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der Tuilerien Anhänger des Hofes und der Constitution mit Wissen oder wol selbst auf Veranlassung der Königin 2*), zusammen, um zu berathen, was für den König gethan werden könne; auch Girondisten traten dazu. Von der Königin ging aus, daß vor Allem über Flucht berathen würde; ob im Zus sammenhange mit Lally's und Lafayette's Entwürfen, ist dunkel. Darauf wollten die Girondisten nicht eingehen; ihnen lag nicht daran, daß der König freie Hand bekäme, mit den Feuillans sich gegen die Revolution und sie selbst zu wenden; die Conferenzen endigten ohne Frucht. Des lehten Versuchs der Gironde, sich mit dem Könige in Einverständniß zu sehen, ist unten zu erwähnen.

Nur um der drohenden Stellung der Feuillans und Royalisten zu begegnen, schritt die Gironde wieder zum Angriffe; der stetige Grundgedanke ihrer Manoeuvres war, den König und die Regierung von sich abhängig zu machen und den Staat nach ihrer Weise einzurichten; zu dem Egoismus kam politische Systemsucht; dazu schien abermals Einschüchterung des Hofes und der Feuillans das geeignetste Mittel zu sein. Daher begleiten einen Monat lang feindliche Bewegungen jene geheimen Unterhandlungen; die Gironde gab sich zu Gunsten der Erstern abermals der Gewaltpartei hin und unterstüßte deren Umtriebe mit Anklagen; der Strom aber wuchs auch ihr zu Haupten; sie vermochte nicht den Thron zu halten, mit dessen Autoritåt sie zu regieren strebte, sie bereitete sich selbst ein Grab auf seinen Trümmern. Manche Mitglieder der Gironde fühlten sich gedrückt in der Verbindung mit dem Berge, dessen zunehmendes Gewicht sie nicht verkannten; Ducos sagte eines Tags in einem Momente vertraulicher Offenheit zu Vaublanc: „Uch! Ihr seid frei!" Es wurden Versuche zur Einung der Girondisten mit den Feuillans gemacht; doch diese mislangen, meistens durch die Schuld der Leßtern 25). Auch waren Brissot und Guadet, jener mit seiner Charakterlosigkeit, dieser mit seinem Eigenfinn, der Verständigung im Wege; ihr Mistrauen gegen die Feuillans und den Hof war mächtiger als ihre Be

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sorgniß vor der Gewaltpartei; wohl mochten fie auf die Überlegenheit ihrer Talente im Verhältniß zu der leztern rechnen; doch daß diese eben so intrigant als gewaltluftig sei, schien ihnen noch nicht klar zu sein; Intriguen fürchteten sie nur von dem Hofe her.

Als Lafayette in der N.-B. aufgetreten war, erschien Brissot am 28. Jun. Abends im Jacobinerclub, redete gegen Lafayette und erklärte sich geneigt zur Aussöhnung mit Robespierre, worauf dieser eine entsprechende Erwiederung gab 26). Die Minister berichteten am 29. Juni über Anstalten gegen Unruhen und Sicherstellung von Paris gegen eine feindliche Invasion; Pastoret nach ihnen in ihrem Sinne: aber die gemachten Vorschläge, Aushebung von Freiwilligen, Verbot des Klatschens in der N.-V., Costumirung der Deputirten u. s. w., fanden keinen Beifall; Isnard nannte Pastoret's Vortrag eine Dose Opium 27), Gensonné aber Luckner's Rückmarsch aus Belgien nach Lille, von dem soeben Nachricht einging 28), eine infernale Intrigue des Hofes 29); und als Jean de Bry am 30. Jun. in Vorschlag brachte, das Vaterland für in Gefahr befindlich zu erklären, ging der Anarchist Delaunay von Angers sogleich zu dem excentrischen Vorschlage über, die N.-V., möge decretiren, daß bis zum Frieden und Beschluß der Revolution nur die drohende Gefahr und das höchste Gesetz der Wohlfahrt des Volkes in den Maßregeln gegen Conspiranten u. s. w. zu befolgen sei 30). Indessen umgarnten die Widersacher Lafayette's durch Schmeichelreden den bornirten Luckner; nach seinem Rückzuge wurde ihm erklärt, er habe das Vertrauen der Nation nicht verloren "); man gedachte, ihn zu

26) Buchez et R. 15, 237.

27) Daf. 15, 211.

28) Um 19. u. 20. Jun. 'beseßte Luckner Menin, Ypern, Courtray; man rechnete auf Zutritt der Belgier; aber die Bauern schossen auf die Franzosen; die Östreicher griffen Courtray an; den 30. Jun. waren die Franzosen zurück über die Grenze; am 8. Jul. kam die Nachricht nach Paris.

29) Moniteur No. 184, v. 2. Jul.

30) Moniteur No. 183, Ende.

31) Deux amis 8, 48.

einer Anklage gegen Lafayette zu benußen; hierbei waren die Girondisten insbesondere thåtig 32). In den ersten Tagen des Julius, als die Petition der Zwanzigtausend im Umlaufe war und die Parteiung zu Reibung und blutigen Håndeln führte 3), nahmen die Widersacher des Hofes, Girondisten so gut wie Anarchisten, abermals das Wort, über drohende Gefahr Klage zu führen und den Schein der Angriffslust auf den Hof zu werfen. Adressen von Sectionen, Journalartikel, Verhandlungen bei den Jacobinern und in der N.-V. wirkten zusammen. Um 1, Jul. trat eine Deputation der Section Croir rouge vor die N.-V. mit einer Lafayette bedrohenden Rede; eine an= dere begehrte Entsehung des Generalstabes der Nationalgarde 3); Briffot's Patriote français, Louvet's Sentinelle und Tallien's Ami des citoyens wetteiferten mit einander in aufregenden Artikeln 3); bei den Jacobinern sprach Real von der Nothwendigkeit, den König zu suspendiren, und Danjou empfahl die Berufung eines National convents ). Der Jacobinerclub machte die Vorbereitung zu den Verhandlungen in der N.-V., wáhrend die Cordeliers mehr in Bewegung der Masse ihre Wirksamkeit hatten. Am 2. Jul. wurde in Folge einer Petition von pariser Bürgern von der N.-V. der Beschluß gefaßt, den Generalstab der Nationalgarde in Paris und in allen Städten von mehr als 50,000 Einwohnern zu cassiren 37), ein Beschluß, der die Anhänger des Königs und der Constitution mit wohlgegründeter Sorge erfüllte. Darauf wurde der von Jean de Bry am 30. Jun. gemachte Antrag zu einer Erklärung, daß das Vaterland in Gefahr sei38), Gegenstand der Verhandlung. Eröffnet ward diese von Vergniaud mit einer

32) Dumas, Souvenirs 2, 380.

33) Buchez et R. 15, 250.
84) Daf. 15, 246. 247.

35) Deux amis 8, 27.

36) Buchez et R. 15, 267. 16, 216.

37) Daf. 15, 257.

38) Das. 15, 211. Nach Vaublanc, Mém. 2, 90 kam die Idee ursprünglich von einem loyalen Beamten, der fie kurz nach dem 20. Jun. äußerte; die Jacobiner aber bemächtigten sich derfelben.

gewaltigen, tief bewegenden aber zugleich unheilschwangern Rede. Das Vaterland, sprach er, sei in Gefahr wegen der falschen Stellung des Hofes zum Auslande, wegen der Hindernisse, die derselbe dem Aufschwunge der Nationalkraft in den Weg Lege; die Minister seien verantwortlich zu machen für Unruhen, die aus kirchlichen Motiven hervorgingen, und für die Folgen, die es haben könne, daß kein Lager zum Schuße der Haupts stadt gegen die ausländischen Heere ins Werk gesezt sei. Wenn man den Fall annåhme, daß der König mit freiem Willen den Mitteln, das Vaterland zu retten, entgegenarbeite, so müsse man ihm sagen, daß er nichts mehr sei für die Constitution, die er schmählich verlegt, nichts mehr für das Volk, das er schmåhlich verrathen habe 39). Jean de Bry's Antrag wurde schon am 4. Jul. angenommen und demnach zunächst decretirt, was für Maßregeln genommen werden sollten, wenn das Vaterland in Gefahr sei; diese aber waren: Verpflichtung aller Behörden zu permanenter Wachsamkeit und der Nationalgarden zu permanenter Thätigkeit, der Bürger zu einer Angabe ihrer Waffen; ferner Bestimmung der Zahl von Nationalgarden, die jeder Canton zu stellen habe, Auswahl derselben durch die Nationalgarden selbst, Bildung derselben zu Bataillonen und Aussendung dieser gegen Feinde *). In den nächstfolgenden Sizungen wurden neue Vorschläge zur Rettung des Staats gemacht und bei jedem dergleichen eine Anklage gegen den Hof ausgesprochen. Torné schlug am 5. Jul. vor, wozu früher am 30. Jun. schon Delaunay die Grundzüge gegeben hatte, wenn die Gefahr dringend werde, möge die N.-V. den Grundsaß: „die Wohlfahrt des Volks ist das höchste Gesetz", welcher über die Constitution gehe, befolgen, eine außerordentliche Macht in ihrer Mitte einseßen und diese in den Departements durch Commissare üben lassen (die Grundlinien der nachherigen Regierung des Wohlfahrtsausschusses im Nationalconvent)11). Dies gab

89) Buchez et R. 15, 268 fg. Die hypothetische Anklage des Kdnigs, mit der glänzendsten Beredsamkeit ausgeführt, enthält viel Gift. Dumas, Souven. 2, 263, nennt die Rede vrai modèle d'éloquence tribunitienne. Perfide heißt sie bei ihm und bei Vaublanc, Mém. 2, 57. 40) Moniteur No. 188, G. 784, Duvergier 4, 281. 41) Moniteur No. 188, S. 785.

zu heftigen Gegenreden Anlaß; Pastoret rief, der Antrag scheine von Coblenz zu kommen, bestimmt, Frankreich in Anarchie zu stürzen. Nun trat am 6. Jul. Condorcet als Anklåger des Hofes auf; es war der zweite Angriff der Gironde; den dritten wollte Brissot machen. Condorcet's Rede war künstlich gearbeitet, ausgezeichnet durch Reichthum und Feinheit der Gedanken und akademische Eleganz der Form, durch kosz mopolitischen Eifer in Empfehlung von Instituten, die dem Geiste bürgerlicher Freiheit und der „Philosophie“ entspråchen, Ehescheidung u.s. w., aber zugleich mit bitteren Beschwerden über König und Minister erfüllt *2); sie war das Vorwort zu dem Antrage, an den König eine Vorstellung über das unheilbringende Benehmen der Minister und eine Mahnung an seine constitutionellen Pflichten gelangen zu lassen dies ein unverkennbares Merkzeichen des Strebens der Gironde, das Ministerium wieder an sich zu bringen.

Nun aber unterbrach eine wunderbare Scene diese Ungriffsbewegungen; Lamourette, Bischof von Lyon, erhob sich am 7. Jul., vielleicht veranlaßt durch die Tags zuvor von dem Könige der N.-V. mitgetheilte Kunde von Preußens Kriegsdrohung, sprach aus der Fülle eines edeln patriotischen Herzens zum Frieden und zur Eintracht und forderte die Männer beider Parteien auf, durch einen Schwur dem zu entsagen, was er als Ziel ihres divergirenden Strebens ansah, der Re

42) Einen extrait daraus f. Moniteur No. 198, S. 807. Mehr ist auch nicht bei Buchez et R. 15, 313. Seine Vorschläge zur bürgerlichen Freiheit sind: Affranchissez les fils de famille, abolissez les substitutions, détruisez les testamens, établissez l'ordre de succession le plus favorable à la division des propriétés; donnez aux mariages la plus grande liberté, accordez aux enfans qu'on appelle illégitimes, les droits auxquels la nature les appelle; établissez un système d'adoption qui permette aux hommes vertueux de s'unir entre eux par des liens de famille, surtout permettez le divorce: faites cette loi si nécessaire à la conservation de la liberté, aux moeurs, à l'esprit public, cette loi que la politique ordonne plus impérieusement encore que la philosophie. Organisez l'instruction et les établissemens de secours publics.

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