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Staatsschak zugleich für Interessen, die mit dem öffentlichen Wohl nichts zu schaffen hatten, in ungebührlichem Maße' in Anspruch genommen wurde und der Staatshaushalt einer bez denklichen Krise entgegenging. Dem Könige und der Königin konnte, wenn das, was zu unmittelbarem Verbrauche für dies selben diente, gerechnet wird, hochschwelgende üppigkeit und frivoles Verwirthschaften nicht Schuld gegeben werden 2), jedoch der Pensionsetat lag im Argen. Ebenso konnte man die Regierung nicht mehr eines rücksichtslosen Despotismus anklagen; die etwa vorkommenden Acte autokratischer Willkür, Misbrauch der Lettres de cachet u. dgl. hatten nicht mehr den Charakter des Übermuths und der Grausamkeit der vorigen Regierungen, doch zeugten sie von der Fortdauer des Princips3) und zugleich gab es immer noch keinen genügenden rechtlichen Schuß gegen ministerielle Eigenmächtigkeit und gegen die Unbilden tyrannischer Subalternen. Für die Reformen endlich war es schlimm, daß sie so oft von Misgriffen durchkreuzt wurden. Von deri gleichen Misgriffen der Regierung gehört übrigens einer der empfindlichsten noch in die Lebenszeit Maurepas', nämlich die verkehrte Verordnung Segur's (22. Mai 1781), daß Niemand Officier werden solle, der nicht vier Ahnen zähle*), das Ges genstück zu der beibehaltenen und doch auf die Günstlinge nicht durchgehends angewandten Verordnung Ludwig's XV. über die Erfordernisse zur Hoffähigkeit und zu dem fortbestehenden Brauche, hohe Kirchenpfründen nur Adligen zu ers theilen. Daß nun manche Reformversuche stockten, war zum Theil Schuld der Parlemente, die in gewohnter Weise fort

2) Von keiner Unschuldigung ist der König und die Königin in Bes treff beffen, was sie selbst verbrauchten, mehr als von dieser freizuspre chen (vgl. Gesch. d. Staatsveränderung 1, 802. 2, 7. 26); der König mahnte bei dem, was ihn persönlich betraf, immerfort, daß nur die Ausgaben nicht vermehrt würden; aber er war schwach, die Höflinge lachten über seine Ökonomie, die Spenden an sie hatten ihren Fortgang und ihre Vermehrung.

3) Unter Ludwig XV. wurden über 150,000 Lettres de cachet ausgefertigt, unter Ludwig XVI. 14,000. Sartines vermochte den König, das Ludwigskreuz an Polizeispione zu geben. Montgaill. 1, 282. 4) Isambert 27, 29. Soulavie 4, 189.

Md. Campan 1, 236.

fuhren, starr an ihren Formen festzuhalten; das Parlement zu Bordeaur widerstand dem menschenfreundlichen Eifer Dupaty's, die Criminaljustiz zu bessern ), das von Grenoble den Bemühungen Servan's, der die Abschaffung der Folter empfahl und darauf drang, die Reformirten wieder zu den ihnen entrissenen staatsbürgerlichen Rechten gelangen zu lassen °). Wiederum führten die Parlemente eine ungemein kühne Sprache gegen die Regierung; so das von Bordeaur gegen die k. Verordnung über die Alluvionen der Gironde, Garonne und Dordogne 7. Mehr aber noch als die Parlemente stand die Kirche mit ihren nimmer rastenden Antrågen, die Reformirten niederzuhalten und die Gefeße, welche ihre Verfolgung geboten,

5) Boissy d'Anglas, Essai sur Malesherbes 1, 142.

6) Derselbe 2, 292. Hiebei mag auch der théorie des lois crimimelles von Brissot 1781, die wenig beachtet wurde, erwähnt werden.

7) Im J. 1781 hatte die Regierung verordnet, die Alluvionen jener Flüsse sollten der Krone zugeeignet werden. Das Parlement von Bor= deaux remonstrirte; darauf erfolgte ein gestrenges k. Edict; dagegen, wie gegen die Ansprüche auf jene Alluvionen, die der Familie Polignac zuge= dacht waren, protestirte das Parlement 30. Mai 1786 (Isambert 28, 179). In dieser Schrift kommt u. a. vor: Les lettres patentes du 14. Mai dernier renversent tous les principes de la justice, ils détruisent les lois sacrées de la propriété .... elles sont le fruit d'un système de déprédation qui fait gémir depuis longtems tous les gens de bien, d'un système soutenu par les ennemis du bonheur public, par des hommes que l'indignation universelle s'accorderait à proscrire, s'ils n'avaient eu l'addresse de se couvrir d'un nom aussi cher qu'il est sacré .... cette atteinte portée à la liberté publique et aux propriétés intéresse tous les citoyens si ce premier essai de la destruction des propriétés réussit, on n'aura aucune digue à opposer à ses progrès, il n'y aura plus rien d'assuré, le découragement universel s'emparera des esprits et des coeurs les coups irréparables que les mains des ennemis de l'état étaient prêtes à frapper ... les auteurs de ce projet d'invasion ont pensé qu'ils ne pouvaient parvenir à consommer leurs coupables desseins etc. Die Regierung sehte ihren Willen durch; über den Protest des Parlements drückt sich das E. Patent vom 28. Juli 1786 aus: Votre zèle vous a engagés à vous livrer à des illusions, weis terhin: il ne vous est jamais permis, sous quelque prétexte que ce soit, de combattre notre autorité. Isambert 28, 217.

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zur Ausführung zu bringen, den wohlwollenden Absichten des Königs im Wege.

Indessen hatte die Oppositions-Literatur in dem Jubel, der Voltaire bei seinem letzten Besuche zu Paris 1778 begrüßte, ihre Stärke offenbart. Sie hatte seitdem sich unermüdlich vervielfältigt und die Kühnheit ihrer Lehrsäße sich gesteigert, ihre Jüngerschaft aber sich über das gesammte lesende und denkende Frankreich verzweigt und in der ungemein regen Theilnahme an der Freimaurerei, welche Toleranz, Humanität und Aufklärung zu ihren Grund-Tendenzen hatte, ungeachtet der theosophischen Verirrungen und der Gaukeleien, zu denen Cagliostro, Mesmer u. A. verführten ®), eine eifrige und nüßliche Helferin gefunden 9). Lafayette, damals auch in dem Kreise um die Königin gern gesehen 1o), war seit 1785 bemüht, für Emancipation der Nichtkatholiken zu wirken und menschliche Behandlung der Neger in den Colonien gesehlich zu machen; mit ihm waren Malesherbes, Gregoire und Larochefoucauld zu dem lehtern Zwecke thatig "). Der Geist der neuen Philosophie war auch in die Hallen der Wissenschaft, wo diese große, selbständige Pfleger hatte, gedrungen; Lalande übertrug seinen kirchenfeindlichen Sinn in seine astronomischen Theoreme; die Sorge, bei der Verkündung von Ideen ångstliche Rücksicht auf das System der Staatsregierung oder der Kirche zu nehmen, war entwichen, die Reclamationen des Klerus waren vergeblich. Im J. 1775 hatte die Versammlung des Klerus Vorstellungen, dringender als je zuvor, an den König gerichtet, um Maßregeln gegen irreligiöse Schriften auszuwirken; im J. 1780 klagte sie über die Unthätigkeit der Regierung und wies nach, daß gefährliche Bücher selbst auf

8) Mounier de l'influence attribuée aux philosophes etc. Par. 1822, p. 136 fg.

9) Derselbe 152 fg. Die Loge Le Grand Orient wurde 1773 geStiftet. Der Herzog von Chartres war Großmeister.

10) Md. Campan 1, 234. Zinkeisen, Lafayette 42. 43. 63, 92. 105. Mit der Gunft gegen Lafayette war auch fortwährende Parteinahme für Nordamerika Hofton. Burke sagte, bei seinem Besuche in Frankreich (1783) habe er die Hälfte des Hofes republikanisch gefunden.

11) Mém, de Lafayette 2, 139. 180 fg.

dem Lande vertrieben wurden 22), der Bescheid des Königs aber war nicht ermunternd für die Bittsteller und selten wurde ftrenge verfahren. Zum lesten Male vor der Revolution führte der Klerus im J. 1785 Beschwerde 13). Die Regierung hatte bas Ankämpfen gegen die Oppositionŝliteratur so gut als aufgegeben. Zugleich wurden die für die neue Philosophie nicht empfänglichen Gebiete der Literatur trefflich angebaut. Buffon eröffnete den Wunderschauplah der Natur und ward ihr Inters pret in klassischer und ergreifender Sprache; D'Anville's historische und geographische, Barthelemy's antiquarische, Lavoisier's chemische, Dupaty's und Servan's juristische Forschungen brachten dem Scharfsinn und Fleiß französischer Wissenschaftlichkeit verdiente Anerkennung; auch das Feld der physikalischen Erfinbungen ward durch die Montgolfièren bereichert. Wiederum hatte auch die frivole und obscône Literatur sich nicht erschöpft; vielmehr kündigten sich in den liaisons dangereuses von De Laclos und in einer muthmaßlich im Louvre 1780 gedruckten Sammlung der seit der Regentschaft erschienenen obscönen Schriften, sowie spåter (1787) in Louvet's de Couvray Faublas Musterstücke derselben an, deren eifrige Aufnahme bei der Lesewelt ein beklagenswerthes Zeugniß von der Sittenlosigkeit jener Zeit und insbesondere der höhern Stånde gab. Von Kühnheit der Herausforderung gegen die Bevorrechteten, bitterer Kritik mancher Seiten des Regierungssystems, namentlich der

12) Soulavie 3, 15. 5, 186. Anträge auf Niederhaltung der Re formirten, nämlich, daß ihre Kinder hinfort als Bastarde angesehen wers den sollten, früherhin in der Regel den Anträgen zu strengem Verfahren gegen die Presse zugesellt, mangelten auch dies Mal nicht; Ludwig aber wies sie zurück. Les deux cultes, sagte er, doivent s'édifier à l'envi, et ne pas s'aigrir par des accusations offensantes. Labaume 2, 146. Soulavie 5, 153. Der Erzbischof von Paris declamirte 1775 gegen das Geses, welches Klostergelübde bei Männern nicht vor dem 21., bei Weis bern nicht vor dem 18. Jahre gestattete; die Mehrzahl der Geistlichen stimmte ihm bei, doch auch hier war der König weiser als der Stand, der die Gewissen meistern wollte. Engl. Ber. b. v. Raumer 5, 204. Boissy d'Anglas, Essai sur Malesherbes 1, 20. 26. Malesherbes vers faßte um jene Zeit treffliche Denkschriften für die Reformirten und für Preßfreiheit. Daf. 1, 30. 52 fg.

13) Montgaillard 1, 249.

Censur, und zugleich von Darstellung schamloser Sittenlosigkeit, gab Beaumarchais' Hochzeit des Figaro ein eclatantes Beispiel; aber beklagenswerthes Zeugniß von der Verblendung und dem Leichtsinne der Königin gab zugleich ihr Betrieb, daß das nichtswürdige Stück trok des Königs Verbote zur Aufführung gebracht wurde "); wie endlich die Stimmung in Paris sei, besagte der ungemeine Applaus, mit dem es begrüßt und unermüdlich, 72 Male nach einander, wieder begehrt wurde.

In der öffentlichen Meinung überhaupt aber gestalteten fich Vorstellungen von dem dringenden Bedürfniß einer Üns derung im Stadtswesen um so bestimmter, je mehr die posis tiven Anschauungen von dem, was Nordamerika geworden war, zur Befruchtung der vorher vagen Ideen von Freiheit. und Volksglück beitrugen und je einleuchtender es ward, daß eine völlige Verjüngung des Staats von Seiten des Hofes nicht zu erwarten war. Es trat die Zeit des Mismuths über getäuschte Erwartungen ein. Frankreich war zum Hoffen und Vertrauen geweckt worden; nun aber sollte es in politischer Fäulniß und Stockung verharren? Dies wirkte wie überall in der menschlichen Natur das Bewußtsein des Rückschrittes nach vielversprechenden Anfängen der Bewegung. So wird der Schmerz eines bösen Schadens empfindlicher, wenn daran zur Heilung gerüttelt worden ist und die prüfende und Heiz lung zusichernde Hand davon abläßt. Eine Verschwörung zum Umsturze der bestehenden Ordnung kann nur krankhafter Wahn oder böser Wille in der damaligen Stimmung finden wollen; aber der Sinn der Vaterlandsfreunde wurde trüber und unmuthiger, die Gährung war im Steigen, die öffentliche

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14) Md. Campan 1, 276. Wie der König, welcher sich aufs bes stimmteste gegen die Aufführung erklärt hatte, durch die Zusicherung, die anstößigen Stellen seien gestrichen, was nicht geschehen war, noch geschah getäuscht wurde, f. Montgaillard. 2, 104. Der Monolog Fis garo's (Act 5, Scene 3) mit den Ausfällen gegen Adel (vous vous êtes donné la peine de naître), Censur 2c. wurden vom Hofe wol als chateaux en Espagne angesehen; spielte das Stück doch jenseits der Pyrenåen ! Das war für den politischen Blick des Kreises der Königin für dies Mal ebenso weit, als zuvor die Sache der Umerikaner; man ahnte nicht die Rückwirkung auf Frankreich.

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