Page images
PDF
EPUB

zugehen, durchblicken "9). So erhob sich der Oppositionsstimme wider das alte Wesen, welche die Philosophen in der öffents lichen Meinung geltend gemacht hatten, gegenüber eine geistige Opposition der Privilegirten, und der Kampf der Meinungen begann. Nicht aus jener Opposition, sondern aus der leßtern ist abzuleiten, daß die Revolution zum Ausbruche kam: dem Deficit abzuhelfen war damals leicht, wenn von dem reichbegüterten Klerus und Adel willig Opfer gebracht wurden, und war diese Frage beseitigt, so ließ sich für Ausführung der übrigen Aufgaben Zeit und Rath gewinnen. Von bedeutendem Gewichte war nun aber der Ausspruch eines Worts, worin die Erinnerung an vormalige ständische Rechte und die Idee von Nationalrechten überhaupt zusammen enthalten war, nämlich die Hinweisung auf eine Versammlung der Reichsstände, états-généraux. Es ging aus von den Erzbischöfen von Arles und Narbonne, von Lafayette und von Castillon, dem Generalprocureur des Parlements von Air; Lafayette hatte jedoch nicht die zuleht 1614 versammelt gewesenen Feudalstånde, sondern eine umfassendere Volksvertretung im Sinne*). Lafayette wurde seit jener Zeit mit Ungunst am Hofe angesehen. Brienne meinte der Notablen nicht mehr zu bedürfen, sie wurden ihm låstig; er verkannte, wie nüßlich ihm fortge= sette Verhandlung mit denselben werden konnte; ihre Versammlung wurde am 25. Mai geschlossen. Der Widerstand derfelben gegen die Anträge der Regierung hatte im Ganzen die öffentliche Meinung für sich; dieser gefiel, daß es Opposition gegeben hatte, daß Beschwerden über die Gebrechen der Staatsverwaltung erhoben worden waren; daß aber dagegen die Privilegirten sich heilsamen Maßregeln åbgeneigt bewiesen hatten, wurde weniger bemerkt und besprochen; so wurde in den Pro

39) Wie schwere Schuld die Nótablen durch ihren Widerstand gegen die neue Besteuerung auf sich geladen haben, gesteht selbst Georgel, Mém. 2, 282, der doch nicht Gegner der Privilegirten heißen kann. Schwer begreiflich ist, was die Gesch. d. Staatsveränd. 2, 79 und 2, 86, als Apologie der Notablen vorbringt.

40) Lafayette 2, 177. Droz 1, 487. Lafayette saß im Bureau des Grafen Artois; auf dessen Bemerkung: Vous demandez sans doute les états-généraux, erwiederte Lafayette: Oui, Monseigneur, et mieux s'il est possible. Zinkeisen 1, 116.

vinzen die Stimmung durch die Reden der heimgekehrten Notablen verschlimmert. Die öffentliche Ruhe ward indessen noch nirgends gestört; der Gedanke an Volksbewegung lag noch ungeahnt in weiter Ferne. Die Verlegungen der Ehrfurcht gegen den Thron durch Wort und Schrift, Pamphlets und Couplets, wurden allerdings häufiger, doch die Malice hatte nach gewohnter Art der Franzosen noch im Lachen ihren Ausgang. In die Gemüther Derer aber, die den Widerstand der Privilegirten gegen die Anträge der Regierung in seinem rechten Lichte erkannten und nicht abzusehen vermochten, wie bei fortdauerns der Sprödigkeit der Aristokratie der nun allbekannt gewordenen Noth des Staates abgeholfen werden könnte, schlich sich die Sorge ein, daß die Hülfsverweigerung von jener Seite zu heftigen Bewegungen des Volkes führen möchte.

Nun ergingen im Junius drei königliche Verordnungen an das Parlement, über Freiheit des Getreidehandels im Innern, über Errichtung von Provinzialstånden in den Landschaften, die dergleichen noch nicht hatten, wobei zugleich doppelte Zahl von Deputirten des dritten Standes und Stimmung nicht nach Ständen, sondern nach Köpfen angeordnet wurde, und über Wegfall der Frohnden gegen Entrichtung eines Geldbetrags "1). Das Parlement registrirte: Widerspruch aber erhob es, als die Registrirung noch zweier Verordnungen, durch welche eine Stempelsteuer (impôt du timbre) und die von den Notablen abgelehnte Grundsteuer eingeführt werden sollten. In den Kammern des Parlements hallte wieder, was in der Bersammlung der Notablen verlautet hatte; es lag in der Nas tur der Sache, daß ein dort gegebenes Beispiel hier seine Wirkung that: konnte das Parlement sich getrauen, mehr zu verantworten als jene? So ward denn zunächst in der chambre d'enquêtes, welche die jüngern Råthe enthielt, deren Ansichten die grand'-chambre oft nicht theilte, die Opposition rege: Duval d'Epremenil, Duport, Freteau, Sabatier, Ferrand, Mich. Lepelletier de S. Fargeau, Herault de Sechelles waren die Wortfüh

41) Isambert 28, 357. 364. 374. Moniteur, Introduct. 77. Vgl. die zur Geschichte der parlementarischen Håndel der Jahre 1787 u. 1788 fehr brauchbaren Annales françaises v. Sallier.

rer. Einen Kampf gegen die Privilegirten zu bestehen, lag durchaus nicht im Sinne des Parlements; seine Opposition war nichts weniger als ein Liebesdienst für das Volk; aber es gelang ihm, für sein Verfahren einen günstigen Schein zu gewinnen denn es war einmal Richtung des Zeitgeistes, jeglicher Opposition gegen den Hof, auch der aus unlautern Motiven hervorgehenden, sich zu erfreuen. Das Parlement stellte (6. Jul.) vor, zuerst bedürfe es der Etats der Einnahme und Ausgabe, um sich vom Nothzwange zu neuer Besteuerung zu überzeugen *2). Als dies verweigert wurde, erklärte es sich für nicht befugt zur Bewilligung fortdauernder Steuern (impôts perpétuels); die komme den Reichsstånden zu. Diese Hinweifung auf die wahren Repråsentanten der Nation und das zugleich ausgesprochene Begehren einer baldigen Berufung derselben, war entweder nicht aufrichtig und nur darauf berechnet, daß es die Zurücknahme der Verordnungen bewirken möchte, oder war das Ergebniß des Bedachts, daß bei der Troftlosig keit des Staatshaushaltes die Bürgschaft der Nationalrepråsentanten für die Sicherstellung der Kaufcapitale parlementarischer Ämter nöthig werden möchte: Patriotismus war nicht unter den Motiven. Aber das Volk fragte nicht nach Motiven, es freute sich der Opposition um ihrer selbst willen. Das Parlementsgebäude (palais de justice) war von dichten Menschenmassen umringt, die dem Parlement ihren Beifall zu erkennen gaben; D'Epremenil wurde als Held des Tages gefeiert 43). Um Hofe war lebhafte Bewegung darüber; der Hofadel sprach mit Entrüstung von der Anmaßung der Magistratur; Baron Be

42) Isambert 28, 376. Es ist oft erzählt worden, daß des Parlementsraths Sabatier Ausruf: „,ce sont les états-généraux (allgemeiner Rechnungsetat) qu'il nous faut“, das Parlement auf das Begehren einer Reichsversammlung gebracht habe; es ist aber an das Obenbemerkte zu erinnern, daß die Idee dazu schon in der Versammlung der Notablen, ja schon in Malesherbes' Remontrance vom J. 1771 ausgesprochen worden war. In dem Beschlusse des Parlements vom 6. Jul. ist nur von l'état des recettes et dépenses die Rede; allerdings aber knüpfte sich die Renitenz des Parlements von nun an hauptsächlich an die Hinweisung auf Etats- généraux. Montgaillard 2, 29.

48) Besenval 8, 859. Weber 1, 181.

senval rief, ein solcher Despotismus sei bisher nur in der Türkei vorgekommen **). Brienne hatte Vertrauen zu dem guten Erfolge eines Acts königlicher Gewalt. Also wurde am 6. Aug. ein Lit-de-justice gehalten “) und die Registrirung der Verordnungen über Grund- und Stempelsteuer geboten. Das Parlement gehorchte, aber machte Tags darauf eine Protestation bekannt, worin die Registrirung für null und nichtig erklärt wurde, und erließ am 13. Pug. eine Erklärung, daß es den Reichsstånden allein zukomme, Steuern zu bewilligen *6). Die Folge davon war, daß das Parlement 15/22. Aug. nach Troyes verwiesen wurde 7). Indessen hatte ein königl. Schreiben vom 9. Aug. Ersparnisse im Hofhalt des Königs und der Königin angekündigt 18). Nun begannen die Volksaufläufe in Paris ungestüm und drohend zu werden; zur Nährung der Unruhe in den Gemüthern mochte die Sympathie mit den eben damals kampffertigen Patrioten in Holland und der Unwille darüber, daß Frankreich dieselben nicht unterstüßte, so wie spåterhin, daß es einem Bunde Englands mit Holland und Preußen nicht zuvorkam, beitragen; geheime Umtriebe aber wirkten von mehren Seiten; ausgewanderte Genfer, Clavieres, d'Ivernois, mögen Theil daran gehabt haben*9); in den Cirkeln des Herzogs von Orleans, wo D'Epremenil, Duport, Lafayette, Rochambeau ?c. zu erscheinen pflegten, war mindestens Discussion mit polemi

44) Droz 2, 9.

45) Den Procès-verbal s. Moniteur, Introduct. 79 fg. Die Gefege auch bei Isambert 28, 394 fg.

46) Isambert 28, 429.

47) Isambert 28, 423.

48) Moniteur, Introd. 82.

49) Davon will Soulavie viel wiffen 5, 800 fg. 878. 381, 6, 144. Allerdings stand Genf in einer gewissen politischen Wahlverwandtschaft mit Frankreich, und auf Frankreich wirkte zurück, daß durch seine be waffnete Zwischenkunft die genfer Unruhen zu Gunsten der Aristokratie geendet worden waren: die darauf zur Flucht genöthigten Demokraten fanden in Frankreich einen Heerd, dem Brandstoff, wie sie mitbrachten, sehr willkommen war. Ob aber England die genfer Flüchtlinge bezahlte, daß durch ihre Umtriebe die Verwirrung in Frankreich vergrößert würde, gehört zu den Muthmaßungen eines von dem Inselstaate aus geübten po

[ocr errors]

scher Tendenz gegen die Regierung im Gange. Als nun des Königs Brüder am 18. Aug. sich nach der Oberrechnungskammer und dem Obersteuerhofe (cour des aides) begaben, um dort die beiden Verordnungen registriren zu lassen, wurden dem Grafen von Provence, der für Volksfreund galt, Blumen gestreut, dem Grafen Artois aber Schmähungen zugerufen. Jene beiden Höfe aber waren nicht fügsamer als das Parlement. Die Königin machte ähnliche Erfahrungen als Artois; gegen Ende des Jahres mied sie es, nach Paris zu kommen 5o). Gewalt gegen das Volk zu gebrauchen, hatte der König aufs bestimmteste untersagt. Gegen den Eros des Parlements aber, der sich noch am 22. und 27. August in abermaligen Protesten ausgesprochen hatte 5), wurde am 2. Sept. ein sehr streng gehaltenes königl. Schreiben erlaffen, welches die Cassirung der vier legten Parlementsbeschlüsse gebot. Deffenungeachtet ließen Brienne und Lamoignon den König noch eine Ausgleichung des Haders mit dem Parlemente und eine Beseitigung der dringendsten Finanzverlegenheit hoffen; sie schlugen ihm vor, zum Behufe einer Anleihe von 420 Millionen Unterhandlungen mit dem Parlemente versuchen zu lassen. So geschah es. Zunächst wurden die åltern und gemäßigten Mitglieder des Parlements bearbeitet 2); es wurde verheißen, binnen fünf Jahren folle eine Reichsversammlung berufen werden, wofern nur das Parlement zunächst die Anleihe gutheiße. Dem Könige und der Königin stellte Brienne vor, in fünf Jahren könne sich viel åndern und die Erfüllung des Versprechens, die

litischen Pessimismus, die von manchen Geschichtschreibern der Revolu= tionszeit, z. B. auch von Toulongeon, über das Wahrscheinliche hinaus verfolgt worden sind. Von der Unwahrscheinlichkeit der Behauptung, daß damals schon geheime Gesellschaften mit revolutionåren Tendenzen bestan= den, s. Gesch. der Staatsverånder. 2, 135.

50) Lafayette, Mém. 2, 208.

51) Isambert 28, 429. In dem legten wird der Hof beschuldigt, de réduire la monarchie française à l'état de despotisme, de disposer des personnes par lettres de cachet, des propriétés par des lits de justice etc.

52) Montgaillard 2, 37.

« PreviousContinue »