Verfolgung der Huguenotten Frankreich um eine ansehnliche Zahl seiner fleißigsten und sinnreichsten Producenten årmer gemacht hatte. Wenn aber auch Schäße aufgehäuft worden wären, was für Vortheil håtte der dritte Stand davon gehabt, so lange der Person des Arbeiters, dessen Darbringungen man sich gefallen ließ, das gebührende Recht und eine angemessene Erleichterung der ungleich vertheilten Lasten versagt war! Nun aber häuften sich mit der Erschöpfung der Hülfsquellen für den Staatshaushalt die Lasten grade auf Die, welche zu jenen bisher am meisten beigetragen hatten. Daß der Druck der vervielfältigten und erhöhten Abgaben 3) den dritten Stand vorzugsweise und zum Theil ausschließlich traf, daß dieser im Verhältniß zu den beiden andern Ständen vierz fach belastet war, hatte seinen Grund in der Fortdauer der Feudalprivilegien, und so stoßen wir auch hier auf diese als die Wurzel des Übels. Allerdings war die Person des Edelmanns nicht frei von Kopfsteuer (capitation), nicht jedes adelige Grundeigenthum frei von der Grundsteuer (taille), nicht von den öffentlichen Wegfrohnden (corvées), noch von Einquartierung und Militårtransporten; allerdings gab der Klerus zur Abfindung von den beiden Vingtièmen und der Kopfsteuer

5) Taille, vingtième, capitation, gabelle, aides, droits de traites et de péages etc. Eine detaillirte Angabe derselben s. in (v. Schüß) Gesch. der Staatsveränderung in Frankreich unter König Ludwig XVI. Th. 1, 104 fg. Die Comptes rendus lassen manche derselben unter den allgemeinen Titeln, unter welchen sie zusammengefaßt sind, nicht erkennen.

ein Don gratuit 6): es waren demnach alle drei Stånde bez steuert; aber weil die Taille vorzugsweise von den Nichtadeligen erhoben wurde, und bei adeligen Gütern meistens auf den Pächter fiel (taille d'exploitation), und persönlicher Frohndienst nur dem Nichtadeligen angesonnen wurde, galt doch nur der dritte Stand für die eigentliche gent taillable et corvéable à merci et miséricorde; was irgend Unangenehmes außer der materiellen Leistung von Habe und Gut sich an die Steuerpflichtigkeit knüpfte, das trug der dritte Stand allein und die thatsächliche Mitbelastung der bevorrechteien Stånde war zu gering, um über die Unbilde, mit der das Princip der Privilegien gegen den dritten Stand geltend gemacht wurde, zu trôften. Ein empfindlicher Übelstand in der gesammten Repartition der Staatslasten war endlich, daß die Privilegirten von ihren Rechten gegen ihre Feudalunterthanen nichts einbüßten, während die lehteren mehr und mehr vom Staate in Anspruch genommen wurden; das Verderbniß des öffentlichen Wesens lag also hauptsächlich darin, daß der Despotismus nicht allgemein und gleichmäßig drückend geworden war, sondern tausendfache Feudaldespotie in ihrem Bereiche hatte fortbestehen lassen, und daß diese für den Verlust an Rechten gegen den Thron fich an dem dritten Stande durch herrische Machtübung, Willkür und übermüthige Behandlung erholen konnte. Wiederum, wenn sie hier unmittelbaren Druck auf ihre Untergebenen übte, so war fie, auch nach Richelieu's und Ludwig's XIV. autokratischem Verfahren, der Regierung hinderlich, eine Staatsverwaltung einzuführen, die durch gemeinsames und durchgreifendes Bedingniß dem Gesammtvolke håtte zu gute kommen können. Diese Schranken zu beseitigen und auf Kosten der Aristokratie dem Volke Wohlthaten zukommen zu lassen, lag freilich nicht im Sinne eines Ludwig XIV. Ihm gefiel die zu Aufopferungen der Person im Felde und am Hofe willige Aristokratie als glanzvolle Umgebung des Throns; er liebte es, dadurch vom Volke abgeschieden zu sein. Es wurde nicht in Anschlag

6) Der Klerus hielt seinen Finanzetat gern geheim. Als Machault denselben begehrte, erwiderte ihm ein Bischof: Ne nous mettez pas dans le cas de désobéir à Dieu ou de désobéir au roi; Vous savez lequel aurait la préférence. Droz, Hist. de Louis XVI. 1, 60.

gebracht, daß die Vorrechte der Aristokratie den Verwaltungsorganismus lähmten, daß dieser bei der Fortdauer der Immunitäts- und Privilegiengebiete nicht gemeinsam noch gleichförmig sein konnte, daß er in den Formen und Schranken des Feudalmechanismus nicht zur Einheit, noch zu einer durchgångigen und behenden Bewegung gelangen konnte. Also kam die Hofmeinung der Fortdauer eines Staatswesens zu statten, wo in der Ungleichartigkeit der Rechtszustände harte Rechtsverkůmmerung für die niedern Stände enthalten war. Das Nivellirèn hatte nur die Oberfläche getroffen, auf der die Adelshåupter zu stolz emporragten; die gesammte untere Gliederung des Staates blieb in dem Roste der Feudalität, und wenn diese von der monarchischen Autokratie durchkreuzt wurde, so geschah es nur, um das Leben der niederen Classen mit polizeilichen Störungen und Plackereien von Staats wegen zu beengen. Personen, Stånde, Orte und Landschaften hatten ihre besondern Bedingnisse; Mauthlinien trennten eine Provinz von der andern; die Salzsteuer war in so ungleichem Verhältnisse aufgelegt, daß in manchen Landschaften der Centner Salz mit 2 Livres, in andern mit 62 bezahlt wurde 7). Im Rechtsgebiete bestanden, ungeachtet eines großen Reichthums an königlichen Verordnungen, welche allgemeine Geltung haben sollten, die Coutumiers der Feudalherrschaften fort; es wurden deren über dreihundert gezählt. Wie nun in dem Maße der Belastung und persönlichen Beschränktheit der dritte Stand in weiter Entfernung hinter den privilegirten Ständen zurück war, so lastete auf ihm die Ungunst des Minderrechts in der gesammten Praxis der Staatsverwaltung. Mochte auch der Edelmann und der Geistliche zu einer Steuer beitragen, so traf ihn nicht das Veratorische der Erhebungsart; des Edelmanns Ungabe galt auf sein bloßes Wort, der Bürger und Bauer aber war den störendsten Nachforschungen ausgefeßt ®); nur ihn tra

7) S. die carte des gabelles hinter Necker, Compte rendu. Bourgogne hat 61 2., 19 Sous, Bearn u. s. w. 2—4 L., die Inseln Rhé und Oleron nur 1 £., 10 Sous. Vgl. Necker, de l'administration des finances. 2, 1-100.

8) Montgaillard hist. de Fr. 2, 149; Droz 1, 55, wo von den Verationen bei dem Salpetersuchen. Von den Berationen des dritten Stan

fen die auf Defraudation gesetzten barbarischen Strafen, über ihn wurde auf bloßen Argwohn harte Haft verhångt, und zu seinem Rechte oder einer Genugthuung zu gelangen, war der Unschuldige selten im Stande. Zur vollständigen Anschauung dieses Organismus der auf einem Feudalgerüste erbauten Autokratie ist endlich noch die Verkäuflichkeit der Ämter, die Verpachtung eines Theils der Gefälle an Generalpächter, barbarische Criminaljustiz, insïdidse und böswillige Polizei, Verlegung des Briefgeheimnisses, Willkür der Cabinetsjustiz, Verbannung' und Haft durch lettres de cachet, despotisch-liebloser Eifer für Einheit des Glaubens im Reiche mit unmenschlichen Verfolgungen der Huguenotten und harter Bedrückung der Jansenisten, abergläubischem Bigotismus u. s. w. ins Auge zu fassen.

Mit dem Tode Ludwig's XIV. richteten sich die Geister auf; die Parlemente traten in ihre vormaligen Rechte, die Maske eines erheuchelten Bigotismus wurde am Hofe selbst abgeworfen, die Finanzoperationen Law's schienen die heitersten Aussichten auf Wohlstand zu eröffnen; doch die Enttäuschung folgte bald: der Regent führte mit Law's Bank die Finanzen zum Bankrutt, den Hof mit seinen roués in zügellose Ausgelassenheit und, als er Dubois zum Minister machte, die Res gierung in Schande. Dies war ein kurzer Übergang, noch 'kürzer die Mätressenherrschaft während des Ministeriums des Herzogs von Bourbon; Fleury suchte das Staatswesen in die alten stetigen Formen zurückzubringen und war bemüht, der Finanzzerrüttung abzuhelfen, das Kirchenthum in Einheit und Ehren zu erhalten und der Frivolität in der Literatur zu wehren. Daß die Parlemente ihre bei dem Beginn der Regentschaft wiedererlangten Rechte behielten, war die wesentlichste Abweichung von dem Regierungssystem Ludwig's XIV.; ob zum öffentlichen Wohl? ist bei dem Festhalten derselben an barbarischer Criminaljustiz, bei der Erinnerung an Jean Calas, La Barre, Sirven, Lally-Tolendal und Damiens schwerlich zu bejahen. Im Übrigen bestanden die Formen mit dem Gepråge der Zeit Ludwig's XIV. bis gegen Ende der Regierung

des überhaupt und der Eremtion der beiden andern von dergl. f. Sièyes Qu'est-ce que le Tiers-Etat? Par. 1822. p. 129.

seines Nachfolgers unverändert fort, und die Abwandlungen in den öffentlichen Zuständen gehören nur dem Tone und der Sitte des Hofes, der Regierung und des Volkes an. Bon dem unverrückten Beharren bei der mittelalterlichen Grundlage des autokratischen Throns gibt ein charakteristisches Merkzeichen das Gesek vom J. 1760, nach welchem nur diejenigen Adelsgeschlechter hoffähig sein sollten, deren Vorfahren im I. 1400 nobles de race gewesen wären. Wenn nun darüber eine ansehnliche Zahl spåter geadelter ehrenwerther Geschlechter zu grollen Ursache fand, so war es auf der andern Seite für den dritten Stand keineswegs ermunternd, daß eine Menge käuflicher Stellen niedern Adel gaben ); Die, welche dazu geLangten, entfremdeten sich dem Stande, aus dem sie ihr Geld emporgehoben hatte, und sie wurden als Emporkömmlinge und Solche, durch deren Austritt aus der Classe der Belasteten die Bürde für die letzteren schwerer, wurde, scheel angesehen. Niemals und nirgends ist es für den Bürgerstand eine Genugthuung gewesen, sagen zu können, daß Geadelte einst ihm angehört haben. Als nun nach Fleury's Tode die Regierung an die Måtressen kam, wurden zu Haupterscheinungen in der autokratischen Monarchie gänzliche Entsittlichung des Königs, zahllose Handlungen der Willkür nach Gelüst und Laune der Måtressen und ihrer Umgebungen und gewissenlose Håufung der Lasten, die das Volk zu tragen hatte, während die höheren Stånde wenig davon betroffen wurden. Bei einem Budget von etwa 300 Mill. L. war der dritte Stand schwerer belastet als heut zu Tage, wo dasselbe einer Milliarde nahe kommt 1o). Wenn nun die Finanzgeschichte der lehten Jahrzehnde Lud

9) Necker, de l'administration des finances 3, 145 gibt die Zahl solcher Stellen auf mehr als 4000 an. Es kann als Ausdruck der df= fentlichen Meinung gelten, was in der Einleitung zu den Révolutions de Paris (Par. Prudhomme 1789 ff.) Seite 16 darüber vorkommt: Toute la société souffrait de la révoltante pullulation d'annoblis, que l'on voyait se pavaner au sortir de leur roture etc.

10) Nach der Collection des comptes rendus bei Buchez et Roux 1, 205 betrug im J. 1758 das Gesammteinkommen 230 Mill. 2.; im folgenden 2861⁄2 Mill.; im I. 1764 schon 309, 300,000 L., Terray gedachte es im I. 1774 auf etwas über 348 Mill. zu bringen.

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